Der Morgennebel trieb sanft über die Bäume, als der Junge erwachte. Sein Kopf dröhnte, alles drehte sich und ein penetranter Geruch stieg in seine Nase. Nur langsam ließ der Schwindel nach. Die Kopfschmerzen jedoch blieben. Und der Geruch. Stöhnend fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht. Sie war nass, klebrig und sie roch. Probehalber leckte er seine Finger ab. Blut! Das war Blut! Leicht benommen begann er sich aufzurichten. Seine Finger griffen dabei in etwas Warmes und Nasses. Erschrocken blickte er darauf. Noch
mehr Blut! Gierig wollte er sich schon darüber beugen, als sein Blick auf den zerfetzten Körper fiel, aus dem es immer noch heraussickerte. Der Brustkorb war geöffnet, die Rippen gewaltsam nach außen gebrochen. Bis zum Bauch hinab war der Leichnam aufgerissen und ausgeweidet worden. Eines der Beine war auf unnatürliche Weise abgewinkelt und der Oberschenkel wies eindeutige Fraßspuren auf. Die Arme sahen ähnlich aus. Es musste eine wahre Bestie gewesen sein, die über diesen Mann hergefallen war. Tastend fuhr der Junge über seinen Körper und blickte an sich herab. Er war nackt und ihm fehlte nichts, dennoch waren seine Hände
voller Blut, als hätte er sie darin gebadet. Er wollte sie erneut ablecken, als sein Blick auf den Kopf des Toten fiel. Die braunen, glatten Haare, die an den Schläfen bereits grau wurden, klebten feucht am Schädel und die einst so warmen, samtbraunen Augen blickten starr ins Leere. Kraftlos fielen die Hände des Jungen herab und ein unmenschlicher Schrei entrang sich seiner Kehle. „Vater!“, krächzte er, während er versuchte den Toten zu rütteln, als würde doch noch Leben in dem zerfetzten Körper stecken. „Vater!“ Dann packte er die Hand des Toten und führte sie an seine tränennasse, blutverschmierte Wange. „Bitte, Vater!“,
bettelte er. Doch der Tote blieb stumm, während seine Augen anklagend ins Leere starrten. Nur langsam wurde dem Jungen bewusst, was geschehen war und er begann zu würgen. Es gelang ihm gerade noch sich abzuwenden, bevor er sich übergab. Sein nackter Körper krümmte sich, sein Magen zog sich immer wieder zusammen, bis er nichts mehr von sich geben konnte. Keuchend vor Anstrengung richtete er sich mit bebendem Körper wieder auf. „Warum?“, stammelte er. Dann sprang er auf die Beine und ballte seine Hände zu Fäusten. „Warum, ihr Götter?“, schrie er mit sich überschlagender Stimme. Ein Zittern lief durch ihn und mit einem
mächtigen Satz, der viel zu kraftvoll für einen vierzehnjährigen Jungen war, hechtete er in den nahen Wald.
Schweißgebadet schreckte Thram auf. Mit zitternden Händen tastete er nach seinem Wasserschlauch und hielt ihn an seine trockenen Lippen. Gierig trank er, ohne etwas zu schmecken. Erst als er trotz seines Widerwil- lens ein paar Bissen Brot herabwürgte, wurde es besser. Leise fluchte er vor sich hin. Dass ihn ausgerechnet vor einem wichtigen Auftrag sein altbekannter Alptraum heimgesucht hatte, gefiel ihm über- haupt nicht. Thram brauchte meist einen ganzen Tag, um sich davon zu
erholen und wieder zu Kräften zu kommen. Das war mehr als lästig. Gera- de in seinem Beruf konnte er sich Schwäche nicht leisten. Er hatte einen untadeligen Ruf, den er nicht aufs Spiel setzen wollte. Zum Glück hatte er noch einen Zweitagesritt vor sich, bis er zu seinem neuen Auftragsort kommen würde. Witternd hob Thram den Kopf in die kalte Nachtluft. Seine schwarzen Haare fielen ihm dabei in den Nacken, während ihn eine feuchte Schnauze antippte. „Schon gut mein Mädchen“, murmelte er und klopfte dem Schneewolf neben sich auf die Flanken. Die einzigen Lebewesen, die er länger um sich duldete, waren Lan, die weiße Wölfin
und sein geschecktes Pferd, Peck. Doch die Wölfin ließ sich nicht beirren. Nochmals stupste sie Thram an. Da konnte er es endlich auch riechen. Feuer! Und es war nicht sein eigenes. In der Nähe musste noch jemand sein Lager aufgeschlagen haben. „Braves Mädchen!“, lobte er die Wölfin, die leise knurrend ihre Zähne fletschte. „Wir sehen morgen nach.“ Thram hatte keine Schwierigkeit in der Dunkelheit zu sehen. Dennoch wollte er nicht. Für diese Nacht hatte er bereits genug und das Zittern seiner Glieder ließ auch nur langsam nach. Thram gönnte sich noch ein paar Schlucke Wasser, die bereits etwas besser schmeckten. Dann
kontrollierte er seine ledernen Armschoner, unter denen es kurz hell im herabsinkenden Feuerschein aufleuchtete. Einen letzten Blick warf er auf den vollen Mond, bevor er sich wieder hinlegte und das warme Fell über sich zog. Es war bereits Frühling, doch die Nächte in Nordhaven waren kalt. Auch wenn kein Schnee mehr lag, konnten die Temperaturen bis zum Gefrier- punkt absinken. Sein Zittern kam also nicht nur von den Nachwirkungen des Traums. Nordhaven, Heimat der stolzen, hochgewachsenen Silvesti, war das kälteste Land Havens. Südhaven, das Land der Meggen, war dagegen weitaus wärmer und über
Westhaven, in dem nur Bestien und Verbannte lebten, wusste man zu wenig, um etwas Genaueres sagen zu können. Westhaven war aber auch mit ein Grund, warum Thram den Auftrag an dessen Grenze so willig angenommen hatte. Dieses so gut wie unbekannte Land barg viele Möglichkeiten. Wahrscheinlich auch eine, die Thram bereits zeit seines Lebens gesucht hatte. So jedenfalls hatte es Brigg, ein Bestien-Jäger wie er selbst, vor ein paar Tagen ausgedrückt. Thram schnaubte allein schon bei dem Gedanken an diesen schwatzhaften, lästigen Silvesti-Krieger und rollte sich, umhüllt vom Rauch des ausge- henden Feuers und dem dampfenden Atem der Wölfin, die
ganz in seiner Nähe lag, noch tiefer in sein Fell ein, um auch die letzten unsinnigen Gedanken von sich fortzuscheuchen und endlich einen erholsamen Schlaf zu finden.
Brigg rieb sich die Hände über dem Feuer seines Lagers. Die Nacht war eisig gewesen. Trotz der Felle hatte er gefroren. Doch jetzt freute er sich auf seinen Tee, der bereits über dem Feuer in einer kleinen Schale zu kochen begann. Fröhlich, wie es seine Natur war, begann er leise eine alte Volksweise der Silvesti zu summen und dem blubbernden Tee zuzusehen, als ihn kalter Stahl an seiner Kehle abrupt innehalten ließ. „Warum
folgst du mir?“ Diese abweisende Stimme hätte Brigg unter Tausenden wiedererkannt. Eigentlich hatte es ihn gewundert, dass Thram ihn so lange hatte gewähren lassen. Zugegeben, er hatte sich bemüht ihm unauffällig zu folgen, aber dieser große schwarzhaarige Mann hatte Fähigkeiten an sich, die nicht normal waren. Nicht einmal für einen kampferprobten Bestien-Jäger. Seitdem Brigg ihn bei seinem letzten Auftrag getroffen hatte, wusste er, dass er Thram nicht mehr von der Seite weichen wollte. Auch wenn dieser alles dafür tat, ihn wieder loszuwerden. „Tu ich das?“, fragte er daher ausweichend zurück. Mit einer geschmeidigen Bewegung ließ
Thram von ihm ab und hockte sich ihm gegenüber. Ein lauernder Blick aus hellgrauen Augen erfasste Brigg. „Ich sagte dir bereits, dass ich alleine arbeite. Ich will niemanden der mich behindert.“ Brigg ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Hmm …“, brummte er. „Du vergisst wohl, wer dir das Leben retten musste, als dich das Ungetüm angegriffen hat!“ „Du überschätzt dich, Brigg. Ich jage bereits seit zehn Jahren Werwölfe. Das Biest hatte dich im Blick, nicht mich.“ Brigg fuhr sich durch seine leicht gewellten, hellbraunen Haare und seufz- te. „Ach was soll’s. Tee?“ Er wartete Thrams Nicken nicht ab, sondern goss ihnen beiden einen Becher voll.
Sein Lederharnisch knarrte, als er sich bewegte. Es war ein kunstvoll gefertigtes Stück mit seinem Stammes- Emblem und wies ihn als Angehörigen des Grudas-Clans, einer angesehe- nen Kriegerdynastie aus Kalderhan, aus. „Du brauchst mich, Thram“, sagte er schließlich. „Du weißt es nur noch nicht.“ Thram, der bereits ein paar Schlucke von dem heißen, aromatischen Getränk zu sich genommen hatte, blickte zu ihm und ließ ein abschätziges Schnauben hören. Briggs helle Augen leuchteten kurz auffordernd auf, doch Thram reagierte nicht darauf. Es sah beinahe so aus, als würde er ein Knurren unterdrücken, was Brigg ein Lächeln
kostete. Thram reagierte auch darauf nicht. Er trank weiter seinen Tee und blieb verschlossen. Brigg schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Ein Silvesti wie er, aber ohne Stam- mesabzeichen auf seinem Lederharnisch. Solche Männer hatten es schwer in Nordhaven, außer, sie waren gut in dem, was sie taten. Und davon hatte Brigg sich überzeugen können. Thram war sogar außergewöhnlich gut. Der Ruf, der ihm vorauseilte, kam nicht von irgendwoher. Doch er war ein sturer, eigenbrötlerischer Einzelgänger. Brigg hatte aber seinen Entschluss bereits gefasst. Etwas stimmte nicht mit diesem Thram und er wollte her- ausfinden, was
es war. Als Thram ausgetrunken hatte, stellte er den Becher zurück und stand auf. „Wie schon gesagt, du überschätzt dich, Brigg. Ich brauche niemanden.“
„Das werden wir noch sehen“, meinte Brigg und griff nach dem Becher. Als er wieder aufsah, war Thram verschwunden. Brigg hatte gute Ohren, aber dieser Mann bewegte sich trotz seiner Größe wie ein Schatten. Nicht einmal das Knarren seines Lederharnischs oder seiner Stiefel war zu hören gewesen. „So ein sturer Bock!“, entfuhr es Brigg. Dann stand er auf und rief ihm hinterher. „So schnell wirst du mich nicht los, Thram! Das schwöre ich!“
Die Sonne war schon seit längerem aufgegangen. Mitleidlos brannte sie auf den Franzens-Hof herab, in dem bereits reger Betrieb herrschen müsste. Vor allem im Frühling, wenn die Felder bestellt werden sollten. Doch nichts regte sich. Demeran, Hauptmann von Rigad, der größten Gemeinde Sanderhans, traute seinen Augen nicht, als er mit drei seiner Soldaten den Hof betrat. Es war geradezu beängstigend still. Nur ein kleines Brett der Türe, die schief in den Angeln hing, wurde vom aufkommenden Wind noch mehr
gelockert und löste sich mit einem knarrenden Geräusch. Ein leises ‚Plitsch‘ war zu hören, als das Brett in die Blutlache fiel, die aus dem Haus herausgesickert war. An den Rändern war es schon geronnen, und als Demeran genauer hinsah, konnte er im Schatten des Flures einen abgetrennten Arm erkennen. Auch der Hofhund lag tot und mit verrenktem Leib vor dem Anwesen. Es kostete selbst dem abgebrühten Hauptmann Überwindung, sich weiter dem Haus zu nähern. Vorsorglich hielt sich Demeran die Hand vor Mund und Nase, als er mit zweien seiner Männer das Haus betrat, um das Ausmaß der
Katastrophe abzuschätzen. Seine von erstem Grau durchzogenen Haare klebten ihm vor Anspannung an der Stirn. Doch in diesem Haus gab es für niemanden mehr Rettung. Die ganze Familie war nicht nur bestialisch ermordet worden, an ihnen waren auch eindeutig Fraßspuren zu erkennen. In allen Körpern fehlten neben ausgerissenen und angenagten Gliedmaßen auch Herz und Leber. Selbst die Leichen der Kinder waren so zugerichtet. Mit grünem Gesicht wankte Demeran aus dem Haus. Er befahl seinen Männern, die Leichen zu bergen. Man würde sie angemessen beerdigen und den nächsten Verwandten ein Schreiben zukommen
lassen. Demeran seufzte. Er hatte jetzt die unliebsame Aufgabe, dem Lehnsherrn von Rigad über die neuesten Ereignisse Bericht erstatten zu müssen. Demeran wusste im Moment wirklich nicht, was schlimmer war. Die entstellten Leichen zu bergen, oder dem aufbrausenden Lehnsherrn gegenüberzutreten. Stepford, stolzer Lehnsherr von Rigad, fuhr sich über sein kahles Haupt. Er saß in der Versammlungshalle seines Hauses und blickte mühsam beherrscht auf seinen Hauptmann. Kaum dass Demeran seinen Bericht beendet hatte, fuhr der Lehnsherr auch schon von seinem erhöht stehenden Sitz auf. „Wo bleibt nur dieser
Bestien-Jäger! Er sollte schon längst hier sein, um solche Katastrophen zu verhindern!“, rief er. Dann winkte er den Hauptmann von sich. „Geht mir sofort aus den Augen!“ Demeran ließ sich das nicht zweimal sagen und flüchtete aus der großen Halle des Haupthauses, froh, so glimpflich davongekommen zu sein. Aufgebracht schritt Stepford vor seinem Stuhl auf und ab. Bereits die zweite Familie war Opfer des Werwolfs geworden, der Rigad schon seit Wochen heimsuchte. Bis jetzt hatten diese Bestien es vorgezogen, in Westhaven zu bleiben. Dass sie bereits bis nach Sanderhan, noch dazu ausgerechnet nach
Rigad, in sein Lehen vorgedrungen waren, verstimmte Stepford sehr. Er spürte, wie die Wut in ihm hochstieg, aber er beherrschte sich. War es doch auch sein eigenes Versäumnis gewesen, nicht rechtzeitig einen Bestien-Jäger angeheuert zu haben. Er hatte gedacht, mit seinen eigenen Soldaten genauso gut gegen das Untier ankämpfen zu können. Das war ein großer Irrtum gewesen und der Verlust drei seiner Männer hatte ihn eines Besseren belehrt. Ihre ausgeweideten Leiber waren alles, was von ihnen übrig geblieben war. Geläutert hatte der Lehnsherr schließlich nach dem besten Bestien-Jäger Nordhavens schicken lassen.
