Kapitel 108 Fluchtversuch
Den Plan zu fliehen zu fassen war einfach, ihn auch umzusetzen freilich etwas ganz anderes. Eden wusste durchaus, was sie zu tun hatte, aber ohne Verbündete und ohne eine gute Gelegenheit würde es bei dem Wissen bleiben. Die anderen Sklaven dazu zu bewegen, ihr zu helfen hatte sie nach der ersten Woche bereits aufgegeben. Die meisten hatten zu viel Angst vor den Aufsehern um auch nur mit ihr zu reden und selbst die, mit denen sie ein paar Worte wechselten erklärten sie für verrückt, wenn sie von Flucht anfing.
Sie würde lediglich alle ertränkt werden. Ein Problem, über das Eden auch schon nachgegrübelt hatte. Man müsste die Becken in der oberen Mine irgendwie kurz vor einem Aufstand leeren, dann stünden ihnen zumindest nur noch die Aufseher und die Soldaten im Weg. An denen vorbei zu kommen würde schon schwer genug werden.
Aber es waren ohnehin alles nur fixe Ideen, ohne eine Möglichkeit, sie auch umzusetzen. dachte Eden, als sie erneut mit der Hacke auf den unnachgiebigen Fels schlug.
Zachary war seit jenem Tag, an dem sie erfahren hatte, das sie als Andres Pfand diente nicht mehr hier
aufgetaucht.
Vermutlich hielt Andre ihn schlicht davon ab. Der Gedanke, das Zachary sich jetzt jeden Tag mit ihm auseinandersetzen musste, machte sie wütend. Wusste dieser Narr einfach nicht, wann er verloren hatte oder tat er das bloß, um ihr zusätzlich eines auszuwischen? Der nächste Schlag mit der Hacke geriet etwas zu heftig und Steinsplitter rieselten auf sie herab. Eden ignorierte es. Sie war ein Stück abgemagert aber nach wie vor ein gutes Stück kräftiger als die meisten anderen Sklaven, selbst die Neuen, die von Zeit zu Zeit in die Tunnel geworfen wurden, in denen sie arbeitete. Eden hatte längst
die Übersicht verloren, wie viele seit ihrer Ankunft hier dazu gekommen und wie viele gestorben waren. Die Zahl war auch nicht wichtig. Nur das es zu viele waren. Ihr Eindruck von Malik hatte sich auch nicht wirklich gebessert. Ganz im Gegenteil. Der Mann mochte es offenbar, aufmüpfige Sklaven mit den bloßen Händen halb tot zu prügeln. Ein Grund mehr für Eden, sich so bedeckt zu halten, wie es ihr Stolz grade zuließ. Kleinkriegen würde sie dieser Ort nicht, da brauchte es schon noch etwas Schlimmeres. Aber es hatte keinen Sinn, ihre Kraft zu verschwenden, wenn sie sie noch für wichtigere Dinge brauchte.
Trotzdem konnte sie ihre Wut einen
Augenblick nicht bezähmen. Die Hacke traf erneut mit mehr Wucht als Beabsichtigt auf den Fels. Die Metallene Spitze gab ein hohes, metallisches Klingen von sich und Splitterte im selben Moment. Einzelne, kleine Fragmente rieselten zu Boden und eines, scharfkantig wie ein Messer und knapp so lang wie Edens Unterarm, segelte an ihrem Kopf vorbei und prallte an der Wand des Schachts ab.
Die anderen Arbeiter drehten sich zu ihr um, genau wie die Aufseher. Einige, darunter Malik, schoben sich mit Drohungen und Schlägen an den umstehenden Sklaven vorbei in ihre Richtung. Eden jedoch beachtete sie
nicht, immer noch die zerstörte Spitzhacke in der Hand. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Stück Stahl keine fünf Schritte von ihr entfernt. Sie ließ das nutzlos gewordenen Werkzeug fallen und riss stattdessen einen schmalen Stoffstreifen aus dem Ärmel ihrer Kleidung. Das Material war so spröde geworden, das es einfach nachgab, aber um ihre Finger vor den scharfen Rändern des Splitters zu schützen würde es hoffentlich ausreichen. Ihr Blick wanderte zu Malik und seinen Aufsehern, die mittlerweile schon gefährlich nahe waren. Vermutlich würde man es ihr nicht verzeihen, dass sie die Hacke zerstört hatte. Sie würde
schnell handeln müssen. Vielleicht war das genau der Moment, auf den sie gewartet hatte. Zumindest aber, war es die einzige Chance, die sie seit einer gefühlten Ewigkeit sah, irgendetwas auszurichten. Wenn alles gut ging, wäre Malik ihr Schlüssel hier heraus.
