„Hier, nimm erstmal einen Schluck. Du siehst nicht besonders gut aus!“ sagte Jack und hielt mir ein Glas Wasser hin, das ich dankend annahm. Ich hatte mich auf die Veranda Schaukel hinter dem Haus zurück gezogen, weil ich keine Sekunde länger in dieser Küche sein wollte.
Der Schock saß mir irgendwie immer noch tief in den Knochen, denn die letzte halbe Stunde, in der ich versuchte, Emma das Leben zu retten, lief ab wie in einem schlechten Film.
Erst als mich Jack von Emma weg zog,
begriff ich so langsam, dass jede Hilfe zu spät war. Ich weinte, schluchzte und gleichzeitig versuchte ich, meine Hand noch fester auf Emmas Hals zu drücken. Doch es war vergeblich. Emmas Augen waren geöffnet und starrten ins Leere. Dieser Moment fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich streichelte ein letztes Mal ihr Haar und dann musste ich nachgeben.
Sie würde kein Wort mehr mit mir sprechen. Mir nicht mehr erklären können, warum sie das als ihren letzten Ausweg sah.
„Ich kann das einfach nicht glauben, Jack. So etwas hätte nicht passieren dürfen.“
„Soll ich dich nach Hause fahren?“
fragte er.
„Ist das dein Ernst? Deine Antwort lautet, ob du mich nach Hause fahren sollst?“ entgegnete ich.
„Das eben war ein bisschen viel, meinst du nicht auch? Du weißt, dass ich deine Meinung sehr schätze, aber du...!“
„Ja, schon klar, du hast Angst, dass ich mich zu sehr herein steigere!“ unterbrach ich ihn.
Meine Stärke lag nicht gerade darin, den Abstand zu gewissen Dingen zu wahren, aber Jack hatte sich in einer Sache nie geändert. Er musste den Beschützer spielen. Er wollte alles und Jeden schützen, aber dass das nun mal nicht ging, verstand er einfach nicht.
„Officer Palmer hat mich um Hilfe gebeten, Jack. Und weißt du auch warum? Ich kenn..., kannte Emma. Und ich bin sicher, dass die ein oder andere Information von Vorteil sein könnte, um das alles aufzuklären. Außerdem kann ich jetzt nicht einfach so nach Hause fahren und so tun, als wäre nichts geschehen.“
Einen Moment lang herrschte eine kurze Stille zwischen uns.
„Im Keller hat man so viele Waffen gefunden, dass man davon ausgeht, dass die Familie sich schützen wollte“, begann Jack und ich war froh, dass er so schnell einlenkte.
„Was wiederum merkwürdig ist. Denn die Donnellys verfügen nicht mal mehr über ein Sicherheitsschloss an ihrer Tür. Jeder hätte ein und aus gehen können.“ fuhr er fort.
„In einer Therapiesitzung hat Emma einmal erwähnt, dass sie den Verdacht hat, ihre Familie hätte Geheimnisse. Glaubst du, sie hat gewusst, was da genau um sie herum passiert? Ihre Eltern stammen aus einem Guten Haus. Und keiner der beiden hat sich je etwas zu schulden kommen lassen.“
„Ich denke, Emma hatte einfach Angst. Und vielleicht wusste sie etwas, dass sie nicht für sich behalten wollte. Weswegen
war sie bei dir?“
„Es war ein sonderbarer Fall, wenn ich ehrlich bin. Emma kam mit blauen Flecken zu mir, behauptete felsenfest, dass sie geschlagen wurde und ein paar Wochen später stellte man das Verfahren ein. Ich war erstaunt über die plötzliche Wendung. Unter Tränen hat sie mir gestanden, dass alles eine Lüge war. Emma hatte sich angeblich selbst verletzt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und das wars dann. Die letzten Treffen hat sie nicht mehr wahr genommen. Der letzte Kontakt bestand aus einem Anruf, in dem sie mir erklärt hat, dass sie sich sehr schämt.“
„Es ist nur eine vage Vermutung. Aber
mal angenommen, Emma hat wirklich gelogen. Ich meine, mit den blauen Flecken. Vielleicht stimmte ja tatsächlich etwas nicht bei den Donnellys. Und sie hat die Hilfe bei dir gesucht.“
„Aber dann hätte sie auch zur Polizei gehen können.“
„So einfach ist das nicht. Es ist schwierig, sich in den Kopf eines Kindes zu versetzen, aber was ist, wenn sie wollte, dass du heraus bekommst, dass die Donnellys nicht die einfache, wohlhabende Familie ist, die sie vorgibt gibt zu scheinen?“
„Gott , Jack, du meinst allen Ernstes, dass sie mir durch die Blume sagen
wollte, dass... Nein, das kann nicht sein. Sie hätte es erwähnt, glaub mir.“
„Wie gesagt, es ist nur eine Vermutung. Die Leichen werden im Moment von Grady obduziert. Das heißt, ich werde dort in den nächsten Stunden auftauchen müsse. Wie wäre es, wenn ich dich nach Hause fahre und du nach Hailey siehst. Und wenn ich fertig bin, dann hole ich dich wieder ab und wir fahren aufs Revier.“
Ich atmete tief durch und sah Jack an.