Seufzend ließ sich Stepford auf einem der Tische in der Halle nieder, die bereits für das Mittagmahl hergerichtet wurden. Emsig verteilte auch seine Tochter Stehla die Teller. Er konnte ihr nicht abgewöhnen, die einfache Arbeit der Mägde zu verrichten. Schließlich hieb er mit seiner Faust auf den Tisch, dass die Teller nur so hüpften und Stehla überrascht zurücksprang. „Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du deine Finger davon lassen sollst! Was ist, wenn Fürst Wahlud dich so sieht?“, rief er aufgebracht. „Herr!“ „Was ist!“, fuhr der Lehnsherr herum.
„Thram, der Bestien-Jäger, ist soeben eingetroffen!“ „Na endlich!“ Stepford sprang auf. Da wurde der Wachsoldat bereits zur Seite gedrängt und ein großer, breitschultriger Mann trat mit ausladenden Schritten ein. Seine für einen Silvesti ungewöhnlichen schwarzen Haare standen ihm ungeordnet vom Kopf ab und gaben ihm mitsamt seinem unrasierten Gesicht ein verwegenes Aussehen, das durch seinen eisigen Blick aus hellgrauen Augen noch verstärkt wurde. Mit einer einfachen Handbewegung öffnete er die Schnalle seines grauen, wollenen Umhangs und ließ diesen von
seinen Schultern gleiten. Darunter kam eine kurzärmelige, hellbraune Tunika zum Vorschein, über der ein einfacher Lederharnisch mit gut ausgestatteten Schulterplatten geschnallt war. Armschoner aus ebensolchem Leder hüllten auch den gesamten Unterarm ein und hatten dünne Dolche an ihren Seiten eingelassen. Das Erstaunlichste an dem Bestien-Jäger war aber seine Waffe. Das Langschwert, das in einer Scheide auf seinem Rücken steckte, musste ein unglaubliches Gewicht haben. Allein der Griff, der daraus herausragte, war so lang wie ein Unterarm. Stepford war zufrieden mit sich. Dieser Mann schien wahrlich der Richtige zu sein.
Klappernd fielen Teller auf den Tisch und der Lehnsherr fuhr herum. „Stehla!“, tadelte er seine Tochter, der die Teller aus der Hand gefallen waren. Auch Thram blickte auf das junge, hellblonde Mädchen, dessen Wangen rot zu leuchten begannen. „Entschuldigt“, stammelte das Mädchen und griff mit fahrigen Händen wieder nach den Tellern, von denen ihr einer nun völlig entglitt und auf dem Steinboden zu zerschellen drohte. Thrams Reaktion, der die beiden bereits erreicht hatte, war schneller. Mit einem beiläufigen Griff fing er den Teller knapp über dem Boden auf und reichte
ihn dem Mädchen. Stehla war über und über rot. „Danke“, stammelte sie erneut. Doch dies- mal unterließ sie es, mit ihren fahrigen Händen für weiteres Unglück zu sorgen. Stattdessen raffte sie ihre Röcke und eilte aus dem Raum. „Was starrt Ihr so auf meine Tochter?“, fuhr Stepford den Jäger an. „Eure Tochter?“ Thram blickte ihr kurz hinterher. Er hatte gedacht, das Mädchen wäre eine Magd. Schade, sie hätte ihm gefallen. Mit einem Ruck stellte Thram den Teller ab und setzte sich, ohne dazu aufgefordert zu sein an den Tisch. Dem Lehnsherrn blieb vor so viel Unverschämtheit die Luft weg, doch Thram ignorierte es. „Ich hoffe, ihr
schützt sie gut. Werwölfe sind keine tumben Tiere. Sie wissen ganz besonders schönes Fleisch zu schätzen. Viele entführen Frauen auch nur, um Nachkommen mit ihnen zu zeugen.“ „Was erlaubt Ihr Euch?“ Stepford wurde beinahe ebenso rot wie seine Tochter. „Ich habe Euch angeheuert die Bestie zu jagen und nicht, um unnütze Gerüchte zu verbreiten, die den Frauen Angst machen! Also kümmert Euch um dieses Biest! Zwei Familien und drei meiner Männer hat es bereits auf dem Gewissen!“ Thram ließ Stepfords Wut völlig ungerührt über sich ergehen. Gelassen blickte er den Lehnsherrn an. „Woher
glaubt Ihr zu wissen, dass es sich nur um ein Monster handelt?“ Stepford blieb der Mund offen stehen. Er schluckte. „Ihr meint, es könnten auch mehrere sein?“ Thram neigte seinen Kopf. „Das werde ich herausfinden. Ich verlange einhundert Goldstücke für jeden Werwolf, den ich zur Strecke bringe. Wenn Ihr mit meinem Preis einverstanden seid, dann zeigt mir die Stelle, an der er zuletzt zugeschlagen hat.“ Der Lehnsherr sog scharf die Luft ein. Thram wusste, dass sein Preis hoch war, aber er war nicht überhöht. Schließlich nickte Stepford. „Na schön, in Ordnung.
Wollt Ihr gleich beginnen?“ „Vorher brauche ich eine Mahlzeit. Ich bin, so schnell ich konnte, hierher geritten und hatte keine Zeit zum Jagen.“ Der Lehnsherr wandte sich um. „Stehla!“, rief er nach hinten in den Wohnbereich des Hauses, der direkt an die Haupthalle angebaut war. „Schick die Magd mit einer warmen Mahlzeit und Brot herein!“ Als er sich wieder umdrehte, trottete gerade Thrams weißer Schneewolf ungerührt in die Halle und setzte sich neben ihn auf die Hinterläufe. Stepfords Augen wurden groß. „Und einen großen Knochen!“, rief er nochmals in Richtung des rückwärtigen Bereiches, während er Thram erneut
genau in Augenschein nahm. „Wo kommt Ihr eigentlich her?“, fragte er neugierig. „Ihr habt gar kein Stammesemblem auf Eurem Lederharnisch.“ Thram blickte unfreundlich auf den kahlen Lehnsherrn von Rigad. „Ich gehöre keinem Clan an“, sagte er knapp. „Aber wenn Ihr es unbedingt wissen wollt, ich komme aus Erenhan.“ „Das habe ich mir schon gedacht. Die Silvesti aus Erenhan sind bekannt für ihren guten Umgang mit wilden Tieren“, sagte Stepford und blickte lauernd auf Thram. „Man sagt aber auch, sie seien selbst für Silvesti überaus kaltblütig. Ist da etwas Wahres dran?“
Thram ging die zudringliche Art des Lehnsherrn auf die Nerven. Er hätte gleich in das Wirtshaus am Dorfeingang von Rigad gehen sollen. Es hatte einladend und sauber ausgesehen. Doch seine Finanzen waren im Moment aufgebraucht. „Mag sein“, antwortete er ausweichend. „Ich gebe nichts auf unnützes Gerede.“ „Sagt, wie kam es, dass Ihr Bestien-Jäger wurdet?“ Stepford ignorierte gekonnt Thrams Zugeknöpftheit. „Oder wird man bei euch in Erenhan schon als solcher geboren?“ Thram nickte der Magd dankend zu, die ihm soeben sein Essen brachte. Doch
Stepford war nicht von seiner Frage abzubringen. „Nun sagt schon, Thram. Wieso wurdet Ihr Bestien-Jäger? Man kann sich doch nicht freiwillig gerne diesen Gefahren aussetzen. Nicht einmal als Silvesti aus der nördlichen Provinz.“ „Mein Vater wurde von einem Werwolf zerrissen, als ich noch ein Junge war“, knurrte Thram. „Und jetzt lasst mich essen.“ Stehla verließ ihren Horchposten an der Tür zum großen Empfangssaal. Ihre Wangen waren immer noch leicht gerötet. Es war ihr überaus peinlich, dass ihr die Teller aus der Hand geglitten waren. Aber wie der Bestien-Jäger mit seinen
ausladenden, selbstsicheren Schritten auf ihren Vater zugegangen war und sich auch sonst kein Blatt vor den Mund genommen hatte, hatte ihr tief imponiert. Ihr Vater war ein gerechter Mann, doch er regierte sein Lehen mit eiserner Hand. Widerworte ertrug er nicht und man konnte ihn auch nicht von einem einmal gefassten Entschluss abbringen. Auch nicht davon, dass er seine erst achtzehnjährige Tochter mit Wahlud, dem Fürsten von Sanderhan, verheiraten wollte. Stehla ballte vor Wut ihre Hände zu Fäusten und eilte zum Hinterausgang. Dort schnappte sie ihren Umhang und verließ das Anwesen. Sie musste dringend auf andere Gedanken kommen.
