Kurzgeschichte
Die Suche

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"Die Suche"
Veröffentlicht am 03. Februar 2015, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Die Suche

Die Suche

Haas folgte seinem Begleiter den Weg entlang. Links sah er das große Feld, das Bauern vor einiger Zeit mit Weizen bestellten, der inzwischen kniehoch gewachsen war; rechts vom Weg breitete sich das weitläufige Nichts einer Gegend aus, die schon seit Jahrhunderten von Menschen und von Tieren gleichermaßen verschmäht worden schien. Haas und sein Begleiter schritten auf den Wald zu, der still vor ihnen lag. Schon seit einer Stunde waren sie unterwegs gewesen. Unterwegs hatten sie kein Wort gewechselt; es gab bisher nichts zu sagen. Das Knirschen ihrer Schritte auf dem Kieselsteinboden war das einzige Geräusch, das zu hören war. Als sie nach einer Weile den Wald erreicht hatten, kamen sie an einer Wegeskreuzung zum Stehen; der Wald war dicht bewachsen, sodass das Tageslicht nur gedämpft durch die Baumwipfel, Sträucher und Büsche drang. Haas stemmte die Hände in die Hüften und blickte sich

um. "Da hinten müsste es irgendwo sein", sagte er und zeigte in eine vage Richtung. "Aber sicher bin ich mir nicht. Ich hab' die Stelle ja nie wieder gefunden." Der Begleiter runzelte die Stirn. "Hm." "Also?" "Okay." Schweigend setzen sie sich wieder in Gang. Nachts hatte Haas einen Traum gehabt, den er wieder vergessen hatte; doch nun, als sie den schmalen Pfad entlangmarschierten und die Blätter der Büsche ihre Jacken streiften, fielen ihm einige Bruchstücke wieder ein: Wie er zusammen mit einem anderen Mann, dessen Gesicht nicht zu erkennen gewesen war, da er ihn nur von hinten gesehen hatte, auf einer Straße gewandert war; wie seltsam ihre Schritte auf dem Asphalt geklungen hatten. Mehr wußte er nicht mehr. Während er in Gedanken versunken war, war sein

Begleiter plötzlich stehen geblieben; fast wäre Haas mit ihm zusammengestoßen. "Hey", sagte der Begleiter und zeigte nach links, "ist es das?" Eine kleine Lichtung lag seitlich vom Pfad. "Ne, das ist nicht die Stelle. Aber das sieht auch interessant aus. Da müssen wir später nochmal hin, wenn wir den Weg zurück finden." "Okay." Sie gingen weiter. Haas dachte an die Stelle, an der er schonmal gewesen war, damals, vor unendlich langer Zeit. Es war ein seltsamer Ort; er lag versteckt, umrandet von einer Mauer üppiger Vegetation, und nur ein schmaler Durchgang gewährte Zutritt zu der Stelle, die sich jahrelang irgendwo in den hintersten Winkeln seines Gedächtnisses als unscharfes Bild, begleitet von einem unbestimmten Gefühl, eingenistet hatte. Manche Erinnerungen sind nicht wirklich greifbar, dachte er; sie wirkten gleichzeitig fremd und vertraut, surreal verzerrt,

wie Erinnerungen von jemand anderem, die man irrtümlicherweise in seinem eigenen Gehirn vorfand; ein ganzes Leben lang konnten sie einen verfolgen, immer wieder tauchten sie auf, immer wieder dieselben Bilder, dieselben Gefühle, die man nicht definieren konnte, Gefühle, die untrennbar zu den jeweiligen Erinnerung gehörten, und nur dort jemals empfunden worden waren. Die Geräusche wechselten von gleichmäßigem breiigen Knirschen zu den rhythmischen, definierten Klängen von festen Schuhen auf Asphalt. Laut und unpassend hallten die Schritte durch den Wald. Haas blickte auf; sie waren zu einer Straße gekommen. Der Begleiter schien sich darüber nicht zu wundern und ging unbeirrt weiter. Haas ließ den Kopf sinken und tauchte wieder ab in seine Gedankenwelt. Wie lange sie wohl noch umherirren würden? Man jagte Erinnerungen und verschwommenen Illusionen hinterher, ohne ihnen je näher zu kommen, dachte

