Das Bildnis
Gewidmet D.G.
In der aller entlegensten Kammer
Musste ich etwas verstecken
Es ist von sehr großem Wert für mich
Doch auch von noch größrem Schrecken
An der Wand schlummert es friedlich
In der verordneten Dunkelheit
Und immer, wenn ich es besuchen komme
Spür ich unter dem Tuch seine Einsamkeit
Es scheint ihm nie die Sonne
Ich stehe davor und entblöße das Bildnis
Das mit feinsten Strichen gezogen
Man könnt denken, es wäre mein Spiegelbild
Doch das Alter hat nie gelogen
Es sieht mich aus leidvollen Augen an
Das Gesicht zerfurcht wie die Klippen am Meer
Vorwurfsvoll ist beinahe sein Blick
Mein Herz wird schwer, es schmerzt so sehr
Ich werfe das Tuch zurück
Der wertvollste Besitz eines jeden Menschen
Sind die jungen Jahre sein
Wer diese Zeit für immer behalten will
Würde alles tun und nie bereun
Meine ganz persönlichen Schätze sind
Die Schönheit und die Jugend
Ich klammer mich an sie, lasse nicht los
Halte nichts von Moral oder Tugend
Das sind Worte bloß
Ich hörte von einer seltsamen Dame
Die konnte himmlische Abbilder schaffen
Doch ihre ganz besondere Gabe
Würde selbst den Teufel schaudern machen
So ließ ich sie ein Portrait von mir erstellen
Das war so herrlich und wunderbar
Dass mir schon nagende Zweifel kamen
Ob so etwas Schönes werden sollte zur Mahr
Doch ich hatte kein Erbarmen
Und so kam es, wie ich es erbeten hatte
Die Dame verwünschte mein Ebenbild
Auf das es das Altern für mich übernehme
Wie ein schützender Jugendschild
Ich werde für immer schön nun sein
Und die Vorzüge zu genießen wissen
Die geschenkten Herzen entgegennehmen
Schöne Menschen will man gerne küssen
Doch kann das Herz nie zähmen
Denn in meiner Brust, da schlägt kein Herz
Noch brennt Leidenschaft in mir
Beides ist nun gut verwahret
In dem ehemals schönen Bildnis hier
Und wenn ich noch so grausam bin
Ihr werdets nimmer mir ansehn
Doch sähet ihr das Gemälde an
Würdet ihr in Schrecken vergehn
Bei meines Namens Klang
Auch mir ist das Abbild nicht geheuer
Kann mich ihm aber nicht erwehren
Es zieht mich an und fasziniert
Mir graut davor, es zu berühren
Würd es so gern zu Nichte machen
Jedoch, es ist ein Teil von mir
Wie kann ich über mich selber richten?
Bin zwar ein kaltblütiges Tier
Doch kann ich mich nicht selbst vernichten