Eilig lief sie in Richtung Armenviertel der Stadt. Bevor sie es erreichte, bog sie auf ein verlassenes Grundstück ab. Sie wusste, dass hier eine herrenlose Wolfshündin herumstreunte, die vor kurzem Junge bekommen hatte. Stehla hatte einige der fetten und flachsigen Fleischreste unbemerkt aus der Küche mitgenommen. Vorsichtig näherte sie sich dem Versteck der Hündin, die ihr aber schon schwanzwedelnd entgegeneilte. Rollend, sich stupsend und teilweise noch wackelig kamen auch ihre drei Welpen heran. Verzückt kniete sich Stehla auf den Boden und hielt der Hündin, die sie liebevoll ‚Bärs‘ genannt
hatte, das Fleisch hin, während sie begann, die Welpen zu kraulen. Sie liebte Tiere über alles. Leider war es ihr nicht erlaubt, ein eigenes zu besitzen. Da kam ihr Bärs gerade recht. Stehla wollte auch jedes bisschen Zeit, die ihr noch in Rigad blieb, mit den Welpen verbringen. Wenn Fürst Wahlud sie als seine Frau mit sich mitnehmen würde, wäre auch das vorbei. Stehla wischte sich schnell mit ihrem Handrücken über die Wange. Sie hatte sich geschworen, nicht mehr zu weinen. Ihr Schicksal war besiegelt und angeblich beneidenswert. Ihre Freundin Taina, die Tochter der Wirtin vom Marktplatz, hatte ganz entzückte Augen
bekommen, als sie davon gehört hatte. Stehla solle sich bloß nicht so anstellen, hatte sie gesagt. Welches Mädchen aus Rigad hatte schon die Möglichkeit, einen Fürsten zu heiraten! Stehla seufzte. Wenigstens hatte Taina ihr versprochen, sich um die Hündin und ihre Jungen zu kümmern. Gedankenverloren spielte Stehla mit den Kleinen, bis sie bemerkte, wie sich Bärs vor ihr anspannte. Als sie sich umdrehte, sah sie den weißen Schneewolf des Bestien-Jägers auf sich zukommen. „Hey!“, rief Stehla und hielt dem Wolf ihre Hand hin. Vorsichtig wurde sie berochen, dann trat das schöne Tier auch schon auf sie zu und wedelte mit der
buschigen Rute. Bärs beruhigte sich etwas, holte ihre Welpen aber zu sich zurück und blieb auf Abstand. Stehla war fasziniert von dem schönen Schneewolf und streckte ihre Hand noch weiter nach dem dichten Fell aus. „Was bist du nur für ein Schöner!“, flüsterte sie dabei, während sie vorsichtig über die Halskrause strich. Doch der Wolf fuhr nicht zurück, sondern setzte sich unbekümmert neben sie und ließ es zu. „Eine ‚Schöne‘! Lan ist eine Wölfin.“ Stehla zuckte zusammen und drehte sich um. Die tiefe Stimme hatte sie sofort erkannt, dennoch erschrak sie, denn sie hatte den Bestien-Jäger nicht näherkommen gehört. Dabei stand er
bereits direkt hinter ihr und blickte auf sie herab. Sie konnte ihn nun aus der Nähe noch genauer mustern. Sein Gesicht war ernst, doch seine hellgrauen Augen blickten interessiert auf sie, wie sie vor ihm kniete. Dann nickte er mit seinem Kopf zur Wolfshündin. „Ihr füttert eine streunende Hündin und ihre Welpen?“ „Ja.“ Stehla spürte, wie sich in ihrem Bauch ein Knoten bildete, als sein ernster Blick wieder auf sie fiel. „Ich liebe Tiere.“ „Ihr habt in der Tat eine gute Hand für sie. Lan lässt sich nicht von Fremden anfassen.“ Stehla errötete über seine lobenden Worte und der Knoten in ihren
Eingeweiden wurde noch dicker. „Ist sie wild?“, fragte sie. „Ja.“ Der große Mann rieb über seine Bartstoppeln. „Eines Tages fand ich sie mit ihrer Pfote in einer Bärenfalle und befreite sie. Seitdem begleitet sie mich.“ „Mir ging es mit Bärs ähnlich“, sagte Stehla und lächelte zaghaft zu ihm auf. „Eine Blutspur führte mich vor einem Jahr auf dieses Grundstück. Diesen Weg gehe ich immer, wenn ich die Reste aus der Küche im Armenviertel verteile. Da fand ich Bärs versteckt unter dem Mauerrest mit einem blutigen Hinterlauf. Sie sah furchtbar mager und verwahrlost aus. Ich begann mich um sie zu kümmern und versorgte sie.“ Sie zuckte die
Schultern, dann deutete sie auf die putzigen Fellknäuel. „Seitdem sind wir gute Freunde und ich darf sogar ihre Welpen kraulen.“ „Ihr kümmert Euch auch um die armen Leute Eurer Stadt?“ Stehla hörte das Erstaunen aus Thrams Stimme und nickte, dabei löste sie sich aus ihrer knienden Haltung und stand auf. Thrams Arm schnellte vor und stützte sie, während sie sich aufrichtete. Der Knoten in ihrem Bauch begann sofort zu schlingern und zu hüpfen. Verlegen versuchte sie notdürftig den Stoff, der mit feuchter Erde verschmiert worden war, mit ihren Händen zu reinigen, gab das sinnlose Unterfangen
aber bald auf. „Ja“, antwortete sie dabei. „Ich teile oft auch die Kräuter unserer Heilerin unter ihnen auf. Manche sind eben schon alt, haben Schmerzen und können darum nicht mehr richtig arbeiten. Und natürlich bringe ich ihnen alles, was an Essensresten in der Küche anfällt.“ „Und das erlaubt Euer Vater?“ Unglauben sprach aus seiner Stimme. Stehla sah ihn alarmiert an. „Das darf er auch unter keinen Umständen erfahren! Schon gar nicht, dass ich eine Wolfshündin und ihre Kleinen füttere!“ Als der Jäger zu den Welpen sah, legte sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. Seine finsteren Züge glätteten
sich und sein kantiges Gesicht wurde ausgesprochen einnehmend. Stehla starrte ihn an, während der Knoten in ihrem Bauch platzte und tausend Schmetterlinge freiließ. Mit demselben Lächeln wandte er sich wieder ihr zu, was sofort glühende Hitze in ihre Wangen trieb. „Da seid Ihr ja!“, rief Hauptmann Demeran von der Straße zu ihnen herauf. „Ich suche schon die ganze Zeit nach Euch, Thram. Wir sollen Euch doch zum Franzenshof führen!“ „Er darf mich nicht sehen!“, rief Stehla leise und versuchte sich hinter Thrams breiter Gestalt zu verbergen, während der Hauptmann sich an- schickte, den Hügel
hinauf zu stapfen. Thrams Lächeln verschwand genauso schnell, wie es aufgetaucht war. Er packte Stehla an der Schulter und drückte sie zu Boden, während er seine Arme in die Hüften stütze, um ihr mit seinem Umhang noch breiteren Sichtschutz zu bieten. „Ich suchte meine Wölfin“, knurrte er unfreundlich, drehte sich um und ging dem Hauptmann entgegen, bevor dieser die Tochter des Lehnsherrn noch entdecken konnte. Stehla blieb hocken und lauschte den sich entfernenden Schritten. Dann legte sie ihre Hände auf ihre glühenden Wangen und begann erbärmlich zu stöhnen. Ihr Herz raste und in ihrem
Bauch bildete sich wieder ein riesiger Knoten. Stehla schauerte. Warum hatte sie einem Mann wie Thram nicht schon früher begegnen können? Warum ausgerechnet jetzt, wo ihr zukünftiger Gatte sie bald zu sich holen würde? Die Ironie des Schicksals ließ sie freudlos auflachen. Mehr denn je begehrte ihr Innerstes gegen die bevorstehende Hochzeit auf. Zitternd hockte sie da und war unfähig sich zu rühren. Erst als Bärs sie sanft mit ihrer kalten Schnauze berührte, kam sie wieder einigermaßen zu sich und fuhr sich über die nassen Wangen. Dann liebkoste sie ein letztes Mal die Welpen, bevor sie endgültig zum Armenviertel aufbrach.
Tief durchatmend suchte Thram das Unterholz nahe des Franzens-Hofes ab. Der Lehnsherr von Rigad war ein fürchterlich zudringlicher Geselle. Kaum zu glauben, dass er eine derart liebreizende Tochter hatte. Stehla hatte ihn wirklich überrascht. Vor allem, dass sie es geschafft hatte, Lan zu streicheln. Seine Schneewölfin ließ sich nur ungern berühren. Er war der Einzige, dem sie das bisher gestattet hatte. Wie auch immer. Auch wenn Stehla ihm gefiel, sie war die Tochter des Lehnsherrn und er nicht nur ein einfacher Jäger, sondern – egal. Er war hier, um
Monster zu jagen. Vorzugsweise Werwölfe. Alles andere war für ihn zweitrangig. Und so wie es aussah, waren hier in Rigad mindestens zwei dieser Bestien am Werk. Ein großes, ausgewachsenes, männliches Tier und ein etwas Kleineres – entweder ein Junges oder ein Weibchen. Dass es sich dabei um die legendären Wolfsmenschen handeln würde, daran zweifelte Thram. Obwohl er es gehofft hatte, denn es waren ihm Gerüchte zu Ohren gekommen – von keinem anderen als diesem unmöglichen Brigg – dass hier in Sanderhan ein solcher Wolfsmensch gesichtet worden sein sollte. Zeit seines Lebens war Thram bereits auf
der Suche nach ihnen. Doch außer auf vages Gerede, war er noch nie auf konkretere Hinweise gestoßen. Beinahe lautlos bewegte sich Thram weiter, als ihn ein aufdringliches Rascheln umdrehen ließ. „Was gibt es, Hauptmann?“, fragte er ungehalten. Demeran hatte ihn zu dem Gehöft geführt, an dem die Werwölfe zuletzt gewütet hatten. Es war selbst für Thram ein grauenhaftes Bild gewesen. Mit so einer Wut hatte er die Biester noch selten toben gesehen. Umso vorsichtiger suchte er jetzt die Umgebung ab. Werwölfe jagten am liebsten nachts, doch es gab auch Überfälle am helllichten Tag. „Meine Männer haben mir berichtet, dass
die älteste Tochter nicht unter den Leichen gefunden wurde!“, meldete Demeran schnell. „Was kann das bedeuten?“ „Dass sie entführt wurde“, sagte Thram knapp, dann bedeutete er dem Hauptmann, leise zu sein. Er hatte etwas bemerkt. Rasch schlich er weiter. Doch der Hauptmann blieb ihm dicht auf den Fersen. Jetzt war es zu spät, ihn zurückzuschicken. Thram blieb stehen und blickte Demeran eindringlich an. „Macht Euch bereit“, flüsterte er. „Und bleibt so leise wie möglich.“ Der Mann erbleichte, doch Thram ignorierte es. Eines der Biester musste in der Nähe geblieben sein. Der Jagdtrieb
in ihm brachte sein Herz zum Rasen. Sie waren ebenfalls entdeckt worden. Demerans Angstschweiß hatte sie verraten. Mit einer geschmeidigen Bewegung griff Thram nach seinem Schwert. Das Untier war direkt vor ihm und es wartete. Es rechnete bestimmt nicht mit Thrams Spürsinn, der ihm das Lauern der Bestie bereits verraten hatte. Als der Werwolf aus dem Unterholz brach und auf ihn zusprang, war Thram vorbereitet. Es war ein schönes, kräftiges Biest. Sein Fell war hellbraun und die Augen leuchteten in einem hellen Gelb. Mit seinen mächtigen Kiefern schnappte es nach Thram, aber nur um aufjaulend
zurückzufahren. Es hatte mit voller Wucht in Thrams Armschienen gebissen. Hell blitzte das silberne Metall auf, das von den ledernen Armschonern verhüllt wurde. Thram dagegen hieb mit seinem Langschwert sofort nach und konnte das Biest empfindlich in der Flanke treffen. Wütend funkelte der Werwolf ihn an. Er war intelligent und erkannte, dass er hier keinen gewöhnlichen Gegner vor sich hatte. Lauernd begann er, Thram zu umrunden. Genau diesen Moment suchte sich Demeran aus, um hervorzuspringen und das Biest von der Seite her anzugreifen. „Bleibt in Deckung!“, rief Thram und hechtete zu dem Hauptmann.
