Kapitel 95 Eine Maschineheilen
Man hatte Zyle in einem Gästezimmer des Palastes untergebracht. Draußen hatte sich mittlerweile die Nacht über Erindal gesenkt. In den wenigsten Häusern brannte Licht. Nur am Hafen, wohin sich die meisten Bewohner beim Angriff der Garde geflüchtet hatten, konnte man hunderte von flackernden Lichtpunkten erkennen. Fackeln von Leuten, die auf offener Straße übernachtete, anstatt in ihre Häuser zurück zu kehren, Positionslampen der verbliebenen Schiffe und die erleuchteten Fenster der
Wohngebäude.
Der Raum im Palast wurde von Öllampen erleuchtet, die in Messinghalterungen an der Wand angebracht waren. Der rötliche Sandstein schien das Licht zu absorbieren und in einem sanfteren Schein wiederzugeben. Das Schattenspiel, das die unsteten Flammen erzeugten, schlug sich auf dem Gesicht des Schwertmeisters wieder, der ruhig und ohne zu atmen auf einer Liege gebettet ruhte.
Hätte Syle es nicht besser gewusst, er hätte den Mann für tot gehalten. Aber Zyle brauchte wohl nicht atmen. Das einzige Lebenszeichen, wenn man es denn so nennen wollte, war der weiße
Verband, der sich quer über seine Brust zog. Der sich langsam ausbreitende, schwarz rote Fleck darauf schien zumindest zu bedeuten, dass der Mann noch so etwas wie einen Kreislauf hatte.
Oder vielleicht hoffte der Bär das einfach nur. Er sah einen Moment zu Quinn, der sich in der Nähe der Tür hielt, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Zauberer war gut darin, eine völlig ausdruckslose Mine zu bewahren, ganz im Gegenteil zu der Schakalin, die auf der anderen Seite der Liege saß.
Syle wusste noch nicht, was er von Relina halten sollte. Die Frau hatte sich in einen grauen Wollmantel gewickelt,
ihre ganze Aufmerksamkeit auf den regungslosen Schwertmeister gerichtet.
Erik seinerseits, hatte eine schwere Instrumententasche neben sich auf dem Boden gelegt und wühlte darin herum. Rollen mit Verbänden, Messer, braune Glasbehälter mit Tinkturen, der Arzt nahm alles kurz in die Hand, besah es sich und warf es dann achtlos über die Schulter. Das dabei nichts zu Bruch ging zeugte entweder von Geschick oder davon, dass der Mann einfach unverschämtes Glück hatte.
,, Was ist genau passiert ?“ , wollte er wissen, während er endlich fand, was er suchte, eine kleine Schere, die silbern im Licht glitzerte. Der Arzt war erst vor
wenigen Augenblicken eingetroffen und hatte sich ohne viele Worte direkt an die Arbeit gemacht. Worin auch immer diese Bestand. So viel vertrauen Kellvian ihm schenkte, wie wollte der Mann heilen, was Magie nicht vermochte?
,, Ich weiß es nicht genau.“ , antwortete Relina . ,, Er… Er ist verletzt worden, als wir durch die Tore gebrochen sind.“
,, Normalerweise heilen seine Verletzungen ziemlich schnell. Genau wie bei Laos. Dem Mann musste praktisch erst ein riesiger Kristall auf den Kopf fallen, damit er… nun ja stirbt.“ Erik schnitt die Verbände mit der Schere auf, so dass die Wunde darunter zum Vorschein kam. Eigentlich
nicht mehr als ein kreisrundes Einschussloch.
Erik griff wieder nach seiner Tasche und zog ein Vergrößerungsglas daraus hervor, das er sich vors Auge hielt.
,, Könnt ihr ihm helfen ?“ , wollte Relina wissen.
,, Das frage ich mich grade.“ , antwortete er. ,, Zumindest glaube ich zu wissen warum die Wunde nicht heilt. Seht selbst.“ Der Arzt trat Beiseite und ließ das Glas einfach dort liegen, wo es war, auf der regungslosen Brust des Gejarn.
Relina schien sich nicht überwinden zu können, einen Blick hindurch zu werfen, Syle jedoch konnte von seiner Position
aus etwas ausmachen, das wie Metall schimmerte und ihn beinahe an ein Skelett erinnerte. Dazwischen waren goldene Zahnräder zu erkennen und etwas, das in einem bläulichen Licht glühte. Ein Kristall, eingelassen in das Metall, über das sich Fleisch und Blut zog.
Nur war der Stein nicht mehr intakt. Die Kugel, die Zyle getroffen hatte, hatte ihn zersplittert und steckte jetzt halb in dem Juwel.
,, Das ist ein Problem, oder ?“ , fragte Syle.
,, Genau das, frage ich mich grade.“ , meinte Erik und klang dabei zum ersten Mal nicht energisch sondern unsicher.
,,Ich hatte in Helike keine Gelegenheit diese… Konstrukte genauer zu studieren. Wir hatten damals ganz andere Probleme… Jetzt bereue ich das. Nach allem was ich weiß, mag der Gute ja innerlich eine arkane Maschine sein, aber äußerlich ist er immer noch ein durchaus lebendiger Gejarn. Zumindest scheint klar, dass die Wunde nicht heilt, weil die Kugel noch drin ist. Bei einem Durchschuss sind seine Verletzungen ja auch verheilt.“
,, Dann entfernt die Kugel.“ Relina klang resigniert und erschöpft. Die Gejarn konnte auch sehen, was sie sahen. So einfach würde es nicht werden, dachte Syle, sonst hätte Erik es schon
getan. Wenn der Mann schon Vorsicht walten ließ, konnte man anfangen, sich Sorgen zu machen.
