Ravioli Deluxe
Viele Frauen stöhnen auf,
bei dem Gedanken für Stunden in der Küche zu verschwinden, um die nächste Mahlzeit für die Familie zu bereiten.
Ich stöhne ebenfalls auf, doch nicht (!)
wie die meisten Mitstreiterinnen …
In freudiger Erwartung betrete ich die Küche. Auf dem MP3-Player suche ich mir den passenden Ordner.
Die ersten Tangoklänge winden sich in meinen Gehörgang. Das Akkordeon beginnt mit seinem wehmütigen Intro.
Ich räume den Tisch leer. Greife in den Besteckkasten und hole einen Korkenzieher hervor. Behände drehe ich ihn in den Kork. Ein leises Knirschen.
Mit einem wohligen Plopp hat sich der Verschluss aus dem Flaschenhals gewunden und schenkt mir einen ersten Eindruck des Weinaromas.
Hmmmm …
Mit geschlossenen Augen ziehe ich seinen Duft ein und nippe direkt an der Flasche. Ein kleines Weilchen behalte ich den guten Tropfen in meinem Mund, ehe ich ihn die Kehle hinab laufen lasse. Einen Stuhl an den Schrank geschoben, lange ich nach dem stattlichen Weinkelch. Gluckernd fließt der blutrote Hirnrindenschmeichler hinein. Ich halte ihn gegen das Licht. Wunderbar. Er hat eine gute Farbe: ein fruchtiges Rot. Ich bin äußerst zufrieden und stelle mein Glas an den Rand des Tisches. Ein Schälchen mit leicht temperiertem Wasser setze ich direkt daneben ab.
Mit einem feuchten Tuch reibe ich kräftig über den Tisch, ehe das weiche
weiße Mehl einen Hügel darauf bildet. Vorsichtig drücke ich eine kleine Mulde hinein und trinke erstmal einen Schluck. Es folgen die Eier. Zwei Eigelbe sollen es heute sein. Und noch einen Schluck für mich. Aus meinen Fingern rieselt eine Portion raues Salz auf das zarte, geradezu samtige Mehl.
Musik und Wein heben meine Stimmung. Unter kreisenden Hüften wird mir warm und ich entledige mich der langen Ärmel und dem dazugehörigen Drumherum. Übrig bleibt mein rotes seidenes Unterkleid. Befreit schwinge ich zum Takt und versenke meine Hände in Mehl und Eigelben. Ich gebe ein wenig
flüssiges Gold hinzu. Je wertvoller das Olivenöl, desto besser wird am Ende die Nudel. Nur nicht zu viel davon! Weniger ist oftmals mehr. Die Finger ins Wasser gestippt, sprenkele ich etwas von dem Nass über das Ganze und das Kneten kann beginnen.
Hierzu braucht es vollen Körpereinsatz. Sobald der Teig eine homogene Masse ergibt, wird er etwas zäh. Nun braucht es viel Gefühl, um das Gleichgewicht von Feuchtigkeit und Festigkeit zu erreichen. Immer wieder gebe ich Wasser dazu. Beim Kneten lasse ich mir Zeit. Die Nudel dankt es einem, das hat mir die Erfahrung gezeigt.
Ich spüre, wie durch die körperliche Anstrengung die Hitze in mir aufsteigt. Der ausgiebige Schluck vom Roten tut seine Wirkung, und sachte bilden sich kleine Salzperlchen auf Stirn und Oberlippe. Der Rhythmus des Tangos und das Temperament des Sängers helfen mir die Masse kraftvoll zu bearbeiten. So wie mein Körper wird auch der Teig immer geschmeidiger. Langsam beginnt die rote Seide an meinem Rücken zu haften. Und langsam lässt sich auch der Nudelteig wunderbar langziehen und wieder zusammenlegen. Immerfort wiederhole ich diese Prozedur. Ganz sachte bahnt sich ein kleiner Tropfen seinen Weg meinen Rücken hinab.
Mein Körper, so heiß wie die Musik in meinen Ohren, so geschmeidig wie der Teig in meinen Händen. Noch ein bisschen und ich forme eine Kugel, die ich in Zellophan einwickele. Nun darf der Teig ausruhen.
Ich hingegen klemme mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und trinke von dem Roten. Von der Anstrengung spüre ich einen leichten Druck in meiner Nackenmuskulatur. Ich rolle den Kopf von links nach rechts und wieder zurück, kreise ein wenig mit den Schultern. Die Bewegung tut gut und ich lege meinen rechten Fuß auf die Arbeitsfläche.
