Bisher stand die bevorstehende Hochzeit meiner Tochter unter keinem guten Stern.
Ich war wie vom Donner gerührt, als sie mir vor drei Wochen am Telefon eröffnete: „Christopher hat mir einen Antrag gemacht und wir heiraten Ende August.“
Ende August. Das ist nicht mal mehr ein dreiviertel Jahr. Wie hat sie sich das nur vorgestellt? Christophers Verwandtschaft besteht nur aus Eltern und Schwester mit Anhang. Sie wohnen alle in der Nähe, wo die Hochzeit stattfinden soll. Unsere Verwandtschaft muss sehen, wie sie dahin kommt, wo sie übernachten kann und und und …
Tausend Fragen schwirrten in meinem Kopf herum und von Freude über die Neuigkeit
konnte keine Rede sein.
„Ach Mama ... und in drei Wochen habe ich einen Termin im Brautmodesalon. Willst du mitkommen, ein Brautkleid aussuchen? Ich habe schon Chris und Anke gefragt, ob sie mitkommen wollen.“
Typisch mein Kind. In drei Wochen. Also kurzfristig entscheiden und Fahrkarten bestellen oder warten bis es so weit ist und ein Vermögen für die selbigen ausgeben. Morgens hin, abends zurück. Sechs Stunden auf der Bahn. Aber ihre Freundinnen wissen schon Bescheid und sind dabei. Ich konnte mir nicht mal mehr ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Als dann noch alle anderen Familienmitglieder ihren Unmut über die Pläne der Großen bekundeten, war mein Tag
gelaufen.
Andererseits, es ist ihre Hochzeit, ihre Planung. Ich sollte mich da raus halten und abwartend zurücklehnen. Soll sie doch zusehen, wie wir alle in ihr kleines Nest im Nirgendwo kommen, wo wir alle übernachten können, ob sich Oma mit Opa und seiner Frau verträgt. Immerhin ist die Hochzeit nicht auf die Familienmitglieder ausgerichtet. Diese sind eher notwendiges Beiwerk für eine Feier mit Freunden, Bekannte und Arbeitskollegen.
Nun sitze ich im Zug nach Hause. Aus meinem MP3-Player werde ich mit leiser Musik berieselt. Ich lasse die letzten drei Wochen Revue passieren. Insbesondere den heutigen Tag.
Den Tag der Brautkleideranprobe.
Früh morgens bin ich mit dem Zug nach Stadthagen gefahren, um Svenja tatkräftig bei der Auswahl ihres Hochzeitskleides zu unterstützen. Sie und ihre beiden Freundinnen holten mich vom Bahnhof ab und wir genehmigten uns in einem kleinen gemütlichen Café ein ausgiebiges Frühstück. Schließlich wollten wir ja nicht aus den Schuhen kippen, sei es, weil sich so eine Anprobe über Stunden hinziehen konnte oder weil uns die Preise einfach erschlugen.
Es war eine angenehme Atmosphäre in Modesalon. Svenja hatte sich schon akribisch informiert und vorbereitet. Sie wusste genau, was sie wollte und was nicht.
Gemeinsam mit der Beraterin suchte sie dann diverse Kleider aus, während wir, die Jury gespannt auf die Braut in spe warteten.
Wir machten uns derweil schon Mal Gedanken über Strümpfe, Unterwäsche inklusive Strumpfband, Schuhe und nicht zuletzt den Kopfschmuck.
… und dann ging der Vorhang auf und vor uns stand … ein Nilpferd im Tütü. Wir mussten alle lachen und kopfschüttelnd verschwand meine Tochter wieder in der Umkleidekabine. Dieses Kleid ging aber auch überhaupt nicht. So dick war mein Kind nicht. Ja, Kleider machen Leute oder eben auch nicht. Ein Rascheln und Raunen hinter dem Vorhang.
Gespannt warteten wir auf das nächste Kleid.
Ein Traum aus Spitze mir einem Stehkragen. Es sah doll aus, war aber noch nicht das Nonplusultra.
Diese Anprobe grenzte beinahe an Schwerstarbeit. Nicht für uns, die immer nur ja und nein sagen mussten, sondern für Svenja, die ein Kleid nach dem anderen anzog, vorführte, wieder auszog. Dabei war sie nicht in der Lage, diese Aufgabe allein zu stemmen. Ohne die Beraterin wäre sie wahrscheinlich in nicht ein Kleid hineingekommen. Bestanden diese doch aus Unmengen an Unterröcken aus Tüll, Seide und … ich weiß es nicht.
Ich habe so eine Anprobe noch nie mitgemacht und von Kleid zu Kleid wurde ich aufgeregter. Mein Hochzeitsoutfit bestand aus
einem selbstgeschneiderten Kostüm, einfach und unauffällig. Doch hier bei all den Prinzessinnenkleidern … das war schon beeindruckend.
Obwohl Christopher und Svenja nur eine „einfache“ Hochzeit geplant hatten und das Kleid eher schlicht sein sollte, ein gewisser Pfiff war doch angesagt.
Der Vorhang ging auf und dann erschien mein Kind, meine Tochter, mit einem Grinsen im Gesicht, als wolle sie die ganze Welt umarmen. Ihre Freundinnen rannten ihr entgegen und „oh und ah“ und entzücktes Quieken. Ein jeder drückte eine Träne aus den Augen und ich ... ich stand nur da, hatte einen Kloß im Hals und betrachtete versonnen meine Svenja, meine kleine
Tochter, wie sie da so stand und ich musste daran denken...
