Kapitel 111 Die Macht der Alten
Zachary war grade erst in das Anwesen zurückgekehrt, als ihm bereits einer von Andres Söldnern entgegenkam.
Zahlreiche Bedienstete waren immer noch dabei Asche und Ruß zusammenzukehren, die aus den erloschenen Kohlebecken und den verbrannten Balken gewirbelt worden war.
,, Herr,“ , setzte der Mann an, weshalb er ihn fast ignoriert hätte. Er konnte mit der Anrede nichts anfangen und war in Gedanken immer noch bei Eden. Sie würde es überstehen. Da war er sich
einfach sicher. Trotzdem wäre er am liebsten dort geblieben, aber das war natürlich unmöglich.
,, Was ist den los ?“ , fragte er schließlich, als er sich dem Soldaten zuwendete. Dass es überhaupt noch jemand wagte, ihn anzusprechen, nachdem er vor einigen Stunden in die Halle gestürmt war, begleitet von entfesselter Magie, wunderte ihn.
Er hatte keine Kontrolle darüber gehabt. Trotzdem tat es ihm in keiner Weise Leid. Dieser Mann hielt ihn hier genau so fest wie Andre, wenn vielleicht auch nur auf dessen Anweisung. Eine Entschuldigung war das nicht.
,, Verzeiht. Der Zauberer… Ismaiel,
möchte euch sehen.“
Zachary wurde hellhörig. Also war es so weit, dachte er bei sich. Das war es wohl, was Eden gefürchtet hatte. Er zögerte.
,, Weiß mein V… weiß Andre davon ?“ , fragte er. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Andre zulassen würde, dass er sich alleine mit dem Zauberer traf. Dazu traute wohl selbst er ihm zu wenig. Aber Zachary war auch klar, dass es keine Rolle spielte, ob Andre davon wusste oder nicht.
Die Wache antwortete nicht, was Zachary als Nein interpretierte. Der Mann wusste wohl nicht, vor wem er im Zweifelsfall mehr Angst haben sollte,
Ismaiel, weil er Andre etwas mitteilte, dass dieser nicht wissen sollte, oder Andre, weil er das genaue Gegenteil tat.
,, Also gut.“ War das ein Fehler? Vermutlich. Würde es ihn daran hindern, sich mit dem Zauberer zu treffen? Nein. Was immer Ismaiel wollte, Zachary würde es sich zumindest anhören. Er konnte es jederzeit ausschlagen. Ismaiel würde nicht wagen sich Andre zum Feind zu machen. Oder ? So oder so, die Entscheidung war gefallen. ,, Wo finde ich ihn?“
,, Als ich ihn das letzte Mal sah, war er auf dem Weg in die Katakomben.“ Der Soldat nickte in Richtung einer Treppe am hinteren Ende der Halle. Die
gewundenen Steinstufen führten scheinbar endlos in die Tiefe und das Gestein, auf welchem das Herrenhaus stand.
Zachary wusste, was sich in den Kellern des alten Anwesens befunden hatte, doch was seit dem Wiederaufbau daraus geworden war, wusste er nicht.
Trotzdem nickte er dem Mann nur kurz zu und machte sich dann auf den Weg die Stufen hinab. Schon nach wenigen Schritten in die Tiefe wurde es merklich kühler. Die Halle oben war durch Kohlefeuer und Kamine geheizt, doch hier unten gab es nur nackten, mit Moos bewachsenen Fels, der keine Wärme abgab. Am Ende der Treppe schließlich
führte ein leicht abschüssiger Gang weiter in die Tiefe. Ab und an waren Fackeln in die Wände eingelassen und sorgten für genug Licht, trotzdem machten Schmelzwasser und Moose den Boden tückisch.
Zachary wusste nicht, wie lange er einfach geradeaus ging, ohne etwas anderes zu entdecken, als Stein und das nächste Stück Korridor.
