Romane & Erzählungen
Save me - Teil 4

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"Ich erinnere mich nur an eine Art glutroten Nebel vor meinen Augen ..."
Veröffentlicht am 31. Januar 2015, 42 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Bin Mitte 40, habe in Bonn Theologie studiert, arbeite aber jetzt was ganz anderes :-) Verheiratet ohne Kinder, habe aber trotzdem weniger Zeit zum Schreiben, als ich möchte. Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganzes Buch zu schreiben, DIN A4 doppelseitig bedruckt immerhin 240 Seiten. Und jetzt habe ich den Schritt gewagt und es als reines E-Book auf Amazon veröffentlicht ( ...
Ich erinnere mich nur an eine Art glutroten Nebel vor meinen Augen ...

Save me - Teil 4

Kapitel 4

Was anschließend passierte, konnte ich selber später nur mühsam rekonstruieren. Ich glaube, ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte wie von Furien gehetzt in Richtung Straße. So richtig erinnern kann ich mich nur an eine Art glutroten Nebel vor meinen Augen, sowie an ein tiefgreifendes Gefühl der Verzweiflung. Genau weiß ich es nicht mehr, denn ich wurde erst wieder klarer, als der Schaffner im Nachtzug mich ansprach. „Wohin ich will?”, wiederholte ich, das hatte er mich anscheinend gefragt. „Nach Frankfurt, bitte”, flüsterte ich und er fragte entnervt „Was?” „Nach Frankfurt”, wiederholte ich fester, starrte ihn an oder besser durch ihn hindurch, während er mir die Fahrkarte ausstellte und meine Kreditkarte durch seinen Leser zog. Er

drückte mir das Ticket in die Hand und musterte mich noch einmal mit seltsamen Blick, räusperte sich dann. „Wenn was sein sollte, mein Dienstabteil ist zwei Wagons ins Fahrtrichtung”, verabschiedete er sich dann. „Ähm, ja danke”, antwortete ich und ließ mich erschöpft in das weiche Polster sinken. Ein kalter Luftzug ließ mich erschauern und ich merkte plötzlich, was ihn anscheinend so irritiert hatte: Ich trug immer noch das rückenfreie Abendkleid und hatte auch nur Jens' Jackett dabei. Ein sehr theatralischer Aufzug! Zu meinen Füßen stand eine kleine Reisetasche, die ich kurz inspizierte. Offenbar hatte ich in einer Kurzschlusshandlung wie von Sinnen schier wahllos ein paar Sachen in diese Tasche geschmissen, blind vor Tränen der Trauer und der Wut; hatte darauf verzichtet, mich

umzuziehen und war so wie ich war zum Bahnhof gefahren. So viel hatte ich wohl noch nachgedacht, dass es keinen Zweck hatte, erst morgen früh zum Flughafen zu fahren, weil Jens mich sicher abhalten würde … Was tat ich eigentlich hier? Ich musste hier raus, wieder zurück fahren, mit meinem Mann sprechen, ihm klar machen, dass … Schon wieder schossen mir die Tränen in die Augen, während ich sinnlos in meinem Gepäck wühlte. Viel hatte ich nicht in die kleine Reisetasche schmeißen müssen, in Marietas Küche liefen die zwei Waschmaschinen eh rund um die Uhr. Marieta … Der Kummer um sie drohte mich nun ebenfalls zu übermannen. SIE war für mich der Hauptgrund, runter zu fliegen, unabhängig von dem Gefühl, helfen zu

müssen. Marieta war für mich in meiner Zeit auf der Farm zu einer Ersatzmutter geworden. Das war sie zwar sowieso, die Mutter der Kompanie, aber unser Verhältnis war noch mal ein anderes, besonderes gewesen. Als ich damals anreiste, die Tasche noch dünner als heute – abgesehen von meinen kostbaren Lehrbüchern – war ich ja eigentlich erwachsen gewesen und als normale Angestellte gekommen. Aber mit ihrem ganz besonderen Gespür hatte Marieta gefühlt, wie zerrissen und allein ich eigentlich war. Von der eigenen Mutter so grausam im Stich und dem Teufel ausgeliefert worden zu sein, tja, das hinterlässt nun einmal Narben auf der Seele, auch wenn ich seit jeher gut darin war, trotz

