Die Vorgabe
Warum stelle ich diese Geschichte erneut ein?
Zunächst einmal, weil ein Leser sie nach drei Jahren wieder ausgegraben hat wobei der Kommentar unrelevant war.
Viel wichtiger war mir die Erfahrung, dass ich zum ersten Mal meine eigene Geschichte zunächst gar nicht als meine wiedererkannt habe. Ich war mir dessen gar nicht bewusst, dass ich das geschrieben hatte,
Und das Schönste war; ich fand die Geschichte richtig gut, auch wenn sie jemand anders geschriebn hätte. Aber das soll kein Eigenlob sein - oder doch? Egal, es würde mich interessieren ob ihr schon mal ähnliches erlebt habt.
Beitrag zum Forumbattle 38.
Thema: In der Hölle
Wortvorgabe:
Tigerauge, Matrix
parodieren, glaubwürdig
Honig, feucht
Pfefferminz , Ekstase
brisant, wollüstig
Tanz , kerzengerade
DER AUSSTIEG
Ich hatte einmal die Gelegenheit, einen außergewöhnlichen Menschen kennen zu lernen, der sich keiner Matrix zuordnen ließ.
Er saß auf einer Parkbank, einsam und allein. Wahrscheinlich war sein Äußeres daran nicht ganz unschuldig, denn im Volksmund hätte man ihn als Penner, Streuner oder heruntergekommenes Subjekt bezeichnet – von dieser Betitelung war ich, ehrlich gesagt, auch nicht weit entfernt und es erschien mir so, als ob er die Clochards der Pariser - Szene parodieren wollte.
Aber das sollte mir egal sein, von diesen Menschen hatte mir noch nie jemand etwas
Böses getan. Ich war müde und wollte mich
nur ein wenig ausruhen.
Höflich fragte ich ihn um Erlaubnis: „Entschuldigen Sie bitte, darf ich mich einen Moment zu ihnen setzen?“
Keine Reaktion und als ob er meine Frage nicht verstanden hätte, fuhr er unbeirrt in seiner Tätigkeit fort.
Er saß in der Mitte der Bank und hatte die Ellenbogen auf den Oberschenkel aufgelegt. Vorgebeugt wippte er leicht vor und zurück und schien dabei seinen Zehenspitzen etwas zuzumurmeln.
Nachdem meiner Höflichkeit keine Beachtung geschenkt wurde, nahm ich unaufgefordert links neben ihm Platz – sollte es zu einer Unterhaltung kommen, dann war es für mich
gewohnter, wenn ich ihn von rechts anschaute.
Sollte es zur Unterhaltung kommen?
Ja es sollte, weil ich es darauf anlegte, sofern er das auch wollte.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich mich mit "solchen" Leuten unterhalten hätte, denn für mich war es höchst interessant zu erfahren, welche Weltanschauung die Menschen am Rande der Gesellschaft hatten. Vor allem aber: Was sie dazu veranlasste und motivierte, sich freiwillig aus der Gemeinschaft auszuschließen?
In dem Moment als ich mich neben ihn setzte, richtete er sich kerzengerade auf, sah mich verwundert an und tat so, als ob er mich
gerade erst in dem Moment wahrgenommen hätte und ließ ein unerwartetes: „Guten Tag“, hören.
Ich erwiderte seinen Gruß und wir schauten uns lächelnd in die Augen.
Schlagartig wurde ich mir zweier Eigenarten
bewusst, die so gar nicht zu seinem Äußeren passten.
Erstens: Beim Aushauchen des „Guten Tag“ nahm ich keine Alkoholfahne wahr, die durchaus zu ihm gepasst hätte, sondern sein Atem roch nach Pfefferminz.
Dann dieser Ausdruck in seine Augen: Sie schienen etwas feucht zu sein - wahrscheinlich ein Tribut des Alters - aber ansonsten waren sie überraschend lebhaft, aufmerksam und die Eindringlichkeit seines
Blickes erinnerte mich an einen Falken - oder noch treffender; an die lauernde Wachsamkeit von Tigeraugen.
Nachdem wir uns eine Zeit lang wortlos gemustert und studiert hatten, fragte ich ihn, ganz beiläufig und ohne den Anschein von Neugierde erwecken zu wollen, was er denn seinen Zehen erzählt habe.
