Kapitel 97 Versöhnung
Als Syle hinter Lucien in den Raum trat, musste er sich unter der niedrigen Decke wegducken, um nirgendwo mit dem Kopf anzustoßen. In einer Hand eine Fackel haltend, entzündete er mehrere Lampen, die an Eisenketten von der Decke hingen… und sich damit fast auf Höhe seines Brustkorbs befanden.
Quinn und Lucien hatten dieses Problem freilich nicht. Der kaiserliche Agent warf einen Dietrich mit der linken Hand in die Luft und fing ihn mit der rechten wieder auf.
,, Wie gut, dass das Schloss so verrostet
war.“ , meinte er grinsend, während er sich im Licht der Laternen umsah. Der Weinkeller des Palastes ließ wirklich nicht zu wünschen übrig, stellte Syle fest.
,, Leute , ich darf euch willkommen heißen, so sieht das Paradies aus.“ Lucien breitete die Arme aus, als wollte er den ganzen Raum einschließen. Auf Holzbohlen gelagert reihten sich dutzende, wenn nicht hunderte von Fässern aneinander. Syle gab es auf, sie zählen zu wollen und ein Teil des Lagerbestands verlor sich irgendwo in der Dunkelheit, wo das Licht der Lampen sie nicht mehr erreichte. Dicke Steinsäulen, leicht so breit wie zwei
Männer trugen das grob behauene Steingewölbe über ihnen. Offenbar hatte man einen nicht unerheblichen Teil der Palastanlage unterhöhlt, wenn sie sich nicht sogar schon unter den Gärten befanden, die den Prunkbau umgaben.
Lucien jedenfalls machte sich darüber sicher keine Gedanken. Der kaiserliche Agent trat direkt auf das erste Fass zu und trat kurz dagegen. Es klang definitiv voll.
,, Eine Ahnung, was drin ist ?“ , wollte Quinn wissen. Der Zauberer hatte die Hände in den Ärmeln seiner Robe verschränkt und hätte vielleicht ernst gewirkt, wäre da nicht das schwache Lächeln, das ab und an über seine Züge
huschte. Meistens, wenn er glaubte, das keiner von ihnen hinsah.
Lucien wischte etwas Staub von der Vorderseite des Fasses, so dass einige verblasste Schriftzeichen sichtbar wurden. Spinnweben hatten sich in den Zwischenräumen der Fässer festgesetzt. Offenbar war hier unten nur selten jemand.
,, Risara-Wein. Als hätte ichs gewusst. Jahrgang 220…“ Der Agent stieß einen leisen pfiff aus. ,, Der ist älter als ich. Nun wir haben 254. Grade noch rechtzeitig.“
,, Wieso rechtzeitig ?“ , fragte Syle, während Lucien bereits mehrere Holzkrüge aus einer Tasche hervorholte.
,, Habt ihr noch nie gehört, man soll jeden Wein trinken bevor er 5 wird ?“
,, Nein.“ , antwortete Syle.
,, Das habe ich mir auch grade ausgedacht.“
,, Irgendwann….“ , murmelte Quinn lediglich.
,, Aber nicht heute.“ , gab Lucien zurück und besah sich einen Moment das Fass. ,, Ihr könntet euch allerdings mal nützlich machen. Ich habe keinen Hammer dabei um das hier anzuzapfen.“
Er hielt den nutzlosen Zapfhahn in die Luft.
Quinn seufzte lediglich und nahm dem Mann das Stück Holz ab. Ohne wirklich
darauf zu achten wo, setzte er den Zapfhahn an und beschrieb mit der Hand eine Geste, als wolle er darauf einschlagen. Der Zauber ließ eine Schockwelle durch die Luft gehen, zeigte aber die gewünschte Wirkung. Der Dorn auf der Rückseite des Hahns wurde tief in die Holzwand getrieben.
,, Ihr Zauberer seid ja doch zu was zu gebrauchen.“ Der Agent ließ sofort den ersten Krug volllaufen und sich dann von Syle den nächsten reichen. Dieser jedoch, hielt plötzlich inne, als er Schritte hörte. Krallen und Stiefel, die auf Stein kratzten.
,, Wusste ich doch, das ich was gehört habe, als ich an der Kellertreppe vorbei
bin.“
Als Syle und die anderen sich umdrehten, sahen sie sich drei Gestalten gegenüber, die am Eingang des Kellers standen. Die erste erkannte er sofort an dem charakteristischen roten Mantel. Eden sah sich nur einen Moment um, bevor sie ihren zwei Begleitern bedeutete, ihr zu Folgen. Cyrus, der im Halbdunkel wie ein gut gelaunter Schatten wirkte und Zachary.
,, Sieh mal einer an, Gäste !“ Lucien prostete ihnen kurz zu, bevor er den halben Krug in seiner Hand mit einem Zug leerte. Danach machte er sich direkt wieder daran, auch für die Neuankömmlinge Wein
einzuschenken.
