Romane & Erzählungen
Save me - Teil 8

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"... bis es mir schließlich dämmerte: Das war kein Begrüßungskomitee, das war ein Tribunal! "
Veröffentlicht am 26. Februar 2015, 34 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Bin Mitte 40, habe in Bonn Theologie studiert, arbeite aber jetzt was ganz anderes :-) Verheiratet ohne Kinder, habe aber trotzdem weniger Zeit zum Schreiben, als ich möchte. Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganzes Buch zu schreiben, DIN A4 doppelseitig bedruckt immerhin 240 Seiten. Und jetzt habe ich den Schritt gewagt und es als reines E-Book auf Amazon veröffentlicht ( ...
... bis es mir schließlich dämmerte: Das war kein Begrüßungskomitee, das war ein Tribunal!

Save me - Teil 8

Kapitel 8

*************************************** Es wird etwas härter, möchte ich vorwarnen. ***************************************


Mit einer dunklen Sonnenbrille auf der Nase, was hier aber nicht weiter auffiel, verließ ich den Flughafen und winkte nach einem Taxi. Stan hatte mir eingeschärft, nur ja eines der offiziellen gelben zu nehmen. Alle anderen bargen die große Gefahr, dass als nächstes Lösegeld für mich zu zahlen wäre. Und das konnten wir im Moment echt nicht gebrauchen, haha. Stan selber würde mit einer der nächsten Maschinen nachkommen, den einzig freien Platz hatte ich mir erstritten und glaubt mir, es war

ein harter Kampf gewesen! Ich fuhr zur Redaktion der Zeitung El Espectador, vor deren Tür ich meinen Kontaktmann Carlos traf, ich kann nichts dafür, dass er so hieß! Er zog mich rasch in sein kleines verrauchtes Auto, wo er sich gleich die Nächste anzündete. Mit schweißnassen Händen tastete ich in meiner Hosentasche nach dem Pfefferspray, dass ich gleich als erstes aus dem Koffer gekramt hatte. So allein mit so einer schmierigen Type war mir halt unterschwellig doch noch etwas mulmig zumute, das weckte ungute Erinnerungen. Aber der Mann war viel zu nervös, um auf dumme Gedanken zu kommen, wie mir schien. Er kurvte hektisch durch den wahrhaft mörderischen Verkehr, doch bald verließen wir die Stadt, fuhren an ihren Ausläufern vorbei, bei denen sich gated communities mit

slumartigen Gebäudeansammlungen abwechselten. Aber irgendwann hörte auch das auf und wir fuhren übers Land. Dabei redeten wir kein Wort, was mir auch ganz recht war. Die Landschaft war wunderschön und ich verfiel in eine dösige Träumerei, dachte daran, wie sehr wohl Jens das hier genossen haben mochte, bevor ES passierte … Oder wie schön es zusammen hier gewesen wäre … Und vielleicht wäre uns zu zweit auch gar nichts passiert, wer weiß. Carlos bog unvermittelt scharf links ab und ich knallte gegen die Beifahrertür, nun wieder aufmerksam. Wir steuerten auf ein großes herrschaftliches Tor zu, wo mein Fahrer sich an der Sprechanlage melden musste. Er sprach einen derartig abartigen Dialekt in einer solchen Geschwindigkeit, dass ich nicht genau

mitbekam, was besprochen wurde oder ob der Tonfall einen Streit bedeutete oder nicht. Jedenfalls ging dann doch endlich das Tor auf und wir fuhren die Einfahrt hoch. Ich staunte nicht schlecht über den Luxus, den diese Hazienda ausstrahlte. Irgendwie fand ich das schon ungewöhnlich, dass der Mann, der hier auf mich wartete, ausgerechnet bei so einem reichen Großgrundbesitzer Zuflucht gefunden hatte! Ja, hier würde ich Nael Jesus Pedroso Jimenez nach unseren vergangenen Telefonaten endlich persönlich treffen. Leider bedeutete das nicht, dass ich auch Jens schnell wieder haben würde ... Denn es hatte sich in den letzten Wochen einiges in der Welt von Señor Pedroso getan, seines Zeichens Anführer der FARC-Ortsgruppe

