Am nächsten Tag startete ich mit meiner Arbeit auf Harnas und die ließ mir wahrlich keine Zeit zum Quatschen. Ich versorgte kranke Tiere, teilte Neuzugänge – tierische wie menschliche – auf die Räumlichkeiten auf, verhandelte mit Farmern über Land, welches sie uns zur Verfügung stellten. Es gab wirklich reichlich zu tun und neben den Tieren und der betrieblichen Organisation besserte ich mich sogar in der Menschenbetreuung. Das sieht man im Fernsehen beim „Waisenhaus für wilde Tiere” nicht, aber einige der Freiwilligen sind noch recht jung und oft das erste Mal so relativ lange fort von zuhause. Da brauchte der eine oder die andere schon mal Trost und Zuspruch und wäre ich da noch vor kurzem wesentlich hartherziger gewesen, war ich auf einmal mitfühlender, als ich es mir selber
je zugetraut hätte. Man kann den Leuten ja auch nicht immer entgegen schleudern 'Stell dich nicht so an, ich war mal ewig in einem Kerker eingeschlossen, ohne Hoffnung auf Rettung, da wirst du doch mal ein paar Tage ohne Mama aushalten!' Neenee, das ging nicht und ich konnte mich diesem Kummer nun viel besser öffnen, vielleicht auch, weil er mich von meinem eigenen ablenkte. Ich fand auch eine junge Frau unter den Festangestellten, die mir das Potenzial für meinen Job, abgesehen vom veterinärmedizinischen, zu haben schien und bezog sie immer mehr ein; denn länger als geplant wollte ich auf keinen Fall bleiben, ich wollte daheim sein, wenn Jens zurück kehrte. Die Farm profitierte sozusagen von meiner Lage, denn ich hängte mich beinahe 20 Stunden
rund um die Uhr jeden Tag der Woche in die Arbeit, um dann total erledigt sofort und traumlos wieder einzuschlafen. Nur einmal wurde dieser Rhythmus unterbrochen, als Jo und Nick mich mit zu Marieta ins Krankenhaus nahmen. Sie war langsam auf dem Weg der Besserung, aber körperlich noch sehr eingeschränkt, auch mit der Sprache haperte es noch, wie es ja leider so typisch für einen Schlaganfall ist. Ob und wann sie ihre gewohnte Arbeit wieder aufnehmen konnte, stand daher in den Sternen. Ihre Augen jedoch leuchteten wie gewohnt, als sie mich sah und ihre Herzlichkeit war nach wie vor spürbar, als ich sie mit Tränen in den Augen umarmte. Und sie spürte sogar, dass neben dem Stress etwas nicht mit mir in Ordnung war, brachte das mit langsamen Worten
und etwas Gestik zum Ausdruck. Da drückte ich beruhigend ihre Hand und erklärte, indem ich so nah wie möglich bei der Wahrheit blieb, dass es halt viel Liegengebliebenes zu erledigen gab und ich darüber hinaus meinen Mann vermissen würde. „Wa- … Waaarum ist er ...“, setzte sie an und ich beantwortete ihr die Frage sofort: „Jens war sich sicher, sich hier auf die Dauer zu langweilen, weißt du, er ist halt doch ein kleiner Rumtreiber. Deswegen ist er für die Zeit, die ich hier bin, nach Südamerika gefahren.“ Auch das war ja irgendwie die Wahrheit, vielleicht nicht die ganze, aber ich wollte den van der Merwes auf keinen Fall das Gefühl geben, sie hätte meine Ehe auf dem Gewissen. Weil sie es auch im Grunde nicht hatten, unsere Probleme lagen sicher tiefer, wir hatten es nur
nicht gemerkt ... So vergingen die Wochen und meine festgesetzte Zeit näherte sich dem Ende. Inzwischen fühlte ich mich abgeklärter und war sicher, dass auch meinem Mann die Zeit gut getan hatte und wir einen guten Start hin legen würden, daheim … Und genügend Abstand hatte er nun sicher gehabt, denn Jens hielt übrigens Wort und meldete sich kein einziges Mal. Nicht bei Julia, Stan, Niels oder Vince und schon gar nicht bei mir. Aber das war ich ja gewohnt, von seinen früheren Reisen hatte er sich auch nie gemeldet, damit hatte ich mich abfinden müssen. Doch dann kam der Tag mit jener Nachricht, auf die keiner vorbereitet war.