,, Sollte Erik nicht bei euch sein ?“ , fragte Syle, während er Lucien half, die restlichen Krüge aufzufüllen und zu verteilen. Für Zachary schenkte er jedoch in weiser Voraussicht etwas weniger ein.
,, Er ist praktisch sofort eingeschlafen, sobald er sich um Zyle gekümmert hatte.“ , erklärte Eden, während sie skeptisch an dem Wein roch. ,, Ihr habt nichts stärkeres, oder ?“
,, Schade. Den Alten hätte ich vielleicht unter den Tisch trinken können.“ , meinte Lucien. ,, Bei euch hat man da so seine Schwierigkeiten, Eden.“
,, Glaubt mir, ihr könnt euch glücklich
schätzen.“ , mischte sich Cyrus da ein. ,, Ich fürchte, er würde uns alle unter den Tisch trinken, wenn er will. Ich habe es nur einmal versucht.“
,, Und was ist passiert ?“, hakte Quinn nach.
,, Daran erinnere ich mich bis heute nicht genau. Nur, das ich am nächsten Morgen in Edens Bett aufgewacht bin. Mit ihr.“
Die genannte versetzte dem Wolf einen leichten Stoß in die Seite.
,, Dann ist es euch besser ergangen als mir. Wobei…“ Lucien musterte den Gejarn einen Moment und sein Blick blieb an der Augenklappe hängen. ,, Wie ist das eigentlich passiert
?“
,, Oh mir ist die Windrufer um die Ohren geflogen, als sich das Pulvermagazin entzündet hat.“
,, Und du hast mir einen wahnsinnigen Schrecken eingejagt. Du und Zachary wohlgemerkt .“
Cyrus nickte. ,, Der Junge hat mich gerettet. Auch wenn wir fast von einem Drachen gefressen wurden.“
,, Ja, damit hab ich Erfahrung. Auch wenn es in meinem Fall eine ganze Insel war.“
,, Klingt nach einer Geschichte, die ich hören will.“ , mischte Syle sich wieder ein. Irgendwie hatte er das Gefühl, das der Abend sich langsam zum Guten
wendete. Oder, das war nur der Wein. So oder so, nach und nach ließen sie sich alle auf dem Steinboden nieder. Lucien sorgte weiter dafür, dass niemanden die Getränke ausgingen und nach und nach erzählte jeder seine ganz eigene Geschichte. An vieles konnte Syle sich später, als er mit den Kopfschmerzen seines Lebens erwachte, nicht mehr erinnern. Aber um es mit den Worten des Wolfs zu sagen, wenigstens war er in seinem Bett aufgewacht. Es könnte also schlimmer gewesen sein…
Zyle hatte keine Ahnung, wo er sich befand, noch was genau passiert war. Als er die Augen öffnete, blendete ihn die
Sonne einen Moment. Licht viel durch grüne Stoffbahnen, die jemand vor einem offenen Fenster zugezogen hatte. Langsam drehte er den Kopf weg und besah sich seine Umgebung. Er lag auf dem Rücken, über sich eine Decke aus behauenem Sandstein. Er drehte den Kopf weiter nach links. Dort ihm führte eine hohe Tür aus dem Raum in dem er sich befand. Dunkles, teures Holz. Vorausgesetzt, er befand sich noch immer in Erindal, war er wohl in einem der reicheren Häuser der Stadt. Und zumindest nicht in einer Zelle. Immer noch benommen, drehte er den Kopf schließlich nach rechts und versuchte zusammenzusetzen, was bitte passiert
war. Das letzte, an was er sich erinnern konnte war, das er Kellvian und die anderen begrüßte… danach nichts mehr.
Rechts neben sich schien nach wie vor die Sonne durch die Fenster, aber mittlerweile hatten sich seine Augen daran gewöhnt. Direkt neben der Bare, auf der er lag, saß jemand. Relina schlief scheinbar, den Kopf auf eine Hand gestützt und aufrecht sitzend. Einen Moment regte sie sich, als würde sie aufwachen und er sah rasch weg, zur Decke. Doch alles blieb ruhig. Schließlich wagte er den Versuch, sich aufzusetzen und stellte fest, dass es ihm ohne Probleme gelang. Tatsächlich, dachte er, fühlte er sich völlig normal…
Warum nur konnte er sich dann an nichts erinnern? Es gab nur eine Möglichkeit es herauszufinden.
,, Relina ?“ Er sprach leise und kam sich deshalb gleich dämlich vor. Er wollte sie wecken. Und gleichzeitig nicht. Sie wirkte seltsam friedlich für die resolute Frau, die er kannte. Einen Moment blieb er im Bett sitzen und beobachtete sie einfach nur.