– besser gesagt, bisheriger Anführer … Aufgrund interner Differenzen über die künftige Strategie und Ausrichtung war er vor kurzem nämlich zu seinem und unserem Leidwesen abgesetzt worden. Das war auch der Grund, weswegen er mir am Telefon gesagt hatte, mir nicht mehr helfen zu können. Die neue Führungsriege wollte einen neuen, härteren Kurs verfolgen und war daher nicht gewillt, die aktuellen Geiseln für Geld so einfach frei zu lassen, sie sollten im Kampf gegen die Regierung 'dienen'. Man muss es Pedroso direkt zugute halten, dass er dieses Verhalten persönlich für unehrenhaft hielt, da viele Angehörige bereits bezahlt hatten (einige natürlich früher als wir, ahem). Ich meine, es ist natürlich nicht sehr ehrenhaft, unschuldige Menschen als Werkzeuge zu missbrauchen, aber es steckte in ihm scheints noch ein Fünkchen Ganovenehre!

Wahrscheinlich deswegen hatte er sich bereit erklärt, für mich einen letzten Vermittlungsversuch zu unternehmen. Dass ich überhaupt zu ihm vorgedrungen war, hatten wir natürlich Stans Kontakten zu verdanken und ich war froh über diese Möglichkeit, welche anderen Ehefrauen, Kindern und Müttern wohl fehlte. Vielleicht konnte ich ja auch für die was tun, aber ich gebe zu, im tiefen Inneren meines Herzens war ich da egoistisch – Jens stand an erster Stelle! Nael Pedroso sah eigentlich genau so aus, wie man sich so einen Che Guevara-Typen vorstellt, dunkle, ungepflegte Locken, leicht wirrer Blick und ständig faselte er etwas vom Klassenkampf, aber auch, dass die neuen Methoden nichts fruchten würden, sondern die Regierung zu noch strengerem Handeln zwingen

würde. Anders als seine Nachfolger hing er nicht dem abwegigen Irrglauben an, dem auch die Linksradikale in Deutschland verfallen gewesen war, dass überharte Gesetzte das einfache Volk irgendwann gegen die Obrigkeit aufbringen würden. Im Ganzen wirkte er wie ein gebrochener Mann und er hätte mir fast leid tun können – wenn nicht er es wäre, der ursprünglich für die Entführung sowie für viele Morde verantwortlich gewesen war! Wir sprachen auch nicht viel, sondern setzten uns gleich in ein anderes Auto auf den Rücksitz, das wieder von Carlos gelenkt wurde, der nervös eine Zigarette nach der anderen paffte. Seltsamerweise hatte ich nun gar keine Angst mehr, so allein als – wie man mir oft sagte – recht attraktive Frau unter so vielen fremden Kerlen.

Als wir schon ein paar Meilen unterwegs waren, wurde Nael Pedroso doch noch gesprächig. „Sie wollen ihn also unbedingt zurück”, stellte er fest und ich glotzte ihn verständnislos an. Was war denn das für eine Frage!?! „Nun, Sie müssen sich darauf einstellen, dass er sich … geändert hat. Die Zeit in unseren, ähm, Umerziehungslagern verändert die Leute.” Noch immer sagte ich lieber nichts. Ich durfte es mir mit dem Mann nicht verderben! Er schwadronierte jetzt eine Weile darüber, wie viel Gutes er doch hatte in die Welt bringen lassen und langsam wurde mir übel. Es war ja grundsätzlich gegen ein bisschen Kapitalismuskritik nichts einzuwenden, was ich gerade als Rollen D. Rubels Ehefrau

verinnerlicht hatte. Aber glaubte er wirklich an sein Geschwafel? Und wenn es so war, warum hatte er dann zugelassen, dass die FARC nicht nur solche Gräueltaten gegen die (angeblich) Schuldigen verübte, sondern auch gegen Unschuldige und in den eigenen Reihen? Ich nehme an, es war das übliche Problem: Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut. Hatten wir da überhaupt eine Chance? Nael Pedroso war jedenfalls der Meinung. Er war überzeugt, noch einmal, der alten Zeiten willen, ein gutes Wort für jene Gefangenen einlegen zu können, für die der Preis schon entrichtet worden war.

