Biografien & Erinnerungen
Unsere Schule - Im Bickwinkel dreier Generationen

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"Unsere Schule - Im Bickwinkel dreier Generationen"
Veröffentlicht am 31. Januar 2015, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse. Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie. Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.
Unsere Schule - Im Bickwinkel dreier Generationen

Unsere Schule - Im Bickwinkel dreier Generationen

UNSERE SCHULE

Es war sicher ein erhebender Moment für die ersten Siedler, Asylanten aus dem Böhmischen, die wegen ihres Glaubens fliehen mussten, als sie diesen Platz inmitten von Kiefernwald und ausgedehnten Heidefeldern zugewiesen bekamen. Hier durften sie ihre ersten Häuser errichten. Man schrieb das Jahr 1742. Da das Land so flach und eben, so ganz anders als ihre bergige Heimat war, gaben sie ihm den Namen „Niszky“, das slawische Wort für niedrig.

Schon bald waren sich die Neusiedler darüber einig, dass die Blüte ihres Ortes und darüber hinaus das Gedeihen ihrer Kirche, der

Brüdergemeine, von einem ausgezeichneten Bildungsstand der Kinder abhing. So gründeten sie einige Jahre später die „Unitäts-Knabenanstalt“ zu Niesky, die wegen ihres fortschrittliche humanistischen Lehr- und Gedankengutes über die Grenzen der Brüderunität hinaus in ganz Schlesien, in Teilen von Sachsen, ja bis nach Berlin einen Namen hatte.

Gut Betuchte aus allen Gegenden schickten ihre Knaben nach Niesky zur Schule. Hier legte man Wert auf eine Ausbildung in den Fremdsprachen Englisch und Französisch, damals durchaus unüblich, und ganz besonders auf die „Leibesertüchtigung“ der jungen Menschen. Zu diesem Zwecke ließ man die erste Schulturnhalle Deutschlands,

einen roten Backsteinbau, errichten. 

Im Bild ganz rechts zu sehen



Gegen die Langeweile in dem verträumten Örtchen legten die Zöglinge in den Sommermonaten Parkanlagen an, die meine Oma, des Französischen nicht mächtig, stets

Momplissee (mon plaisir) nannte. Die Kinder schütteten darin sogar einen kleinen Hügel als Erinnerung als Erinnerung an die Bergheimat der Unitätsgründer auf, welchen die Kindergartenkinder selbst heute noch als Rodelhang benutzen.

In der lichtarmen Zeit fertigten sie dann jene viel zackigen Sterne, die, mit dem Namen des Stammsitzes versehen, als „Herrnhuter Sterne“ die ganze Welt eroberten.

Als caritative Einrichtung fühlte sich die Brüdergemeine auch verpflichtet, jedes Jahr 2 Stipendien zu vergeben und damit begabten Kindern aus ärmeren Bevölkerungsschichten die gute Ausbildung bis zum Abitur zu ermöglichen.

Und so war dann auch meine Oma, eine arme Witwe und Arbeiterin in einer Pauserei, unheimlich stolz, als mein Vater gemeinsam mit einem Schustersohn  das erste Mal die „heiligen Hallen“ betrat. Zu der Zeit nannte sich die Schule Pädagogium.

Fortan waren Alexander von Ayck, Sohn eines Rittergutsbesitzers aus der Nähe von Breslau, und der Sohn des Berliner Wehrmachtsgenerals von Rohn seine Banknachbarn und Freunde.

Der blonde, blauäugige Junge schien aber auch die Mädchen zu beeindrucken, die in der inzwischen gegründeten Mädchenanstalt zur Schule gingen. Jedenfalls luden ihn die Töchter des Chefarchitekten der größten, damals für ihre Holzhäuser weltbekannten

Nieskyer Firma Christoph und Unmack, zum Geburtstag ein.

Dies bereitete vor allem Oma arges Kopfzerbrechen, wähnte sie doch, in solchen feinen Häusern esse man bestimmt mit Besteck, noch dazu mit verschiedenen Teilen. Damals war es in Arbeiterhaushalten durchaus nicht üblich, mit Messer und Gabel zu speisen.