,, Es tut mir alles so leid.“ , murmelte Zyle. ,, Ich weiß, das kümmert dich nicht und du hörst es grade nicht mal, aber… Ich würde alles ungeschehen machen, wenn das nur bedeuten würde, ich müsste dich nicht verletzen.“
Genau in diesem Moment, rührte sich die
Gejarn wieder. Zyle schloss nur einen Moment die Augen. Der Moment der Ruhe war vorbei und was immer als nächstes geschehen würde, er stellte sich bereits wieder auf die altbekannte Kälte ein.
Sie schlug die Augen auf und blinzelte gegen die plötzliche Helligkeit, genau wie er wenige Augenblicke zuvor. Sobald sie sah, dass er wach war und aufrecht im Bett saß, strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als wollte sie sicherstellen, dass sie keinem Trugbild aufsaß.
,, Zyle ?“ Ihre Stimme klang so, als glaube sie nicht recht daran.
,, Du kannst mir nicht zufällig verraten,
was passiert ist, oder ?“ Er kratzte sich nach wie vor verwirrt am Kopf. ,, Wie lange war ich überhaupt weg.“
,, Du lebst…“
,,Warum sollte ich nicht leben ? Ich… kann mich grade nur nicht an wirklich viel erinnern. Was ist mit Erindal ? Kellvian ? Die anderen ? Geht es dir gut?“
,, Du wirst dich nie ändern, oder ?“ Sie gab ein Lachen von sich, das Zyle jedoch nach einem Moment mehr an einen schluchzen erinnerte. Erstaunt stellte er fest, dass ihre Augen nass glänzten. ,, Ich hab es wohl wirklich einfach vergessen Zyle… wieso ich dich Liebe.“
Sein Herz , wenn er noch eines hatte,
machte scheinbar Anstalten, einen Hüpfer zu machen. Nicht geliebt habe, dachte er. Sondern Liebe… Er sagte sich selber, dass ihr das nur in der Hitze des Augenblicks rausgerutscht war, aber…
,, Du…“
,, Du bemühst dich immer erst um andere, soweit es dir möglich ist. Für dich gibt es nichts wichtigeres, oder? Das Beste für alle zu erreichen? Vielleicht ist das ja die eigentliche Idee hinter Laos Lehre gewesen. Das was du tust. Dich um alle zu bemühen, die dir das Geringste bedeuten ? Selbst um mich, obwohl ich dir dazu eigentlich keinen Grund gelassen habe.“
,, Relina… ob mir jemand etwas
bedeutet, kann leider niemand für mich bestimmen, es ist einfach so. Und ich würde daran auch nichts ändern wollen, auch wenn ich weiß das du… mir nicht mehr trauen kannst.“
Die Magiern schüttelte den gesenkten Kopf, wohl auf der einen Seite auch, um die Tränen zu verbergen. Zyle hätte nie gedacht, das sie einmal… verletzlich wirken könnte, aber das tat sie in genau diesen einen Moment. Bevor sie den Kopf wieder hob, wischte sie sich jedoch entschlossen das Wasser aus den Augen.
,, Zyle…“ Sie schien nach Worten zu suchen. ,, Du… Du wärst gestern fast gestorben. Und der Gedanke einer von uns könnte sterben, so dass ich keine
Gelegenheit mehr hätte, dir je zu sagen, dass ich…“ Relina Stocke. ,, Ich war dumm, Zyle. So unglaublich dumm. Vielleicht auch einfach nur irrational, keine Ahnung. In den letzten Monaten hat sich so viel geändert…“
,, Musst du dich vor mir rechtfertigen ?“ , fragte er nur. Nach wie vor wusste er nicht, worauf das alles bloß hinaus laufen sollte. Er streckte vorsichtig eine Hand aus und berührte ihre Wange. ,, Ich verstehe es vielleicht nicht, das heißt aber nicht, das ich mir herausnehme deshalb über dich zu urteilen. Ich liebe dich und es bräuchte schon noch einiges mehr, damit sich das ändert.“
,, Ich will nur das du weißt, das ich dir
alles verzeihe. Dass ich es jetzt verstehen kann… eigentlich habe ich es sogar schon vor sehr langer Zeit verstanden. Du wolltest uns allen helfen. Nicht mehr als das. Ich verzeihe dir, aber…. Götter, ich weiß, was ich dir über die letzten Wochen hinweg angetan habe, also… kannst du auch mir vergeben?“
,, Es gibt nichts, was ich verzeihen müsste.“ , antwortete Zyle. Das war es, dache er bei sich. Sie verzieh ihm. Und das war alles was er sich je erhoffen konnte, nicht ?
Relina schien auf ihrem Platz ein Stück in sich zusammen zu sinken. Nach einer Weile meinte sie schließlich : ,, Ich weiß
nicht, wie es sonst weitergeht, aber wenn einer von uns sterben sollte, hätte ich mir nie verziehen, das nicht losgeworden zu sein und….“ Sie hielt einen Moment inne. ,, Ach was solls…“ Bevor Zyle wusste, wie ihm geschah, drückte sie ihre Lippen sanft, aber mit Nachdruck auf die seinen. ,, Und sag jetzt besser gar nichts….“