Romane & Erzählungen
Findelkind 4 - Maya malt sich alles von der Seele

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"Findelkind 4 - Maya malt sich alles von der Seele"
Veröffentlicht am 01. Mai 2015, 26 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: aleshin - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren. Im Bayerischen Wald genießen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..
Findelkind 4 - Maya malt sich alles von der Seele

Findelkind 4 - Maya malt sich alles von der Seele

Findelkind 4

Fortsetzung von Findelkind 3

Maya malt sich alles von der Seele

Maya öffnete die Augen, es war ihr anzusehen, wie schwer sie sich von ihrer Vision löste. Noch ganz  verklärt fuhr sie fort: „Als ich damals erwachte, hatte ich nur einen Wunsch: zurückzukehren  in die Welt, aus der ich gekommen war. Ich versuchte, die einzelnen Bilder in mein Bewusstsein zurückzurufen. Wie ich neben meinem Vater vor einem Jasminstrauch saß, einem großen, ausladenden Busch mit unzähligen weißen Blüten.“  Maya schien nahe daran, erneut  in ihre Träume zu gleiten,

aber sie riss sich zusammen und gab ihren Gedanken eine andere Richtung. „Welche Mächte waren im Spiel, die mich so grausam von einer Welt in eine andere versetzt hatten?  Und woher nahm ich die Fähigkeit, in diese Welt zurückzuschauen? So viele Fragen, die nach einer Antwort verlangten.“

Sofie saß wie erstarrt.  Sie wusste nicht, wie sie einordnen sollte, was sie soeben erfahren hatte. Sie wagte die Frage: „warum hast du nicht längst darüber gesprochen?“ Sie fürchtete schon, dass Maya ihr keine Antwort darauf geben konnte. Zu ihrer Überraschung lächelte Maya  Sofie an. „Ich habe lange gebraucht, bis ich in der Lage war, die

Vision in Worte zu kleiden und wiederzugeben. Damals hätte ich  gar nicht den entsprechenden Wortschatz zur Verfügung gehabt. Jetzt, da ich es artikulieren kann, ist die Vision  in meinem Bewusstsein verankert und fester Bestandteil meines Lebens. Dafür bin ich sehr dankbar.“

„Und du glaubst wirklich, dass sich all das genau so zugetragen hat?“

Maya nickte „Ich bin fest davon überzeugt, obwohl ich es nicht beweisen kann, denn ich hatte nur diesen einzigen aber klaren Traum.“

„Und woher weißt du, dass dieser Bor dein Vater ist?“

Maya schaute Sofie überrascht an. „Ich

habe es gespürt, nur gespürt“, gab sie zu. „Es war so,  ganz sicher, ohne jeden Zweifel“, versuchte Maya sich selbst zu überzeugen. „Nun hoffe ich, dass ich auf weitere Visionen, die mir mehr über mich und meine verlorene Welt offenbaren.“

„Du siehst also deine alte Welt als verloren an?“

„Ja, so lange ich keine Ahnung habe, warum und wie ich vertrieben wurde, muss ich es als Wille der Götter akzeptieren. Die Fähigkeit mit meiner alten Welt Kontakt aufzunehmen, sehe ich als Göttergeschenk  an und füge mich ihrem Willen.“

Sofie fühlte sich überwältigt von dieser

Hingabe an die Götter. Es zeigte ihr auch, dass bei Maya eine Bindung an ihre alte Welt bestand.

„Ich denke, mit der Zeit wird alles ins Gleichgewicht kommen“, meinte sie zuversichtlich, strich Maya liebevoll über das Haar und erhob sich.  

„Vielleicht wird uns der Sohn von Julias Nachbarin dabei helfen“, murmelte die so leise, dass Sofie es nicht hören konnte.  

So kehrte bei Sofie und Maya wieder der gewohnte ruhige Trott ein. FĂĽr Maya war ihr Skizzenblock wichtiger als sonst.