* Mein Handy klingelte und zeigte mir Julias Nummer an. Sie war mit ihrem Mann im Urlaub gewesen, als ihr Bruder und ich zu so verschiedenen Zielen aufbrachen und ich hatte eigentlich schon viel länger mit ihrem Anruf gerechnet. Inzwischen würde sie wahrscheinlich mitbekommen haben, dass wir ein wenig Knatsch hatten. Obwohl Jens' Schwester, war sie gleichzeitig meine beste Freundin, das hatte bisher auch immer gut geklappt, keinerlei Loyalitätsprobleme. Doch diesmal fürchtete ich, würde sie sicher mit mir schimpfen, naja, ich würde es jedenfalls, denn mein schlechtes Gewissen hatte mich schon lange davon überzeugt, dass meine
Kurzschlussreaktion vor ein paar Wochen, nun ja, wenn nicht Bockmist, aber dann doch nicht so toll gewesen war. Da würde sie wahrscheinlich nun noch Einen drauf setzen. Ich ahnte ja nicht, wie recht ich damit haben würde … „Julia, hi!”, ging ich dann doch dran, wartete nicht auf ihre Antwort, sondern redete gleich weiter „Julchen, ich kann grad nicht reden, kann ich dich später zurück rufen?”Am liebsten wäre ich ja gar nicht ran gegangen, nicht nur wegen der zu erwartenden Strafpredigt, sondern weil ich gerade auf einer jungen Gazelle kniete, die sich ungern freiwillig untersuchen ließ, aber wegen einer Infektion auch nicht sediert werden konnte. „Cathy, ich …”, begann sie, dann räusperte sie sich. „Cat, das ist echt wichtig!”, sagte sie und
in diesem Moment machte das Tier unter mir einen Riesensatz, es hatte wohl gefühlt, dass ich nicht bei der Sache war und seine Chance genutzt. Ich flog in hohem Bogen in den Wüstensand und fluchte kräftig, während ich mich aufrappelte. „Verdammt! Julia, bist du noch da?” „Ja.” „Okay, mein Patient ist eh weg. Was gibt es denn? Du wirst jetzt sicher mit mir schimpfen ...”, seufzte ich, aber ich hörte sie nur schlucken und hatte plötzlich das ungute Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war und es ihr vielleicht nicht nur um mein Abhauen ging. „Ähm, Catherine … Oh verdammt, ist das schwierig”, murmelte sie leise und mir wuchs ein eiskalter Klumpen im Magen. „Das Auswärtige Amt hat sich gemeldet”, fuhr sie fort, dann, hastiger, weil sie wohl um das
Kopfkino wusste, dass sich gerade bei mir abspielte, „du solltest besser so schnell wie möglich zurück zu uns kommen. Jens ist in Kolumbien entführt worden!” „Entführt …?”, wiederholte ich tonlos und sank auf den Boden nieder, weil mir die Knie schwach wurden. „Aber was … Wieso … Wie geht es ihm?!?” Ihre Stimme schwankte leicht. „Sie wissen selber nicht allzu viel und sie-” „Oh Gott!”, entfuhr es mir und die Anspannung, die sich gerade innerhalb von Sekunden aufgebaut hatte, entlud sich schlagartig in einem heftigen Schluchzen. Ich hielt das Handy auf Abstand und legte eine Hand auf meine Augen, versuchte meiner Emotionen Herr zu werden, während ich mit angehockten Beinen auf dem Boden
saß. Jens war entführt worden!?! Von wem, warum, und wann?! Wie ging es ihm, war er in großer Gefahr, was konnten wir tun, all das ging mir durch den Kopf; und vor allem natürlich die große Frage: Wäre das auch passiert, wenn ich bei ihm gewesen wäre? „Cathy? Cathy? Hallo, Cat, hörst du mich?”, drangen Julias Worte wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Unwirsch wischte ich mir den Rotz aus dem Gesicht und nahm das Telefon wieder ans Ohr. „Ja, ich bin hier, Julia. Dann lebt er also noch?!” „Mein arme Cat, bitte reg-” „Julia, bitte, lebt Jens noch?!!“, fiel ich ihr ins Wort. „Soweit sie das sagen können, ja ...“