„Das ist wohl das Beste, was wir beide je zustande gebracht haben,hm?“
Jack lächelte und ich wusste, dass er seine Tochter genauso abgöttisch liebte wie
ich.
Unser Gespräch wurde von Jacks Handy unterbrochen, das jetzt laut klingelte.
„Detective Miller!“ sagte er und in den nächsten Sekunden veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wirkte überrascht. Es dauerte einige Minuten, bis er sich mir wieder zuwenden konnte.
„Das wirst du nicht glauben!“ sagte er, als er aufgelegt hatte.
„Was ist los?“ wollte ich wissen.
„Das war der Gerichtsmediziner. Oh man, das ist wirklich ein beschissener Tag!“ druckste er herum.
„Nun sag schon, was los ist!“ drängte ich.
„Schon gut. Also, die beiden Leichen
sind nicht Amanda und Greg Donnelly.“
„Was? Aber die beiden wurden identifiziert. Oder nicht?“
„Sagen wir mal so. Wir sind davon ausgegangen, dass es die Eltern sind. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass zwei Fremde in einem Haus tot aufgefunden werden. Und das im Schlafzimmer.“
„Das gibt es doch nicht. Wer zum Teufel sollen die beiden sein?“
„Genau das versuchen wir jetzt herauszufinden!“
Jack setzte mich in der Millerstreet ab. Ich hatte mir ein kleines Apartment
gemietet. Für Hailey und mich reichte es vollkommen aus.
„Ich rufe dich an, wenn ich fertig bin!“ sagte er.
„Ist gut!“
Ich verabschiedete mich und zog den Schlüssel aus meiner Tasche. Jetzt erst fiel mir auf, dass ich immer noch voller Blut war. An meiner Jack befanden sich Blutspritzer und auch meine Hose blieb nicht verschont. Ich war froh, dass es dunkel war, denn in so einer Aufmachung wollte ich niemandem begegnen.
In meinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander meiner Gedanken. Es war nicht gerade einfach, alles im Überblick
zu behalten. Ich hatte immer noch Emmas Gesicht vor Augen und das reichte aus, um mir einen gewaltigen Schauer zu versetzen. Ich würde alles dafür tun, um herauszufinden, was passiert war, dessen war ich mir sicher.
„Ich bin etwas früher zurück!“ sagte ich, als ich die Wohnungstür öffnete.
Anna, mein Babysitter saß sicherlich im Wohnzimmer und Hailey schlief.
Ich betätigte den Lichtschalter im Flur, doch nichts geschah. Vielleicht war einfach nur die Sicherung raus.
Als ich einen Schritt nach vorne gehen wollte, spürte einen leichten Druck gegen meinen Rücken. Sofort blieb ich stehen.
„Weiter gehen, na los. Und wehe, Sie machen eine falsche Bewegung!“ hörte ich eine tiefe Männerstimme hinter mir sagen.