Der Werwolf hatte sofort seine Richtung geändert und schlug mit seiner Pranke nach Demeran. Der Mann hielt ihm tapfer sein Schwert entgegen, das ihm der Werwolf mit einem Hieb aus dem Arm schlug. Dank seiner Stahlrüstung, die dabei zerfetzt wurde, blieb sein Arm aber in einem Stück. Thram hatte ihn endlich erreicht und zurückgeschleudert, was Demeran unsanft auf seinem Rücken landen ließ. Dabei gab Thram seine eigene Deckung auf und der Werwolf griff sofort an. Mit einer schnellen Drehung versuchte Thram, dem Angriff zu entgehen. Seine Schwerthalterung am Rücken wurde ihm heruntergerissen, da
hechtete er bereits vorwärts und stieß dem Untier sein Schwert in die ungeschützte Brust. Die Glieder des Werwolfs fuhren in die Höhe, dann gefroren seine Bewegungen. Thram hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Ein hohes Heulen war das Letzte, was der Werwolf noch von sich gab, bevor er verendete. Demeran, der sich aufrappelte und seinen verwundeten Arm hielt, wollte schon wieder etwas sagen, als Thram ihn mit einer herrischen Geste daran hinderte. Gebannt lauschte er und versuchte etwas zu spüren. Fragend blickte er auf Lan, die sich bei einem Einzelkampf immer zurückhielt. Doch die weiße Wölfin zeigte nichts an. Kurz suchte Thram
noch einmal die Umgebung ab. Diesmal allein, was ihn ein wenig entspannter werden ließ. Aber es gab im Moment keine Gefahr mehr. Erleichtert wandte sich Thram um und ging zu Demeran zurück. Fürs Erste würde er seinen Lohn für dieses Biest abholen und den verletzten Hauptmann zurückbringen. Außerdem musste er sich eine neue Schwerthalterung zulegen. Demeran stand vor dem toten Werwolf. „Ist es bereits vorbei?“, fragte er unsicher. „Nein. Das hier war das kleinere Biest. Das Weibchen. Der große Werwolf hat sich mit dem Mädchen wahrscheinlich zu seinem Unterschlupf begeben. Nach dem
Mittagmahl werde ich Jagd auf ihn machen.“ „Ich komme mit!“, bestimmte Demeran. Thram sah ihn ablehnend an. „Nicht mit Eurer Verletzung.“ „Das ist ein Kratzer. Ich brauche nur eine neue Rüstung, das ist alles.“ „Ich arbeite allein! Ihr behindert mich nur!“ „Ich weiß.“ Hauptmann Demeran knirschte mit den Zähnen. „Doch das entführte Mädchen ist eine entfernte Nichte von mir.“ Thram erwiderte nichts. Im Moment mochte er die Hoffnung des Mannes nicht zunichtemachen. Er wollte gerade darauf hinweisen, dass sie das tote Biest nach
Rigad bringen sollten, als Demerans Männer herankamen. Mit staunendem Blick umrundeten sie den Kadaver. „Das war´s?“, fragte einer von ihnen. „Verwandelt sich ein Werwolf denn nicht zurück?“ „Nein.“ Thram wurde ungeduldig. Es waren immer wieder dieselben Fragen, die ihm gestellt wurden. „Werwölfe wechseln nicht die Form. Sind sie einmal infiziert, dann bleiben sie in der Gestalt. Sie verlieren ihre Menschlichkeit.“ Bewundernd blickte einer der Männer auf Thrams Langschwert. „Eine Silberklinge!“, rief er. Thram nickte. „Silber ist kein Wundermittel, aber es schadet einem
Werwolf mehr als normales Metall. Kommt er auch nur in Berührung damit, verätzt es sofort seine Haut und sein Fleisch. Doch lasst uns zurückgehen. Ich muss mich noch vorbereiten.“ Das Wirtshaus am Marktplatz von Rigad war eine gute Herberge. Das Zimmer und das Essen stimmten Thram mehr als zufrieden. Taina, die Tochter der Wirtin war ebenfalls eine Augenweide. Nicht von dem Liebreiz, mit dem ihm Stehla tief berührt hatte, aber dafür entsprach sie Thrams einfachem Stand und schien auch nichts gegen ein kleines Abenteuer zu haben. Mit wiegenden Hüften kam sie strahlend auf ihn zu und versorgte ihn –
noch vor allen anderen Gästen – mit allem, was er erbat. Dass Thram bei seinem Essen nicht ungestört war, musste er nach dem ersten Erfolg in Kauf nehmen. Danksagungen und Fragen prasselten unaufhörlich auf ihn ein. Aber das kannte er, es würde vorübergehen. Die Menschen brachen immer in Euphorie aus, sobald sie eines der Biester tot vor sich sahen. Selbst Stepford, der Lehnsherr, war mehr als entzückt gewesen und hatte Thram seine verdienten einhundert Goldstücke gegeben. „Wann wollt Ihr aufbrechen?“ Hauptmann Demeran war in neuer Rüstung aufgetaucht und blickte
erwartungsvoll auf den Jäger herab, vor dem er sich breitbeinig aufgebaut hatte. Thram ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Langsam lehnte er sich zurück und verschränkte seine Beine auf einem der Stühle neben sich. Ernst blickte er auf Demeran. „Ich werde Euch bestimmt nicht mitnehmen.“ „Aber meine Nichte! Ich muss vor Ort sein, wenn wir sie finden!“ „Um was zu tun? Sie dann gnädig zu töten, wenn Ihr die Bissspuren des Werwolfs an ihr seht?“ „Wovon redet Ihr?“ „Dass ihr zwar das Schicksal erspart geblieben ist, als Nahrung für die Bestien zu dienen, dass sie dafür aber
selbst zu einem dieser Biester werden wird.“ Hauptmann Demeran schluckte schwer und ließ sich Thram gegenüber am Tisch nieder. Seine Stahlrüstung klapperte und er winkte der Wirtin, ihm ein Glas ihres scharfen, selbstgebrauten Brandes zu bringen. „Gibt es denn …“ Demeran räusperte sich. „… keine Rettung?“ „Nein. Sobald man gebissen wird, verwandelt man sich. Nicht sofort, aber in den nächsten Tagen. Die Zeit ist zu kurz, um gegen diese Infektion etwas unternehmen zu können – falls es so ein Mittel überhaupt tatsächlich geben sollte. Wahrscheinlich war der Werwolf, den wir heute getötet haben, ein
Mädchen aus dem Umkreis. Vielleicht sogar aus der ersten Familie eurer Gemeinde, die von dem Biest getötet wurde.“ Demeran wurde leicht grünlich. Zum Glück kam die füllige Wirtsfrau und brachte ihm seinen bestellten Brand, den er sofort hinunterschüttete und einen weiteren bestellte. Er setzte zum Sprechen an, räusperte sich und versuchte es erneut. „Beim ersten Überfall war die erst vierzehnjährige Lina nicht unter den Getöteten. Ebenso ihre Mutter. Wir dachten damals, sie wären zum Ausweiden mitgenommen worden.“ Das zweite Glas Brand kam gerade rechtzeitig. Demeran wirkte, als
müsste er sich jeden Moment übergeben, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Thram beobachtete ihn genau. Es war sicher nicht leicht, sich mit der Tatsache zu konfrontieren, dass der Werwolf, der heute getötet worden war, vielleicht die kleine Lina oder deren Mutter gewesen sein könnte. „In einer Woche ist die Verwandlung meist vollzogen. Diese Frauen sind nicht mehr zu retten, auch Eure Nichte nicht“, sagte Thram schließlich, während sich sein Ausdruck verdüsterte. „Lasst mich meine Arbeit machen. Ich habe bereits genug infizierte Frauen von ihrem Schicksal erlöst.“ Demeran konnte nichts erwidern. Schwer schluckte er und starrte auf die grobe
Tischplatte. Dann nickte er langsam. „Erlegt dieses Monster“, sagte er schließlich rau. „Das werde ich.“ Thram trank seinen Met aus. „Aber ich bin nicht unfehlbar und so ein gewalttätiges Biest ist mir auch noch nicht untergekommen. Bleibt hier und schützt mit Euren Leuten Rigad. Solange die Gefahr nicht gebannt ist, lasst die Familien der umliegenden Gehöfte während der Nacht in der umfriedeten Siedlung schlafen. Silber ist am wirkungsvollsten gegen Werwölfe. Wenn ihr solche Waffen habt, verwendet sie.“ „Was redet Ihr da?“ Stehla war unbemerkt zu ihnen getreten. „Natürlich werdet Ihr die Bestie besiegen!“ Als er
ihrem Blick begegnete, zog sofort eine leichte Röte auf ihre Wangen. Sie sah ausgesprochen hübsch aus mit ihren langen, hellblonden Haaren, die ihr jetzt offen bis zur Hüfte fielen, und den großen blauen Augen, die Thram vertrauensvoll ansahen. Ihr offener Blick ließ in Thram etwas anklingen, das er sofort wieder verbannte. Sie hatte etwas an sich, was ihn zutiefst ansprach. Doch er ließ sich nie auf etwas Ernstes ein. Das war in seinem Fall auch gar nicht möglich. Gegen ein schnelles Schäferstündchen hatte er nichts einzuwenden, aber sicherlich nicht mit der Tochter eines Lehnsherrn – und sei sie noch so hübsch.
„Und bitte bringt Hanne zurück! Sie ist meine Freundin. Ich habe gehört, dass sie nicht getötet, sondern entführt worden ist!“ Stehla hatte scheinbar nichts von der Unterhaltung vorhin mitbekommen. Doch Thram wollte nicht nochmals alles erklären und vielleicht auch noch tröstende Worte finden müssen. Das hielt alles viel zu lange auf und für seinen Geschmack hatte er heute sowieso schon viel zu viel geredet. Außerdem würde es für ihn besser sein, wenn er ein wenig Abstand zwischen sich und der Tochter des Lehnsherrn brachte, deren Geruch ihm soeben in die Nase stieg und seine Nasenflügel zum Beben brachte.
Mit einem Ruck stand Thram auf. „Sagt es ihr, Demeran. Ich muss gehen.“ Damit verließ Thram die Gaststube, ohne sich noch einmal umzusehen. Stehla sah ihm enttäuscht nach. Dann blickte sie auf den Hauptmann der Wache. „Was sollt Ihr mir sagen?“, fragte sie neugierig. Hauptmann Demeran seufzte ergeben und bestellte sich den dritten Brand. Warum auch immer er die schlechten Nachrichten überbringen musste, war ihm ein Rätsel. Genau an Tagen wie diesen hatte er das Gefühl, dass sie nie enden würden.
Bestialischer Gestank war das Erste, das Hanne in die Nase stieg, als sie erwachte. Zitternd sog sie die Luft ein und ein scharfer Schmerz fur durch ihren aufgerissenen Unterarm. Schützend zog sie ihn an sich und begann sich vorsichtig umzusehen. Sie lag auf unebenem Boden im hinteren Bereich einer Höhle, der mit etwas Moos ausgelegt war. Nur spärlich erreichte das Tageslicht, das durch den Höhleneingang fiel, auch ihr bemoostes Lager. Schmatzende Geräusche hallten in der Höhle wider.