„Bitte, hör auf das so zu sagen!“, keuchte ich, so gar nicht beruhigt von dieser vagen Antwort. „Cat, Kleines ganz ruhig, ich hab mich vielleicht komisch ausgedrückt. Ich meinte, viel mehr wissen die im Moment eben noch nicht, auch nicht, wer ihn hat, aber sie haben klar gemacht, dass Jens noch lebt“, erklärte meine Schwägerin geduldig. Dann kam sie meiner nächsten Frage zuvor: „Und sie haben natürlich als erstes versucht, dich zu erreichen, aber ich glaube, sie hatten deine Handynummer nicht.“ „Oh Julia, was mache ich denn jetzt?“ „Zuerst mal kommst du nach Hause, okay?“ „Ja logisch, aber ...“ Mir schwirrte der Kopf. Das hier war so fürchterlich surreal und doch ein lebendig gewordener Alptraum, denn wie oft war mein Mann nicht schon in ähnlichen Gebieten unterwegs gewesen, wo Touristen
gefährlich lebten?! Und jetzt hatte es ihn in einem Land ereilt, von dem man eigentlich angenommen hatte, dass diese Zeiten dort vorbei wären. „Hey, bleib ganz ruhig, bitte, Liebes, ich möchte mir nicht auch noch um dich Sorgen machen müssen, bitte ...“ „Jaja, Julia, ich bin soweit in Ordnung, ich komm schon klar. Ich ... Ich werd jetzt auflegen und schauen, was ich organisieren kann, damit ich schnell zu euch komme.“ „Ist gut. Wenn du willst, ruf mich heute Abend noch mal an, ja? Und Cathy?!“ „Ja?“ „Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut!“ Ich schnaubte leise, murmelte „Ja klar, danke!“, bevor ich auflegte und mich verzweifelt nach hinten auf den Rücken fallen ließ. Mit Blick in den strahlend blauen Himmel blinzelte ich die
letzten Tränen fort und dachte verbittert daran, dass mich die meisten Schicksalsschläge anscheinend immer hier im Sand der Etosha-Pfanne trafen. Einst war ich dabei – als ich Jens wieder traf – himmelhochjauchzend, heute zu Tode betrübt. * Die van der Merwes waren natürlich entsetzt über die Ereignisse, dabei wussten sie nicht einmal, dass Jens und ich uns vorher, gerade wegen Harnas, kräftig gestritten hatten. Auch sie waren der Meinung, dass ich sofort nach Hause musste und alle guten Wünsche begleiteten mich. Und trotz allem, so ganz und gar bereute ich meine Reise hierher nicht. Ich war froh, hier in der Not geholfen zu haben und eine geordnete Situation hinterlassen zu
können. Ja, so überlegte ich, wer weiß, normal wäre ich jetzt wahrscheinlich ebenfalls eine Gefangene, so konnte ich wenigstens von etwas tun. So hoffte ich jedenfalls, denn diesmal war ich ja die auf freiem Fuß! Meine Rückkehr nach Berlin zwei Tage später war dennoch eine sehr traurige. Ich hatte natürlich Kontakt mit der zuständigen Stelle aufgenommen, doch sehr viel mehr war dort tatsächlich nicht zu erfahren gewesen. Offenbar war im Zusammenhang mit den anstehenden Präsidentschaftswahlen die linksgerichtete FARC wieder aktiv geworden und hatte erneut begonnen, Menschen zu entführen. Diesmal anscheinend gezielt und vermehrt Ausländer und keiner konnte mir sagen, welchem Zweck das eigentlich dienen sollte. Der Gedanke, es ginge darum, Präsident Santos Calderón aus dem Amt zu erpressen,
verursachte mir durchgehend Übelkeit, denn da würden die da unten nicht lange fackeln: Der Staat würde sich nicht erpressen lassen! Der Rückflug war deswegen auch die Hölle gewesen. Mein Kopfkino drehte komplett durch und ich sah alle möglichen Szenarien vor mir. Und mir war klar, meine Vergangenheit war ein Dreck gegen das, was ich im Moment emotional durch machte. Ich glaube, hätte die Möglichkeit bestanden, ernsthaft bestanden!, ich wäre freiwillig wieder in den Kerker in Tonis Keller gegangen, wenn dafür Jens frei kommen würde! Und am allerschlimmsten war die Gewissheit, dass wir uns in so einem hässlichen Streit und mit so vielen unausgesprochenen Dingen getrennt hatten! Jedesmal, wenn ich an unser letztes längeres Gespräch damals in der Küche dachte, wie verzweifelt er da sogar gewirkt