Sie saß oft Stunden in ihrem Zimmer, aus dem dann kein Ton zu hören war. Sofie hätte gerne einen Blick auf ihre Skizzen geworfen. So tat sie etwas, was ihr eigentlich widerstrebte. Sie klopfte nur leicht an Mayas Tür und trat sofort ein. Maya war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie Sofie nicht bemerkte. Sie zeichnete mit raschen Strichen, schaute dann auf, als überrasche  sie Sofies Anwesenheit nicht. „Ja, ich male mir von der Seele, was da an Bruchstücken aus einem  früheren Leben  auftaucht“, sagte sie so natürlich, als machte sie eine Notiz. „Es hilft, so füge ich Steinchen für Steinchen aneinander. Irgendwann habe ich dann das ganze

Bild.“ Sie ließ die Seiten des recht dicken Heftes spielerisch durch die Finger laufen.  

„Ich male, male und staune, was ich aufs Papier bringe. Mir ist“, sagte sie „als stecke eine andere, fremde Person in mir, eine, die heraus will, die mir etwas mitteilen will.“

„Lass sie“, ermunterte Sofie sie, „frag sie aus, sie scheint zu wissen, was du vergebens suchst.“ „Es ist ein verdammt komisches Gefühl“, gestand Maya. „Es macht mir Angst. Oft fürchte ich, Dinge zu erfahren, die ich besser nicht wissen sollte. Dabei möchte ich so gerne erfahren,  was mit mir geschah, wer ich bin, wie ich gelebt habe, was ich  getan

habe. Womöglich habe ich einen anderen Menschen getötet. meinen Vater. Kinder, die ich vielleicht hatte?   Es gibt da bestimmt  noch andere Menschen.“

„Maya“, Sofie packte sie an beiden Oberarmen. „Du hast einen riesigen Schritt voraus getan. Jetzt ist Platz, auch Schritte in die Vergangenheit zu tun. Aber quäle dich nicht, nutze, was sich dir offenbart. Wer weiß, warum dein Inneres dir das andere vorenthält.“ Maya nickte und fuhr fort zu zeichnen. „Ich kann gar nicht anders“, gab sie zu. „es ist wie ein übermächtiger Befehl.“ Sinnend betrachtete sie die Zeichnung.  „Schau Sofie“, sie schob ihr die Zeichnung zu, „diese Blumen sind fast

wie fotografiert und doch habe ich sie noch  nie gesehen.“

„Vermutlich sind sie dir vertraut, sonst könntest du sie nicht wiedergeben“, wandte Sofie ein. „Sie werden sogar eine Rolle für dich gespielt haben, aber du weißt es nicht.“

Maya  drehte das Blatt in alle Richtungen. „Wenn wir herausfinden könnten, was es ist, wie sie heißen, könnte das vielleicht weiterhelfen.“ Sofie griff nach der Zeichnung und betrachtete sie genau. „Gib es mir mal mit. Ich zeige es Dorothea, sie hat Biologie studiert und ist vielseitig beschlagen. Sie weiß vielleicht, um welche Pflanze es sich handelt.“ „Nein“,

Maya legte schützend beide Hände über das Skizzenbuch, „das gebe ich nicht her“, stieß sie hervor. „Das bekommt außer dir niemand zu Gesicht.“ Sofie schämte sich, wie hatte sie nur so unsensibel sein können. Sie hätte wissen müssen, dass alles, was in diesem Heft verborgen ist, im Grunde das Innerste von Mayas Seele zeigt. „Du hast recht“, lenkte sie ein. Dabei keimte eine ganz andere Idee in ihr auf. Einen Moment zögerte Sofie noch, bevor sie aussprach, was sie dachte. „Sag mal, kannst du nur zeichnen, was sich dir von innen aufdrängt oder auch das, was du zum Beispiel beim Blick aus dem Fenster siehst?“ Maya reckte sich, sie schaute

auf die Rosenbüsche neben der Terrasse, auf den noch kleinen Apfelbaum und den schon viel höher gewachsenen Walnussbaum. „Alles, was ich da sehe, auch die Wolken und die Vögel?“ „Ja, alles und zwar ganz genau so wie diesen  Strauß Blumen oder Kräuter, was immer es sein soll.“

