Magie zu beherrschen machte einen nicht automatisch zu einem besseren Menschen. Oder zu einem, der mehr wert war als andere. Das war aber nur einigen magiebegabten Menschen bekannt, so wie es schien. Vielen von ihnen erschien diese Tatsache nur mehr als abwegig. Warlandra war eine dieser Personen gewesen. Sie hatte sich nie sonderlich für die anderen Bewohner des Dorfes interessiert und auch kaum Freunde im Dorf gehabt. Vor allem ihre Nachbarn waren ihr immer unsympathisch gewesen. Das fanden Philian, Milvar und Miria jedoch erst
heraus, als sie nach dem tragischen sowie auch mysteriösen Tod der Hexe Nachforschungen anstellten. „Nun gut“, sagte Philian und kratzte sich etwas nervös am Kopf. „Sie würden ihr Verhalten zu ihr also wie genau beschreiben?“ Der angesprochene Mann zuckte mit den Schultern. „Philian, Junge, du kannst mich ruhig duzen. Wir kennen uns doch schon Jahre.“ Philian zuckte zusammen und nickte. Milvar mischte sich ein. „Wir sind hier nicht, um mit dir einen Kaffeeklatsch zu halten, Argon. Es ist ein Mord geschehen, wir sind im Dienst. Also lass Philian seine Arbeit machen. Auch wenn das bedeutet, dass er dich siezt. Du
kennst ihn ja: er nimmt sowas sehr ernst.“ Argon, ein großer, dunkelhaariger Mann mittleren Alters nickte verständnisvoll. „Natürlich, die Arbeit, die ihr tut, ist ja auch sehr wichtig!“ Dann warf er Philian einen etwas verwirrten Blick zu. „Wie war noch gleich die Frage?“ Philian lächelte. „Wie würdest du dein Verhältnis zu der Toten beschreiben, Argon?“ „Nun...“, Argon zuckte mit den Schultern. „Wir hatten nicht sonderlich viel Kontakt zu ihr, nicht wahr? Sie war schließlich eine Hexe, und wir, ja, wir sind eben nur einfache Leute. Sie hat sich nicht mit uns abgegeben. War uns aber eigentlich auch ganz recht, schließlich
war sie etwas wunderlich, nicht wahr?“ Er schob sich die Ärmel seines Hemdes hoch und fuhr fort: „ Wie jeder weiß, ist Salzwasser nicht gut für Magier. Das hat ja irgendwas mit dieser alten Sage zu tun, aber das wisst ihr ja selbst. Und deshalb meiden sie die Küsten wie der Teufel das Weihwasser. Aber die war anders. Sie verkehrte mit den seltsamsten Leuten und trieb sich des Nachts auch öfter mal an den Klippen herum. Und jetzt soll sie dort umgekommen sein? Wenn ihr mich fragt, dann war das nur eine Frage der Zeit. Und auch nicht sonderlich erstaunlich.“ Argon sah Philian an. „Ich schätze mal, dass ihr das nicht gerne hören wollt:
Aber ihr werdet niemanden hier im Dorf finden, der euch mehr über sie sagen kann. Sie hat nicht viel geredet, höchstens wenn sie einmal Nahrung brauchte oder mit einem Zauber irgendwo aushalf – und dafür horrende Summen an Bezahlung forderte. Es gab hier niemanden, der mit ihr befreundet oder näher bekannt war.“ Er schnaubte. „Oder sie überhaupt mochte.“ Milvar grunzte. „Du bist nicht der erste, der uns das erzählt“, sagte er und warf einen Blick zu Miria, die eine weitere Person von einer Liste abhakte. „Nun“, sagte Philian und seufzte. „Wenn das alles war, was du uns zu ihr sagen kannst...“ Argon zuckte mit den
Schultern. „Das ist alles, was ich weiß. Tut mir leid Junge, ich hätte euch gerne mehr geholfen, aber ich weiß leider auch nicht viel über sie. Abgesehen davon, dass ich auch ganz froh war, mit ihr nicht näher in Kontakt zu kommen. Aber ihr lebt ja selbst hier und wisst, wie sie war.“ Philian nickte langsam. „Natürlich habe ich schon das ein oder andere gehört, aber bisher nichts, was mich dazu hätte bringen können, sie umzubringen. Und ich schätze, so ist es bei den meisten der Dorfbewohner ebenfalls.“ Argon klopfte Philian aufmunternd auf die Schulter. „Ihr findet schon den Schuldigen“, sagte er. „Und wenn ich etwas herausfinden