Das bereitgelegte Nudelholz nimmt
bedrohlich an Schwung auf, doch ich kann das Unheil gerade noch abwenden. Nun greife ich zuerst nach dem besagten rechten Fuß und ziehe kräftig die Zehen zu mir heran. Dann schwinge ich zu dem Linken und wiederhole. Solche kleinen Übungen verleihen meinem Körper eine unglaubliche Elastizität, die ich auf keinen Fall missen möchte. Noch einmal nach dem Weinkelch gegriffen und schon widme ich mich voll und ganz der Füllung.
Die Frühlingszwiebeln sehr fein geschnitten, röste ich sie in heißem Olivenöl. Sofort ist die Küche vom Duft erfüllt. Frischer Spinat und eine gute
Portion pflückfrische Basilikumblätter gebe ich dazu und rühre kräftig um. Sie komplettieren den herrlichen Duft-Potpourri. Salz, Pfeffer Parmesan und - - - natürlich Ricotta! Das wird kurz miteinander vermengt und von der heißen Platte gezogen. Mit einer Spur Muskatnuss abrunden und dann kosten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellt sich eine tiefe Zufriedenheit ein.
Alles gelingt.
Ein Glücksmoment – nicht von dieser Welt – fährt mir durch Mark und …
Die Beine ein wenig weich von einigen edlen Tropfen, heißen Rhythmen und dem Genuss von zartschmelzender Ricotta. Das ist genau der richtige
Zeitpunkt, um kurz Platz zu nehmen, noch einige Löffel von der Spinatmasse zu kosten und einen guten Schluck vom geliebten Roten zu sich zu nehmen.
In dem sachte kreisenden Raum bemehle ich leicht das Nudelholz, rolle damit nun über den ausgeruhten Nudelteig. Dieser möchte sich am liebsten immer wieder zusammenziehen. Doch ich zeige mich unnachgiebig. Nach kurzer Zeit beginnen die kleinen Tröpfchen auf meinem Rücken sich erneut ihren Weg zu suchen. Sobald ich eine Teigstärke von zwei bis drei Millimetern erreicht habe, greife ich nach einem Wasserglas und steche damit kreisrunde Teigplatten aus.
Diese befülle ich mit der Ricotta-Spinatmasse. Ein wenig für mich, ein wenig für die Nudel. Einen Schluck … damit es noch besser rutscht.
Eine elegante Drehung vor der Arbeitsfläche – passend zur Musik! Versteht sich!
Bei aller Hingabe – die Nudelplatten nicht zu voll füllen! Sonst öffnen sie sich vielleicht später im Wasser. Sinnlich streiche ich mit dem angefeuchteten Finger über den Rand der Nudel und klappe den Deckel um. Kurz drücke ich die Schichten fest aufeinander und dann darf sie platznehmen, auf dem leicht mit Mehl bestäubten großen Brett.
Nach und nach reihen sich immer mehr fertige Nudeln schnurgerade aneinander, denn Ordnung muss sein. Sonst beginnen sie noch aneinander zu haften! Das wäre gar nicht in meinem Sinne. Miteinander herumtollen dürfen sie später im kochenden Wasser.
Während das Wasser für die Nudeln auf dem Herd langsam zu köcheln beginnt, schneide ich die Tomaten. Reif, rot und aromatisch sollten sie sein. Diese werden nur kurz in Butter geschwenkt etwas Salz und viel frisches Basilikum gehören dazu. Und schon ist der Grund fertig, auf der die Nudelköstlichkeit zu späterem Zeitpunkt platznehmen darf.
Sollte noch etwas in der Flasche sein, opfere ich gern einen kleinen Spritzer von meinem Roten und gebe ihn zu den Tomaten. Doch Hand aufs Herz! Die Chancen stehen schlecht. Doch ich habe zum Glück immer eine zweite Flasche griffbereit.
Inzwischen kocht das Wasser. Ich streue etwas Salz hinein und nun setze ich schön vorsichtig die Nudeln in das heiße Nass. Achtung! Diese sind recht schnell fertiggegart.
Es ist nun an der Zeit, sich wieder in die Ärmel und das Drumherum hineinzupellen und vielleicht noch
einmal abschließend an dem Wein zu nippen.
Die Tomaten richte ich auf den Tellern an und setze die Nudeln darauf. Vielleicht noch ein wenig Olivenöl darüber, das ein oder andere gepflückte Basilikumblatt und frisch gehobelten Parmesan.
Inzwischen sollten alle Esser am Tisch sitzen, denn die Nudeln mögen keine Wartezeit!
Beeindruckend schnell wird dieses Gericht unter „Aaahhhs“ und „Ooohhhs“ und natürlich auch
„Hmmms“ verspeist, doch die Lobeshymnen klingen sehr lange nach. Wie auch der leichte Nebel in meinem Kopf …
Versprochen!