hatte, zog sich mein Magen zusammen und es fühlte sich an, als würde mein Herz bluten. Es durfte einfach nicht sein, es durfte nicht so zuende gehen! ICH wusste ja, dass ich ihn trotz allem über alles liebte. Jens war mein Retter, mein Schutzengel und mein bester Freund, ich war sicher gewesen, wir hätten nicht viel Zeit gebraucht, um uns nach unserem Wiedersehen wieder zusammen zu raufen. Doch natürlich konnte ich das für seine Sicht letztendlich nur annehmen, auch wenn ich ihn sehr gut kannte, es blieb eine Spekulation. Würde ich noch die Gelegenheit haben, die Wahrheit heraus zu finden? Am Flughafen fiel ich meinen Abholern, Vince und Julia, stumm in die Arme. Sie sahen ungefähr so aus, wie ich mich fühlte. Statt zum
Savignyplatz fuhren wir zu Vince nach Hause, dort wartete Niels auf uns. Der Junge brach prompt in Tränen aus, als er mich sah und klammerte sich an meinen Hals. Ich ließ ihn gewähren und war plötzlich in der seltsamen Situation, zu trösten statt selber getröstet zu werden. Aber klar, auch er war irgendwo traumatisiert! Er hatte seinen Vater schon früh verloren und gleichzeitig war ich ihm lange mehr Mutter gewesen als unsere leibliche. Toni hatte er intuitiv ebenfalls nie so recht leiden können. Dann war ich plötzlich verschwunden und er war allein mit dieser Frau gewesen, von der er instinktiv spürte, dass sie kein guter Mensch war … Mein Mann war ihm in den letzten Jahren eine Art später Vaterersatz gewesen, so seltsam unerwachsen, wie dieses Künstlerherz ansonsten auch manchmal war.
Ja, eigentlich waren wir beide verlorene Kinder, die nicht wussten, ob sie ihren Peter Pan je wieder sehen würden! * Am nächsten Morgen wollte ich persönlich beim Auswärtigen Amt vorstellig werden, denn in einem persönlichen Gespräch war vielleicht etwas mehr zu erfahren. In der Nacht träumte ich entsprechend heftig, von meiner Befreiung damals, als die Polizei den Kerker stürmte. Wie damals sah ich einen wabernden Nebel, hörte seine Stimme, Jens' Stimme, dann war er plötzlich da und hauchte „Catherine!” In diesem Moment war ich so glücklich und streckte die Hand nach ihm aus. Doch ich griff ins Leere, Jens entfernte sich
wieder von mir, als würde er unerbittlich in ein schwarzes Loch gesogen und ich konnte nicht hinterher, weil ich noch immer angekettet war! „Jens!”, schrie ich gellend und plötzlich waren da Licht und eine Stimme und Arme, die sich um mich legten im zärtlichen Versuch, mich zu trösten. „Iss ja schon jut, meene Kleene, allet jut, ick bin ja da”, sagte eine dunkle Stimme und im schwachen Schein der Flurlampe bemerkte ich, dass die Arme, die mich hielten, ungewöhnlich viele Tätowierungen besaßen und schaute endlich meinen Tröster genauer an. „Pfanni ! Du? Was machst du denn hier? Und wann bist du ...”, faselte ich zusammen, doch er rubbelte nur lächelnd meine Arme. „Schht, ich bin gestern ganz spät angekommen, da wollten wir dich nicht stören, weil Vincente