Maya versuchte es, immer wieder schaute sie nach draußen, dann auf das Papier. Sie ließ den Stift fallen, als seien ihre Finger müde, griff wieder danach, fuhr fort zu zeichnen. Sofie sah es sofort, es gelang nicht, die Zeichnung hatte kaum Ähnlichkeit mit dem wahren Bild. Auch Maya fiel das auf. Sie schüttelte den Kopf. „Das sieht furchtbar

aus“, gab sie zu und schob Sofie das Buch hin. Darf ich?“ fragte sie und begann  rückwärts zu blättern. Als sie zu der Stelle kam, die über und über mit einer undefinierbaren Figur bedeckt war.  „Was stellt das dar?“ wollte sie wissen. „Das siehst du doch, die Göttermutter.“ „Du meinst die Mutter Gottes.“ Maya nickte, sie griff an ihren Hals, wo sie die kleine Marienfigur trug. Umständlich löste sie das Lederband und legte das Schmuckstück auf den Tisch. Sofie rückte die Figur neben die Zeichnungen und stellte fest. „Die Größe stimmt, aber sonst kann ich keine Ähnlichkeit erkennen.“ Auch Maya beugte sich über die Zeichnungen und

entschied:  „Sie ist viel zu klein, um die Unterschiede herauszuarbeiten.“ Sofie spürte, dass sie Maya verletzt hatte, konnte aber den Grund nicht erkennen. Allerdings war die Abweichung zwischen Zeichnung und der Marienfigur offensichtlich. „Du hast recht, sie ist sehr klein“, gab sie versöhnlich nach und schob das Buch  zu Maya hinüber. „Heb  es gut auf, es ist ein Schatz.“ „Es ist viel mehr als ein Schatz, es ist mein Geheimnis. Oder besser gesagt ein Teil meines Geheimnisses. Aber eines Tages wird das Rätsel gelöst sein, das weiß ich gewiss.“ Es schien, als versinke Maya in Gedanken, bis sie hinzusetzte: „Und was

ist dann?“  „Dann schauen wir weiter. Hör auf, dich darüber zu sorgen, mein Kind“, mahnte Sofie und strich Maya liebevoll über  den Kopf. Als Maya nicht reagiert, stand Sofie auf und verließ den Raum. Sie ahnte, was sie soeben angerichtet hatte. Die Anrede, mein Kind war Maya bis ins Mark gefahren. Sie legte den Kopf auf die verschränkten Arme und begann  zu weinen.  Sie beruhigte sich nur langsam und spürte dem Gedanken nach: ‚Sofie, meine Mutter. Warum sehe ich in meinen Träumen nie eine Spur meiner richtigen Mutter? Bor hat mir viel von ihr erzählt, aber sie ist mir nie erschienen. Sie schlug ihr Skizzenbuch auf und versuchte

aus dem Gefühl heraus, ein Bild der Mutter zu zeichnen. Es gelang nicht. Es entstand das Bildnis einer Frau, zu der sie jedoch keine innere Beziehung verspürte.  

Es bedrückte Sofie zu sehen, dass die Heiterkeit, das Strahlen in Mayas Zügen wieder erloschen war. Oft starrte sie nur vor sich hin, und offenbar nahm sie nur noch selten ihr Skizzenbuch zur Hand. Sofie fürchte schon, sie würde in den apathischen Zustand der ersten Zeit zurückfallen. Dann hielt sie es nicht länger aus und sie fragte: „Was ist los, Maya, du bist so traurig, dass es mir das Herz bricht.“ Zunächst schien es, als sei

die Frage gar nicht zu Maya vorgedrungen. Dann hob sie unvermittelt den Kopf und stieß hervor: „Wäre ich doch nur dumm geblieben.“ „Das verstehe ich nun wirklich nicht“. Sofie hob ratlos sie Schultern und wartete auf eine Erklärung. Es dauerte eine Weile, bis Maya mühsam hervorbrachte: „Als ich her kam, war ich leer, ein Mensch ohne Geschichte. Ich existierte, mehr nicht. Ich litt nicht, ich war nicht glücklich.“