Unbemerkt ballte sie das Stück Stoff in ihrer Hand, während sie auf den obersten Aufseher wartete. Die Zeit der Zurückhaltung war vorbei, entschied sie still.
,, Was habt ihr…“ , setzte einer von Maliks Begleitern an. Eden handelte, bevor er den Satz beendete. Sie schlug einfach zu. Offenbar waren diese Männer keine Gegenwehr gewohnt, den der
Aufseher machte nicht einmal Anstalten, sich zu verteidigen, bevor ihn Edens Faust traf und seine Nase zertrümmerte. Der Mann stolperte mit einem Aufschrei zurück und riss dabei beinahe seine Gefährten zu Boden. Einige der Sklaven sprangen ebenfalls zurück, völlig unsicher, was der plötzliche Aufruhr zu bedeuten hatte. Das Chaos war vollkommen und damit hatte Eden genau das erreicht, was sie erreichen wollte. Schneller, als die Aufseher wieder für Ordnung sorgen konnten, packte sie das Stahlfragment mit der umwickelten Hand. Eine absolut primitive Waffe, aber für ihre Zwecke reichte es. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie das
Metall in ihrem Ärmel verschwinden. Dann spuckte sie nach dem immer noch blutenden Aufseher.
,, Wisst ihr, das wollte ich schon ziemlich lange mal machen.“ , erklärte sie, die Arme vor der Brust verschränkt. Aufseher wie Sklaven musterten sie, als hätte sie den Verstand verloren. Im Schein der Fackeln konnten sie ihre Mine erkennen, auf der jetzt ein Lächeln spielte. Vielleicht würde es nicht funktionieren. Aber egal, wie der heutige Tag ausging, Zachary wäre danach frei. Andre konnte ihren Tod im Zweifelsfall nicht für sich behalten. Aber noch hatte sie nicht vor zu sterben.
Malik trat vor, sein Gesicht nun nicht
nur durch Narben sondern auch von Wut entstellt. Außer sich riss er einem seiner Begleiter das Gewehr aus der Hand. Einen Moment fürchtete Eden, er würde sie erschießen. Dann wäre ihr Plan gescheitert, bevor sie überhaupt dazu kam, ihn auszuführen. Stattdessen jedoch schlug er mit dem Gewehrkolben nach ihr. Hätte der Hieb sie erwischt, vermutlich hätte er ihr die Knochen zerschmettert. Aber Eden war ein gutes Stück schneller und noch dazu vom Mut der Verzweiflung getrieben. Sie duckte sich blitzschnell unter der Waffe weg und stürzte zeitgleich nach vorne. Sie erreichte Malik, bevor dieser Begriff was geschah. Nach wie vor, diese Leute
waren es nicht gewohnt, dass ihre Gefangenen sich ernsthaft wehrten. Nun, das würde sich ab sofort ändern. Das improvisierte Messer wanderte zurück in ihre Hand.
Die Gejarn packte Malik und riss den massigen Körper des Aufsehers herum. Im gleichen Moment wanderte die Klinge an seine Kehle. Sie hielt den Mann fest und verstärkte den Druck auf die Klinge, als er versuchte, sich zu wehren. Ein feines, rotes Rinnsal ließ seinen Hals hinab und färbte seine Kleidung dunkel.
,, Ich denke, ich habe eure Aufmerksamkeit ?“ , fragte Eden spöttisch.
Niemand rührte sich mehr. Die Sklaven
waren so weit es ihnen möglich war in die Schatten zurück gewichen und die Aufseher schienen unfähig auf diese neue Situation zu reagieren. Ihr Anführer in der Hand einer ganz offenbar nicht besonders gut gelaunten Gejarn.