Haas. Das Bild zersprang, bevor man es hatte genauer betrachten können, nur um sich gleich darauf wieder neu zusammenzusetzen, genauso verschwommen und fern wie zuvor. Und doch, dachte Haas, erschien es einem oftmals wirklicher und wichtiger als die Gegenwart; als wäre es auf irgendeine Weise näher am Kern der Wirklichkeit. Haas schreckte auf als er ein Tapsen hinter sich auf dem Asphalt hörte; im Gehen schaute er sich um: Ein Hund, dem Aussehen nach ein Golden Retriever, mit beigem Fell trottete hinter ihm her; das freundliche Gesicht des Hundes blickte zu ihm auf, die Zunge heraushängend, und schien zu lächeln. Dann bellte der Hund. Haas lächelte zurück und wandte sich wieder der Laufrichtung zu. Dann waren sie ab nun eben zu dritt, dachte er. Der Begleiter schien von all dem nichts mitzubekommen; zielstrebig ging er die Straße entlang, den Blick starr nach vorne gerichtet, ein Schritt nach dem anderen, die Arme nutzlos an

den Seiten baumelnd. Wie weit entfernt er wirkte, obwohl er nur ein paar Meter vorraus war, dachte Haas. Kein Wunder, dass er nicht auf das Bellen reagiert hatte, so weit entfernt wie er war; unwahrscheinlich, dass er es von dort aus gehört haben konnte. Die Straße schien sich endlos hinzuziehen; sie würden wohl noch Stunden oder gar Tage unterwegs sein. Die tappsigen Schritte des Hundes wirkten für Haas nach einer Weile vertraut, so als wären sie immer schon dagewesen. Es würde irgendetwas fehlen, wären sie plötzlich nicht mehr vorhanden. Haas fragte sich, ob er ihm einen Namen geben sollte, verwarf den Gedanken jedoch sogleich wieder. Es gab hier ja nur einen Hund, da bestand keine Verwechslungsgefahr mit anderen Hunden; weshalb sollte er einen Namen haben? Er war eben der Hund, der treue Freund des Menschen. Aus der Sicht des Hundes hatte Haas sicher auch keinen Namen; er war einfach ein

Geruch. Indessen schien sich der Begleiter immer weiter zu entfernen. An der physischen Entfernung hatte sich nichts geändert. Es war, als wäre er mit einem Fuß herausgetreten aus der gemeinsamen Realität, als würde ein Teil von ihm sich auflösen im endlosen Strom des Undefinierten, dem unzugänglichen Teil des Ganzen, aus dem alles einmal hervorging. Bald würde er wohl ganz verschwunden sein und an seiner Stelle verbliebe nur ein Echo von etwas, das einmal gewesen ist; eine Erinnerung. Haas glaubte langsam, dass er die Stelle, die er suchte wohl nie wieder finden würde. Und selbst wenn, dachte er sich, wäre sie noch genau so, wie er sie im Gedächtnis behalten hatte? War sie es denn je? Er wußte es nicht. Vielleicht war es auch besser, sie nie wieder zu finden. Fast immer war es ernüchternd gewesen, zum Beispiel einen Film, den man als Kind einmal gesehen hatte, als Erwachsener erneut zu schauen, dachte er;

irgendetwas wurde dabei zerstört. Als Haas aus seinen Gedanken wieder auftauchte und nach vorne blickte, bemerkte er, dass sein Begleiter verschwunden war; vor ihm lag nur die leere, endlose Straße. Er drehte sich um und sah, dass der Hund noch immer hinter ihm herlief. Wenigstens auf den Hund ist Verlass, dachte Haas. Er ging weiter, ohne recht zu wissen, weshalb er überhaupt noch ging; vielleicht war mittlerweile das Gehen ansich sein Ziel geworden. Am Horizont konnte er die untergehende Sonne sehen; ein orangener Feuerball in weiter Ferne, dessen unteres Drittel mit der Straße zu verschmelzen schien. Haas ging weiter und der Hund folgte ihm.

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Superfant

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AngiePfeiffer Gefällt auch mir richtig gut.
LG
Angie
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Superfant Danke!
Gruß
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Maerchentante Toll geschrieben, sehr einfühlsam, das könntest Du zu einem Roman ausbauen.
LG Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Superfant Danke fürs Lesen und Kommentieren.
Naja, einen Roman kriege ich eher nicht hin; bin ja schon froh, wenn ich eine Kurzgeschichte fertigkriege :e
Gruß
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