Plötzlich vibrierte mein Handy und als ich es zückte, sah mich der Ex-Kommandante mit einem Anflug von Panik an. „Sie haben ihr Mobiltelefon dabei?!” Ich nickte nur als ich ran ging, es war mein Bruder, der nervös fragte, ob ich schon angekommen sei. „Ja, wir sind auch schon unterwegs, Kleiner. Ich melde mich, sobald ich kann, besser, ihr ruft mich nicht an, sag das Stan, der Typ hier scheint Funkstille für besser zu halten.” „Kommt gar nicht in Frage!”, hörte ich Niels noch wettern, doch ich verabschiedete mich rasch, legte auf und stellte auf lautlos. „So, jetzt klingelt es nicht mehr”, meinte ich zu Pedroso, doch der schüttelte den Kopf. „Das reicht nicht! Sie müssen es verstecken, wenn meine Leute es bei Ihnen finden

...” Er ließ den Satz klassisch unvollendet und so langsam wurde auch mir mulmig. Kurzerhand stopfte ich das Teil tief in einen Schlitz im Polster des Vordersitzes vor mir. „Besser so?” „Hm, ja, muss wohl”, grummelte der Mann. „Aber lassen Sie es auf jeden Fall dort. Und noch etwas, wenn Sie ihn sehen, wenn Sie ihren Mann sehen, zeigen Sie um Gottes Willen nicht, dass Sie ihn kennen!”, schärfte er mir dann noch ein. „Auf gar keinen Fall, hören Sie?!!” Da nickte ich erst recht beklommen. Dieser Punkt schien ihm extrem wichtig zu sein. Da ich gut spanisch sprach, sollte ich als Angehörige seiner Entourage gelten, als Sekretärin und Dolmetscherin gegenüber englischsprachiger Stellen. Wir verließen das flache Farmland und

rumpelten in den dschungelartigen Wald. In einem einschlägigen Film hätte man mir sicher die Augen verbunden, aber alles sah so gleich aus, dass das eh nicht nötig war. Endlich, nachdem mein Körper sich schon lautstark beschwerte über die schlechte Federung des Autos, schienen wir dem Ziel näher zu kommen, denn plötzlich wurden wir durch eine Straßensperre gestoppt. Ein Posten mit einer MP im Anschlag verlangte barsch zu wissen, wer wir seien und wohin wir wollten. Die Verhandlungen übernahm wieder Carlos in seinem seltsamen Dialekt, während Pedroso die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen hatte und schwieg. Unser Fahrer hatte Erfolg und von da an wurde unsere Fahrt zu einer Art Stafettenlauf von Posten zu Posten, wobei die Befragung mit jedem Mal kürzer wurde. Und dann waren wir

auf einmal am Ziel. Dieses Ziel glich eher einem kleinem Dorf statt einem Untergrundhauptquartier, aber klar, so tief im Dschungel und nach so vielen Posten musste nicht mehr viel Tarnung sein. Trotzdem schienen uns jede Menge Augen mehr als misstrauisch, ja sogar feindselig zu beobachten, als wir ausstiegen und unsere müden Glieder dehnten. Ein weiterer Bewaffneter wies uns den Weg zu einem der Gebäude, wo wir den amtierenden Chef trafen. Gegen diesen Typen wirkte Pedroso noch regelrecht zivilisiert! Der neue Kommandante trug ganz klischeehaft einen Tarn-Kampfanzug und saß an einem Tisch vor dem Gebäude, links und rechts von sich zwei weitere Männer. Im Mundwinkel hatte er tatsächlich eine (kubanische?) Zigarre, auf der er öfter herum

kaute, die Augen waren von einer Sonnenbrille verdeckt. Alle fünf starrten uns erwartungsvoll entgegen, standen nicht auf, sondern wiesen auf den Platz vor dem Tisch. Das Ganze kam mir merkwürdig vertraut vor, bis es mir schließlich dämmerte: Das war kein Begrüßungskomitee, das war ein Tribunal! Ich zischte Pedroso zu, dass mir das hier sehr komisch vorkam. Da blieb er kurz stehen, sah mich an und ich hatte das Gefühl, dass seine glühenden Augen sich in meine hinein brennen würden. „Haben Sie keine Angst. Nachdem Francisco Alvarez Sanchez mich abgesetzt hatte, bin ich zwar in die Stadt zu Señor Escoban gegangen.” Mit einer großen Geste verwies Pedroso nun auf das wartende Konzil. „Aber mein Wort hat hier noch immer Gewicht,