,,Ihr kommt hier nicht lebend raus.“ , knurrte Malik, ein bösartiges Grinsen auf seinem Gesicht. Zumindest war er klug genug, sich nicht mehr zu wehren. Für den Moment brauchte sie ihn noch lebend.
,,Ich glaube wirklich, das entscheidet grade nicht mehr ihr.“ , erwiderte Eden bevor sie sich den umstehenden Aufsehern zuwendete. Die meisten schienen mit der Situation völlig
überfordert. Etwas, das sie sich hoffentlich zu Nutze machen konnte. ,, Also gut, vielleicht ist es euch entgangen, aber ich habe euren Anführer hier. Und ehrlich gesagt hätte ich kein Problem damit, seine Seele in die Dunkelheit zu schicken. Ich werde jetzt gehen und wenn sie mir jemand in den Weg stellt, ist das hier…“ Sie verstärkte den Druck auf das Messer erneut und die Klinge drang ein Stück in Maliks Hals. Nicht tief genug, als das die Wunde ihn töten könnte, aber das zusätzliche Blut würde hoffentlich seinen Zweck erfüllen. ,, Das letzte, was euer oberster Aufseher spürt.“
Eden schob Malik vorwärts, nur darauf
wartend, das einer der übrigen Wachen etwas Dummes tat. Doch die Männer wichen vorsichtig zurück und machten ihr Platz. Götter, es konnte funktionieren. So verzweifelt sie gewesen war, das war vielleicht genau das, womit sie nie gerechnet hätten. Das jemand keine Angst vor ihnen hätte. Das jemand, den man nach hier unten brachte weiterkämpfte.
Sie hatte bereits die große Kammer mit dem Schmelzofen für das Silber erreicht, als Malik sich erneut gegen ihren Griff wehrte.
,, Ihr werdet sie nicht entkommen lassen, oder ich töte euch höchstpersönlich !“
Die Gejarn beachtete es nicht. Die Aufseher waren nach wie vor unentschlossen während sie ihnen in sicherem Abstand folgten. Und auch die Arbeiter und Sklaven an der Schmelze ließen alles stehen und liegen, als ihnen klar wurde, dass irgendetwas nicht stimmte. Normalerweise hätte es niemand beachtet, wenn einer der Aufseher einen Sklaven vor sich her stieß, das es nun genau umgekehrt war jedoch, das war für die meisten etwas völlig unerwartetes. Es war das, das nicht passieren sollte, nicht passieren durfte. Eden konnte vor allem den Gefangenen ansehen, das sie mit so etwas
niemals gerechnet hätten. Dass einer von ihnen sich wehrte. Und damit Erfolg hatte.
Jetzt kam es darauf an, was stärker sein würde. Die Angst der Aufseher vor ihrem Anführer oder die Vernunft ?
Sie konnte den Gang bereits sehen, der sie zurück an die Oberfläche bringen würde. Und nach wie vor rührte sich niemand. Ahnen, sie würde es schaffen…
Dann jedoch tat Malik etwas, mit dem sie wiederum nie gerechnet hätte. Der Mann wehrte sich nicht mehr gegen sie, sondern warf lediglich den Kopf in einer scharfen Bewegung zur Seite. Genau in die Messerklinge hinein.
,,
Nein….“
Die Klinge drang ohne Wiederstand in seinen Hals und trat auf der gegenüberliegenden Seite aus. Blut sprudelte aus der Wunde, während sie den tödlich verwundeten Mann von sich stieß. Nicht jedoch, ohne das Messer wieder aus seinem Körper zu ziehen. Götter, er hatte alles ruiniert…
Einen Moment standen die Aufseher noch unentschlossen um sie herum, ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Leiche ihres Anführers geheftet, um die sich eine rasch größer werdende Blutlache bildete.
Maliks simpler Hass auf alles und jeden hier unten war offenbar sogar stärker
gewesen, als sein Wille am Leben zu bleiben.