allem zu funktionieren. Trotz der Tatsache zum Beispiel, dass die Liebe meines Lebens meine Gefühle nicht nur nicht erwiderte, sondern auch keinen Wert mehr auf meine Freundschaft legte, wie es damals schien! So hatte mich die Chefin unter ihre Fittiche genommen, behutsam, um meinen Stolz nicht zu verletzen, aber so einfühlsam, dass uns schon bald ein besonderer Draht verband. Marieta ist kein einfacher Mensch, oh nein, es gibt viele, die nicht mit ihr klar kommen, aber für mich war sie das Leuchtfeuer auf meinem Treiben im Ozean der wirren Gefühle, an ihr und durch sie bin ich GEwachsen und ERwachsen geworden. Der Gedanke, dass nun ihr Lebenswerk in Gefahr war, diese Angst trieb mich in erster Linie nach Afrika. Wenn ich doch nur die Chance hätte, Jens das klar zu machen! Aber auch er gehörte zu denjenigen, die mit der

eigenwilligen Chefin der Tierschutzfarm nie richtig warm geworden waren, wahrscheinlich waren sich beide zu ähnlich, keine Ahnung. Jedenfalls würde er das hier nie verstehen, dessen war ich mir nun sicher. Schweren Herzens beschloss ich, tatsächlich bis Frankfurt durch und dort zum Flughafen zu fahren, um wie geplant meinen Flieger nach Windhoek zu nehmen. Für einen Moment lehnte ich mich zurück, schreckte plötzlich hoch, als mein Handy zu singen begann, eines der wenigen Liebeslieder, die es von Rollen D. Rubel gab. Dieser verdammte Klingelton! Im Gegensatz zu seiner Aussage, er würde sein Privatleben nicht in seinen Liedern

thematisieren und mich schon gar nicht, hatte ich von Anfang an bei diesem Lied den Verdacht gehabt, dass es dabei irgendwie um mich und unsere Liebe ging. Unter süßer Folter hatte Jens das dann auch irgendwann zugegeben! Und natürlich hatte ich mich dadurch geschmeichelt und geliebt gefühlt! Deswegen war es auch mein Klingelton für seine Anrufe … Ich starrte das Handy unschlüssig an, selber schon unwirsch angeschaut von meinem Abteilungsnachbar. Wahrscheinlich war Jens stocksauer oder auch besorgt, weil er mich um diese Uhrzeit nicht wie erwartet zuhause vorgefunden hatte. Fast schon in Panik drückte ich ihn weg. Seufzend drückte ich meine Stirn gegen die kühle

Scheibe. Warum musste Jens auch so stur sein!?! Mein nächster Geistesblitz ließ mich kurz hysterisch auflachen; vielleicht waren seine Befürchtungen ja berechtigt und er litt tatsächlich schon an Altersstarrsinn?! Mein Ausbruch brachte mir wieder ein Stirnrunzeln meines Mitreisenden ein. Ich unterdrückte den Impuls, ihm die Zunge raus zu strecken und kehrte zu meinem Mann zurück, jedenfalls in Gedanken. Da ging mein Handy schon wieder los, ein anderes Lied, derselbe Sänger. Ich seufzte. Die andere Leitung, von Zuhause aus. Das Lied war zu alt, um auf mich gemünzt zu sein, aber es hatte doch von jeher so gut auf uns gepasst, dass es ebenfalls als Klingelton herhalten musste.

Zumindest gab Jens nicht gleich auf. War eigentlich für ihn immer noch jeden Tag Feiertag, wenn er mich sah? War unsere Ehe noch etwas wert oder war sie am Ende? Das würden wir klären müssen, wenn ich wieder zurück war. Entschlossen schaltete ich das Gerät aus. Ich würde ihn von Afrika aus anrufen und noch einmal versuchen, es zu erklären. Entweder er kam dann nach oder wir sahen uns wie so oft eine Weile lang nicht, das Risiko musste ich in Kauf nehmen. Das musste unsere Liebe aushalten! Aber warum fühlte mich dabei fast wie Scarlett O'Hara, die gerade flüsterte „Schatz, wir werden einen Weg finden. Morgen, nicht heute.