Vorsichtig richtete sich Hanne auf. Im vorderen Teil der Höhle war es hell genug, um auch Einzelheiten erkennen zu können. Als sie sah, was da vor ihr auf dem Höhlenboden kauerte und fraß, konnte sie sich gerade noch die Hand vor den Mund halten, um nicht sofort loszuschreien. Das Untier schien sie dennoch gehört zu haben. Gelbe, leuchtende Augen wandten sich ihrer Ecke zu, während es weiterfraß. Hannes Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Das, was da vor ihr hockte, war eines der Monster, die ihr bisheriges Leben mit einem Schlag vernichtet hatten. Mit Grauen erinnerte sie sich an
den Höllenlärm, der sie in der Nacht geweckt hatte. Sie war aus dem Zimmer gestürmt, nur um im Mondlicht sehen zu müssen, wie eines der Biester ihrer Mutter die Kehle zerfleischte, während ihr Vater versuchte, einem anderen Monster mit einem Stock zu Leibe zu rücken. „Hanne! Lauf!“, konnte er noch brüllen, bevor ein Prankenhieb seine Brust aufriss. Hanne reagierte sofort, doch es war zu spät. Das gewaltige Biest drehte ruckartig seinen Schädel in ihre Richtung, und bevor Hanne auch nur einen Schritt tun konnte, wurde sie von seinen Kiefern bereits am Arm gepackt und zurückgerissen. Sie glaubte schon,
die scharfen Zähne in ihrem Genick spüren zu müssen, doch der Werwolf zog sie nur zu sich heran. Der Gestank seines Atems streifte ihr Gesicht und seine vom Blut feuchte Schnauze begann sie abzutasten. Hanne schrie vor Ekel und Panik. Ein tiefes Knurren war schließlich das Letzte, das sie hörte, bevor sie in tiefe Bewusstlosigkeit fiel. Und jetzt war sie hier. Alleine. Sie musste wohl oder übel annehmen, dass keiner ihrer Liebsten mehr am Leben war. Tränen traten ihr in die Augen und ihre Trauer drohte sie zu überschwemmen. Doch ihr Überlebenstrieb war stärker und Hanne hatte einen scharfen Verstand. Sie konnte
sich längst denken, warum sie verschont worden war, auch wenn sie genau das vor Grauen würgen ließ. Ihre Großmutter hatte ihnen oft genug Legenden und Schauermärchen von Werwölfen erzählt und von den Schicksalen der Frauen, die von ihnen entführt worden waren. Hanne versuchte sich, trotz aller aufkommenden Panik ruhig zu verhalten. So ruhig, wie es ihr in ihrer Situation überhaupt möglich war. Doch als die Fresslaute verstummten, hielt sie die Ungewissheit nicht mehr aus und blickte erneut zum Höhleneingang. Der Werwolf, der davor gehockt und sich gelabt hatte, war ein Stück zur Seite gerückt. Knurrend sah er sie an. Doch er kam
nicht näher. Hanne fasste all ihren Mut zusammen und versuchte aufzustehen. Das war ein Fehler. Das Biest sprang hoch und baute sich drohend vor ihr auf. Es sah aus wie ein großer Wolf, dem aber noch irgendetwas Menschliches anzuhaften schien. Hanne konnte nicht genau sagen, was es war. Die Statur vielleicht, die größer und nicht so elegant wie die eines Wolfes war, oder auch der flachere Kopf. In der Nacht im Mondschein hatte sie die Biester nicht so genau sehen können. Jetzt dagegen war ihr, als könnte sie jedes Haar einzeln zählen. Das war auch das Seltsame an diesen Untieren. Sie hatten ein Fell, doch es war bei weitem
nicht so dicht, wie das eines richtigen Wolfes. Auch der Schädel wirkte anders, plumper und die Schnauze nicht so spitz. Ebenso waren die Pranken keine simplen Wolfspfoten, sondern wirkten wie menschlich geformte Klauen, die beim Gehen über das Gestein wetzten. Drohend kam der Werwolf näher, die Lefzen hochgezogen, das Knurren immer bedrohlicher. Hanne hob schützend ihren gesunden Arm vor ihr Gesicht, als es plötzlich dunkel wurde. Sie konnte nur mehr einen großen Schatten erkennen, der sich mit tiefem Knurren gegen den Werwolf warf, was diesen winselnd zurückweichen ließ. Das Biest, das sie ‚gerettet‘ hatte, war riesig,
wahrscheinlich an die zwei Meter hoch und hatte ein braunes, dichtes Fell. Drohend fletschte der Werwolf nochmals die Zähne gegen seinen kleineren Artgenossen, dann wandte er sich Hanne zu. Geradezu liebevoll stupste er sie an und roch an ihr. Die Geschehnisse der vergangenen Nacht, die blutige Schnauze, die ihren Arm zerfleischt und sie danach abgetastet hatte, tauchten sofort wieder auf. Das Zittern, das ihren Körper durchzuschütteln begann, konnte Hanne einfach nicht unterdrücken. Zu grauenhaft war der Gedanke, dass dieses Ungetüm in ihr eine potenzielle Partnerin sehen könnte. Vor allem, als der Werwolf
sich mit seinem Schädel ihrem Schoß näherte und begehrlich zu hecheln begann, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Hanne entkam ein Wimmern und sie versuchte mit aller Gewalt, seinen wuchtigen Kopf von sich fortzudrängen. Der Werwolf fuhr tatsächlich zurück. Sofort zog Hanne ihre Beine hoch und schlang ängstlich ihren gesunden Arm darum. Dem Wolf entkam nicht einmal ein Knurren. Stattdessen fuhr er mit seiner triefenden Zunge vorsichtig über ihren verletzten Arm und anschließend über ihr Gesicht. Dann entfernte er sich und gesellte sich zu seinem kleineren Artgenossen, der ihm nun seinerseits
liebkosend über die Schnauze leckte. Hanne schüttelte es immer noch. Es ekelte sie vor dem Speichel der Bestie, der sich mit ihren Tränen mischte und dabei langsam über ihr Gesicht lief, nur um dann von ihrem Kinn herabzutropfen. Sie saß mit ihren hochgezogenen Beinen zusammengekauert in ihrem Eck. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und weggerannt, doch sie war wie gelähmt. Das Pochen und Toben in ihrem verletzten Arm wurde durch den Speichel des Werwolfes zwar erträglicher, dennoch ekelte sie sich davor. Als ihre Gliedmaßen endlich wieder ihren Dienst aufnahmen, fuhr sie sich mit angewiderten Lauten hysterisch über das Gesicht.
Die Werwölfe, die mit sich beschäftigt waren, blickten bloß träge zu ihr und widmeten sich erneut einander. Hanne konnte erst mit ihrem Wischen aufhören, als hohes Jaulen in ihr von Grauen geschütteltes Bewusstsein drang. Mit verweintem und verschmiertem Gesicht hielt sie inne und sah ungläubig auf die kopulierenden Wölfe. „Aras sei mir gnädig! Der eine von ihnen ist ja ein Weibchen!“, entfuhr es Hanne. Das war es wohl, was auch ihr bevorstehen würde. Am schlimmsten daran fand sie nicht den Akt an sich, sondern das unterwürfige Betteln des kleineren Werwolfs, der früher wohl ebenfalls ein einfaches Mädchen gewesen sein musste.
Zufrieden rollte sich das Weibchen nach der Begattung zusammen, während der große Werwolf noch einmal zu Hanne blickte. Er schickte sich sogar an, wieder aufzustehen und zu ihr zu trotten, da streckte sich Hanne voller Panik auf dem Moos aus und tat, als würde sie sich schlafen legen. Fest biss sie sich in ihre Handknöchel, um ja keinen Ton von sich zu geben. Es war wohl die richtige Entscheidung gewesen, denn das Biest legte sich beruhigt wieder hin. So lag Hanne da und wagte nicht sich zu rühren. Wie lange, konnte sie nicht sagen. Ihr war jegliches Zeitgefühl abhandengekommen.
Die Werwölfe verhielten sich ruhig. Das weibliche Tier schien zu schlafen, während das große, dunkle Biest nur döste. Immer wieder fiel Hanne auf, wie seine blauen, leuchtenden Augen zu ihr blickten. Doch etwas schien den Werwolf zu beunruhigen. Mit einem Sprung war er auf und hechtete aus der Höhle. Der weibliche Werwolf, der ein deutlich helleres Fell hatte, blickte irritiert auf. Dann erhob er sich, kam drohend auf Hanne zu, fletschte knurrend die Zähne gegen sie, wobei sich sein Fell sträubte und trottete dann dem Artgenossen hinterher. Die Höhle verließ er allerdings nicht.
Hanne schüttelte es erneut. Ob das weibliche Biest eifersüchtig war? Blieben solche menschlichen Gefühle übrig, selbst wenn man sich verwandelte? Hanne biss sich erneut in ihre Knöchel. Dieser Werwolf war wahrscheinlich einmal selbst ein Mädchen wie sie gewesen, hatte genauso Todesangst und Ekel verspürt, nur um jetzt eifersüchtig zu sein? Vergaß man so sehr, wer man war? Es dauerte nicht lange, bis der große Werwolf wiederkam. Knurrend stupste er seine Partnerin an, während sie ihm ihr Haupt entgegenschmiegte. Es schien geradezu so, als würden sie sich
unterhalten. Hanne vergaß sogar ihre Furcht, als sie das Geschehen verfolgte. Schließlich kam das große Biest auf sie zu. Furchtsam zog sich Hanne ganz in sich zusammen. Doch der Werwolf fuhr nur noch einmal mit seiner Zunge über ihre Armverletzungen, dann näherte er sich ihrem Gesicht und stupste sie fast schon zärtlich an. Das Knurren, das er dabei von sich gab, hörte sich beinahe wie entstellte Worte an. Aber Hanne verstand nichts. Dann waren er und seine Partnerin mit einem Satz aus der Höhle verschwunden. Thram atmete tief ein. Den Trubel aus Rigad hatte er bereits weit hinter sich
gelassen. Auch der Franzens-Hof lag schon ein gutes Stück zurück. Die Stelle, an der der weibliche Werwolf erlegt worden war, kam in Sichtweite. Dort angekommen sprang Thram vom Pferd und wies das kluge Tier an zu warten. Geduckt schlich er mit Lan weiter und nahm die Spuren wieder auf. Es war wie ein Spiel zwischen ihnen, wer wohl als Erster die Fährte finden würde, das Lan meistens gewann. Zumindest solange er seine Armschienen noch nicht abgelegt hatte. So auch heute. Ihr leises Knurren und gesträubtes Fell warnten ihn vor und mit zwei Sätzen war er bei ihr. Da nahm auch er es war. Denselben Geruch, der überall
im Franzens-Hof zu bemerken war. Der Geruch eines ausgewachsenen, männlichen Werwolfs. Und auch seine Spuren. Im weichen Waldboden konnte Thram die Abdrücke gut erkennen. „Aras meint es gut mit uns, Lan“, grinste er. „Das nenne ich ein großes Biest!“ Trahms Herz begann zu rasen. Er hatte die Spur aufgenommen und würde nun keine Ruhe mehr finden, bevor er das Ungetüm erlegt haben würde. Leise pfiff er nach Peck, der sofort herangetrabt kam. Die Spur war kalt genug, um ihr mit hohem Tempo zu folgen. Sobald der Geruch intensiver wurde, zügelte Thram sein Pferd. Vorsichtig folgte er der Spur, bis sich der Wald zu lichten begann. In
der Ferne konnte er eine Höhle ausmachen. Ein idealer Ort für Werwölfe. Doch ganz frische Spuren führten davon weg. Die Wölfe waren auf der Jagd. Oder auf der Flucht. Thram wurde den Verdacht nicht los, dass sein Nahen bemerkt worden war. Nun, das würde die Jagd nur noch spannender machen. „Komm, Lan“, sagte er zur Schneewölfin, die mit gesträubtem Fell und hochgezogenen Lefzen neben ihm stand. „Lass uns jagen gehen.“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. Mit aufgestellter Rute preschte die Wölfin voran und Thram hatte Mühe, ihr mit Peck zu folgen. Die Biester vor ihm
waren schnell. Dennoch entging Thram nicht, dass sich die Spur verändert hatte. Sie jagten nur mehr einem Werwolf hinterher. Sofort hielt Thram an und stieg vom Pferd. Lan war gleich zur Stelle und begann zu suchen. Ihr kurzes Anschlagen zeigte ihm die andere Spur. „Er wollte uns eine Falle stellen!“, raunte er der Schneewölfin zu. „Ich habe selten ein so gerissenes Biest erlebt.“ Thrams Blut kam in Wallung. Sein Schädel fühlte sich an, als wollte er zerspringen. Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Instinkt zu beherrschen. Und das trotz der Vorkehrungen, die er unter den Lederarmschonern trug. „Ich habe wohl zu lange schon nicht mehr richtig gejagt.“