Dann jedoch sah er es. Ein Gitter, dessen schwere, eiserne Streben den Weg blockierten. In die Seite war eine Tür eingelassen. Zachary versuchte sie aufzuziehen. Selbst mit größter Anstrengung bewegte sich das Hindernis nur mühsam vorwärts und schleifte über
den Steinboden. Als er es jedoch etwa halb geöffnet hatte, war der Wiederstand plötzlich weg und er stolperte halb auf den Absatz einer weiteren, grob aus dem Felsen gehauenen Treppe hinaus.
Vor ihm lag eine gewaltige Grotte, deren Decke von mehreren Granitsäulen getragen wurde. Blaues Feuer, dessen magischen Ursprung er bis zu sich spüren konnte brannte in mehreren Becken, die aus dem Gestein der Säulen herausgeschlagen worden waren.
,, Hallo ?“ Seine Stimme hallte unheimlich von den in der Dunkelheit verborgenen Wänden der Höhle wieder. Zachary wusste, dass es dumm war, Angst zu haben, trotzdem bereute er auf
einmal, sich so leichtfertig hierauf eingelassen zu haben. Götter, er hätte warten sollen, bis er noch einmal mit Eden sprechen konnte…
Langsam um nicht doch noch zu stolpern stieg er die zweite Treppe bis zum Boden der Höhle hinab. Sein Schatten wurde dabei vom Licht der unsteten Feuer verzerrt und begleitete ihn als riesenhafte Erscheinung. Dunkelheit inmitten von Finsternis. Auf den ersten Blick schien niemand hier zu sein. Dann jedoch viel Zacharys Blick auf die von Säulen flankierte Mitte des Raumes. Dort, etwas über den unebenen Höhlenboden erhoben, befand sich eine Fläche aus Marmorplatten in den
unterschiedlichsten Formen. Geometrische Muster, die er nicht einmal benennen konnte fügten sich zu einem Gewirr aus Linien zusammen, das ganz offenbar mit reinem Gold ausgegossen worden war.
In den unterschiedlichsten Winkeln, sich manchmal zu Bündeln sammelnd und manchmal einzeln, liefen alle Goldadern auf die Mitte der Marmorfläche zu, wo sie im Sockel einer großen Kristallschale verschwanden. Dieser bestand, im Kontrast zum hellen, im Licht der Feuer bläulichen Glanz der Schale aus dunklem Granit.
Zachary war, als müsste er die allgegenwärtige Magie an diesem Ort aus
der Luft greifen können. Und in diesem Fall kam sie nicht nur von der Gestalt, die regungslos neben der Schale stand. Man hätte meinen können, Ismaiel bestünde aus demselben Material wie die Schale und die Steine. Zachary war sich einen Moment nicht einmal sicher, ob er Atmete.
Dafür jedoch brodelte der Inhalt der Schale geradezu. Quecksilberne Flüssigkeit stieg auf, warf Wellen, die über den Rand des Gefäßes zu Schappen drohten, nur um dann doch vorher zu stoppen und zurückzusinken, fast wie ein lebendiges Wesen. Eine Schlange, die sich zum Angriff bereit machte und dann doch wieder zurück
schreckte.
,, Ihr wolltet mich sprechen ?“
Ismaiel regte sich. Gleichzeitig beruhigte sich das aufgewühlte Quecksilber und formte eine ruhige, vollkommen Ebene Fläche innerhalb der Schale. Zachary stellte fasziniert fest, das sich zwar der Raum, aber weder er noch Ismaiel darin spiegelten.
Selbst wenn er keinerlei Begabung dafür besessen hätte, spätestens jetzt wüsste er, das er es mit Magie zu tun hatte. Und was für eine… Zachary hatte keine Ahnung, welchem Zweck dieser Raum diente, aber er beunruhigte ihn zutiefst.
,, Dein Vater weiß nicht, das du hier bist ?“ Ismaiel schien endlich völlig aus
seiner Trance aufgetaucht zu sein.