„Das stimmt“, Sofie wollte gerade hinzusetzen ‚mein Kind, unterdrückte jedoch den Impuls. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie längst dazu übergegangen war, in Maya die Tochter

zu sehen, die sie gerne gehabt hätte. Nachdenklich betrachtete sie ihren jungen Gast. „Du bist zweifellos eine völlig andere als bei deinem unverhofften Auftauchen. Alleine wenn ich an deine Haarmähne denke“, sie lächelte und strich Maya liebevoll über das jetzt kurz geschnittene glatte Haar. „Du gleichst einem völlig verschüchterten Vögelchen. Und schau dich heute an, ich sehe eine besonders hübsche junge Frau mit anmutigen Bewegungen, die erstaunlich gut die deutsche Sprache beherrscht. Im Grund hast du alle Voraussetzungen, ein ganz normales Leben zu führen.“

Maya schüttelte vehement den Kopf. „So

lange ich nicht einmal weiß, wie ich an deinen Gartentor gelangt bin, geschweige denn in dieses Land, kann ich unmöglich eine solide Zukunft aufbauen.“ Es tat Sofie in der Seele weh, aber den Argumenten konnte sie sich nicht verschließen. „Wenn wir nur einen winzigen Anhaltspunkt finden könnten“, seufzte Sofie und wusste sogleich dass sie gerade das immer befürchtet hatte. An dem winzigsten Anhaltspunkt würde sich unter Umständen die ganze Geschichte aufrollen lassen. Dann wäre Maya für sie verloren. Sofie schämte sich dieser Gedanken, da sie genau wusste, dass die Aufklärung Mayas innigster Wunsch war.

„Irgendwann, davon bin ich fest überzeugt“, erklärte sie tapfer, „finden wir diese Nadel im Heuhaufen.“ Sie lächelte Maya zu.

Julia  machte Sofie regelmäßig Vorhaltungen, endlich Mayas Zukunft vernünftig zu planen. „Sie muss ein Ziel vor Augen haben, dann verblasst mit der Zeit ihr Wunsch, die Vergangenheit zu erforschen. Außerdem braucht sie eine Identität“, drängte sie. „Du kannst sie doch nicht unbegrenzt namenlos bei dir leben lassen. Stell dir vor, sie verliebt sich und will heiraten. Schau sie dir doch an, eine bildschöne junge Frau. Sie

hat keine Papiere, überhaupt keine Daten, wie sie jeder andere vorweisen kann: Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort Ort und, und, und.  Irgendwann  muss sie auf eigenen Beinen stehen können, sie muss einen Beruf erlernen.“ Julia redete sich so richtig in Rage.“ Sofie hielt ihr entgegen, „du willst sie also restlos umkrempeln, ihr eine Identität überstülpen, bevor sie überhaupt die Gelegenheit hat, ihre Vergangenheit zu kennen. Und wenn sie eines Tages Zugriff auf ihre Vergangenheit hat, was soll dann werden? Dann passt doch alles vorne und hinten nicht zusammen.“

„Das muss sie selber entscheiden.

Entweder sie geht zurück oder entscheidet sich für ein Leben hier bei dir.“ Nach einer längeren Pause setzte Julia hinzu, „und da du Angst davor hast, dass sie dich verlässt,  verhinderst du es lieber von vorne herein.“  Sofie schnappte nach Luft, ihr lag eine böse Erwiderung auf den Lippen. Aber tief drinnen war ihr wohl bewusst,  dass Julia  recht hatte. Es wäre unerträglich, Maya zu verlieren. „Das ist unfair“, verteidigt sich Sofie ein wenig lahm. „Vorläufig lassen wir sich die Dinge entwickeln.“