meinte, du wärst wohl grade endlich mal eingeschlafen. Ich penn nebenan, da hab ich dich schreien gehört ...” „Ja, war ein Scheißtraum”, seufzte ich. „Aber du, was machst du denn hier, bist du wegen ...” Pfanni nickte und rückte ein Stück ab. „Ja klar, das hat mir einfach keine Ruhe gelassen! Der Abstand des letzten halben Jahres hat zwar mal wieder gut getan, aber Jens ist und bleibt doch mein Freund. Und du auch, du kleine Straßengöre. Da wollte ich dir zusammen mit den anderen ein bisschen beistehen.” „Und das, wo du mitten in deinen Vorbereitungen steckst”, murmelte ich gerührt. Nun waren all meine Lieben versammelt, es fehlte eigentlich nur noch Stanley, doch der würde auch bald vom Ort seiner jüngsten Reportage anreisen. „Wie geht es Susie?”, fragte
ich. „Die lässt dich ganz herzlich grüßen, aber sie konnte nicht mit, wegen Robert Neil ...” Für einen kurzen Moment musste ich wie immer bei dem Namen grinsen und fragte mich immer noch, wie er die meist so ernst wirkende Frau dazu gebracht hatte, das gemeinsame Kind sowohl nach dem Schöpfer und als auch nach dem besten Zeichner seiner Lieblingscomicfigur zu benennen … (*) Ach ja, sie hatte schlicht eine Wette verloren und immerhin soviel Humor gehabt, anschließend nicht zu kneifen. „Immer noch besser als Albert”, pflegte sie zu sagen und in der Tat war Robert – auch wenn ihn Pfanni daheim tatsächlich Bob rief, - zwar etwas unmodern, aber noch im Rahmen. UND auf jeden Fall besser als 'Bronson', was ihm einige Internetforen immer wieder andichten
wollten! Jetzt hörte man wieder Schritte vom Flur und Vince steckte seinen Kopf zur Tür rein. „Alles klar hier?” „Ja, komm rein, bevor wir noch Niels aufwecken!”, sagte ich in diesem gebrüllten Flüsterton wie im Kino und er schloss die Tür hinter sich. „Du hast schlecht geträumt”, stellte er fest und was sollte ich anders machen als nicken. Da setzte er sich auf meine andere Seite, so dass ich nun von den beiden Dunkelhaarigen eingerahmt wurde und ich entspannte mich ein wenig, sank zurück auf das Kissen. „Wisst ihr, was mir am Meisten zu schaffen macht? Ich meine, abgesehen von der Angst, dass ihm ...” Pfanni drückte meine Hand ganz fest, vielleicht auch, um mich zum Schweigen zu bringen.
„Also, dieser Gedanke, dass wir uns im Streit getrennt haben. Und er jetzt vielleicht wirklich fürchtet, ich könnte ihn nicht mehr lieben!” Der Drummer runzelte die Stirn. „Warum in aller Welt sollte er das denn glauben?” Ach ja, er wusste ja noch nicht alles. So erzählten wir ihm in Grundzügen von unserem Missverständnis und der folgenden Eskalation, meiner Kurzschlusshandlung, aber auch von den Tagen davor, an denen mir Jens seine seltsamen Gedanken präsentiert hatte. „Tja”, meinte Pfanni dazu, „mir als Altershäuptling brauchst du dazu nichts zu erzählen, die Ängste sind mir nicht unbekannt. Susie ist auch ein paar Jährchen jünger als ich.” „Ihr habt doch alle einen an der Klatsche!”, begehrte ich auf. „Habt ihr denn kein Vertrauen in uns? Oder ...”, mir kam ein delikater
Gedanke, „seid IHR es auf einmal, die den Jüngeren gar nicht haben wollen? Wollte Jens mir das damit sagen, dass er sich lieber was in seinem Alter suchen will? Dass er gar keine Angst hat, ICH sei seiner überdrüssig, sondern dass ER mich nicht mehr haben will?!!” Fast schon wurde ich wieder hysterisch, da schüttelte Vince mich sanft. „Stopp, aufhören Cat, red nicht so einen Quatsch! Rollen liebt dich über alles, das weiß ich.” „Das dachte ich bisher auch, dass ich das weiß”, nuschelte ich, doch Pfanni schüttelte energisch den Kopf, rutschte auf mein Kissen an meine Seite. „Nee, wirklich, er liebt dich, hätte er euch sonst auf der Vernissage geoutet?” Du liebe Zeit, das war ja in dem ganzen Chaos für mich beinahe unter gegangen, wahrscheinlich war das schon ein bisschen durch den