,, Nein.“ , antwortete er. ,, Wie ihr wohl wisst.“
Der Zauberer nickte, als hätte er genau diese Antwort auch erwartet. ,, Andre ist Schwach.“ , stellte er trocken fest. ,, Er ist klug wenn er will, aber ihm fehlt es an der nötigen Selbstbeherrschung. Wie dir, möchte ich hinzufügen. Nur das du über weit mehr angeborene Macht verfügst, als dein Vater je hoffen könnte zu besitzen. Ungelenk und ungestüm, ja. Aber mächtig.“
,,Und doch habt ihr einmal befürchtet, ich könnte euch töten.“ , stellte Zachary fest. ,, So sehr, das ihr unbedingt einen Kampf vermeiden wolltet. Was ist daraus
geworden?“
Zachary wusste nach wie vor nicht, was hier gespielt wurde, aber er war entschlossen, es möglichst bald herauszufinden.
,, Ich wollte nicht gegen die kämpfen, weil du Lebendiger wertvoller bist. Und doch bist du von deinem wahren Potential so weit entfernt, wie ich und Andre davon, echte Verbündete zu sein.“
,, Ihr habt ihn erst so weit gebracht.“
Der Zauberer schüttelte den Kopf und Schritt um das Quecksilberbecken herum.
,, Er ist für mich Mittel zum Zweck. Aber sein Krieg interessiert mich nur insofern, als das er meine Ziele
nährt.“
Ismaiel machte eine Handbewegung über der silbrigen Flüssigkeit, die sich daraufhin wie flüssiges Wachs verformte. Bizarre Formen und Figuren stiegen aus der Oberfläche auf und sanken mit einem Geräusch, das beinahe wie ein Seufzten klang wieder zurück.
,, Was ist das ?“ , wollte Zachary wissen und trat einen Schritt näher, jedoch nach wie vor darauf bedacht, einen gewissen Abstand einzuhalten. Und irgendetwas hielt ihn davon ab, auf eine der vergoldeten Linien zu seinen Füßen zu treten.
,, Man könnte es ein Portal nennen. Eine Stelle, an der sich Tot und Leben
überschneiden. Sag mir, was siehst du darin ?“
,, Nur diese Höhle. Abgesehen davon, dass man uns nicht darin sieht, meine ich. Das heißt… was ich sehe ist gar kein Spiegelbild?“
,, In gewisser Weise ist es beides. Ein Spiegelbild und doch auch ein teilweiser Einblick in das was… dahinter liegt. Deshalb kann man sich selbst nie darin sehen. Das würde immerhin bedeuten, man wäre tot. Ob es auf der anderen Seite jedoch wirklich so aussieht wie hier… Ich glaube mittlerweile, was man dort drin sieht, hängt immer ein wenig von der Person ab. Das Totenreich ist unendlich und hat viele mögliche
Facetten.“
,, Und was seht ihr dann ?“
Ismaiel antwortete nicht, aber der Zauberer schien einen Moment in die Ferne zu Blicken.
,, Zu viel. Komm näher und sieh selbst.“
Zachary traute der Sache nicht. Trotzdem merkte er, wie er beinahe ohne es zu wollen einen Schritt nach vorne machte und dann noch einen, bis er direkt vor dem Becken stand. Das Quecksilber hatte sich inzwischen wieder beruhigt und bildete eine glatte Fläche, in der sich nach wie vor alles außer ihm selbst spiegelte.
Irgendwie zogen ihn die Lichtreflektionen auf der silbrigen
Oberfläche in ihren Bann. Als müsste er nur die Hand ausstrecken und durch den flüssigen Spiegel hindurchgreifen um… Ja um was eigentlich zu tun ?