Mir war so, als ob er mir für einen Moment, noch tiefer in die Augen sah. Dann wendete er seinen Blick ab und schien auf einen imaginären Punkt in der Ferne zu starren. Nach einer kurzen Pause antwortete er: „Ich habe gebetet.“
Damit hätte ich nicht gerechnet und ich war etwas ratlos, wie ich mich weiter verhalten
sollte. Immerhin ist ein Gebet eine Angelegenheit, in die sich kein anderer Mensch einzumischen hat – so zumindest meine Vorstellung vom Beten. Daher wollte ich mich bei ihm entschuldigen, aber er winkte nur ab und wir landeten übergangslos beim DU.
„In meinem Bekanntenkreis nennt man mich nur den Schweiger“, fuhr er dann unvermittelt fort. „Aber nur deswegen, weil ich mich mit niemanden vernünftig unterhalten kann.“ Nach einer kurzen Pause fragte ich dann: „Und Du bist der Meinung, mit mir könnte man das?
„Ach weißt Du“, klang es schon fast erleichtert, „seitdem ich diesen „Beruf“ ausübe, hat sich
kein „normaler Mensch“ mehr zu mir gesetzt, daher scheinst Du auch nicht so ganz normal zu sein.“
Er sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, die fernab von dem war, mir Honig ums Maul schmieren zu wollen und ich musste darüber lachen. Aber seine offenen Worte hatten das Eis zwischen uns gebrochen.
„Nun gut!“, meinte ich, „wenn wir denn schon einmal dabei sind, dann würde es mich schon interessieren, warum Du ausgerechnet diesen „Beruf“ - wie Du es nennst – gewählt hast, denn ich könnte mir etwas Besseres vorstellen in unserer Gesellschaft.“
Zunächst hatte ich den Eindruck, dass er nicht darüber sprechen wollte, aber dann brach es
aus ihm heraus, ganz so, als ob er nur auf diese Gelegenheit gewartet hätte und was er sagte, klang gut nachvollziehbar und auch glaubwürdig.
Er begann damit, dass er schon seit seinem dreißigsten Lebensjahr auf der „Platte“ lebt. Er sei katholischer Priester gewesen und er habe schon während seines Theologie – Studiums gemerkt, dass ihn die Lehren nicht überzeugen konnten und ihm eher als zweckgebunden erschienen. Aber das Schlimmste sei für ihn gewesen, gegen seine innere Überzeugung predigen zu müssen.
Über dieses brisante Thema konnte er sich weder mit seinen, ihm anvertrauten „Schäfchen“, noch in dem scheinheiligen Kreis
seiner geistlichen Kollegen unterhalten.
Als ein Diener Gottes, das hätte er sich ja noch gefallen lassen – sofern es einen Gott gab, was er ebenfalls bezweifelte – aber er war der Handlanger der Kirche und seiner Meinung nach, verkörperte die Kirche nur Lug und Trug auf der ganzen Welt und macht sich die Naivität und Gutgläubigkeit der Menschen zu nutzen.
Wie sollte z.B. ein wollüstiger Tanz als Sünde angesehen werden, wenn sich die Kollegen, in weit höherer Position, Konkubinen leisteten, die nichts anderes taten und sogar noch weiter gingen - was sich
in keinster Weise mit dem Zölibat vereinbarte.
Er zählte noch mehrere widersprüchliche
Beispiele auf, die ihn belasteten, aber er geriet regelrecht in Extase, als er den niederträchtigen und verwerflichen Werdegang der Kirche recherchierte. Wie sie mit Blutgeld zu unermesslichem Reichtum gelangte und diesen, selbst in der heutigen Zeit, weiter ausbaut, ohne der Armut zu gedenken, die auf der ganzen Welt herrscht. Damit wollte und konnte er sich nicht identifizieren oder es gar unterstützen.
Je länger er erzählte, um so mehr hatte ich Verständnis für seinen Ausstieg, denn unsere scheinheilige, verklemmte und prüde Gesellschaft hätte ihm bei der Lösung seines Problems, auch nicht helfen können.
Zum Schluss unseres Gesprächs meinte er noch: „Und das Gefasel von Himmel und Hölle
… ich kann es einfach nicht mehr hören!
Himmel und Hölle ist nicht irgendwo dort oben - wie man den Gutgläubigen eintrichtern will - sondern beides befindet sich auf der Erde.
Diejenige die sich im Himmel wähnen, machen vielen Anderen das Leben zur Hölle und das nicht selten im Namen Gottes."
"Und wie kommt es, dass die meisten deiner ehemaligen Kollegen das anders sehen?", fragte ich ihn dann noch.
Er holte tief Luft und meinte: "Als Vertreter Gottes lässt es sich leicht leben. Unter den Gläubigen genießen sie hohes Ansehen und außerdem wird es gut bezahlt."