Sein Tod war nicht wirklich eine Erleichterung. Ja, er hatte genau das verdient, dachte sie. Aber er hatte damit auch grade ihren Schlüssel zur Freiheit vernichtet.
Eden warf einen raschen Blick zum Ausgang der Minen, doch dort sammelten sich bereits weitere Aufseher. Noch waren sie zu geschockt um etwas zu tun, aber sie würde nicht mehr einfach entkommen können. Ihre Gedanken rasten. Noch war sie nicht bereit, einfach zu sterben.
Sie würde es riskieren, entschied die Gejarn. Sie schätzte die Distanz
zwischen sich und dem Ausgang. Wenn sie nur an den Wachen dort vorbei käme wäre der Rest ein Kinderspiel.
,, Helft mir.“ Sie brauchte nur eine kleine Ablenkung. Wenn nur ein paar der übrigen Sklaven ihre Angst jetzt überwanden. ,, Das ist die eine Chance, die ihr haben werdet !“
Sie konnte nicht darauf warten, ob jemand auf sie hörte.
Eden überbrückte die Entfernung zwischen sich und ihrem ersten Ziel-. Der Aufseher riss noch eine hölzerne Keule hoch, um seinen Hals vor ihrer Klinge zu schützen. Doch darauf zielte sie überhaupt nicht. Diese Kerle waren Schläger, keine Soldaten. Das Messer
bohrte sich ihm zwischen Rippen und durchdrang seine Lunge. Die Verletzung war nicht sofort Tödlich, aber er würde ihr zumindest nicht ehr gefährlich werden.
Sofort wirbelte sie herum und hoffte, durch die entstandene Lücke entkommen zu können, doch die übrigen Aufseher hatten sich endlich aus ihrer Erstarrung gelöst und strömten jetzt von allen Seiten auf sie zu. Keiner der anderen Sklaven rührte sich auch nur. Und Edens letzte Hoffnung zerfiel zu Staub.
Aber wenn das hier wirklich ihr Ende sein sollte, nun, dann würde sie wenigstens ein paar von ihnen mitnehmen. Wenigstens Zachary wäre in
jedem Fall frei. Sofern er jemals von ihrem Tod erfuhr…
Sie schüttelte den Kopf. Andre konnte das unmöglich ewig geheim halten. Irgendwann musste er ihm die Wahrheit sagen oder der Junge käme von selbst darauf, selbst wenn der Herr Silberstedts ihn nicht mehr hierher ließ.
Da hatte sie ihr Leben erst vor ein paar Wochen wiederbekommen und jetzt musste sie es verlieren. Die Welt hatte einen seltsamen Sinn für Ironie. Es gab keinen Weg hier hinaus, zumindest nicht für sie. Ihr war völlig klar, was sie Zachary damit antat… und auch Cyrus. Aber diese Entscheidung war ihr abgenommen worden. Von Andre und
von Malik. Sie bat beide stumm um Vergebung.
Ich hätte wirklich nichts lieber getan als meinen Lebensabend mit dir an einem Haus am Meer zu verbringen, Cyrus. Aber das ist leider nicht möglich, dachte sie bitter. Vergib mir.
Der erste Aufseher erreichte sie und schlug mit dem Griff eines Gewehrs nach ihr. Eden duckte sich blitzschnell darunter weg und fing die Waffe ab. Mit einem Ruck verdrehte sie dem Angreifer die Hände und er ließ die Muskete los. Eden drehte sich sofort herum und rammte den Lauf dem nächsten Angreifer in den Bauch. Dann drückte sie den
Abzug.
Dem dritten Aufseher, der ihr zu nahe kam, schmetterte sie das jetzt nutzlose Gewehr gegen den Schädel. Der Holzgriff der Waffe zersplitterte dabei…
Dann schlug ihr jedoch selber etwas gegen den Kopf. Einen Moment verschwamm alles um sie herum, bevor sie merkte, dass sie am Boden lag. Eden versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, doch jemand trat ihr in die Seite. Bevor sie auch nur wieder zum Liegen kam, traf sie ein weiterer Schlag an der Schulter, ein dritter in die Magengrube. Und dann zählte sie nicht mehr, als ihre Welt in Schmerzen
unterging.