Blätterwald der Zeitungen gegangen, aber auch der Urheber war ja 'nach Diktat verreist' gewesen. Doch die zwei Männer hier hatten wohl recht, wenn das kein Liebesbeweis war?! Unwillkürlich musste ich auch an das Konzert im letzten Jahr denken, das erste, an dem ich teilnehmen konnte, Waldbühne im August. Viele Menschen und enges Gedränge machen mir immer noch Angst, deswegen hatte ich es einfach nicht bis in die ersten Reihen geschafft. Die Security bot mir zwar immer wieder mal an, mich einfach zu ihnen in den Graben zu stellen, aber wie sähe das denn aus? Außerdem wollte ich nicht im Weg sein. Deswegen hatte ich mich erst ganz zum Schluss, zur endgültigen Verabschiedung, unter dem Einsatz aller Kräfte ganz nach vorne gekämpft und ich weiß noch, wie Jens' Augen leuchteten, als er mich dort tatsächlich
entdeckte. Für alle anderen natürlich denkbar kryptisch war ihm ein spontanes „Hello Kitty!”, raus gerutscht und bei dem Blick, in dem er mich gleichzeitig gebadet hatte, verzieh ich ihm das sofort. Andy hatte mich dann auf seinen Wink hin sofort anschließend raus gezogen, diesmal hatte ich es mir gefallen lassen und war hinter die Bühne zu den drei Musketieren aber vor allem zu meinem blonden Helden geeilt ... Oh Gott, wie er mir fehlte! Den Tränen nah drückte ich mein Gesicht in Pfannis Brust, während Vince mir liebevoll übers Haar strich. * Und nun saß ich hier, im Büro vom Leiter der Abteilung 3 persönlich, Ministerialdirektor Clemens von Goetze. Eine Sekretärin hatte mich
freundlich empfangen und mir einen Kaffee angeboten, den ich dankend annahm. Koffein war eh im Moment mein Hauptnahrungsmittel, schon die letzten Tage in Namibia. Ich hatte mit einem der normalen Schergen gerechnet, aber man durfte nicht vergessen, dass mein Mann – und nach dem Outing anscheinend auch ich – einen gewissen Promistatus in Deutschland hatte, das machte meinen Besuch wichtig genug für den Chef. Doch sehr viel mehr als alle anderen konnte auch von Goetze mir nicht erzählen. Auf jeden Fall war es jetzt sicher, dass in diesem Fall tatsächlich die FARC verantwortlich war. Es waren interessante Verhältnisse da unten in Süd- oder besser Lateinamerika, denn die Information stammte ganz offiziell von der Guerillaorganisation selber, die in geradezu höflichem Ton die Regierung über die jüngsten
Entführungen informiert hatte, damit sie dies an die betroffenen Länder und Verwandten weiter leiten konnte. „Aha”, machte ich, „aber sonst? Welchem Zweck dienen die Entführungen diesmal, was sind die Forderungen, was wollen die?!?!?”, sprudelte es aus mir heraus und von Goetze lehnte sich in seinem riesigen Polstersessel zurück. Grad dass er seine Hände nicht wie Frau Merkel aneinander legte … Obwohl, bei ihm hätte es sowieso eher nach Monty Burns ausgesehen! „Wissen Sie, Frau Kosim, es ist kompliziert”, begann er und ich schnaubte leise. „Ist es das nicht immer?!” „Da haben Sie recht”, nahm er den Faden todernst wieder auf. „Fakt ist jedenfalls, dass bisher allein das Schreiben mit der Information über die Entführung an sich vorliegt. Keine
Forderungen ansonsten, keine Drohungen, nichts.” „Ach kommen Sie”, senkte ich meine Stimme und versuchte, ihn aus der Reserve zu locken, „da gibt es doch sicher was, was vielleicht noch nicht so offiziell ist, oder? Ich habe eine Zeitlang auf den Cayman Islands gelebt, das ist nicht weit weg und ich kenne ein paar Strukturen dort ...” Er sah mich einen Moment lang an, schüttelte dann nachdrücklich den Kopf. „Ich verstehe. Aber sie müssen wissen, Präsident Santos ist sehr an guten Beziehungen zu uns interessiert. Er steht unter seinen Nachbarstaaten etwas isoliert da, nicht zuletzt seit die Regierung damals die Aktionen gegen die Aufständischen teilweise auf fremden Territorium durchgeführt hat. Ich bin deshalb sicher, wir würden es sofort erfahren, wenn sein Kabinett Näheres