… nun könnte das Kind ja langsam mal kommen. Wie lange liegt die Frau schon in den Wehen?“
Mehrere Schwestern machten sich in dem, durch Raumteiler abgetrennten Raum zu schaffen.
„Seit beinahe 14 Stunden. Der Wehentropf ist bis zum Anschlag offen und auch der Wehenschreiber registriert starke Kontraktionen. Aber es tut sich nichts. Der Gebärmuttermund geht nicht auf.“
„Meinst du, wir können die Studenten kurz hier durchführen, damit sie sich ein Bild
machen können?“
„Sicher doch. Es wird sicherlich noch dauern. Die Fruchtblase ist auch noch intakt.“
Mir war das Gerede der Schwestern schon einerlei. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ich war allein, hatte starke Schmerzen, Durst …
Hin und wieder stöhnte oder schrie eine Gebärende in der Kabine neben mir, bekam ihr Kind … Aber du willst einfach nicht raus. Resigniert beobachtete ich die vielleicht 10 Studenten, die neugierig ihre Köpfe über mein Bett hingen und dann geschah es. Die Fruchtblase platzte und grünes Wasser plätscherte auf den Boden. Sofort gerieten alle in helle Aufregung. Die Studenten verschwanden und die Schwestern scharrten
sich um mich. Dem Baby wurde eine Sonde angehängt, die die Herztöne messen sollte und wieder wurde der Wehenschreiber ausgewertet. Schätzchen, deine Herztöne waren nicht in Ordnung und so wurde ich nach nunmehr 17 Stunden im Kreißsaal in den OP gefahren, auf den OP-Tisch gehievt, mit Zugangsnadeln gespickt und über allem die grellen Scheinwerfer der OP-Lampen. Mir war alles recht, wenn nur bald ein Ende abzusehen war. …
„Frau Enslein! Hallo! Machen Sie mal die Augen auf! Ja so und nicht nicht wieder zu machen! Atmen Sie.“
Oh das war leichter gesagt als getan, denn noch immer steckte der Beatmungsschlauch in meinem Hals. Ein Hustenanfall. Dem folgten
sofort Schmerzen im Unterleib.
Dann wieder Ruhe. Schlafen.
Als ich das nächste Mal aufwachte, lag ich im Überwachungszimmer der Entbindungsstation. In meiner blau angelaufenen Hand steckte eine Infusionsnadel, nebst Schlauch und Infusion. Aus den umstehenden Betten schauten mich erwartungsvoll drei Augenpaare an.
Die Tür ging auf und eine Schwester erschien.
„Na da sind wir ja endlich wieder Frau Enslein. Sie haben eine hübsche kleine Tochter. Ihr Mann meinte, sie solle Svenja heißen. Allerdings müssen wir ihnen mitteilen, dass die Kleine gleich auf die Intensivstation der Kinderklinik verlegt werden musste. Sie
hat Schwierigkeiten, ihre Atmung allein zu koordinieren.“
Sie muss wohl mein verdattertes Gesicht gesehen haben, denn sofort fügte sie hinzu: „Sie schreit sehr viel. Verschluckt sich und hört dann auf zu atmen. Aber keine Sorge. Wir bekommen das hin. Sobald die Kleine dann wieder in der Lage ist, kommt sie wieder auf unsere Station zurück.“
Na prima.
Kaiserschnitt. Später erfuhr ich, dass sich die Nabelschnur bei dem Wassersturz um deinen kleinen Hals gelegt hatte.
Also, du warst nicht da. Jeden Tag für dich die Milch abpumpen. Zuschauen, wie andere Mütter ihre Kinder stillen konnten. Auf keinen Fall in Depressionen verfallen.
So zogen die Tage dahin.
Ich wurde in ein normales Zimmer verlegt und wartete.
„Frau Enslein. Möchten Sie ihr Baby denn nicht zum Stillen abholen?“
Ich dachte ich höre nicht richtig. Alle Mütter hatten ihren Nachwuchs zum Füttern abgeholt. Niemand hatte auch nur mit einem Wort erwähnt, dass du draußen auf dem „Babywagen“ lagst und auf mich gewartet hattest. Ganz aufgeregt und mit zitternden Beinen ging ich hinaus. Hatte ich dich doch bisher nur auf einem Foto gesehen.
Da war der Wagen. Darauf lag ein in ein Babytuch eingewickeltes kleines Bündel.
Ich hätte heulen können vor Freude.
Du hast mich mit deinen großen Augen
erwartungsvoll angeschaut, als wolltest du sagen: „Na kommst du nun endlich? Ich habe Knast. Warten lassen ist nicht. Nur mal so für die Zukunft.“
Das war vor beinahe dreißig Jahren und ...
„Mama! Hallo! Tochter an Mutter! Bist du noch da?“
Erschrocken blickte ich auf und sah vor mir meine entzückende Tochter in ihrem Traumkleid stehen. Sie war und ist ein kleines Wunder. Sie hat damals an mein Herz gerührt und heute ...
Ein kleine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel. Ich war so stolz auf sie.
„Ja. Ich bin ja noch da. Du siehst wundervoll aus. Das ist es, das Kleid der Träume. Du wirst eine wunder... wunderschöne Braut sein. Komm her. Lass dich umarmen.“
Um nichts in der Welt hätte ich diesen Augenblick missen wollen. Was kann schöner sein, als sein Kind überglücklich zu sehen.
Ja. Nun sitze ich wieder im Zug. Fahre nach Hause. Aus meinem MP3-Player rieselt leise Musik und ich grinse ein wenig wehmütig aber glücklich vor mich hin.
© A.B.Schuetze 02/2015