Verschieben wir's auf morgen.” ?! * Die nächsten Stunden brachte ich wie in Trance hinter mich, schaffte es irgendwie, ordnungsgemäß einzuchecken, mich umzuziehen und mein Gate zu finden. Im Flieger saß ich dann eingepfercht zwischen einen ziemlich dicken Geschäftsmann und einer geschwätzigen Möchtegernglobetrotterin, die endlos über all die Plätze schwadronierte, die sie angeblich schon gesehen hatte. Manche davon hatte ich selber schon besucht und fand daher einige, nun ja, Schwächen in ihrer Erzählung, aber mir war es im Moment so egal, ob sie log oder nicht … Wenigstens half mir ihr Redeschwall, irgendwann einfach weg zu

knacken. Es war ein sehr unruhiger Schlaf, in dem ich verrückte Sachen träumte und total verschwitzt aufwachte, mit verkrampftem Nacken und einer höchst pikierten Nachbarin, die mir mein Wegpennen anscheinend sehr übel nahm. Wie konnte ich auch nur! Sie zischte mich sauer an, als ich sie bat, kurz für mich aufzustehen, da mich ein dringendes Bedürfnis plagte. OK, es war sicher nicht so super höflich gewesen, mitten in ihren Lügengeschichten einzuschlafen, aber musste sie mich deswegen so anraunzen? Als ich zurück kam, bat gleichzeitig der Dicke darum, raus gelassen zu werden. Wie er mich passierte, hörte ich ihn raunen „Setzen Sie sich doch einfach auf meinen Platz” und zwinkerte mir zu. Das tat ich auch und zurück nahm er meinen Sitz ein, machte sich dort sehr zum Leidwesen unserer Gefährtin breit. Dankbar

nickte ich ihm zu und kuschelte mich mit meinem Kissen ans Fenster, um noch ein wenig zu schlummern. Meine Gedanken gingen in die Vergangenheit, zu eben jenem Ort, zu dem ich nun auf dem Weg war und an dem sich mein Schicksal erfüllt hatte – so dachte ich jedenfalls bisher immer. Aus purem Zufall hatte Jens mich damals dort wieder gefunden. Und mir gestanden, dass er mich liebte, mich auch schon bei unserem Abschied geliebt hatte. Nur mir zuliebe hatte er mich gehen lassen, damit ich mich entwickeln konnte, auch auf die Gefahr hin, mich für immer zu verlieren. Deswegen hatte ich es immer als einen Wink des Schicksals empfunden, dass wir uns dann doch noch wieder gefunden hatten und als Belohnung für unsere gegenseitigen Opfer bisher

sehr glücklich gewesen waren. Nur hatte ich im Moment überhaupt nicht mehr das Gefühl, ein gleichwertiger Partner zu sein! Warum ließ er mir den Freiraum, ein eigenständiger Mensch zu werden, opferte dafür beinahe sein Lebensglück, wenn er mir dann eine für mich lebenswichtige Entscheidung doch so übel nahm?! Endlich stieg ich dann total zerknautscht aus dem Flieger und beschloss, mich erst mal auf der Toilette frisch zu machen. Und Hunger hatte ich auch, deswegen zog ich mich, nachdem ich den Schlüssel meines Jeeps abgeholt hatte, in ein kleines Restaurant zurück. Dort zückte ich mit klopfendem Herzen mein Handy und schaltete es wieder an, in der Hoffnung, dass es sich hier in irgend ein Netz einklinkte. '14 Anrufe in Abwesenheit' sprang mir sofort entgegen, die waren wahrscheinlich nicht mal

alle von Jens oder er hatte es auch von anderen Apparaten aus versucht, in der Hoffnung, ich würde da eher dran gehen … Ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich warf trotzdem einen flehenden Blick gen Himmel, als ich mit Blei in den Fingern Jens' Handy anwählte. Und wurde kurz darauf in meinem Unglauben bestätigt. „JA!“, meldete sich eine barsche Stimme, die definitiv nicht ihm gehörte, aber erst auf ein kurzes Nachdenken hin als die von Sabine und damit weiblich zu erkennen war. „Sabine, was ...“, stammelte ich verwirrt, meine eigentlich zurecht gelegten Worte durften nun nicht raus und ich wusste jetzt gar nicht, was ich sagen sollte. „DUUU!“, kam es von ihr zurück, „meldest du dich auch mal?!?“ „Ja, ähm, sieht so aus; warum hast du-“

„Verdammt, Catherine, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, so einfach abzuhauen? Und gehst dann nicht mal ans Handy, also wirklich, Kleine, so geht das nicht!“ Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich den aufkeimenden Ärger zu unterdrücken. ‚Kleine’ ließ ich mich eigentlich nur von meinem großen blonden Beschützer nennen, wo war der denn überhaupt?! „Nun ja, ich“, begann ich, doch Sabine fiel mir gleich wieder ins Wort. „Wo bist du denn eigentlich, du warst nicht zuhause, als wir heimkamen, du machst dir keine Vorstellung, wie aufgelöst Rollen war; schon die Ausstellung hast du mit deinem Theater fast geschmissen, so durch den Wind war er!“ Klar, das war natürlich das Einzige, was sie interessierte und mir reichte es. „Sabine?!“