Sie werden schon sehen! Escoban, das musste wohl der Sohn des ehemaligen Drogenbarons sein, klar, die FARC engagierte sich zwar offiziell gegen Drogenhandel, finanzierte sich aber ebenfalls damit. Wieder einmal wurde mir beinahe schlecht bei so viel Verlogenheit. Und noch etwas dämmerte mir: Pedroso war nicht einfach nur abgesetzt und dann in Ruhe gelassen worden, nein, er war wahrscheinlich geflüchtet! Wenn ich die Blicke rings herum richtig deutete, war das etwas, was die Organisation nicht gerne sah, aber gleichzeitig wurde mir klar, dass Pedroso das nicht zur Kenntnis nahm – der Mann war wirklich durchgeknallt! Und der wollte mir helfen?!? Er trat vor das Tribunal und die

'Gerichtsverhandlung', geleitet von Francisco Alvarez Sanchez, das musste wohl der neue Chef sein, begann. Keine Rede davon, dass Pedroso dazu kam, um die Freilassung der Geiseln bzw. einer bestimmten Geisel bitten konnte, er wurde barsch angegangen und kam kaum zum Reden. Darüber zeigte er sich sehr erstaunt, kein Zweifel, totaler Realitätsverlust und dem Mann hatte ich mich anvertraut?!! Übernervös versuchte ich der Verhandlung zu folgen, aber ein irres Rauschen in meinem Kopf machte mir das schwer, außerdem fand sie wieder in diesem krassen Dialekt statt. So kann ich den Wortlaut nicht mehr wieder geben, weiß nur noch, dass die Anführer Pedroso schwere Vorwürfe wegen Verrats machten, denen er heftig widersprach, er hätte es doch immer nur gut gemeint und wäre auch jetzt noch bereit, zu

helfen. Plötzlich kam Bewegung in den Mann auf meiner anderen Seite. Carlos hatte den Ernst der Situation endlich begriffen, drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf unser Auto zu. Er kam aber nicht weit. Alvarez bellte einen scharfen Befehl, der fast augenblicklich von einem Schuss überlagert wurde, welcher Carlos mitten im Lauf in den Rücken traf und zu Boden warf. Panisch sah ich zu Pedroso, sah in seinem Blick eine plötzliche Erkenntnis, da hörte ich auch schon Alvarez' Befehl: „Knallt den Verräter ab! Nieder mit allen Feinden der marxistischen Revolution!” Und im nächsten Moment erhielt der Mann vor

meinen Augen einen Kopfschuss! Sein Blut und andere Körperflüssigkeiten spritzten auf mich und augenblicklich musste ich würgen. Die Todesangst übermannte mich und während ich mir die Seele aus dem Leib kotzte, erwartete ich den finalen Knall. Seltsam, wie sich die Zeit dehnt, wenn man auf das Ende wartet. Ich stand würgend vornübergebeugt, während ich auf den erlösenden Schuss wartete – und war mir der Unwürdigkeit dieser Situation in jeder Sekunde bewusst. Wäre es nicht toll gewesen, stoisch aufrecht da zu stehen, dem Anführer in die Augen zu sehen und ihm irgendwas heroisches ins Gesicht zu schleudern? Aber nein, ich musste ja kotzen wie ein Reiher und jedes Mal, wenn mich die Feuchtigkeit in

meinem Gesicht an das eben Gesehene erinnerte und meine Todesangst neu anfachte, kam ein neuer Schwall, irgendwann nur noch Galle. Als Veterinärin war mir der Tod an sich ja nicht fremd, aber so etwas?! Doch irgendwie wurde kein neuer Befehl gebellt, die MPs schwiegen, statt dessen wollten sich sämtliche Kerle um mich herum schier kaputt lachen! Sie zeigten mit dem Finger auf mich und hielten sich ihre Bäuche, bis der Anführer dann doch etwas rief. Es war aber kein Schießbefehl, sondern hieß soviel wie „Kümmert euch um sie!” und war an zwei Frauen gewandt, die nun zu mir rüber rannten. Sie nahmen mich in ihre Mitte und führten mich weg, welche Wahl hatte ich, als mitzugehen? „Eine süße kleine Dolmetscherin können wir immer brauchen”, hörte ich Alvarez noch feixen,