Findelkind 4

Fortsetzung von Findelkind 3

Maya malt sich alles von der Seele

Maya öffnete die Augen, es war ihr anzusehen, wie schwer sie sich von ihrer Vision löste. Noch ganz  verklärt fuhr sie fort: „Als ich damals erwachte, hatte ich nur einen Wunsch: zurückzukehren  in die Welt, aus der ich gekommen war. Ich versuchte, die einzelnen Bilder in mein Bewusstsein zurückzurufen. Wie ich neben meinem Vater vor einem Jasminstrauch saß, einem großen, ausladenden Busch mit unzähligen weißen Blüten.“  Maya schien nahe daran, erneut  in ihre Träume zu gleiten, aber sie riss sich zusammen und gab ihren Gedanken eine andere Richtung. „Welche Mächte waren im Spiel, die mich so grausam von einer Welt in eine andere versetzt hatten?  Und woher nahm ich die Fähigkeit, in diese Welt zurückzuschauen? So viele Fragen, die nach einer Antwort verlangten.“

Sofie saß wie erstarrt.  Sie wusste nicht, wie sie einordnen sollte, was sie soeben erfahren hatte. Sie wagte die Frage: „warum hast du nicht längst darüber gesprochen?“ Sie fürchtete schon, dass Maya ihr keine Antwort darauf geben konnte. Zu ihrer Überraschung lächelte Maya  Sofie an. „Ich habe lange gebraucht, bis ich in der Lage war, die Vision in Worte zu kleiden und wiederzugeben. Damals hätte ich  gar nicht den entsprechenden Wortschatz zur Verfügung gehabt. Jetzt, da ich es artikulieren kann, ist die Vision  in meinem Bewusstsein verankert und fester Bestandteil meines Lebens. Dafür bin ich sehr dankbar.“

„Und du glaubst wirklich, dass sich all das genau so zugetragen hat?“

Maya nickte „Ich bin fest davon überzeugt, obwohl ich es nicht beweisen kann, denn ich hatte nur diesen einzigen aber klaren Traum.“

„Und woher weißt du, dass dieser Bor dein Vater ist?“

Maya schaute Sofie überrascht an. „Ich habe es gespürt, nur gespürt“, gab sie zu. „Es war so,  ganz sicher, ohne jeden Zweifel“, versuchte Maya sich selbst zu überzeugen. „Nun hoffe ich, dass ich auf weitere Visionen, die mir mehr über mich und meine verlorene Welt offenbaren.“

„Du siehst also deine alte Welt als verloren an?“

„Ja, so lange ich keine Ahnung habe, warum und wie ich vertrieben wurde, muss ich es als Wille der Götter akzeptieren. Die Fähigkeit mit meiner alten Welt Kontakt aufzunehmen, sehe ich als Göttergeschenk  an und füge mich ihrem Willen.“

Sofie fühlte sich überwältigt von dieser Hingabe an die Götter. Es zeigte ihr auch, dass bei Maya eine Bindung an ihre alte Welt bestand.

„Ich denke, mit der Zeit wird alles ins Gleichgewicht kommen“, meinte sie zuversichtlich, strich Maya liebevoll über das Haar und erhob sich.  

„Vielleicht wird uns der Sohn von Julias Nachbarin dabei helfen“, murmelte die so leise, dass Sofie es nicht hören konnte.  

So kehrte bei Sofie und Maya wieder der gewohnte ruhige Trott ein. Für Maya war ihr Skizzenblock wichtiger als sonst. Sie saß oft Stunden in ihrem Zimmer, aus dem dann kein Ton zu hören war. Sofie hätte gerne einen Blick auf ihre Skizzen geworfen. So tat sie etwas, was ihr eigentlich widerstrebte. Sie klopfte nur leicht an Mayas Tür und trat sofort ein. Maya war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie Sofie nicht bemerkte. Sie zeichnete mit raschen Strichen, schaute dann auf, als überrasche  sie Sofies Anwesenheit nicht. „Ja, ich male mir von der Seele, was da an Bruchstücken aus einem  früheren Leben  auftaucht“, sagte sie so natürlich, als machte sie eine Notiz. „Es hilft, so füge ich Steinchen für Steinchen aneinander. Irgendwann habe ich dann das ganze Bild.“ Sie ließ die Seiten des recht dicken Heftes spielerisch durch die Finger laufen.  

