Candlelight-Dinner
Carina stand vor ihrem üppig gefüllten Kleiderschrank und betrachtete prüfend das Kleid, das sie heute Abend tragen wollte. Das ´kleine Schwarze`. Es passte perfekt zu der Überraschung, die sie für Andreas geplant hatte. Sie waren jetzt fast drei Jahre verheiratet und nun wurde es Zeit, dass sie ihren Plan verwirklichte. Als er mittags anrief und freudig von dem neuen Geschäftsabschluss berichtete, wusste sie sofort, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.
Sie fuhr in den Delikatessenladen und wählte von den angebotenen Spezialitäten zielsicher die Köstlichkeiten aus, die sie Andreas am
Abend servieren würde. Anschließend fuhr sie in die Weinhandlung und kaufte zwei Flaschen Can Vidalet Terra Fusca. Andreas´ Lieblingswein. Ihr Weinkeller war zwar ausgezeichnet bestückt, doch diese Sorte war nicht mehr vorrätig. Der Händler, gewohnt mehrere Kartons zu liefern, bot ihr auch dieses Mal den Service an, doch darauf verzichtete Carina.
Den ganzen Nachmittag hatte sie in der Küche gestanden.
Die Wildgeflügelcremesuppe war ein Gedicht, der Rehrücken duftete aus der Bratröhre. Auf ein Dessert hatte sie verzichtet. Andreas mochte nichts Süßes, wenn er seinen geliebten Wein hatte, und ein herzhaftes Dessert hätte nicht zum Wild gepasst. Carina
war zufrieden mit sich. Im Erker hatte sie festlich den Tisch gedeckt. Die Kristallgläser würden im Kerzenlicht funkeln. Der Wein war dekantiert. Andreas würde in einer halben Stunde zuhause sein.
Sie suchte sich noch passende schwarze Dessous aus der Kommode, kleidete sich schnell an, brachte mit wenigen Bürstenstrichen ihren perfekten Kurzhaarschnitt in Form und ging dann hinunter ins Wohnzimmer. Auf dem Weg dorthin warf sie einen prüfenden Blick in den großen Spiegel, der im Flur hing. Dem dezent geschminkten Gesicht, das ihr
entgegenblickte, warf sie eine Kusshand zu. Mit dieser Geste versuchte sie ihre Nervosität zu überspielen. Carina durchquerte das
Wohnzimmer und trat auf die Terrasse. Sie fröstelte. Der Tag war unfreundlich gewesen. Es dämmerte bereits. Die ersten Nachtwolken zeigten sich am Himmel. Spätherbst. Die schöne Stadtvilla, in der sie mit Andreas wohnte, lag unmittelbar an einem kleinen Kanal, der die beiden naheliegenden Seen verband. Zwei weitere Grundstücke grenzten zur linken Seite an ihr eigenes. Auch diese bebaut mit Villen. Die Großflächigkeit der Areale gewährleistete, dass Störungen der Nachbarn ausgeschlossen waren. Ausgeprägte Nachbarschaftsbeziehungen wurden nicht gepflegt. Zur rechten Seite prangte dichter Laubbaumbestand. Jetzt waren die Äste kahl und man konnte den See erkennen. Ein schönes Fleckchen Erde.
Warum hatte sie nur so lange mit ihrem Vorhaben gewartet? Sie fand selbst keine Antwort darauf. In Gedanken versunken hatte sie nicht bemerkt, dass Andreas das Auto in die Einfahrt gesteuert hatte. Das Zuschlagen der Haustür ließ sie hochschrecken.
„Was ist denn hier los?“, ertönte seine Stimme aus dem Wohnzimmer. Dann trat er zu Carina auf die Terrasse.
„Habe ich deinen Geburtstag vergessen oder den Hochzeitstag?“, fragte er lachend.
Eine rhetorische Frage. Andreas vergaß nie etwas. Er nahm sie in den Arm und küsste sie zärtlich. Dann drehte er sie im Kreise und blickte sie bewundernd an.
„Du machst mich neugierig.“
„Ich wollte dich einfach mit einem festlichen Abendessen überraschen. Sieh´ es als Belohnung für deinen erfolgreichen Geschäftsabschluss. In zehn Minuten trage ich auf.“
„Ich mache mich nur etwas frisch und werde pünktlich am Tisch sitzen.“
Beim Durchschreiten des Wohnzimmers fiel sein Blick noch einmal auf die festliche Tafel im Erker.
„Ist das etwa mein Lieblingswein in der Karaffe?“
Carina nickte lächelnd und verschwand in der Küche.
Obwohl sie vorsorglich die Herdplatten auf ´Warmhalten` programmiert hatte und nur noch die Teller füllen und dekorieren musste,
dauerte es doch fünf Minuten länger bis sie die Suppe servieren konnte. Andreas hatte inzwischen die Weingläser gefüllt und die Kerzen angezündet.
„Lass uns erst anstoßen“, sagte er gut gelaunt. Beide hoben das Glas bevor sie sich der Suppe zuwandten. Gespannt wartete Carina auf die Reaktion von Andreas. Doch schon nach dem ersten Löffel rollte er mit den Augen und gab nur noch ein „Mmmh“ von sich. Carina atmete auf.
Natürlich berichtete Andreas ausführlich über die am Vormittag stattgefundene Beratung. Er konnte den Kunden mit seinen Argumenten überzeugen und einen sehr lukrativen Geschäftsabschluss tätigen.
Gern hätte er noch etwas von der köstlichen Vorspeise genommen, doch Carina schüttelte den Kopf und räumte die leeren Teller ab. Nach nur wenigen Minuten reichte sie ihm einen gut gefüllten Teller auf dem der Rehrücken mit Birnen und Mandelbällchen - appetitlich angerichtet - einen köstlichen Duft verströmte.
„Die Suppe war wohl etwas heiß“, lächelte Andreas und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Unter den wachsamen Augen von Carina genoss er sichtlich auch das Hauptgericht. Ein plötzliches Hüsteln, das sich zu einem Krächzen entwickelte, ließ ihn innehalten. Die Gabel entglitt seinen Händen und fiel lautlos auf den dicken Teppich. Seine Hand griff nach
der Tischkante, doch schon sackte er nach vorn und sein Kopf fiel mit dem Gesicht nach unten auf den noch nicht gänzlich verspeisten Rehrücken.
Carina betrachtete ihn eine Weile, stand auf und ging in die Küche. Das kleine Fläschchen, das sie beim Zurückkommen in der Hand hatte, warf sie von der Terrasse in hohem Bogen in den Kanal. Ein leises Plätschern war zu hören. Die Entsorgung des größeren Problems beunruhigte sie nicht sonderlich. Sie hatte vorgesorgt.
Carina lächelte in sich hinein. Warum war sie nur nervös gewesen? Es lief alles wie geplant - wie immer!
Dann rief sie Leonhard an.
© KaraList 03/2015
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