„und vielleicht will ja auch jemand für sie zahlen.” „Na prima, das mit dem Lösegeld hat ja schon bisher so gut geklappt!”, knurrte ich leise, als die Erkenntnis, erst mal nicht erschossen zu werden, zu mir durchsickerte. „Still!”, zischte eine der Frauen mir zu und sie zerrten mich in eine niedrige Baracke, die offenbar eine Art Waschkaue war. Dort kramten sie aus einem Schrank einen unförmigen Militäroverall, wie sie selbst einen trugen und warfen ihn mir zu. Zuerst aber durfte ich mich reinigen und schaffte es sogar, mein Pfefferspray in die andere Kleidung zu schmuggeln. Anscheinend hielt man mich für harmlos genug, mich gar nicht erst zu durchsuchen. Notdürftig gewaschen (wobei ich trotzdem das Gefühl hatte, noch immer nach meiner eigenen

Kotze zu stinken) schubsten mich die beiden Aufpasserinnen weiter zum nächsten Gebäude. Dieses hatte ein dickes Schloss an der Tür und eine Wache davor, die uns aufschloss, was heißt uns, mir, denn nur ich wurde ins Innere gestoßen, dann fiel die Tür hinter mir wieder ins Schloss. Ich war gefangen. Das war also das glorreiche Ende meiner Rettungsmission! * Im Inneren herrschte diffuses Halbdunkel und meine Augen brauchten etwas, bis sie sich daran gewöhnten. Deshalb ließ mich ein plötzliches Rascheln in der Nähe zusammenfahren und ich erschrak noch mehr, als eine Hand plötzlich meinen Arm umschloss. „Na, wen haben wir denn da?”, sagte eine

Stimme auf englisch und eine andere jubelte „Yeah, fresh meat!” Ich zappelte und wurde tatsächlich erst mal losgelassen, sah mich nun drei Männern in schon ziemlich erbärmlicher Kleidung gegenüber. Langsam wich ich rückwärts zurück, stieß aber gleich gegen einen Tisch hinter mir. Der Ausdruck in den Augen vor mir gefiel mir gar nicht, den hatte ich schon mal gesehen – in einer fernen Vergangenheit, die mich nun einzuholen schien. Wo blieb die Solidarität unter den Gefangenen? Sollte ich jetzt, gerade eben dem Tod von der Schippe gesprungen, einer Gruppenvergewaltigung zum Opfer fallen?!? Tatsächlich streckte nun einer der Kerle die Finger nach mir aus, in unmissverständlicher Absicht, wie mir ein anderes Körperteil signalisierte. Doch da hatte er die Rechnung

ohne den Wirt gemacht! Denn nachdem ich oft in Berlin noch spät in der Nacht unterwegs war und angesichts meiner Vergangenheit hatte Jens darauf bestanden, dass ich Krav Maga lernte, das kam mir jetzt zugute. Ich ließ den ersten Kerl auf den Tisch hinter mir krachen und sichelte den zweiten von den Füßen, der dritte hüpfte derweil gewandt Richtung Tür. Dort hob er einen länglichen Gegenstand vom Boden auf und trat mir mit plötzlicher Entschlossenheit wieder entgegen. Also gut! Ich stabilisierte meine Position, um dem Angriff zu begegnen, da griff plötzlich eine Hand von hinten nach seiner Schulter. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich gelacht, denn es sah fast so aus, als wollte Mr. Spock seinen vulkanischen Nackengriff anbringen