wüsste.” Ich brummte etwas Unverständliches, aber wahrscheinlich musste ich ihm da vertrauen. Der Botschafter musterte mich nun einen Augenblick lang, runzelte dann die Stirn. „Sie müssen entschuldigen, aber ich werde das Gefühl nicht los, Sie schon zu kennen! Frau Kosim, haben wir uns schon mal getroffen?” „Nein, nicht dass ich wüsste”, entgegnete ich. „Es tut mir leid, aber Sie kommen mir so seltsam vertraut vor … Und eigentlich Dr. Kosim, oder?” „Naja, es ist ein halb ausländischer Titel, deswegen führe ich ihn offiziell nicht.” Aber woher wusste er es dann? Hatte man vorher über mich recherchiert?! Dann fiel mir etwas ein. Entweder er hatte kürzlich die Klatschpresse verfolgt oder … „Sagen Sie, schaut bei Ihnen jemand ab und zu die
Zoosendungen in der ARD?” „Ja natürlich, daher kommen Sie mir so vertraut vor!”, lachte er. „Ich schaue das hin und wieder mit meiner kleinen Tochter. Sie liebt den Berliner Zoo und mir gefällt, wie verständlich Sie immer Ihre Arbeit erklären.” „Danke, sehr nett”, antwortete ich und dachte wehmütig an die Dreharbeiten zurück. Da war noch alles in Ordnung gewesen … Ministerialdirektor von Goetze schien etwas zu überlegen, dann schien er sich zu einem Entschluss durchgerungen zu haben. „Frau Kosim, das, was ich Ihnen jetzt anbiete, ist nicht jedem vergönnt, aber auch nicht alle landen hier bei mir. Wenn Sie möchten, können Sie den Originaltext der Mitteilung lesen. Ich vermute mal, wenn Sie dort gelebt haben ...” „Ja, keine Sorge, mein Spanisch dürfte ausreichen”, bestätigte ich hastig und bemühte
mich, nicht nach dem Blatt Papier zu schnappen wie ein gieriges Kind. In dem Brief waren fein säuberlich die Namen der Entführten sowie der Zeitpunkt ihrer Gefangennahme aufgelistet, zusammen mit der Bitte, die üblichen Stellen zu informieren. Und zum Schluss stand natürlich 'Viva la Revolución!' Die Entführung Jens' bzw. der Zeitpunkt, zu dem die Guerillaorganisation per Depesche die Mitteilung gemacht hatten, lagen inzwischen ein paar Wochen zurück. Ich rechnete mit gerunzelter Stirn nach und schalt mich eine dumme Pute, aber der Gedanke war ganz klar da: Dann hatte Jens vielleicht gar nicht absichtlich nicht angerufen, sondern war einfach verhindert gewesen
...! Verrückt, in so einem Moment daran zu denken, dass Jens deswegen nicht angerufen hatte, nicht weil er sauer auf mich war, sondern weil er gekidnappt worden war! Dabei würde ich doch lieber ein Jahr lang Funkstille halten, wenn er dafür nur wieder ok wäre!! Und doch … Von Goetze räusperte sich und ich sah auf. Einer Eingebung folgend fragte ich „Könnte ich eine Kopie der Nachricht bekommen?” „Nun ja”, begann er und bereute wahrscheinlich schon, sie mir zu lesen gegeben zu haben, „das ist eigentlich nicht möglich ...” Da setzte ich mein niedlichstes Gesicht auf und sah ihn mit großen Kulleraugen an. „Ach bitte, es wäre irgendwie etwas ... etwas, an dem ich