Er wies Peck an zu warten und folgte Lan. Seine Augen glühten und seine Nasenflügel blähten sich leicht. Geduckt umrundete er mehrere Felsen, Büsche und Bäume, den Blick immer auf Lans steil aufgestellte Rute geheftet. Die Veränderung der Spur war nur minimal und selbst Lans Japsen wäre Sekundenbruchteile zu spät gekommen. Doch Thrams Instinkt ließ ihn gerade noch rechtzeitig zur Seite hechten, sodass ihn der Biss des hellen, jungen Werwolfs, der plötzlich aus einem Gebüsch hervorsprang, verfehlte. Noch im Drehen zog Thram einen seiner Dolche aus den Armschienen und
schleuderte ihn. Das Geschoss traf das Biest in den Hinterlauf und ließ den Werwolf einknicken. Sein von Schmerz erfülltes Jaulen klang schaurig durch den Wald. Sofort zog Thram sein Schwert und hieb es in die Flanke des Tieres. Das Jaulen wurde zu einem Winseln und humpelnd versuchte der Werwolf zu entkommen. Doch Thram sprang hoch und hieb ihm mit einem Schlag den Kopf ab. Das Tier war sofort tot und fiel in sich zusammen. „Das hier war nur das Weibchen und noch sehr jung“, murmelte Thram an Lan gewandt, die neugierig herankam und das tote Biest beroch. „Der Werwolf dachte wohl, dass wir seiner weitaus
deutlicheren Spur folgen würden. Ziemlich intelligent für so ein Biest, findest du nicht?“ Die vielen Jahre der Einsamkeit hatten Thram in Gegenwart anderer Menschen abweisend und mürrisch werden lassen. Doch mit Lan führte er gerne eine rege, wenn auch einseitige, Unterhaltung. Interessiert untersuchte er den weiblichen Werwolf und zog seinen Dolch aus dem Hinterlauf. Der Werwolf vor ihm war ein junges, noch nicht ausgewachsenes Tier und im Kampf hatte sich auch gezeigt, wie unerfahren es war. Wahrscheinlich war es das Mädchen Lina gewesen, von deren Entführung Hauptmann Demeran berichtet hatte. Ein
Jammer, dass es nur mehr zu vermuten war. Spätestens zwei Wochen nach der Infizierung gab es keine Ähnlichkeit mehr zu dem Menschen, der man einstmals gewesen war. Als Beweis seines Jagderfolgs trennte Thram die rechte Klaue vom Vorderlauf des Biestes ab und fixierte diese an seinem Bund. „Der männliche Werwolf wird es uns nicht so leicht machen.“ Die Schneewölfin begann, bestätigend ihre Rute hin und her zu schwenken. „Was meinst du? Sollen wir unsere Jagd jetzt schon beginnen? Es ist zwar nicht mein Stil, aber ich kann den Drang kaum mehr bändigen.“ Freudig sprang Lan auf. Die
Schneewölfin jagte für ihr Leben gerne. Besonders auf die Weise, die Thram andeutete. Wie in Gedanken kraulte Thram über ihr dichtes Fell. Aber seine Entscheidung war bereits gefallen. Der innere Druck, die Lust an der Jagd, der Geruch des Blutes, das weiterhin langsam aus dem Rumpf des jungen Werwolfs sickerte, übermannte Thram. Lan sah ihn durchdringend an, dann wendete das kluge Tier und lief zu einem dichten Gebüsch in der Nähe, vor dem auch ein kleiner Felsen stand. Thram folgte ihr. „Du kannst es wohl auch nicht mehr erwarten, hm?“ Ein leichtes, wenn auch bitteres Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Dann hob er witternd seinen
Kopf. „Ich glaube, wir können es wagen. Kein Mensch ist in unserer Nähe.“ Mit einem entschlossenen Schwung schob Thram seine Waffen hinter den Felsen, direkt unter das Unterholz. Noch einmal hob er witternd seinen Kopf, dann ließ er seinen Lederharnisch folgen. Ungeduldig begann Lan, mit ihrer Rute hin und her zu peitschen. Sie kannte diese Prozedur. Und die versprach eine baldige Hetzjagd, die ganz nach ihren Vorlieben war. Thram legte nun auch seine Kleidung ab. Alles, bis auf die ledernen Armschoner, in denen seine Dolche steckten. Dann holte er tief Luft. „Bereit?“, fragte er Lan, doch diese hechelte nur erwartungsvoll. Ein weiterer
Atemzug folgte, dann entledigte sich Thram auch seiner Armschoner. Manschetten reinen Silbers wurden darunter sichtbar, die Thram mit einem Schnappen aufspringen ließ. Ein Seufzer der Erleichterung ging durch ihn, als das Silber herabfiel und er es mit einem raschen Tritt ebenfalls hinter den Felsen beförderte. Dann setzte auch schon die Verwandlung ein. Es war nicht schmerzhaft. Thram empfand es wie eine Befreiung. Knackend streckten sich seine Knochen, seine Sehnen, selbst seine Organe. Seine Haut dehnte sich und aus sämtlichen Poren wuchsen Haare zu einem dichten, schwarzen Fell. Seine Bestie kam hervor, sein inneres Monster,
das er nur mithilfe der Silbermanschetten im Zaum halten konnte. Thram war ein Werwolf. Oder ein Wolfsmensch. Oder beides. Er wusste es nicht. Ein reiner Werwolf war er nicht, schließlich konnte er sich zurückverwandeln und hatte nicht das Bedürfnis, in Höhlen zu leben. Andererseits hatte er seine Bestie aber auch nicht völlig im Griff. Nur mit Hilfe der Silbermanschetten. Doch es gab niemanden mehr, den er hätte fragen können, was genau er war. Ein Wolfsmensch hätte ihm Auskunft geben können. Aber die waren eines Tages aus Nordhaven verschwunden. Den Legenden nach waren sie die Beschützer der
Menschen vor den Werwölfen und anderen Untieren gewesen. Vereinzelt hörte man noch, dass ein Wolfsmensch hier oder dort gesehen worden sein sollte, was sich aber immer als das Gefasel Betrunkener herausgestellt hatte. Dennoch trug Thram noch die Hoffnung in sich, einem Wolfsmenschen zu begegnen und vielleicht etwas über sich und seine Andersartigkeit erfahren zu können. Seine ‚spezielle‘ Art war es auch, warum er gezwungen war, Abstand zu den Menschen zu halten. Diese Einsamkeit tat weh, war aber nicht zu ändern. Zu oft schon hatte er miterleben müssen wie aus Zuneigung Abscheu, Angst und sogar
Hass wurden, wenn erkannt wurde, was er wirklich war. Dass aus ihm schließlich ein Bestien-Jäger geworden war, war eine Fügung des Schicksals gewesen. Es war auch die beste Tarnung, die er sich vorstellen konnte, und diese Biester bedeuteten ihm nichts. Im Gegenteil, er hasste sie. Bitter lachte Thram auf, doch es kam nur ein heiseres Knurren aus seiner Kehle. Was auch sonst? Er war ja selbst ein Werwolf. Ein Monster, das seinen eigenen Vater auf dem Gewissen hatte. Als er damals erkannt hatte, was geschehen war, hätte er sich am liebsten umgebracht. Doch er war zu feige gewesen. So wurde aus ihm, was er nun war. Ein Monster, das andere Monster
zur Strecke brachte. Thram schüttelte sich, dann streckte er sich. Ganz so, als würde sich sein Wolfskörper erst einmal wieder in seiner ganzen Form spüren müssen. Genüsslich wollte er nochmals seine Gelenke knacken lassen, als ihn der scharfe Geruch des männlichen Werwolfs unvermittelt traf. Geduckt fuhr er herum. Tatsächlich stand der große Werwolf knurrend und Zähne fletschend über dem Leichnam des jungen. Mordlüstern glühten seine ungewöhnlichen, blauen Augen in Thrams Richtung. Dann wandte er sich seiner getöteten Partnerin zu. Mit einem letzten bedauernden Stupsen und einem leisen Winseln verabschiedete sich
das Biest von ihr, dann sprang es mit einem drohenden Knurren auf Thram zu. Thram reagierte sofort. Sein mächtiger Körper warf sich dem Angreifer entgegen. Das Biest vor ihm hatte beinahe dieselbe Größe wie er. Das war ungewöhnlich, da Thrams Wolfsgestalt alle anderen bisher immer um einiges überragt hatte. Es gab noch weitere Unterschiede zwischen ihm und den Werwölfen. So war Thrams Fell dichter als das anderer Werwölfe, sein Schädel weitaus behaarter, seine Schnauze spitzer und seine Fänge länger. Er sah aus wie ein Riesenwolf, der seine Pfoten klauenartig verformen und seine Fänge länger wachsen lassen konnte. Thrams
Flanken zitterten vor freudiger Erwartung des Kampfes und mit einem geradezu jauchzenden Japsen sprang er auf den braunen Werwolf zu. Kurz bevor sie aufeinanderprallten, warf sich Thram auf die Seite und schlug dem Werwolf seine Pranken in den Körper. Aufjaulend fuhr das Biest herum und schnappte mit seinen mächtigen Kiefern nach ihm. Doch Thram war durchdrungen von Jagdfieber und Blutdurst, während der Werwolf vor ihm nur mit Wut erfüllt war. Die scharfen Zähne des Biestes rissen ein wenig Fell und Haut von seinem Nacken, da hieb ihm Thram auch schon in die ungeschützte Seite. Das Biest vor ihm wurde durch den
Schmerz vollends rasend. Mit einer seiner Pranken gelang es ihm, Thrams Flanke zu treffen. Die Wunde war nicht tief, dennoch zuckte Thram zusammen. Mit seinem mächtigen Schädel konnte er den anderen von sich stoßen. Bevor das Biest wieder auf die Beine kam, sprang er nach. Wild verbissen sich die Werwölfe ineinander und rollten über den Boden. Alles wurde dabei niedergerissen, selbst die Erde wurde aufgewühlt, Moos und kleine Gewächse hochgeschleudert. Thram hatte noch nie einen so mächtigen Gegner gehabt. Das Biest war gewiefter, intelligenter und erfahrener als alle Werwölfe, gegen die Thram bisher gekämpft hatte und deren
Pranken nun die Außenwand seiner Hütte zierten. Kurz blitzte die Möglichkeit in ihm auf, dass vielleicht diesmal seine Hand als Trophäe in der Höhle des Werwolfs landen könnte, da sah er, wie das Biest hochschnellte, um ihm mit einem finalen Biss den Nacken durchzutrennen. Mit aller Kraft sprang Thram vorwärts, schlug beide Pranken in den ungeschützten Bauch des Werwolfs und riss ihm den Leib auf. Das Jaulen, das ihm entgegenschlug, klang fürchterlich. Aus der großen Wunde traten Blut und Eingeweide aus. Das Biest krümmte sich in seiner Qual und Thram machte kurzen Prozess. Sein Schädel fuhr nach vorn, während er die
im letzten Krampf schnappenden Kiefer des Werwolfes mit seinem Vorderlauf zur Seite drückte. Dann biss er in die ungeschützte Kehle und brach ihm mit einem Ruck das Genick. Die Bewegungen unter ihm erschlafften und Thram setzte sich zurück. Es war vorbei. Es war zwar keine Jagd gewesen, wie er es sich gewünscht hatte, dafür hatte ihn der Kampf mehr gefordert, als er es erwartet hätte. Das Blut rauschte immer noch in seinen Ohren und vorsichtig begann er, über seine Wunden zu lecken. Sein Speichel hatte heilende Wirkung, die er sich auf diese Weise zunutze machte. Lan kam heran, doch anstatt die Bestie zu beschnuppern, wie sie es sonst gerne tat,
trat sie knurrend zurück. Thram blickte erstaunt auf die Schneewölfin. Er hätte die Jagd gerne noch auf einfaches Wild aus den Wäldern hier ausgedehnt, da sein Blutdurst gerade erst geweckt worden war und Werwolffleisch nicht zu seiner bevorzugten Kost gehörte. Doch ihr seltsames Verhalten ließ ihn zögern. Verwundert sah er nochmals auf den getöteten Werwolf. Augenblicklich war sein Blutdurst vergessen und er verwandelte sich zurück. „Das ist unmöglich!“, krächzte seine Stimme, als wäre sie immer noch halb wölfisch. Doch das, was er sah, blieb. Es veränderte sich nicht. Vor ihm lag kein Werwolf mehr, sondern ein Mann. Ein Mensch wie
er.