„Ja?“ „HALT DIE KLAPPE!“   Ah, tat das gut! Meine Beziehung zur ihr war ja von jeher ambivalent, sie konnte ein guter Kamerad sein und sie hatte sich wirklich immer sehr für Jens und seine Kunst eingesetzt, dafür war ich ihr dankbar. Aber unsere Beziehungskiste ging nur uns was an und ich wunderte mich, mit welcher Leichtigkeit diese Frau aus der Alice-Schwarzer-Generation mir als Frau die Schuld in die Schuhe schob, als wäre ich eine kleine verwöhnte Zicke, die ihren Lolli nicht gekriegt hatte! „Was, wie redest du denn mit mir?!”, empörte sich die Gute. „Das wollte ich dich auch gerade fragen”, gab ich

zurück. „Ich denke, was gestern war, das geht nur meinen Mann und mich etwas an! Deswegen würde ich ihn gerne sprechen, hab ja eigentlich ihn angerufen! Also könntest du ihn mir bitte geben; wo ist er überhaupt?” „Tjaaa”, machte sie da gedehnt und ich hatte das Gefühl, dass sich da eine gewisse Genugtuung in ihre Stimme schlich. „Das wird leider nicht gehen, meine Liebe. Er hat mir sein Handy extra gegeben, als er abgereist ist.” „Abgereist?”, fragte ich atemlos und mein Herz schlug spontan schneller voller Hoffnung, Jens nun bald direkt zu treffen und mich mit ihm aussprechen zu können. Um so größer war die Fallhöhe, denn ihre nächsten Worte ließen mich leider erst recht am Boden zerstört zurück. „Ja, abgereist, nach Südamerika, wie

geplant.” BAMM! Das saß, das musste ich erst einmal verdauen. Jens war also einfach in den Flieger gestiegen, ohne eigentlich zu wissen, wo ich war. Hatte auf stur geschaltet, mein Verschwinden als Kampfansage gewertet und mit gleicher Münze zurück gezahlt, war es das? War ihm unsere Ehe in Wirklichkeit nicht mal mehr soviel wert, diesen Kampf auf faire Art und Weise auszufechten?! „Catherine?”, fragte Sabine am anderen Ende der Leitung, weil ich nun, ich weiß nicht wie lange, geschwiegen hatte.

„Ja, ich bin noch da”, krächzte ich, fühlte mich, als würden mich sämtliche Erdanziehungskräfte drei mal so stark wie sonst zu Boden ziehen. Mühsam räusperte ich mich. „Ahem, also, dann ist Jens also unterwegs nach Buenos Aires?” „Hm, na, sieht so aus, ich meine, da gab es wohl eine Änderung, er reist nach Bogotá, aber weg ist er, das steht fest. Hör mal, es tut mir wirklich leid”, fügte sie dann noch an und es klang sogar aufrichtig. „Er war .. er war, man kann sagen, nicht er selbst. Ich will dir keinen weiteren Vorwurf machen, aber du kannst dir ja wohl vorstellen, dass er ziemlich sauer über dein Verschwinden war, abgesehen davon, dass er sich tierische Sorgen gemacht hat.” „Ähm, weiß er, dass ich-” „Dass du unterwegs nach Afrika bist?” Sie holte tief Luft. „Ja, das wusste er. Er hat wo angerufen und weißt du, ein Rollen D. Rubel

bekommt so manche Information, die nicht mal der Geheimdienst bekommen würde. Deshalb wusste er, dass du tatsächlich in den Flieger nach Windhoek gestiegen bist.” In ihren Worten schwang die deutliche Kritik mit, dass ICH einen Rollen D. Rubel anscheinend nicht so sehr schätzte wie die Leute an den Auskunftsstellen. Aber für mich war er doch einfach mein bester Freund und der Mann, den ich liebte! Sein Star-Status war mir schon immer egal gewesen. Und ich bin sicher, dass es sich im Privaten auch genau so gehört! UND ich hatte auch immer das Gefühl gehabt, dass ihm genau das gut gefiel, dass er es gut gefunden hatte, dass ich ihm damals nicht automatisch verfallen war, sondern mich im Gegenteil ziemlich gegen seine Hilfe gesträubt hatte … Aber jetzt … Jetzt schien er jegliches