„Ich male, male und staune, was ich aufs Papier bringe. Mir ist“, sagte sie „als stecke eine andere, fremde Person in mir, eine, die heraus will, die mir etwas mitteilen will.“

„Lass sie“, ermunterte Sofie sie, „frag sie aus, sie scheint zu wissen, was du vergebens suchst.“ „Es ist ein verdammt komisches Gefühl“, gestand Maya. „Es macht mir Angst. Oft fürchte ich, Dinge zu erfahren, die ich besser nicht wissen sollte. Dabei möchte ich so gerne erfahren,  was mit mir geschah, wer ich bin, wie ich gelebt habe, was ich  getan habe. Womöglich habe ich einen anderen Menschen getötet. meinen Vater. Kinder, die ich vielleicht hatte?   Es gibt da bestimmt  noch andere Menschen.“

„Maya“, Sofie packte sie an beiden Oberarmen. „Du hast einen riesigen Schritt voraus getan. Jetzt ist Platz, auch Schritte in die Vergangenheit zu tun. Aber quäle dich nicht, nutze, was sich dir offenbart. Wer weiß, warum dein Inneres dir das andere vorenthält.“ Maya nickte und fuhr fort zu zeichnen. „Ich kann gar nicht anders“, gab sie zu. „es ist wie ein übermächtiger Befehl.“ Sinnend betrachtete sie die Zeichnung.  „Schau Sofie“, sie schob ihr die Zeichnung zu, „diese Blumen sind fast wie fotografiert und doch habe ich sie noch  nie gesehen.“

„Vermutlich sind sie dir vertraut, sonst könntest du sie nicht wiedergeben“, wandte Sofie ein. „Sie werden sogar eine Rolle für dich gespielt haben, aber du weißt es nicht.“

Maya  drehte das Blatt in alle Richtungen. „Wenn wir herausfinden könnten, was es ist, wie sie heißen, könnte das vielleicht weiterhelfen.“ Sofie griff nach der Zeichnung und betrachtete sie genau. „Gib es mir mal mit. Ich zeige es Dorothea, sie hat Biologie studiert und ist vielseitig beschlagen. Sie weiß vielleicht, um welche Pflanze es sich handelt.“ „Nein“, Maya legte schützend beide Hände über das Skizzenbuch, „das gebe ich nicht her“, stieß sie hervor. „Das bekommt außer dir niemand zu Gesicht.“ Sofie schämte sich, wie hatte sie nur so unsensibel sein können. Sie hätte wissen müssen, dass alles, was in diesem Heft verborgen ist, im Grunde das Innerste von Mayas Seele zeigt. „Du hast recht“, lenkte sie ein. Dabei keimte eine ganz andere Idee in ihr auf. Einen Moment zögerte Sofie noch, bevor sie aussprach, was sie dachte. „Sag mal, kannst du nur zeichnen, was sich dir von innen aufdrängt oder auch das, was du zum Beispiel beim Blick aus dem Fenster siehst?“ Maya reckte sich, sie schaute auf die Rosenbüsche neben der Terrasse, auf den noch kleinen Apfelbaum und den schon viel höher gewachsenen Walnussbaum. „Alles, was ich da sehe, auch die Wolken und die Vögel?“ „Ja, alles und zwar ganz genau so wie diesen  Strauß Blumen oder Kräuter, was immer es sein soll.“