Das warme, dampfende Blut berauschte ihn. Ebeso der zarte Geschmack des Fleisches. Knackend brachen die Rippen, als er sich eine Öffnung zu den Innereien verschaffte. Mit seinen Pranken hielt er den Brustkorb gespreizt, um mit seinem Schädel besseren Zugang zu bekommen. Das Herz und die Leber dieses Jungtiers belebten ihn und gaben ihm mehr Kraft, als es irgendetwas anderes zu tun vermochte. Ein menschliches Herz würde ihn noch weitaus mehr stärken, doch allein schon der Gedanke daran sorgte für Brechreiz. So ließ er ihn gar nicht
erst aufkommen. Viel war nicht von dem halbwüchsigen Reh übrig geblieben, als der Werwolf mit seiner Mahlzeit endlich fertig war. Selbst der Schneewolf neben ihm hatte genug abbekommen, um seine nun erheblich angeschwollene Körpermitte zufrieden den letzten Sonnenstrahlen preiszugeben, welche die Lichtung gerade noch erreichten. Die blutige Schnauze, die aus dem weißen Fell wie ein Signalfeuer herausstach, hielt der Wolf hoch erhoben. Doch schließlich stand auch er auf und folgte dem großen, schwarzen Werwolf, der sich zum Rand eines Teiches begab und in die Fluten eintauchte, während er sich
zurückverwandelte. Thram spürte, wie die Kühle des Wassers langsam sein Gemüt beruhigte. Er war satt und auch die Wolfsbestie in ihm war befriedigt und würde die nächste Zeit Ruhe geben. Doch in seinem Inneren tobte es. Abgesehen davon, dass er keine einhundert Goldstücke für eine menschliche Hand bekommen würde, hatte ihn die Verwandlung des Werwolfs zutiefst aufgewühlt. Nach so langer Zeit der Suche war er endlich auf einen Wolfsmenschen gestoßen. Nur leider hatte er ihn töten müssen. Dass ihm dessen Andersartigkeit nicht früher aufgefallen war! Die Bestie war größer gewesen als alle Werwölfe,
gegen die er bisher gekämpft hatte. Sie hatte auch ein dichteres Fell und einen spitzeren Schädel gehabt, ähnlich ihm selbst. Ein Wolfsmensch also. Ein Wolfsmensch, den er aber nun nicht mehr befragen konnte. War er einer von ihnen? Wenn ja, wie kam er dann zu den Menschen? Thram hatte so viele Fragen und sie alle führten ins Nichts. Frustriert tauchte er unter und ließ das Wasser über seinem Kopf zusammenschlagen. Mit den Händen rieb er sich über Gesicht, Kopf und Nacken, um alle Blutspuren zu beseitigen. Diese unmögliche Frohnatur Brigg hatte mit seinem Gerücht tatsächlich recht behalten. In Sanderhan
hatte sich ein Wolfsmensch herumgetrieben. Und eine weitere Frage tat sich für Thram auf: warum ausgerechnet aus einem Wolfsmenschen eine solche Bestie geworden war. Den Legenden nach hatten sie sich einst für das Wohl der Menschen eingesetzt und diese nicht infiziert! Das alles ergab keinen Sinn. Als Thram endlich halbwegs abgekühlt und gereinigt war, stieg er aus dem Tümpel und verwandelte sich erneut. Gemeinsam mit Lan lief er zu seinen Sachen zurück. Mürrisch zog er sich an, prüfte noch einmal den richtigen Sitz der Silbermanschetten, dann eilte er mit Lan zu seinem Pferd. Da die Nacht bereits
hereingebrochen war, schlug Thram gleich dort an einer geeigneten Stelle sein Lager auf. Diesmal war er auch Lan gegenüber wortkarg und die Schneewölfin rollte sich respektvoll ein Stück weit von Thram entfernt ein. Wie er befürchtet hatte, suchte ihn sein alter Fluch, der Alptraum, wieder heim. Nochmals durchlebte er den Wendepunkt seines Daseins, als er im Blut seines toten Vaters erwacht und voll Grauen aus seinem bisherigen Leben geflohen war. Thram war nach dem Erwachen unduldsamer denn je, was durch seine Schwäche und das Zittern seiner Glieder noch verstärkt wurde. Außerdem beschäftigte ihn der Wolfsmensch immer
noch. Wenn er Antworten über seine Abstammung haben wollte, würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als einen Weg hinein nach Westhaven zu finden. Angeblich sollte es in Westhaven noch Wolfsmenschen geben. Das sagten auch die Bücher aus der großen Bibliothek in Rudes. Schon vor Jahren hatte sich Thram aufgemacht, um in die Hauptstadt Rudes zu reisen, die in Kalderhan, der südöstlichen Provinz Nordhavens lag. Die Bibliothek war bekannt dafür, Antworten auf alle Fragen zu haben. Nur die Antworten, die Thram bezüglich der Wolfsmenschen bekommen hatte, waren alles andere als ermutigend gewesen. Die
Wolfsmenschen hatten immer schon für sich gelebt. Mitten unter den Menschen, dennoch hatten sie es vermieden, sich mit ihnen zu mischen. Sie waren auch als Krieger und Kämpfer hoch geschätzt. Aber keinem König war es gelungen, sie für sich zu verpflichten. Vor ungefähr einhundert Jahren war das Volk der Wolfsmenschen dann aus Nordhaven verschwunden. Niemand wusste genau wohin oder warum. Es gab nur mehr Vermutungen über ihren Verbleib. Laut der Aufzeichnungen wurde angenommen, dass sie eben nach Westhaven, in das Land der Bestien zurückgekehrt waren. Doch die Chancen nach Westhaven zu
kommen standen überhaupt nicht gut. Die hohe, durchgehende Mauer, die Westhaven von Nordhaven trennte, hatte nur drei Verbindungstore, die streng bewacht wurden. Doch es gab immer einen Weg. Brigg hatte ihn darauf gebracht. Brigg, dieser lästige Silvesti-Krieger und selbst ernannte Bestien-Jäger, schien tatsächlich über ziemlich viele Informationen zu verfügen. Es war Thram mehr als zuwider, doch er würde wohl diesen vor Heiterkeit strotzenden Menschen aufsuchen müssen. Thram grollte. Bevor er sich jedoch auf die Suche nach Brigg machen konnte, musste er seinen Auftrag zu Ende bringen. Das hieß, dass
er noch nach dem verschwundenen Mädchen, dieser Hanne, suchen und sie, falls sie noch leben sollte, vor ihrem Schicksal bewahren musste. Nochmals grollte Thram. Einhundert Goldstücke weniger, ein toter Wolfsmensch mehr und ein junges Mädchen, das er töten musste. Dazu kam noch seine Schwäche nach dem Alptraum. Er konnte sich nicht vorstellen, was seinen Tag noch mieser machen könnte. Der Arm brannte und tobte. Der Speichel des Werwolfs hatte Hanne geholfen, doch das Biest war nicht wiedergekommen. Was Hanne nicht unbedingt bedauerte – nur wenn sie an ihren Arm dachte, der
rot und geschwollen wie ein Fremdkörper an ihr hing. Bildete sie sich das ein, oder hatte sich die Schwellung bereits bis zur Schulter ausgebreitet? Unwirsch schüttelte sie diesen Gedanken ab. Sie musste den Weg zurück nach Rigad finden. Noch eine Nacht im Freien wollte sie nicht verbringen. Natürlich hatte sie nicht auf die Werwölfe gewartet. Kaum dass diese weg waren, war Hanne aus der Höhle gestürmt. Doch sie hatte sich verirrt. Die Gegend, in der die Höhle lag, kannte sie nicht. Die dichten Wälder, in die sie niemals alleine gehen durfte, waren ihr völlig fremd. Das wurde ihr nun zum Verhängnis. Und sie fühlte sich krank
und elend. Außerdem fror sie entsetzlich. Die Nacht hatte sie bebend unter altem Laub, einem Haufen von Blättern und großen Farnwedeln verbracht, die sie von umliegenden Pflanzen abgerissen hatte. Doch nicht nur die Kälte hatte sie kaum schlafen lassen, auch die Angst vor den Werwölfen, der Dunkelheit und den unbekannten Geräuschen des Waldes hatten ihr zugesetzt. Als sie endlich steif aus ihrem unruhigen Schlummer erwacht war, musste sie erkennen, dass sie zwar noch lebte, ihre Situation aber nicht besser geworden war. Ihr half nicht einmal der Stand der Sonne, da sie keine Ahnung hatte, wo sie sich befand. Sie war vielleicht sogar in
die falsche Richtung gelaufen. Verzweifelt wischte sich Hanne die Tränen aus dem Gesicht. Sie musste weiter. Vielleicht stieß sie irgendwann auf ein Gehöft oder eine andere Siedlung und vor allem anderen musste sie unbedingt Wasser finden. Ihre Kehle war völlig ausgedörrt. Der Durst war mittlerweile noch schlimmer als der Hunger geworden. Auf ihrem Weg durch den Wald versuchte Hanne das einfache lange Nachthemd, das mit getrocknetem Blut, Dreck und den Überresten ihres Nachtlagers gespickt war, mit ihrer gesunden Hand ein wenig hoch zu halten, um nicht über Wurzeln zu stolpern oder an Ästen
hängen zu bleiben. Ihre bloßen Füße bluteten schon, doch solange sie konnte, würde sie weiterlaufen. Der wunde Arm an ihrer Seite pochte immer stärker und der Schmerz strahlte bereits bis zum Hals hinauf. Hanne vermied es, ihn anzusehen. Wenn sie nur endlich auf jemanden stoßen würde, der ihr helfen könnte! Also weitergehen und nicht nachdenken. Ein paar Beeren, an denen sie vorüberkam und die sie kannte, steckte sie in ihren Mund. Sie waren zwar noch nicht ganz reif, aber für Hanne ein Labsal. Als sie weiterging, stieg ihr der Geruch von Wasser in die Nase und ließ sie ihre Schritte beschleunigen. Sie wunderte
sich noch, warum sie es so gut riechen konnte, da sah sie auch schon, wie sich der Wald in der Ferne lichtete. Während Hanne ihren verletzten Arm schützend an ihren Körper drückte, versuchte sie durch die letzten Büsche hindurch zu dem Gewässer zu gelangen. Sie hatte Glück. Ein Tierpfad, der zu einer flachen Uferstelle führte, erleichterte ihr den Weg. Hanne wollte sich gerade auf die Knie fallen lassen, um zu trinken, als ein starker Arm sie daran hinderte. Erschrocken schrie sie auf und begann, um sich zu schlagen. „Hör auf dich zu wehren!“, hörte sie eine tiefe Stimme. „Du darfst das Wasser hier nicht
trinken!“ Ein Mensch! Hanne ließ jede Gegenwehr fahren und drehte sich um. Vor ihr stand ein großer Mann, dessen stechender Blick aus hellgrauen Augen sie sofort in den Bann zog. Mit einer Hand wies er zum Wasser, mit der anderen hielt er ihr einen Trinkschlauch hin, den Hanne ihm aus den Händen riss und durstig zu trinken begann. Dann erst sah sie in die Richtung, in welche der Mann gewiesen hatte. Ein Tierkadaver! In ihrer Gier hatte sie das tote Wild gar nicht bemerkt, welches das Wasser wohl bereits verseucht hatte. So aufgetrieben, wie es aussah, war es bestimmt schon ein paar Tage tot. Jetzt stieg ihr auch der
Verwesungsgeruch in die Nase, der sie unwillkürlich an die Höhle erinnerte, in der sie aufgewacht war. „Waren das auch die Werwölfe?“, fragte sie panisch. Thram, der die ganze Zeit über das junge Mädchen gemustert hatte, schüttelte den Kopf. „Nein. Das Tier hier war krank und starb.“ Nochmals ließ er seinen Blick über das Mädchen schweifen. Er hatte schon am Geruch erkannt, um wen es sich handelte. Sie war aus der Höhle geflüchtet, obwohl sie kaum Aussichten hatte durchzukommen, oder den Weg zurückzufinden. Er bewunderte ihren Mut und ihren Überlebenswillen. Sie war zäh und unerschrocken. Und dennoch. Thram
erkannte sofort den Wolfsbiss und die Veränderung, die bei ihr bereits eingesetzt hatte. In ein paar Tagen würde sie ihre Menschlichkeit ganz verloren haben. Es gab auch für sie keine Hoffnung. Zum ersten Mal in seinem Leben bedauerte er diese Tatsache. Solche Sentimentalitäten waren ihm normalerweise fremd. Er kannte das Mädchen überhaupt nicht. Es war nie schön junge Frauen, die in der Verwandlungsphase steckten zu töten, aber es hatte ihn bisher nie so berührt. Wahrscheinlich, weil die Verwandlung der Infizierten bereits weiter vorangeschritten war. Sie krümmten sich vor Schmerzen und konnten auch nicht