… Doch statt dessen sagte eine Stimme, die ich unter hunderten erkannt hätte „Slowly, boys! Ihr habt doch gesehen, was draußen passiert ist, sie ist eine Gefangene wie wir, also reißt euch ein bisschen zusammen!” Jens! Da stand er leibhaftig, hielt nun auch den wütenden zweiten Kerl am Schlafittchen gepackt und würdigte mich ansonsten keines Blickes!! Im letzten Moment, bevor ich seinen Namen keuchen wollte, erinnerte ich mich an Pedrosos Warnung: Nicht wissen lassen, dass man sich kannte. Ich drehte mich zu dem dritten Mann um, der immer noch verdutzt auf den Resten des Tisches

hockte und funkelte ihn an. „Okay, ihr wisst nun, dass ich mich wehren kann, alles klar?!” Nach einem kurzen Zögern, während dem es in seinem Gesicht flackerte, erhob sich der Mann langsam und nickte. „Okay. Und nichts für ungut.” Dazu musste ich einmal höhnisch schnauben und dachte mir, ich sollte auf alle Fälle besser in der Nacht mit dem Rücken zur Wand schlafen … Jens entließ die anderen Männer ebenfalls, die so etwas wie eine Entschuldigung murmelten und aus dem Raum schlurften, dann nickte er mir beiläufig zu und fragte „Alles in Ordnung?” Dazu schaffte ich es nur zu nicken. „Gut. Ich werde Abuelita Bescheid sagen, dass sie nun Gesellschaft hat. Warten Sie

hier!” Wie betäubt tat ich wie mir geheißen. Klar, nach Pedrosos Worten war mir irgendwie klar gewesen, dass es keine stürmische Wiedersehensfeier geben würde, aber trotzdem … Ich hatte mir mehr … heimliche Verständigung, mehr Freude in seinen Augen gewünscht, mehr … Liebe! Eine alte Frau, auf die der Begriff Abuelita zu passen schien, denn das war kein Eigenname, sondern das Kosewort für Großmutter, schlurfte in den Raum und grüßte mich freundlich, wenigstens nicht in dem grauenvollen Dialekt. Sie tätschelte liebevoll meine Wange und redete beruhigend auf mich

ein, nahm mich dann an die Hand und führte mich ins Haus hinein, zeigte mir dort das Wichtigste. Dies schien das Haus speziell für die Geiseln zu sein, die Fenster waren vergittert und es gab nur einen kleinen Innenhof, in dem man wenigstens ein bisschen Sonne und frische Luft schnappen konnte. Ansonsten waren die Menschen hier anscheinend sich selber überlassen. Die Hygiene ließ entsprechend zu wünschen übrig, hier gab es nur einen Abtritt in einem Raum ohne Dach und gewaschen wurde sich offenbar aus Eimern. Abuelita, einen anderen Namen erfuhr ich nie, klärte mich dann noch auf, dass wir einmal am Tag mit Essen versorgt wurden und dass ich mit ihr in einem Raum schlafen sollte, da wir zur Zeit die einzigen weiblichen Wesen hier waren. Sie hatte milchige, aber gütige Augen und ich

fragte mich entsetzt, wie lange sie wohl schon hier war? Und sollte sie noch nicht ewig hier sein, wer um alles in der Welt nahm denn so eine alte Frau gefangen?! Hier im Dschungel kam die Dunkelheit schnell und wir zogen uns in den kleinen Raum zurück. Die Essensausgabe war schon lange vorbei und mein gründlich geleerter Magen knurrte ein paar Mal heftig, doch ich musste mir nur die Bilder von heute Nachmittag vor Augen rufen, um den Appetit zu vertreiben. Von Jens oder den anderen Männern hatte ich auf der kleinen Besichtigungstour nichts mehr gesehen. In fast vollkommener Dunkelheit lag ich dann wach und lauschte auf Abuelitas heftiges Schnarchen. Und irgendwo in diesem Gebäude lag im Moment sicher auch Jens wach. Hoffentlich würden wir uns morgen wie

beiläufig unterhalten können. Inzwischen war mir auch klar, dass er sicher nicht glücklich über mein Auftauchen hier war, weil ich ja nun in der gleichen Situation war wie er! Meine Schlaflosigkeit hielt an und ich dachte mir, dann schleiche ich mich am besten jetzt gleich zum Abtritt, wenn eh alle schlafen. Im Geiste versuchte ich den Weg dorthin zu rekonstruieren, dann beschloss ich, mich auf den Weg zu machen, bevor es zu dringlich wurde. Leise und vorsichtig öffnete ich die Tür, spähte in die Dunkelheit, als plötzlich wie aus dem Nichts eine Gestalt vor mir aus dem Boden wuchs. „Was willst du hier draußen?! Bleib bloß da drin!!”, zischte sie mit Jens' Stimme und ich japste überrascht „Aber ich muss mal!”