Maya versuchte es, immer wieder schaute sie nach draußen, dann auf das Papier. Sie ließ den Stift fallen, als seien ihre Finger müde, griff wieder danach, fuhr fort zu zeichnen. Sofie sah es sofort, es gelang nicht, die Zeichnung hatte kaum Ähnlichkeit mit dem wahren Bild. Auch Maya fiel das auf. Sie schüttelte den Kopf. „Das sieht furchtbar aus“, gab sie zu und schob Sofie das Buch hin. Darf ich?“ fragte sie und begann  rückwärts zu blättern. Als sie zu der Stelle kam, die über und über mit einer undefinierbaren Figur bedeckt war.  „Was stellt das dar?“ wollte sie wissen. „Das siehst du doch, die Göttermutter.“ „Du meinst die Mutter Gottes.“ Maya nickte, sie griff an ihren Hals, wo sie die kleine Marienfigur trug. Umständlich löste sie das Lederband und legte das Schmuckstück auf den Tisch. Sofie rückte die Figur neben die Zeichnungen und stellte fest. „Die Größe stimmt, aber sonst kann ich keine Ähnlichkeit erkennen.“ Auch Maya beugte sich über die Zeichnungen und entschied:  „Sie ist viel zu klein, um die Unterschiede herauszuarbeiten.“ Sofie spürte, dass sie Maya verletzt hatte, konnte aber den Grund nicht erkennen. Allerdings war die Abweichung zwischen Zeichnung und der Marienfigur offensichtlich. „Du hast recht, sie ist sehr klein“, gab sie versöhnlich nach und schob das Buch  zu Maya hinüber. „Heb  es gut auf, es ist ein Schatz.“ „Es ist viel mehr als ein Schatz, es ist mein Geheimnis. Oder besser gesagt ein Teil meines Geheimnisses. Aber eines Tages wird das Rätsel gelöst sein, das weiß ich gewiss.“ Es schien, als versinke Maya in Gedanken, bis sie hinzusetzte: „Und was ist dann?“  „Dann schauen wir weiter. Hör auf, dich darüber zu sorgen, mein Kind“, mahnte Sofie und strich Maya liebevoll über  den Kopf. Als Maya nicht reagiert, stand Sofie auf und verließ den Raum. Sie ahnte, was sie soeben angerichtet hatte. Die Anrede, mein Kind war Maya bis ins Mark gefahren. Sie legte den Kopf auf die verschränkten Arme und begann  zu weinen.  Sie beruhigte sich nur langsam und spürte dem Gedanken nach: ‚Sofie, meine Mutter. Warum sehe ich in meinen Träumen nie eine Spur meiner richtigen Mutter? Bor hat mir viel von ihr erzählt, aber sie ist mir nie erschienen. Sie schlug ihr Skizzenbuch auf und versuchte aus dem Gefühl heraus, ein Bild der Mutter zu zeichnen. Es gelang nicht. Es entstand das Bildnis einer Frau, zu der sie jedoch keine innere Beziehung verspürte.  

Es bedrückte Sofie zu sehen, dass die Heiterkeit, das Strahlen in Mayas Zügen wieder erloschen war. Oft starrte sie nur vor sich hin, und offenbar nahm sie nur noch selten ihr Skizzenbuch zur Hand. Sofie fürchte schon, sie würde in den apathischen Zustand der ersten Zeit zurückfallen. Dann hielt sie es nicht länger aus und sie fragte: „Was ist los, Maya, du bist so traurig, dass es mir das Herz bricht.“ Zunächst schien es, als sei die Frage gar nicht zu Maya vorgedrungen. Dann hob sie unvermittelt den Kopf und stieß hervor: „Wäre ich doch nur dumm geblieben.“ „Das verstehe ich nun wirklich nicht“. Sofie hob ratlos sie Schultern und wartete auf eine Erklärung. Es dauerte eine Weile, bis Maya mühsam hervorbrachte: „Als ich her kam, war ich leer, ein Mensch ohne Geschichte. Ich existierte, mehr nicht. Ich litt nicht, ich war nicht glücklich.“