mich festhalten kann, ich muss ja sicher auch demnächst wieder zur Arbeit in den Zoo ...” Er grinste wissend. „Also gut”, meinte er dann und ging zum Erstaunen seiner Sekretärin persönlich zum Kopierer. Gerade, als er zurück kam, vibrierte mein Handy. „Sie erlauben, dass ich da kurz drauf schaue?”, bat ich. „Die Familie ist im Moment ja ziemlich im Aufruhr ...” Der Mann nickte und ich sah, dass es eine SMS war, von Stanley! -- Katy, ich bin endlich hier + warte unten, soll ich hochkommen? -- -- Nicht nötig, ich komme jetzt runter. --, schrieb ich schnell zurück, verabschiedete mich dann von Herrn von Goetze und verließ das Büro mit seiner Direktdurchwahl in der Tasche. Und der zusammengefalteten Kopie der Nachricht in der Hosentasche, die wie Feuer darin
brannte. Warum hatte ich das Ding gewollt? Zum einen, weil ich solche Sachen gerne schwarz auf weiß hatte, zum anderen, naja, es stellte im Moment die einzige Verbindung zu Jens dar … Und außerdem hatte ich etwas darauf entdeckt, über das ich nachdenken musste. Unten auf dem Vorplatz suchte ich mit den Augen nach Stan und entdeckte seinen Blondschopf am Rande des Platzes. Noch vor ein paar Wochen hätte ich die Beiden vielleicht auf den ersten Blick verwechselt, heute wusste sogar mein Unterbewusstsein, dass es nicht mein Mann sein konnte. Als ich auf Stanley zu steuerte, war sein Anblick sogar im ersten Moment etwas befremdlich für mich, doch als ich vor ihm stand, zog sich mein Herz schmerzlich zusammen und ich warf mich
spontan in seine Arme. Er war wenigstens ein Stück von Jens, irgendwie … „Holla!”, machte er und erwiderte die Umarmung überrascht. „Du bist doch sonst nicht so für's Knuddeln! Ach so, Moment, dass ist weil ich wie mein Vater aussehe ...” „Oh nein, eher im Gegenteil”, erwiderte ich ernsthaft, „aber ich bin einfach nur froh, dass du jetzt da bist. Dass wenigstens du wohlbehalten aus der Fremde zurück gekommen bist!” Stan schubbelte mir noch unbeholfen, aber verständnisvoll den Rücken. „Verstehe. Aber keine Sorge, wo ich war, ist es sicher. Aber was jetzt, soll ich mal runter fliegen, ich hab ein paar Connections in Südamerika, vielleicht erreiche ich etwas?!” „Ja klar”, schnaubte ich, „damit sie dich auch noch schnappen!” Der Gedanke ließ mich fast
panisch werden, aber ich zeigte es nicht. „Nein, warte noch, ich muss dir was zeigen. Lass uns in ein Café gehen.” Dort fragte er, nachdem wir bestellt hatten „Sag mal, weiß Oma eigentlich schon Bescheid?” „Also ehrlich gesagt, hat Julia dafür plädiert, sie da unten in Südspanien lieber noch nicht zu informieren. Und die dürfte ihre Mutter am besten kennen, schätze ich ...” Entrüstet protestierte er. „Aber sie hat als seine Mutter doch auch ein Recht, davon zu wissen, findest du nicht?!” Ich zuckte mit den Schultern, denn irgendwie hatte ich nicht die Kraft, darüber zu entscheiden und es daher wie gesagt meiner Schwägerin überlassen. Ihre Mutter war ganz in Ordnung, aber ich hatte sie kaum drei Mal getroffen und außerdem konnte ich eine überbesorgte Mama hier im Moment ganz bestimmt nicht
brauchen! „Mach du es, wenn du es für richtig hältst, Stan. Aber jetzt schau dir bitte mal das hier an!” Damit reichte ich ihm die Kopie aus meiner Tasche und gab sie ihm zu lesen. Mit der Sprache hatte ja auch er keine Schwierigkeiten, denn Spanisch war durch seine Arbeit für ihn schon fast seine dritte Muttersprache (neben dem Englisch seiner Mutter). Gar nicht selten hatten wir drei, Jens, ich und er, Spanisch schon mal als eine Art Geheimsprache unter uns benutzt, wenn kein anderer was mitkriegen sollte. Stan studierte das Papier ausgiebig, hob dann den Kopf und seufzte. „Tja, typisch für diese linke Guerilla, die übliche Propaganda halt ...” Energisch schüttelte ich meinen Kopf. „Na eben nicht! Fällt dir denn gar nichts an dem Text
auf?!” (*) Robert (Bob) Kane, Neil Adams; BATMAN!