Na toll, da sahen wir uns monatelang nicht, hatten uns gestritten, Jens war in Lebensgefahr und endlich trafen wir aufeinander, nachdem mein Mann mich mal wieder beschützt hatte – und was sagte ich als erstes zu ihm?! 'Ich muss mal!' „Oh Cat, du verrücktes Huhn!”, stöhnte Jens. Ich unterdrückte das Schluchzen, das in mir aufstieg. „Catherine! Was um Himmels Willen tust du hier? Warum musstest du hierher kommen!?” Geradezu kindisch war das, aber prompt rutschte mir ein beleidigtes „Aber freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?”,

raus. Für einen Moment starrte er mich an, dann zuckte es in seinem Gesicht und sofern das bei einem Mann möglich war, stand er wahrscheinlich kurz vor einem hysterischen Lachanfall. „Ob ich mich freue, fragst du? Ob ich mich freue, dich da draußen vor einem Erschießungskommando zu sehen? Ob ich mich freue, dass dich die Kerle hier, grad nachdem du dem Tod von der Schippe gesprungen bist, vergewaltigen wollten und, glaub mir, es noch immer wollen?!”, flüsterte er in hektischen Stakkato. Mit der Hand fuhr er sich durch die Haare, die im Halbdunkeln gut erkennbar inzwischen deutlich an silbernen Strähnen gewonnen hatten, und wanderte nervös hin und

her. Vor diesem Redeschwall schrumpfte ich mehr und mehr, fühlte mich plötzlich noch viel elender als vorher. Jens blieb vor mir stehen und ich wagte es kaum, ihn anzuschauen, tat es mit Tränen in den Augen aber doch und murmelte „I-ich hab dich so vermisst ...” „Herrgott, das ist doch kein Grund, sich hier in die gleiche beschissene Situation zu begeben wie ich!”, schüttelte er den Kopf. „Das war auch Weißgott nicht der Plan!”, begehrte ich auf und Jens machte besorgt „Sht!”, doch nun schüttelte ich den Kopf. „Nein, das muss ich jetzt sagen, ich-”, begann ich, wobei seine Augen unruhig hin und her gingen. Plötzlich griff seine Hand in meinen Nacken, zog meinen Kopf zu seinem und dann küsste er mich, endlich, vielleicht zwar, um

mich zum Schweigen zu bringen; ich weiß es nicht, aber es fühlte sich wie früher an. Doch als er mir anschließend in die Augen sah, erkannte ich die große Verzweiflung in seinem Blick. „Oh Kitty, warum bist du nur hierher gekommen!?!”

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Hörbuch

Über den Autor

QueenMaud
Bin Mitte 40, habe in Bonn Theologie studiert, arbeite aber jetzt was ganz anderes :-) Verheiratet ohne Kinder, habe aber trotzdem weniger Zeit zum Schreiben, als ich möchte.

Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganzes Buch zu schreiben, DIN A4 doppelseitig bedruckt immerhin 240 Seiten. Und jetzt habe ich den Schritt gewagt und es als reines E-Book auf Amazon veröffentlicht ( http://www.amazon.de/Verrat-und-Vertrauen-ebook/dp/B007OH3DXI/ref=sr_1_1?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1332863393&sr=1-1 ), vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen ... Eine Leseprobe von "Verrat und Vertrauen" findet ihr auch in meiner Bücherliste.

Ansonsten gebe ich zu, eher einen Hang zum Happy-Ending zu haben, aber auch nicht immer, wie die Leser meines "Klassentreffen" sicher bestätigen können :-)

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QueenMaud  ... und hier geht'S mit Teil 9 weiter:
http://www.mystorys.de/schreiben/schreiben.php
Vor langer Zeit - Antworten
QueenMaud Hier der Link zum ersten Teil:
http://www.mystorys.de/b124242-Romane-und-Erzaehlungen-Save-me--Teil-1.htm

Angefangen hat alles hier:
http://www.mystorys.de/b113998-Romane-und-Erzaehlungen-Lebensretter--Die-Gesamtausgabe.htm

LG
QueenMaud
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