sollte, dann werde ich euch Bescheid geben. Wie klingt das?“ „Klingt fabelhaft Argon“, sagte Miria. Dann sah sie zu Milvar und Philian. „Wir wollen dann auch mal nicht länger stören und machen uns wieder auf den Weg. Es liegt noch etwas Arbeit vor uns, nicht wahr?“ Die drei verabschiedeten sich von Argon mit einem Nicken und verließen dann das Haus. Draußen angekommen ließ Philian die Schultern hängen. „Wen können wir noch befragen?“, fragte er. Miria blickte kurz auf ihre Liste. „Wir haben alle befragt. Niemand konnte uns auch ansatzweise weiterhelfen. Wir stehen immer noch am Anfang und
wissen gar nichts.“ Milvar brummte: „ Außer dass niemand wirklich mit ihr überhaupt zu tun hatte oder sie mochte. Und jemanden nicht zu mögen ist eigentlich kein wirkliches Motiv. Ich meine, ich kann es ja verstehen, dass sie gemieden wurde. Soweit ich das in Erinnerung habe, war Warlandra eine recht arrogante Schnepfe mit einem Blick, der...“ „Milvar!“, rief Miria empört aus. „Wie kannst du nur so über eine Tote reden? Man redet doch nicht schlecht über die Toten?!“ Milvar schnaubte. „Wenn das deine einzigen Sorgen sind... Die Frau war die unsympathischte Person im ganzen Dorf! Vielleicht sind die meisten sogar
erleichtert, dass sie endlich weg ist. Aber niemand hier hat sie genug gehasst, dass er sie loswerden wollte. Sie war unangenehm, aber da sie sich nicht für irgendjemanden hier interessiert hat, wurde sie genauso ignoriert wie sie selbst auch ignorierte. Das ist nunmal ein Fakt. Und wir müssen ihn berücksichtigen, wenn wir den Mord aufklären wollen. Auch wenn ich immer noch nicht überzeugt bin, dass es tatsächlich einer war. Vielleicht gibt es auch einen Weg, wie eine Hexe ihre eigene Magie verlöschen lässt. Wer weiß das schon?“ Philian warf Milvar einen bösen Blick zu. „Mandran müsste das doch wissen,
oder etwa nicht? Und er hat nichts davon erwähnt!“ Milvar schnaubte. „Natürlich nicht! Wenn er sowas wüsste, dann würde er es sicher nicht uns erzählen! Was ein Mensch, der nicht magiebegabt ist, mit diesem Wissen anstellen würde, will er sich doch nicht einmal in seinen Albträumen ausmalen! Stell dir doch einmal vor, was das bedeuten würde! Keine Magie mehr im ganzen Land, alle wären gleich, keine arroganten...“ „Milvar!“, fuhr Miria dazwischen. „Jaja“, murrte Milvar. „Aber ich würde das Wissen um so etwas auch nicht weiter verraten, wenn ich Magier wäre. Mehr wollte ich damit ja auch gar nicht
aussagen.“ Philian legte den Kopf schief. „Da ist schon etwas dran“, überlegte er. „Aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Wir können hier herumstehen und weiter Vermutungen anstellen...“ „Oder?“, fragte Milvar. „Oder wir schauen uns endlich einmal ihre Wohnung an und sehen nach, ob wir da etwas finden, was uns weiterhilft.“ Miria nickte. „Gehen wir.“ Die Tür zu ihrem Haus war nicht verschlossen. Als Philian mit der Hand dagegen drückte, sprang sie sofort auf und verschaffte den dreien Eintritt und den Blick auf einen vollkommen
unordentlichen Flur. Zettel lagen links und rechts auf den dunklen Dielen, ein alter, leicht verstaubter Teppich war von ihnen verschont geblieben, doch die dunklen Flecken auf dem mottenzerfressenen Stück luden nicht gerade zum Betreten ein. Die Drei musterten sich gegenseitig etwas nachdenklich, dann trat Philian vor und wagte den ersten Schritt in das Haus. Milvar und Miria folgten ihm nach einigem Zögern. „Also“, fragte Milvar. „Wonach suchen wir?“ Philian zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht ganz sicher“, sagte er. „Irgendetwas, das uns einen Hinweis auf den Mörder geben
könnte.“ „Wie zum Beispiel?“, hakte Milvar nach. Bevor Philian gereizt eine Antwort geben konnte, schritt Miria ein. „Etwas, das bestätigt, dass eine fremde Person hier war, beispielsweise. Oder Briefe. Ihre Bekannten, Freunde, Verwandte. Dinge, die uns weiterhelfen, eben. Halt einfach die Augen offen, Milvar, dann wirst du sicher etwas finden!“