Verständnis für mich verloren zu haben. Oder? Ich verabschiedete mich ziemlich kurz angebunden von Sabine und legte auf. Ich musste nachdenken. Was bedeutete es, dass Jens so einfach unsere ursprünglich geplante Reise alleine angetreten hatte? Nun gut, streng genommen hatte ich ja quasi das Gleiche getan, aber ich hatte doch einen guten Grund! Den er einfach nicht wahr haben wollte. Oder? Ich nahm einen großen Schluck Kaffee und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Vielleicht bedeutete es ja auch gar nichts Schlimmes. Im besten Fall hatte Jens sich in dem gebuchten Flieger auf den Weg gemacht, um einfach die Zeit zu überbrücken, in der ich in Afrika zu tun hatte. Würde sich irgendwann

doch noch bei mir melden und die Sache mit uns klären. Und im schlechtesten Fall … gab es für ihn nichts mehr zu klären. Ich hatte fast das Gefühl, als würde mein Herz bluten, doch als Medizinerin wusste ich, das war natürlich Quatsch. Ohne mit Jens direkt gesprochen zu haben, blieben alle Überlegungen reine Spekulation und es sah so aus, als würde es erst mal länger nicht dazu kommen. Aber ich hatte nun mal eine Mission hier zu erfüllen. Also tat ich – nach langer Zeit einmal wieder – das, was mir über meine schwere Zeit damals hinweg geholfen hatte … Ich schloss all meine Gefühle, die Ängste und

die Liebe tief in einem kleinen Raum in meinem Herzen ein und versiegelte ihn gründlich! Nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, saß ich noch eine Zeitlang stumm auf meinem Platz und spürte, wie mich eine große Ruhe überkam. Ja, das Verhalten meines Mannes war eine Riesenenttäuschung, doch ich musste zugeben, dass er meines wahrscheinlich ähnlich bewertet hatte – auch wenn ich mich auf eine Art Schockstarre berufen konnte, meiner Meinung nach, in der ich wie ein Roboter losgestapft war. Egal, nun galt es erst mal, meine Pflicht zu erfüllen und vor allem mal hier vom Fleck zu kommen. Sollte ich vorher noch mal zuhause anrufen? Ach nein, das konnte ich dann in Ruhe von

meinem Zimmer aus machen, beschloss ich. Ach hätte ich doch nur ... Es dunkelte, während ich die lange Strecke fuhr, aber ich hatte eh einen solchen Tunnelblick heute, es machte mir nichts aus und ich kam gut voran. Die vier Stunden über drehte ich den hiesigen Radiosender bis zum Anschlag auf und groovte mich so schon mal wieder langsam ein. In erster Linie lenkte es mich aber von meinen Sorgen ab, auch wenn ich immer hoffte, nicht zufällig eines der Band-Lieder zu hören (in diesem noch teilweise sehr deutsch geprägten Land durchaus möglich!). Und eines kann ich sagen, der Empfang und die Begrüßung … Also, ich will nicht sagen, dass es alles aufwog, aber die Herzlichkeit, ja Liebe und Dankbarkeit, die mir hier entgegen schlug, wärmte mein Herz von Grund auf. Und vielleicht drang auch ein bisschen von diesem

warmen Licht bis in den geheimen Raum dort, denn ich war mir plötzlich sicher, dass sich alles zum Guten wenden würde. Geradezu euphorisch hockte ich irgendwann in der Nacht in meinem Zimmer (zum Glück nicht das von damals) und zückte mein Telefon. Diesmal wählte ich die Nummer von Niels und wartete mit einem gewissen Magengrimmen darauf, dass er dran ging. Sicher würde auch er mir Vorwürfe machen. „Kitty, bist du das?“, sagte er gleich als erstes. Ich musste schmunzeln. Was, wenn nicht? „Ja Kleiner, ich bin es.“ „Ah Gottseidank, ich meine, was machst du eigentlich, bist du wirklich in Afrika?!“, sprudelte er heraus und ich seufzte. „Stimmt, Niels, ich bin in Namibia.“

„Also einfach mal wieder abgehauen“, stellte er fest und mir fiel ein, so richtig wusste er immer noch nicht, was damals war, als ich ihn als Kind plötzlich für so lange Zeit ohne Vorwarnung ‚verlassen’ hatte, da lag wohl immer noch eine tiefer gehende Verletzung vor. (Es wäre wahrscheinlich kein Problem für ihn gewesen, es heraus zu bekommen oder mich eventuell einmal direkt zu fragen, aber offenbar lag der Hang zum Verdrängen in der Familie ...) Ich schluckte den Vorwurf, für lange Erklärungen wusste ich nicht, ob dafür nun der richtige Zeitpunkt wäre. „Schatz, mein liebes Brüderchen, ich ... ich hatte meine Gründe!“ „Ja natürlich“, ätzte er. Das schien schwieriger zu werden, als ich dachte. „Hör mal, Niels, wenn dich Freunde um Hilfe bitten, dann bist du doch auch immer dabei,

