Titel
„Sohn, da musst du selber durch. Natürlich würde ich dir gern dabei helfen. Aber das kann keiner. Das einzige, was ich machen kann, ist dich abzulenken. Ich kenne den ganzen Liebesschmerz. Hab ihn hundertfach durch. Mal stärker, mal schwächer. Je nachdem, wie sehr ich die Frau geliebt habe. Tu dir selbst den Gefallen und lass die Finger vom Alkohol. Sieh mich an. So siehst du aus, wenn du jedes mal zur Flasche greifst. Ja, ich war oft verliebt und wurde schnell wieder fallen gelassen. Jedes mal tat es weh. Und immer wieder verkroch ich mich dann im
Suff. Versuchte, den Schmerz in Alkohol zu ertränken. Was natürlich nicht klappte. - Eher das Gegenteil passierte. Ich heulte mir die Augen aus, wie ein Mädchen. Und je nachdem, wie sehr ich sie geliebt hatte, flossen die Tränen mal mehr und mal weniger.
Lass heute den Fernseher kalt. Du wirst sonst nur daran erinnert und das macht es schlimmer. Ich würde vorschlagen, das wir einen Dauerlauf machen. Danach wirst dich ein wenig besser fühlen. - Hätte ich damals auch machen sollen, anstatt...“
Wir zogen uns unsere Sportsachen an und dann liefen wir eine halbe Ewigkeit. Unterhielten uns über Belangloses. Ich
versuchte, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Was sehr schwierig war. Mein armer Sohn. Dabei hatte es so gut ausgesehen. Doch dann machte sie aus heiterem Himmel Schluss. Kurz darauf sah er sie mit einem anderen. Harter Tobak. Er tat mir richtig leid.
Meine Pflicht ist es, ihn davon abzuhalten, das er sich begießt. Es brachte nichts. Half nichts. Trotz des Wissens, tat ich es immer und immer wieder. Trocken zu bleiben, gelingt mir nur für wenige Wochen. Ich wollte nicht, das mein Sohn auch Alkoholiker wird. Es ist kein schönes Leben, wenn die Hände zittern. Wenn man an fast nichts anderes, als an Alkohol denken
kann. Das wollte ich meinem Sohn ersparen. Der Preis dafür, war mir egal. Mein Leben hatte ich dadurch kaputt gemacht. Bei mir war es zu spät, was zu ändern. Aber bei ihm nicht. So weit mir bekannt war, hatte er noch nie Alkohol getrunken. Kein Wunder, bei dem Vorbild. Ich konnte nur hoffen, das es so blieb.
Wir liefen zweimal täglich. Nach der Berufsschule und nach dem Abendessen. Hinterher war ich immer völlig fertig. Konnte mich kaum noch bewegen. Deshalb sank auch mein Alkoholkonsum. Manchmal fragte ich mich, ob wir seinetwegen liefen, damit er seine Freundin vergisst, oder
meinetwegen, damit ich nicht so viel trinke.
Ich hatte nicht gemerkt, wie es ins Blut überging. Wenn mein Sohn durch die Tür kam, stand ich auf, zog meine Trainingssachen an und wir liefen ein paar Kilometer. Genauso war es am Abend. Kaum hatten wir den letzten Bissen heruntergeschluckt und den Abwasch ins Spülbecken gegeben, liefen wir los. Die Veränderungen bekam ich nicht mit. Ich trank immer noch mein Bier. Aber nicht mehr so viel.
Doch dann kam der Abschied. Es fiel mir gar nicht leicht, meinen Sohn gehen zu lassen. Aber halten, konnte ich ihn auch nicht mehr. Er hatte ein Alter
erreicht, bei dem man nicht mehr bei seinen Eltern wohnen will. Ich verstand es. Trotzdem blutete mir das Herz. Wollte nicht wahrhaben, das ich fortan wieder alleine leben musste. Ohne Gesellschaft. Das machte mich zu schaffen und ich fing wieder an zu trinken.