***
Er hatte ihn hier herbestellt. Unter die Trauerweide, in der Mittagshitze. Er fragte sich zwar, was es um diese Uhrzeit hier so Wichtiges zu besprechen gab, aber es hatte dringlich geklungen und er war nicht der Typ Mensch, der Fragen stellte. Nun war er hier, den Blick in die Baumkrone gerichtet, zählte die Blätter und wartete. Das lange graue Haar war zu einem Zopf geflochten, weil er es so als bequemer erachtete. Die linke Hand hatte er an seinen Kräuterbeutel gelegt, die rechte zwirbelte nervös in dem langen Bart. Wie lange würde er hier wohl stehen müssen? Er hatte noch einiges zu erledigen, ein Schaf war krank geworden
und er war der einzige, der hier aushelfen konnte. Zumindest der Einzige, dem der Bauer in dieser Hinsicht vertraute. Die Kräuter für diesen Anlass hatte er bereits besorgt. Er war zwar ein Magier, doch die Magie bereitete ihm nicht sonderlich Freude. Lieber benutze er sein Wissen, um mit Kräutern allerhand anzustellen. Gerade fragte er sich, ob er mit den Blättern dieses Baumes wohl auch einen Trank zusammenstellen konnte und welche Auswirkungen dieser wohl haben würde, da trat eine Person zu ihm in den Schatten. „Ahh, endlich“, sagte er, doch als er sich dem Neuankömmling zuwandte, erblasste er. „Du bist aber
nicht der, den ich erwartet hatte“, stellte er fest und wollte einen Schritt zurücktreten. Doch da war der Baum hinter ihm. Er konnte nicht fliehen, die Baumrinde schien sich in seine Wirbelsäule zu drücken. „Du hast jemand anderes erwartet“, stellte die Person fest. „Aber jetzt bin ich hier. Hast du etwa Angst vor mir?“ ein Kichern war zu hören. Der lange schwarze Mantel flatterte im Wind. Die Kapuze hatte die Person tief ins Gesicht gezogen, aber trotzdem wusste der Alte, wen er hier vor sich hatte. „Moran Finigal“, keuchte er entsetzt. „Aber... Aber Ihr... Ihr seid doch einer von
uns.“ Die Person kicherte erneut. „Oh, das ist also tatsächlich Angst. Und ich dachte, ihr seid froh, mich zu sehen. Schließlich werde ich jetzt etwas tun, was ihr euch schon so lange gewünscht habt.“ Der Kapuzenmann legte die Hand auf die Stirn des Alten. Dieser konnte sich nicht wehren, sein Puls raste, die Augen weiteten sich. Die Panik ließ ihn nicht los, wurzelte ihn an Ort und Stelle fest und ließ den anderen tun, was er tun wollte. „Das wird nicht wehtun“, sagte die Kapuze. Für einen Augenblick konnte er rote Augen aus dem Dunkel der Kapuze blitzen sehen. Dann setzte der Schmerz ein. Ein Ziehen durchfuhr
seinen gesamten Körper. Jede Zelle zog sich zusammen und krümmte sich. Es war unerträglich, doch er konnte nicht schreien. Der Schmerz übermannte ihn, es fühlte sich an, als würde er langsam absterben, von innen nach außen. Doch er konnte nicht schreien, ihm entfuhr kein Laut. Langsam wurde es um ihn herum dunkel. Das Letzte, was er hörte, war die Stimme des anderen, die sagte: „Oh, ich habe gelogen. Es tut sehr wohl weh.“ Dann fiel er in Ohnmacht. Die Magie umschwirrte die Hand des Kapuzenmannes eine Weile ratlos. Er hatte sie aus dem Alten gesogen wie Gift aus einer Wunde und jetzt musste er die Energie irgendwo verstauen.
Kurzerhand zog er aus einer Tasche einen Stein und hielt ihn in die Luft. Die Magie wusste sofort, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie strömte in den Stein und hüllte ihn für einige Sekunden in ein warmes, wohliges Licht. Dann erlosch das Licht und die Magie war fort. Der Kapuzenmann warf einen Blick auf den zu Boden gesunkenen alten Magier. Er kniete sich neben ihn und strich ihm über die Wange. „Hmmm“, sagte er nachdenklich, als müsste er etwas nachprüfen. „Minderwertiges Material.“ Seine Hand berührte die Stirn des Mannes erneut. Ein rotes Leuchten ging von der Hand aus, übertrug sich auf den
Kopf des Mannes – und sprengte ihn. Zufrieden sah der Mann mit der Kapuze sich sein Werk an, dann machte er kehrt und ging mit schnellen Schritten über die Wiesen davon.