oder?“ „Hm ja, meistens ...“ „Nicht meistens, sondern immer, das grenzt bei dir schon an ein Helfersyndrom, mein Lieber! Jedenfalls kennst du das zur Genüge und müsstest doch eigentlich wissen, warum man das macht. Also jetzt war es eben an mir, meinen Freunden hier unten zu helfen. Und ich kann nicht kapieren, warum Jens da so ein Theater macht und mich nicht versteht!“ „Na ja, er war echt durch den Wind, als wir nach Hause kamen und du nicht da warst; erst nach einer Weile haben wir festgestellt, dass deine Reisetasche und ein paar Klamotten fehlten.“ „Da war er sauer, was?“, fragte ich. „Hm, eher ... überrascht ... und traurig. Und Sorgen hat er sich gemacht. Sauer war er erst ...“  Hier brach Niels ab, aber ich konnte den Satz für ihn zuende führen.

„-als er hörte, dass ich im Flieger nach Windhoek sitze.“ Er holte tief Luft. „Ja, genau.“ Anscheinend doch typisch Mann. „Und deswegen ist er selber dann auch weg geflogen“, stellte ich fest, wusste gar nicht, was ich dazu hören wollte. „Na du musst reden“, begehrte mein Bruder auf und ich lachte kurz auf. „Ja, schon, denn ich sehe bei mir die besseren Gründe! Mir kommt es vor, als sei es bei ihm doch nur gekränkte Eitelkeit! Weil ich nicht so spure, wie er es gerne hätte.“ „Bist du sicher? Er hat vorhin angerufen und da kam er mir -“ „Er hat angerufen? Bei dir?“, fragte ich hektisch. „Ja, von so einem Bordtelefon aus. Er wollte

wissen, ob du dich gemeldet hast, aber das konnte ich ihm ja nur verneinen. Und da ...“ „WAS?!“ „Da hat er etwas gesagt von wegen, dann wäre es jetzt auch egal und er würde sich auch nicht mehr melden. Tut mir leid, Catherine.“ Mir stiegen die Tränen in die Augen. Das war einfach nicht fair! Ich hatte mich doch gemeldet, sogar auf SEINEM Handy!! Ach, hätte ich Niels doch schon vom Flughafen aus angerufen ... Dann fiel mir etwas ein. „Warum gibt er eigentlich Sabine sein Handy und ruft dann doch nicht bei ihr an?! So ein Mist!“, fluchte ich. „Vielleicht ... vielleicht, weil er sich im Grunde davor gefürchtet hat?“ „Sieh an, mein Brüderchen ist jetzt auch noch unter die Hobbypsychologen gegangen“, grollte

ich, doch Niels blieb ruhig. „Na ja, das stammt nicht von mir.“ „Von wem denn dann?“ „Von Vince. Ich geb ihn dir mal.“ „Was?! Nein!”, rief ich, aber da war es schon zu spät. Oh, zum Glück musste ich ihn gerade nicht angucken. Mit seinen braunen Rehaugen, die so tief in deine Seele schauen können … Seitdem er mich damals ab und zu zur Polizei begleitet hatte und vor allem, seit er meine Mutter live erlebt hatte, verband uns eine engere Freundschaft. In Berlin wussten die wenigsten Leute von gewissen Teilen meiner Vergangenheit und auch wenn ich vieles davon am liebsten vergessen würde, es war gut, dass es jemanden außer Jens gab, der ungefähr wusste, warum ich so war, wie ich eben bin. Denn eines stand fest, wenn der beste Freund zu

deinem Geliebten wird, ändert sich halt doch, auch wenn man das nicht wahr haben will, etwas an der Qualität deiner Beziehung. Nicht zum Schlechten, nein, nur die Gewichtung ist anders - das war mir spätestens in den letzten 24 Stunden klar geworden. Man hört viel zu viel mit dem empfindlichen Beziehungs-Ohr statt sachlich und freundschaftlich zu reagieren … Die Liebe verändert so vieles! „Cat?”, drang Vince' Stimme zu mir vor, ich war wohl abgetaucht in meine kruden Gedanken, deswegen setzte er noch ein „Hallo, Kitty?”, nach. Das brachte mich erst mal zum Lachen, dann zum Weinen, denn es erinnerte mich an den Moment in der Küche vor ein paar Tagen, als Jens mich so angesprochen hatte. „Herrje, Kleines, nicht weinen!”, japste Vince entsetzt und ich schniefte, bremste mich, bevor das GANZE Elend aus mir heraus brechen

