Ich wüsste nicht wirklich, ob mein Leben überhaupt schon einmal einen Sinn ergeben hätte. Geschweige denn, wie es den Sinn dann verloren haben kann. Wie dem auch sei, meine Zeit geht dem Ende zu.
Ich weiß, ich könnte noch eine halbe Ewigkeit jeden Morgen aufstehen und das Leben so über mich ergehen lassen, wie ich es immer getan hab.
Aber das wäre falsch.
Statt etwas aus mir und meinem Leben zu machen, habe ich immer nur nach etwas gesucht. Eine Zeit lang mich selbst, und wohl die längste Zeit den Sinn in meinem Leben. Mittlerweile denke ich, der Sinn des Lebens besteht darin, das Beste daraus zu machen und für sich selbst Prioritäten zu setzen. Ein ausgefüllter Job, den man halbwegs mag; Kinder, also Familie. Hätte ich alles nur allzu gerne gehabt, doch es ist jetzt zu spät dafür. Meine Fehler würden mich zu sehr quälen, als das ich mein Leben jemals richtig genießen könnte.
Sechsundzwanzig Jahre verbrachte ich in einem Verlies, aus dem ich bis heute nicht auszubrechen geschafft habe. Ich blieb irgendwie immer allein und missverstanden, was meine Probleme anbelangte.
Mir ging es stets darum, verstanden zu werden und Liebe zu empfangen. Doch viel zu selten spürte ich auch nur ein wenig davon. Manche Menschen sind für diese Welt einfach nicht geschaffen. Daher konnte ich nie verstehen, was ich hier soll. Vielleicht büße ich jetzt für frühere Sünden aus einem anderen Leben, aber an so etwas glaube ich nicht. Ich bin mein ganzes Leben lang einfach zu schwach gewesen, um mein Leben einfach zu leben und zu erreichen, was ich wollte.
Bitte vergebt mir meine Schwäche.
Doch innerlich fühle ich mich wie ein wildes Tier, das man zum Haustier umfunktioniert hat, und das unentwegt nach seiner Freiheit sucht.
Ich bin nicht mehr als ein Schatten, doch ich habe nie erfahren, wessen. Wahrscheinlich meiner selbst.
Und es ist so, als hätte ich immer darauf gewartet, dass jemand kommt und mich befreit; die Tür meines Käfigs öffnet und sagt: Geh hin, wo du hingehörst.
Doch es gibt keinen Platz auf dieser gewaltigen Erde, den ich mein zu Hause nennen kann. Nichts, wo ich hingehöre. Oder, ich gehöre ins Nichts.
Dessen bin ich mir nicht bewusst, doch es spielt keine Rolle, da es ungefähr das Gleiche bedeutet.
Die wenigsten Menschen können nachvollziehen, warum mir das Leben so sehr missfällt. Mir fehlt die Kritikfähigkeit, ich kann nur selten Demut zeigen, ohne innerlich vor Wut zu schäumen. Ich brauche Vertrauen, wie mein täglich Brot. Und ich brauche Lob, und zwar ehrlich gemeintes, und nicht aufbauendes, geheucheltes Lob.
Doch diese Forderung ist zu viel für diese Welt; eine Welt, die von der Lüge und dem Tod beherrscht wird. Selbst die Liebe ist schon lange tot. Wenn sie nicht bloß ein Mythos ist und in Wirklichkeit niemals existierte.
Jeder denkt an sich selbst und an seinen eigenen Vorteil, da bleibt kein Platz für das verwundete Herz eines anderen Menschen. Wenn wenigstens jemand den Schneid hätte, mich einfach zu töten, doch niemand tut es. Sie stechen mir höchstens ins Herz, und die Zeiten sind vorbei, die Wunden einfach verheilen zu lassen. Ich will einen letzten Stich in mein Herz, aber ich meine das Organ in meinem Körper und nicht die philosophische Umschreibung für etwas, das gar nicht existiert. Und wenn ich so ein „Herz“ besitzen würde, es wäre ohnehin in winzig kleine Teile zerrissen.
Ich hoffe, dass jeder etwas besser nachvollziehen kann, wie ich mich bis heute fühlte, was ich erreichen wollte, und was mich schwächte.
Wie an den Tagen, an denen man erwacht und noch müde und ausgelaugt ist, genau so fühlte ich mich mein ganzes Leben lang. Müde und ausgelaugt. Ohne einen Glauben, einer Hoffnung oder Zukunft.
Ich bin wie die leeren Seiten eines Buchs, unbeschrieben und nichts bedeutend.
Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen: man weiß nie, was man kriegt (Zitat aus: Forrest Gump).
Ich habe die bitterste Praline bekommen, die noch übrig geblieben war. Jetzt ist die Schachtel leer und ich werde endlich meinen Frieden bekommen und nichts mehr bedauern müssen. Die letzte Reise meines Lebens wird das für mich bereithalten, was ich mir lange Zeit ersehnt habe: vollkommene Gedankenlosigkeit, Ruhe und Frieden. Deshalb werde ich das erste Mal in meinem Leben eine Entscheidung nicht bereuen.
Denn es wird das Beste sein, was ich in meinem Leben getan haben werde.
Lebet wohl