Doch Oma nutzte ihre Erfahrung aus ihrer Tätigkeit „in Stellung“ in einem Schloss und verpasste Vater kurzerhand einen Lehrgang „Gutes Benehmen im Schnelldurchlauf“. Bei seinen Erzählungen musste ich stets an den Film „Petty Women“ denken.

Im Herbst 1944 wurde die Schule enteignet,

die SS übernahm die Oberaufsicht. Doch die Kampfhandlungen das Krieges mit der vollständigen Beräumung von Niesky und die Offensive der Roten Armee an Oder und Neiße im Frühjahr 1945, Niesky lag in der Hauptkampflinie, beendeten für Vater vorzeitig seine Abiturträume.

Da keiner der Brüdergemeinelehrer des Glaubens wegen Nazi war, erhielt die Schule schon bald nach Kriegsende die Genehmigung zur Wiedereröffnung. Der Direktor überzeugte Oma, die inzwischen andere Absichten hegte, ihrem Sohn wenigstens den Abschluss der 10. Klasse zu ermöglichen, damals auch noch eine Seltenheit. Doch so war es Vater möglich, zu

studieren. Mit 27 Jahren wurde er der jüngste Kreisbaudirektor (heute Landrat) im damaligen Bezirk Dresden.

Jahre später betrat ich, gerade 14 jährig, zum ersten Mal das geschichtsträchtige Gebäude, welches nun Erweiterte Oberschule hieß. Die Schule war klein, das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern von gegenseitiger Achtung, teilweise Freundschaft geprägt. Manchmal ging es fast familiär zu, wir blieben den alten Traditionen verbunden. Dazu gehörte auch, wenn alle Schüler eines Jahrganges das Abitur bestanden haben, wird die fahrbare Jauchetonne des hiesigen Gärtners geholt, in tagelanger Arbeit gewienert und geschmückt und mit 1 PS

davor im lustigen Umzug in Schlafanzügen, Unterwäsche und anderen Verkleidungen auf dem Fass sitzend durch Niesky gezogen.

Ans Studieren dachte ich noch nicht, als ich mich entschloss, zur EOS zu gehen. Das Spektakel auf der Jauchetonne war alles, was zunächst zählte. Trotzdem wurden die 4 Jahre die schönsten meiner Schulzeit.

Und dann kam dieser unsinnige Beschluss. Weiß der Teufel, wem der „Umzug“ in die Nase stach. Jedenfalls beschlossen die damaligen städtischen Volksvertreter, die alte Tradition zu verbieten. Ein derartiger Umzug auf einer Jauchentonne gehöre sich nicht für die zukünftige Elite! Wir waren fassungslos und konnten uns doch nicht wehren. Im Laufe der Jahre vergaßen die nachfolgenden

Schülergenerationen diese Tradition mehr und mehr.

Mit der politischen Wende wechselte der Name der Schule wieder einmal. Ab sofort hieß sie Gymnasium und beherbergte nun wieder Schüler der 5. bis 12. Klasse, wobei wie bisher nur die „Großen“ das eigentliche alte Gebäude besuchten.

Schnell gründete sich ein Schulverein, der auch sofort die ehemaligen Schultraditionen wieder einführte. Nur, es erwies sich als recht kompliziert, alle Schüler eines Jahrganges bis zum bestandenen Abitur zu führen. Einen Kommentar dazu erspare ich mir hier.

Aber 2012, als meine jüngste Tochter Maria ihr Abitur ablegte, durften die Abiturienten

zum ersten Male wieder die Jauchentonne putzen. Die sah nun ganz anders aus, als damals, stammte aber noch von der gleichen hiesigen Gärtnerei. Gezogen wurde sie jetzt von 26 PS.

Und Vater? Der war an diesem Tage besonders stolz, er sprudelte förmlich über vor Erinnerungen an seine Schulzeit. Für ihn hatte sich ein Kreis geschlossen, 3 Generationen waren nun Absolventen einer Schule mit langer humanistischer Tradition.

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Albatros99
Ich wohne in der Oberlausitz und schreibe gern über meine schöne Heimat, schon seit der ersten Klasse.
Ich liebe meine vier Kinder und bin sehr stolz auf sie.
Nun sind sie in die Welt gezogen von Berlin bis Tokio, also besorgten wir, mein Mann und ich uns zwei neue Babies: Katze Nala und Hund Willy. Jeder von uns hält einen im Arm.