würde. Dann wappnete ich mich, denn sicher würde auch er mir nun Vorwürfe machen. Doch erstaunlicherweise waren seine nächsten Worte „Meine arme Cat, wie geht es dir?” „Ähm”, murmelte ich, musste mich erst mal fassen, sagte dann „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Schimpfst du denn gar nicht mit mir?” „Wie könnte ich”, seufzte er. „Also, nicht, dass ich dieses Chaos gut finde, jedenfalls was ich davon verstehe, ich glaube, Niels weiß auch nicht alles, oder?” „Nein”, meinte ich leise, „er weiß vor allem nicht, was damals war, als wir beide, du und ich, uns kennen gelernt haben … Und warum mir Harnas so wichtig ist, das hat ja auch damit zu tun.” „Verstehe”, brummte Vince. „Warum ist er überhaupt bei

dir?” „Kannst du dir das nicht denken?” Ich schwieg einen Moment und wischte mir die Augen trocken. „Doch. Doch, ich versteh schon.” Auch wenn Niels Jens als Vaterfigur vergötterte, war Vince doch sein wahrer Freund und Mentor, der ihn aus eigenen Motiven liebte und förderte. Die Ereignisse der letzten 24 Stunden hatten Niels sicher ziemlich mitgenommen und Stanley war ganz sicher nicht der Mensch, der ihm da durch helfen würde ... Ich schaffte es dann sogar, Vince so mehr oder weniger die ganze letzte Woche näher zu bringen, denn er war ein guter Zuhörer und hatte mir den Eindruck vermittelt, mich nicht automatisch zu verurteilen wie die anderen. Zwangsläufig kam ich dabei auch auf Jens' offensichtliche Probleme mit dem Älterwerden,

da seufzte sein langjähriger Freund und Bandkollege. „Ja, das gehört halt zu den Dingen … die man eigentlich bewusst in Kauf nimmt, wenn man sich dazu entschließt, über deren Ausmaße man sich aber dann doch keine Vorstellungen macht.” „Du sprichst in Rätseln”, stöhnte ich und er lachte. „Sorry, hm, ich denke, man könnte es grob mit einem Tattoo in jungen Jahren vergleichen, natürlich weiß man auch da schon, dass es für die Ewigkeit ist, denkt aber entweder, man würde seiner eh nie überdrüssig oder man sagt, 'das nehme ich bewusst in Kauf'. Und weiß aber natürlich nicht, ob sich dieses Gefühl tatsächlich halten wird ...” „Äh, dann bin ich nur ein Anhängsel?”, fragte ich verwirrt, denn das konnte doch nicht seine Idee

sein! „Nein, ich meine bei euch beiden den Altersunterschied.” Da musste ich erst richtig stöhnen, nicht schon wieder dieses Thema! Doch Vince beschwichtigte mich. „Nicht aufregen, meine kleine Cat! Was ich meine, ist, dass gerade Jens sich dessen sehr bewusst war, als ihr endgültig zusammen kamt, welche Lücke da zwischen euch klafft. Die ist immerhin ziemlich groß! Aber er hat damals tatsächlich kein Problem darin gesehen, verstehst du?!” „Ahm, ja, naja ...”, brabbelte ich, zum Glück dozierte Vince da schon weiter. „Und es war ja auch lange keine große Sache und er dachte, er würde die Zukunft schon wuppen. Nur hat er sich nicht vorstellen können, WIE es sich dann tatsächlich anfühlen würde, wenn die Schere sinngemäß weiter auseinander zu klaffen beginnt. KEINER kann

sich als jüngerer Mensch vorstellen, wie sehr man an geistiger und körperlicher Elastizität verliert ab einem gewissen Alter.” Das regte meinen Spott an. „Mensch, alter Latino, das klingt ja fast, als ob es sogar dir schon so gehen würde, dabei bist du der Jüngste von den Dreien!” „Cat, ich bin letztes Jahr 45 geworden und ehrlich, das eine oder andere Zipperlein kommt seit der 40 jedes Jahr dazu. Und die ständige einseitige Haltung mit den Instrumenten macht es nicht einfacher. Das würde ich mir auch nicht glauben, wenn ich in deinem Alter wäre oder als es meine Eltern erzählten. Aber es ist so.” „Ach, ich weiß nicht”, murmelte ich immer noch ungläubig, „dann hätte Jens mir doch was erzählt. Verdammt, ich bin seine Frau, egal ob jünger oder nicht, da sollte er mir doch vertrauen!”