Etwas zu suchen, oder zu holen vielleicht. Etwas, das in seinem Inneren flüsterte, im Zentrum seines Geistes, wo auch die Magie saß. Eine Stimme, obwohl unverständlich leise, der er sich nicht entziehen konnte. Und mit der Stimme kam ein seltsames Verständnis. Ein Gedanke und das Quecksilber nahm neue Formen an, unterwarf sich seinem Willen…
Es wäre so einfach, die Grenze dort vor sich einzureißen, ja es war geradezu intuitiv simpel. Und doch war nie
jemand darauf gekommen, warum? Zachary hob eine Hand und Flammen sammelten sich auf seinen Fingerspitzen.
Er kannte diese Macht, obwohl er nicht wusste, woher sie kam. Es war die gleiche Energie wie auch in der Träne. Unbändige Magie, der nur eine Form gegeben werden musste.
Und die leise Stimme in seinem Verstand wusste wie…
,,Genug !“
Jemand riss ihm vom Becken zurück, weg von der Stimme. Macht und Wissen waren auf einen Schlag zu Nichte, ersetzt durch eine beinahe erschreckende leere und Schwäche. Götter, was sie Magie nannten, es war erbärmlich im
Vergleich zu dem, was das Ding hinter der Spiegelung wusste.
Eine Weile stand Zachary wie erstarrt da, darum kämpfend, die Kontrolle zurück zu gewinnen. Er war immer noch er. Beinahe hätte ihn dieses Etwas so weit gehabt, das er es bereitwillig angenommen hätte. Und dann ? Er schüttelte die grenzenlose Verachtung ab, die nicht die seine war. Die wirren, von Jahrhunderten im Nichts chaotisch gewordenen Gedanken.
Ismaiel musterte ihn neugierig und scheinbar selber überrascht.
,, Das war schon mehr, als jeder Mensch ertragen sollte.“ , stellte er ruhig fest. ,, Du bist mehr wie ich, als alle Zauberer
die mir bisher untergekommen sind. Wir könnten sie befreien, Zachary. Wenn du mit mir zusammen arbeiten würdest… Du könntest der Schlüssel zur Rettung meines Volkes sein. Das, was ich schon so lange suche. Aber ich kann dich weder töten, noch dazu zwingen.“
Zachary hielt inne. In seinem Kopf schrillte eine ferne Alarmglocke. Genau das wollte er. Eden befreien. Und diese entsetzliche Schwäche wieder loswerden, die ihm grade offenbar geworden war. Es war, als hätte jemand eine Augenbinde abgenommen, von der er gar nicht wusste, das er sie getragen hatte. Aber der Preis dafür… Er hatte ein Versprechen gegeben. Eines, das ihm
seltsam unbedeutend vorkam.
,, Wenn ich dir dein volles Potential eröffne…“ Ismaiel ergriff seine Hand und erneut war da dieser fremde Strom aus Wissen und Macht, in den er nur eintauchen, aus dem er nur Schöpfen müsste, was er brauchte, wenn er es den wagte. ,, Dir den Pfad zeige…was würdest du damit tun ?“
Zachary sah auf und sein Blick traf die gelblichen, alterslosen Augen des Magiers. Er kannte die Antwort, die er geben musste. Und er fand, dass es ihm gleichzeitig unmöglich war zu Lügen.
,, Ich weiß es nicht sicher.“ , antwortete er. ,, Aber ich schätze ich würde euch
vernichten.“
Er sah nicht weg, sah weiter in die Augen des Wesens, das so viel Zerstörung über diese Welt gebracht hatte, das ihm und Eden wenn auch in Andres Auftrag so viel Leid zugefügt hatte. Es gab nichts, das Ismaiel ihm noch bieten konnte, das das wieder gut machen könnte.
Der Zauberer ließ seine Hand los, als hätte er sich verbrannt und tatsächlich trat ein schmerzverzerrter Ausdruck auf sein Gesicht.
,, Geh…“ Er deutete zur Treppe, die aus der Höhle führte, während er sich mit der anderen Hand an einer der Säulen abstützte. ,, Verschwinde von
hier…“