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DoktorSeltsam Eine wunderbare Lektion in Sachen Geschichte, die insbesondere durch ihren flüssigen Stil und die kluge Sprache positiv auffällt. Keineswegs eine Selbstverständlichkeit in diesen "edlen und Ruhm-(Oder war es Rum?)-beladenen Hallen". ;-)

Toll!

Dok
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Danke für dein Lob, lieber Dok. Aber neee, du, mit Rum war damals noch nichts. Als wir nach der 10. Klasse in den Sommerferien in ein Ferienlager gefahren sind, nahm unser junger Klassenleiter ne Liste mit den Geburtsdaten mit. Und nur die, die da schon 17 waren, durften mit ihm mal e i n e Flasche Bier trinken. Die anderen blieben schön bei Limo und Cola. Da herrschte eben noch Zucht und Ordnung, wie wir "Alten" heut manchmal sagen, damals hat uns das nichts ausgemacht. Wir konnten ohne Alk genauso feiern und lustig sein.
Vor langer Zeit - Antworten
erato 

Liebe Christine,
selbst aus dem Lehrfach kommend, war die Lektüre
für mich äißerst reizvoll und danke dir herzlichst für
die historischen "Einblicke".....
Dir noch einen schönen Sonntag
GgghG Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Danke dir Thomas, herzlich für deinen netten Kommentar. Ist ja schade, dass du heute nicht mehr Lehrer bist. Unser Berliner Enkel kommt dieses Jahr in die Schule, zu dir hätte ich ihn glatt geschickt. Ansonsten haben seine Eltern doch etwas Bammel wegen der Schulzustände in Berlin, vor allem, weil er so sensibel ist und eben nicht zuschlagen kann.
Einen schönen Abend
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Herrliche Erinnerungen an die Schule - habe sie sehr gerne gelesen.
Ich musste gerade denken, als Du mit 14 Jahren in dieses Schulgebäude gegangen bist, habe ich als angehender Lehrling zum ersten Mal eine Schneider-Werkstatt betreten ...
Liebe Sonntagsgrüße an Dich
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Ja, liebe Gertraud, so geht es mir ja bei dir auch immer. Mit der Erinnerung anderer kommen viele eigene hoch, manche hatte man sogar schon ad acta gelegt.
Danke für deinen lieben Kommi.
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Liebe Christine,
das ist eine vortreffliche Schulgeschichte, die das Herz erwärmt.
Drei Generationen - da kann man schon sehr stolz sein - besonders dein Vater, der ja dort gewissermaßen als Armeleutekind hineinkam.

Auch mein Mann stammte aus ärmlichen Verhältnissen, sein Grundschullehrer hatte den Eltern nahegelegt, ihn auf die Schiller-OS in Bautzen zu geben. Anschließend folgte nach der NVA ein Studium in Leningrad. Leider konnten seine Eltern nicht mehr miterleben, wie er 1990 Professor wurde ... Wie stolz wären sie auf ihn gewesen!
Danke für die Geschichte, die mir auch diese Parallelen wieder ins Licht rückte.

Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Albatros99 Danke für deinen netten Kommentar. Ja, das geht mir auch immer so, vieles fällt mir erst durch einen Anstupser andere wieder ein. Aber Gerade am Bildungsweg sehen wir doch, dass es zu unserer Zeit leichter war als heute, auch wenn alle Möglichkeiten offen stehen. Das heißt ja noch lange nicht, dass man auch alle nutzen kann. Und das Gerede von Nicht das Abitur ablegen können oder nicht studieren können wegen Kirchenzugehörigkeit uä. kann ich aus eigenem Erleben nicht bestätigen. Ich wollte auch Vet.med. studieren, meine Freundin Medizin. Uns und unseren Vätern (ihrer war der Kreistierarzt) hat man sehr eindringlich klar gemacht, dass diese Studienplätze für uns als neue Intelligenzkinder und die Väter in diesen Positionen nicht in Frage kämen. Die Töchter der kirchlich gebundenen Tierärzte bzw. des Pfarrers studierten problemlos diese Fächer, die waren in unserer Klasse bzw. ein Jahr jünger.
Na, mal sehen, was nun bei unserer Kleinsten heraus kommt.
Schönen Abend
Christine
Vor langer Zeit - Antworten
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