„Ich hab schon von Ehen gehört, da hat der Partner als letzter erfahren, dass eine schwere Krankheit im Endstadium vorliegt ...”, erwiderte er bestimmt und ich keuchte „VINCE!” „Nein, keine Sorge”, beruhigte er mich rasch, „ich glaube, er teilt schon so ziemlich alles mit dir, wenn auch vielleicht nicht immer sofort.” „Dazu ist er ja auch oft genug nicht zuhause, als dass er es mir sofort erzählen könnte”, seufzte ich. „Na, er HAT dir aber von seinen Sorgen erzählt, oder? Und vergiss nicht, du bist hübsch, schaust sexy aus-” „Oh danke, genau das hat mich ja damals in die Bredouille gebracht”, knurrte ich, er fuhr aber fort. „-und du hast eine Menge Freunde in deinem Alter, auf der Arbeit bist du sehr beliebt. Auch

wenn du ihm nie wirklich Veranlassung zu solchen Gedanken gegeben hast, sie sind da, da kann er nix gegen machen!” Ich schwieg eine Weile und dachte nach, ich wusste, Vince hielt das aus. Dann fragte ich „Dann geht es dir mit Jerôme genau so?” Er lachte kurz auf. „Naja, uns trennen nur fünf Jahre, aber du weißt, wie gut er aussieht, oder?” „Oh ja”, bestätigte ich, denn Vince' Freund war wirklich eine Sahneschnitte. Und seinem Freund absolut treu. Aber Eifersucht scherte sich anscheinend nicht unbedingt um die Realität, ebenso wie Sorgen. „Ach Vince”, murmelte ich, „meinst du, wir kriegen das wieder hin? Nicht, dass Jens zu dem Schluss kommt ...” Ich konnte es nicht mal aussprechen! „Catherine, ich bin mir eigentlich ziemlich

sicher, dass er das nicht wird. Ihr braucht bestimmt etwas Zeit, um euch nachher endlich mal wieder auszusprechen und zusammen zu raufen, aber bitte, bei eurer Geschichte, das wäre doch gelacht, wenn ihr da nicht alte Tugenden wieder raus holt!” „Na gut, dann muss ich das einfach mal abwarten. Vince, Schatz, wenn, also falls er sich doch noch meldet, sag ihm einfach ...” Ich zögerte, ja, was sollte er sagen? Aber jetzt war nicht mehr die Zeit für falschen Stolz! „Sag ihm, dass mir meine Kurzschlusshandlung unendlich leid tut und dass ich alles tun möchte, um das wieder gut zu machen! Ja?!” „Werd ich machen”, brummte er. „Und hab ein Auge auf Niels, bitte. Stanley ist so alt wie ich, der kommt klar ...” „Na logo!”, versprach mein lieber Freund und Seelentröster. „Und wenn du wieder wen zum Quatschen brauchst, ruf an, okay!? Wir lieben

dich!” „Und ich liebe euch”, hauchte ich dankbar, dann legten wir auf.

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Hörbuch

Über den Autor

QueenMaud
Bin Mitte 40, habe in Bonn Theologie studiert, arbeite aber jetzt was ganz anderes :-) Verheiratet ohne Kinder, habe aber trotzdem weniger Zeit zum Schreiben, als ich möchte.

Trotzdem habe ich es geschafft, ein ganzes Buch zu schreiben, DIN A4 doppelseitig bedruckt immerhin 240 Seiten. Und jetzt habe ich den Schritt gewagt und es als reines E-Book auf Amazon veröffentlicht ( http://www.amazon.de/Verrat-und-Vertrauen-ebook/dp/B007OH3DXI/ref=sr_1_1?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1332863393&sr=1-1 ), vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen ... Eine Leseprobe von "Verrat und Vertrauen" findet ihr auch in meiner Bücherliste.

Ansonsten gebe ich zu, eher einen Hang zum Happy-Ending zu haben, aber auch nicht immer, wie die Leser meines "Klassentreffen" sicher bestätigen können :-)

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QueenMaud Den ersten Teil gab es hier:
http://www.mystorys.de/b124242-Romane-und-Erzaehlungen-Save-me--Teil-1.htm
Von dort den Link auf Teil 2.

Teil 5
http://www.mystorys.de/b125356-Romane-und-Erzaehlungen-Save-me--Teil-5.htm
LG
QueenMaud
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