mehr reden. Einige hatten in dieser Phase auch schon versucht, ihn anzugreifen. Der Tod war für sie eine Erlösung gewesen. Um auf andere Gedanken zu kommen, deutete er auf sich. „Mein Name ist Thram. Ich war auf der Suche nach dir.“ „Hanne“, brachte Hanne zwischen zwei Schlucken heraus. „Ihr seid der Bestien-Jäger? Aber wie habt Ihr mich gefunden?“ „Deine Spuren waren nicht zu übersehen.“ Er zeigte ihr die Abdrücke, die sie hinterlassen hatte. „Und die Werwölfe?“ Hannes Augen begannen, die Umgebung furchtsam abzusuchen. Doch Thram klopfte
beruhigend auf die Pranke an seinem Gürtel. Hanne entwich ein erleichterter Seufzer. Dann stutzte sie. „Ihr habt nur eine Pranke. Aber es waren zwei Werwölfe, die mich entführt hatten.“ Thram zog überrascht seine Augenbrauen hoch. „Gut beobachtet. Als ich den anderen Werwolf stellte und tötete, fiel er eine Klippe hinab“, log er. „Oh. Ach so“, nickte Hanne verstehend. „Habt Ihr etwas zum Essen da? Ich verhungere!“ Thram begann sich innerlich zu verfluchen. Er hätte das Mädchen gleich töten sollen, als sie sich zum Wasser hinabgebeugt hatte. Das wäre für alle Beteiligten besser gewesen. Zu dem
Zeitpunkt hätte sie nichts mitbekommen. Er fragte sich, was ihn abgehalten hatte. Immer noch die Gedanken an diesen Wolfsmenschen? Oder war es, weil sie noch so normal aussah? Was immer es gewesen war, das Gift des Bisses breitete sich bereits in ihrem ganzen Körper aus. Ihre Schmerzen würden immer unerträglicher werden. Er musste sie töten, wenn er ihr das unvermeidliche Schicksal ersparen wollte. „Komm mit.“ Thram packte das Mädchen an ihrem gesunden Arm und zog sie mit sich zurück in den dichten Wald. An der Wasserstelle mit dem stinkenden Kadaver, dessen Ausdünstungen ihn empfindlich reizten, wollte er nicht
länger als nötig bleiben. Vertrauensvoll folgte Hanne. Das Mädchen hing an ihm, obwohl er ihr den Tod bringen würde. Das war mehr als bitter. Sie war sicher noch keine sechzehn Jahre alt. Thram ließ sich nichts von seinen düsteren Gedanken anmerken, als er sie zu einem Baumstamm führte und anwies sich darauf nieder zu lassen. Lächelnd blickte sie zu ihm auf. Ihre Augen waren von einem klaren Grün und ihm offen zugewandt. Thram drehte sich rasch um und pfiff nach seinem Pferd. Er hatte das Gefühl, seinen Auftrag diesmal nicht erfüllen zu können. Kurz kramte er in einer der Satteltaschen. Dann warf er
dem Mädchen ein Stück Trockenfleisch zu, das sie gierig zu kauen begann. Thram setzte sich zu ihr. „Lass mich deinen Arm ansehen!“, befahl er. Hanne zögerte. Irgendwie gehörte dieser Arm gar nicht mehr zu ihr. Es wunderte sie, dass er ihr noch gehorchte. Mit einem flehenden Blick auf Thram reichte sie ihm ihre Hand. Dann wandte sie den Kopf ab und würgte. Obwohl sie nicht wollte, hatte sie ihre Wunde gesehen. Sie sah grauenhaft aus. Ihr kam vor, als würden sich in den geschwollenen Rötungen bereits schwarze, abgestorbene Areale ausdehnen, aus denen sogar Haare wuchsen. „Ich werde dir jetzt etwas auftragen. Das
wird dir helfen.“ Thrams Stimme klang seltsam rau, doch Hanne achtete nicht weiter darauf. Sie spürte, wie der Jäger ein wenig an ihrem Arm zog und dann in eine seiner Taschen griff. Sie biss die Zähne fest in das Fleisch und presste die Augen zusammen. Auf keinen Fall wollte sie schreien oder anderweitig ihren Schmerz zeigen. Doch ihr Arm blieb ruhig. Was auch immer dieser Thram machte, es tat nichts an ihrer Wunde. Sie spürte plötzlich nur einen Stich in der Seite und ihr blieb die Luft weg. Verwundert riss sie die Augen auf und blickte zu Thram. Sein Gesicht war dem ihrem auf einmal so nah! Und sein Arm hielt sie fest an sich gedrückt. Sie konnte
sich nicht mehr rühren. Das Trockenfleisch fiel aus ihrer kraftlosen Hand. Da spürte sie, wie der Schmerz in ihr explodierte. Doch nicht in ihrem Arm. Genau in ihrer Seite, dort wo Thram ihr sein Messer mit einer schnellen Bewegung zwischen die Rippen tief in ihr Herz gestoßen hatte. Sie versuchte zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte. Doch es gelang ihr nicht mehr. Immer schwerer wurden ihre Gedanken, immer mehr nahm die Dunkelheit von ihr Besitz. Sie nahm noch wahr, wie der Jäger sie fest umfasst hielt, doch das war das Letzte, das sie mitbekam, bevor sie völlig in der Dunkelheit
versank. Thram hielt das Mädchen so lange an sich gedrückt, bis er spürte, wie ihr Körper erschlaffte. Der Blick, mit dem sie ihn angesehen hatte, hatte ihn zutiefst getroffen. Noch nie war ihm die Grausamkeit eines solchen Mordes mit so einer Deutlichkeit bewusst geworden, wie in diesem Moment. Mit einem Schrei riss Thram sein Messer aus Hannes Leib und rammte es in den Baumstamm. „Verfluchte Werwolfbrut!“, tobte er. „Das kannst du laut sagen!“ Thram fuhr herum. „Brigg!“, platzte es aus ihm heraus, als er den Silvesti-Krieger erkannte. Der Wind stand gegen ihn und er musste sich völlig lautlos
angeschlichen haben, sonst hätte Thram seine Annäherung bemerkt. „Genau eben dieser“, brummte der große Mann, der bedauernd auf Hanne hinabsah. Einige Strähnen seines leicht gewellten, hellbraunen Haares fielen ihm dabei ins Gesicht. „Ich habe diesen Teil unserer Arbeit noch nie leiden können. Aber normalerweise beißen die Werwölfe auch in die Schulter, oder den Hals und nicht in den Arm. Dann erreicht ihr Gift schneller das Gehirn. Das hier war wirklich schlimm.“ „Wie lange bist du schon hier?“, fragte Thram, der Briggs unbemerkte Annäherung immer noch nicht fassen konnte. Aber offenbar hatte er den
Krieger in vielen Dingen falsch beurteilt. Er hatte ihn für ein Großmaul gehalten. Ein sehr kampferprobtes Großmaul, wie alle Silvesti-Krieger, dennoch aber eben nicht mehr als das. „Lange genug, um zu sehen, wie du dich gewunden hast, sie zu töten“, antwortete Brigg. Gutmütig klopfte er Thram auf die Schulter, dessen Körper sich sofort anspannte. „Schon gut, jetzt krieg dich wieder ein. Es musste sein, aber ehrlich, ich hätte es nicht übers Herz gebracht. So ein hübsches, junges Ding. Was für ein Jammer!“ „Spar dir deine Worte!“, entgegnete Thram. Er hatte Brigg suchen wollen, das blieb ihm nun erspart, dennoch war er
ihm jetzt schon lästig. „Mach dich lieber nützlich.“ „Was denn?“, staunte Brigg und rückte seinen Lederharnisch zurecht. „Gar keine – ‚Hau ab, ich arbeite nur allein‘ – Sprüche mehr? Was ist passiert?“ Thram rollte mit den Augen. „Später“, grollte er. Im Moment wollte er nicht reden. Er musste erst mit diesem Mord fertig werden. Mürrisch stapfte er zu seinem Pferd, um seine Decke zu holen. Gemeinsam wickelten die beiden Männer den leblosen Körper des Mädchens darin ein. „Komm schon“, bohrte Brigg weiter, als sie den Leichnam auf das Pferd hoben. „Was führte dich zu diesem
Sinneswandel? Hmm …?“ Thram fuhr herum. „Ich sagte: später!“ Er bedauerte bereits seine Entscheidung, mit diesem Mann zumindest für eine kurze Zeit zusammenarbeiten zu wollen. Diese Frohnatur war einfach nicht zu ertragen! Thram wollte sich schon abwenden, doch dann besann er sich. „Eine deiner Behauptungen stimmte tatsächlich. Der ausgewachsene Werwolf war ein Wolfsmensch!“ Brigg setzte ein breites Grinsen auf. „Sag ich doch! Auf mich ist Verlass!“ Thrams Augenbrauen zogen sich finster zusammen. Doch Brigg ignorierte ihn. „Du wirst sehen, das wird nicht der einzige Wolfsmensch bleiben. Wir sollten
auch …“ Mit einer fließenden Bewegung zog Thram einen seiner Dolche und hielt ihn Brigg an die Kehle. „Kein Wort mehr“, knurrte er. Brigg hob entschuldigend die Hände und trat einen Schritt zurück. „Schon gut, schon gut!“, beschwichtigte er mit einem breiten Lächeln. „Das mit deinem Messerchen wird zwischen uns langsam zur Gewohnheit. Ich weiß, ich bin ein elendes Schandmaul. Aber ich schwöre dir, bis nach Rigad werde ich kein Wort mehr sagen. In Ordnung?“ Thram drehte sich um, schob seinen Dolch in die Haltevorrichtung der Armschiene zurück, packte Peck am Zügel und schritt voran. Er sah sich nicht
um, noch sagte er ein weiteres Wort. Brigg würde ihm so oder so folgen. Aus irgendeinem Grund wollte dieser Krieger nicht von seiner Seite weichen. Hauptsache, er hielt dabei seinen Mund. Mit einem Blick auf den Stand der Sonne schätzte Thram die Zeit ab. Bis nach Rigad würden sie es heute nicht mehr schaffen. Er würde also noch ein Nachtlager aufschlagen müssen, das er mit Brigg teilen musste. Doch seine Befürchtungen, was die Schwatzhaftigkeit seines Begleiters anging, erwiesen sich als haltlos. Brigg hielt sein Versprechen und sprach kein Wort mehr. Stattdessen kochte er seinen berühmten Tee, der Thram tatsächlich
wieder in eine bessere Stimmung versetzte. „Voss! VOSS!“ Der große blonde Mann rannte auf den nackten Toten zu und fiel vor ihm auf die Knie. „Nein!“ Voller Entsetzen strich er über den gebrochenen Nacken und die von gewaltigen Pranken aufgerissene Bauchwunde. Das Blut begann bereits zu trocknen. „Wieso? Wie konnte das nur geschehen, Voss? Niemand hat uns je besiegen können!“ Mit einem Fluch drückte er die Lieder über den offenen blauen Augen, die anklagend ins Nichts starrten, herab. Schließlich richtete er sich mit einem Ruck auf und blickte wild um sich. „Wer
immer das getan hat, wird dafür büßen!“ Ein Zittern durchlief den Körper des blonden Mannes und mit einem grauenhaften Heulen setzte die Verwandlung ein. Der große, helle Werwolf, der sich nun über die Leiche mit dem gebrochenen Genick und der klaffenden Bauchwunde beugte, heulte nochmals, dann verstummte er. Mit seinen klauenartigen Pranken wühlte er so lange den weichen Waldboden auf, bis ein großes Loch entstand, aus dem er mit einem Satz hochsprang. Dann schob er mit seinem mächtigen Schädel die Leiche des Mannes zum Loch und ließ ihn hineinfallen. Noch einmal heulte er und in seinen grauen Augen leuchtete blanke
Wut. Dann schaufelte er mit seinen Pranken die Erde über den Toten und trat sie fest. Seine grauen Wolfsaugen blitzten gefährlich, als er begann die Umgebung gründlich abzusuchen, bis er den Geruch des Mörders unauslöschlich in sich aufgenommen hatte.
EagleWriter Ich schätze ein "Herzlichen Glückwunsch" zur Veröffentlichung ist angebracht^^ lg E:W |
Terazuma Hi liebe Yuki! Vielen Dank für dein Favo! ^^ Und was die Verlage angeht - da habe ich noch keine Nachricht bekommen, doch das kann sich ja bis zu einem halben Jahr hinziehen und es sind erst zwei Monate vergangen.^^ Ehrlich gesagt rechne ich wirklich nicht damit, dass es etwas wird, dazu ist der Buchmarkt viel zu überschwemmt und wenn man nicht gerade ein Promi ist oder sonstwie spektakulär, dann hat man nur ausgesprochen geringe Chancen. Aber wer weiß.^^ LG Tera |
EagleWriter Huch nur noch eine Leseprobe ? ^^ lg E:W |
Terazuma Juhu Eagle! Jaaaa - ich habe es gewagt und die Story an Verlage geschickt. Ich rechne mir zwar kaum eine Chance aus, aber wenn man es nicht versucht, wird es nie etwas. Das Schlimmste was passieren kann ist, dass ich die Story in einem halben Jahr wieder komplett hochlade. XDDD LG Tera |
EagleWriter ^^ Ich bin jetzt gespaltener Meinung ob ich mich darüber freuen würde oder nicht :D lg E:W |
EagleWriter Nachdem ich momentan nochmal die komplette Geschichte Lese ( aus Mangel an neuem) ist mir doch eine wichtige Frage aufgefallen, auf die wir nie eine Antwort erhalten haben ^^ Warum frisst Eridan eigentlich so gerne Rickas ? :D Ansonstne hast du hier und da glaube noch mal etwas getüftelt , oder ? Besonders was die ersten paar Kapitel angeht sind mir ein paar Stellen aufgefallen die ich so gar nicht mehr im Kopf hatte. lg E:W |