„Das stimmt“, Sofie wollte gerade hinzusetzen ‚mein Kind, unterdrückte jedoch den Impuls. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie längst dazu übergegangen war, in Maya die Tochter zu sehen, die sie gerne gehabt hätte. Nachdenklich betrachtete sie ihren jungen Gast. „Du bist zweifellos eine völlig andere als bei deinem unverhofften Auftauchen. Alleine wenn ich an deine Haarmähne denke“, sie lächelte und strich Maya liebevoll über das jetzt kurz geschnittene glatte Haar. „Du gleichst einem völlig verschüchterten Vögelchen. Und schau dich heute an, ich sehe eine besonders hübsche junge Frau mit anmutigen Bewegungen, die erstaunlich gut die deutsche Sprache beherrscht. Im Grund hast du alle Voraussetzungen, ein ganz normales Leben zu führen.“

Maya schüttelte vehement den Kopf. „So lange ich nicht einmal weiß, wie ich an deinen Gartentor gelangt bin, geschweige denn in dieses Land, kann ich unmöglich eine solide Zukunft aufbauen.“ Es tat Sofie in der Seele weh, aber den Argumenten konnte sie sich nicht verschließen. „Wenn wir nur einen winzigen Anhaltspunkt finden könnten“, seufzte Sofie und wusste sogleich dass sie gerade das immer befürchtet hatte. An dem winzigsten Anhaltspunkt würde sich unter Umständen die ganze Geschichte aufrollen lassen. Dann wäre Maya für sie verloren. Sofie schämte sich dieser Gedanken, da sie genau wusste, dass die Aufklärung Mayas innigster Wunsch war. „Irgendwann, davon bin ich fest überzeugt“, erklärte sie tapfer, „finden wir diese Nadel im Heuhaufen.“ Sie lächelte Maya zu.

Julia  machte Sofie regelmäßig Vorhaltungen, endlich Mayas Zukunft vernünftig zu planen. „Sie muss ein Ziel vor Augen haben, dann verblasst mit der Zeit ihr Wunsch, die Vergangenheit zu erforschen. Außerdem braucht sie eine Identität“, drängte sie. „Du kannst sie doch nicht unbegrenzt namenlos bei dir leben lassen. Stell dir vor, sie verliebt sich und will heiraten. Schau sie dir doch an, eine bildschöne junge Frau. Sie hat keine Papiere, überhaupt keine Daten, wie sie jeder andere vorweisen kann: Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort Ort und, und, und.  Irgendwann  muss sie auf eigenen Beinen stehen können, sie muss einen Beruf erlernen.“ Julia redete sich so richtig in Rage.“ Sofie hielt ihr entgegen, „du willst sie also restlos umkrempeln, ihr eine Identität überstülpen, bevor sie überhaupt die Gelegenheit hat, ihre Vergangenheit zu kennen. Und wenn sie eines Tages Zugriff auf ihre Vergangenheit hat, was soll dann werden? Dann passt doch alles vorne und hinten nicht zusammen.“

„Das muss sie selber entscheiden. Entweder sie geht zurück oder entscheidet sich für ein Leben hier bei dir.“ Nach einer längeren Pause setzte Julia hinzu, „und da du Angst davor hast, dass sie dich verlässt,  verhinderst du es lieber von vorne herein.“  Sofie schnappte nach Luft, ihr lag eine böse Erwiderung auf den Lippen. Aber tief drinnen war ihr wohl bewusst,  dass Julia  recht hatte. Es wäre unerträglich, Maya zu verlieren. „Das ist unfair“, verteidigt sich Sofie ein wenig lahm. „Vorläufig lassen wir sich die Dinge entwickeln.“

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Iaut Pass bin ich 76 Jahre alt. Ich denke aber, da hat sich jemand geirrt. Ich bin verheiratet, habe zwei Adoptivtöchter und vier Enkelkinder, die leider in Südmerika leben, wo wir viele Jahre zu Hause waren.
Im Bayerischen Wald genieĂźen wir jetzt eine geruhsame Zeit, die ich zum Schreiben nutze. Aus dem Hobby ist fast schon eine Sucht geworden. Bei myStorys hoffe ich auf Anregung und Gedankenaustausch..

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