,, Was meint ihr, was ich vor habe, meine Liebe ?“ Erik sah auf, ein dünnes Lächeln auf den Lippen und nahm das Vergrößerungsglas wieder an sich. ,, Leider habe ich nach wie vor keinen Schimmer, ob das nicht alles noch schlimmer machen würde. Tatsächlich habe ich überhaupt keine Ahnung ob oder wie ich ein beseeltes Konstrukt Operieren soll. Was es schlimmer macht, das Projektil hat einen Kristall erwischt. Wenn ich es jetzt einfach entferne und der Stein dabei zersplittert, könnte sonst was passieren. Das ist, was ihn am… nun
ja, Leben erhält.“
,, Was schlagt ihr also vor ?“ , fragte Syle. ,, Das wir abwarten ?“
Er hatte nicht viele Worte mit Zyle gewechselt, aber ein Freund von Kellvian war auch jemand, dem er vertrauen würde. Und jemand, den er ungern verlieren würde.
Relina sah beinahe flehentlich zu dem Arzt auf. ,, Irgendetwas muss es geben.“
,, Ruhe.“ Erik hob eine Hand und schloss die Augen. ,, Einen Augenblick, ich muss nachdenken… Quinn, kommt einmal her.“
Der Magier löste sich von seinem Platz an der Tür und trat an die vom Lampenschein erhellte
Liege.
,, Kann ich helfen ?“ Er hatte wohl durchaus soweit mitgehört und auch wenn das Gesicht des Ordensoberen weiter ausdruckslos blieb, Syle wusste, dass er selber nachdachte. Ob darüber, wie dem Gejarn zu helfen war, oder etwas anderes, das konnte er jedoch nicht sagen.
,,Ihr könntet mir sagen, ob ihr es euch Zutraut, einen Speicherkristall alleine zu reparieren.“
Die ausdruckslose Maske wurde zu einer Mine, die beinahe erschrocken wirkte. ,, Das… Erik, der Orden findet öfter beschädigte Steine des alten Volkes, ja. Und wir können sie wieder
zusammenfügen. Aber dazu braucht man ein dutzend hochrangige Magier und selbst dann ist der Tod aller beteiligten nicht ausgeschlossen. Und hier reden wir davon, einen Kristall im… Körper eines Lebewesens zu reparieren. Wenn ich einen Fehler mache…“
,, Ist Zyle tot.“ , beendete Erik den Satz. ,, Und von diesem Raum bleibt vielleicht nur ein Aschehaufen. Uns eingeschlossen. Ich weiß durchaus worum ich euch bitte aber mir will nichts anderes einfallen. Entferne ich die Kugel, zersplittert der Stein endgültig. Ihr müsstet ihn also im selben Moment wiederherstellen, in dem ich das Projektil
entferne.“
,, Vielleicht kann ich helfen.“ , meinte Relina. ,, Sagt mir nur, was ich tun muss.“
Quinn strich sich nervös durch die Haare. ,, Zwei Magier haben höhere Erfolgschancen als einer. Also gut. Hört zu. Der Orden ist immer daran gescheitert, Speichersteine wie die des alten Volkes selber herzustellen. Unsere Kristalle zerfallen, wenn ihre Ladung verbraucht ist. Aber wir haben immer wieder welche in den Ruinen gefunden. Manche davon jedoch zersplittert, so dass man ihre volle Macht nicht nutzen konnte. Man kann sie jedoch wieder zusammen fügen, wenn man Vorsichtig
ist. Ein einfacher Heilzauber, wie man ihn auch bei einer Wunde anwenden würde. Das Problem ist, fügt man die Splitter dabei nicht langsam genug zusammen, nun, , die gesamte magische Energie würde sich auf einen Schlag entladen, was… ungesund wäre. Normalerweise würde man also nur die erfahrensten Magier mit so einer Aufgabe betrauen, die sich abwechseln. Die Konzentration, die man dafür braucht, ist enorm. Im Augenblick jedoch, gibt es nur mich. Und euch. Der Rest… ist zu unerfahren, fürchte ich. Traut ihr euch das zu?“ Quinn glaubte nicht wirklich daran, wie s sich anhörte. Und Syle bekam langsam
Zweifel, ob das eine so gute Idee war.
Relina nickte entschlossen. ,, Glaubt mir, ich bin schon mit ganz anderen Herausforderungen fertig geworden.“
,, Zum Beispiel ?“ Eine Spur Spott lag in der Stimme des Zauberers.
,, Ich habe einen neuen Staat erschaffen.“ Mit diesen Worten stand sie von der Bettseite auf und sah zu Erik. Quinn erwiderte nichts mehr, sondern verschränkte nur die Arme vor der Brust. ,, Bringen wir es hinter uns.“
Erik begann wortlos erneut in seiner Instrumententasche zu wühlen, bis er eine Mappe mit mehreren Pinzetten und kleinen Messern hervorzog. Mit Bedacht wählte er eine der kleinsten Zangen aus
und besah sie sich einen Moment prüfend.
,, Selbst wenn das funktionieren sollte, Relina… Es ist keine Garantie, das er wieder zu sich kommt.“
,,Ich weiß Erik.“ , antwortete sie. ,, Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche… Ich würde mir das nicht verzeihen können.“
,, Und mich fragt natürlich niemand, ob ich das für eine gute Idee halte ?“
,, Haltet ihr es für eine gute Idee ?“ , fragte Syle.
,, Nein.“ Quinn atmete tief durch. ,, Ich mache es aber trotzdem. Wenn es nicht funktioniert… Wird schon schief gehen. Vielleicht ist, was immer mit Lucien
nicht stimmt ja auch einfach ansteckend.“
Erik nickte, bevor er die Pinzette und das Vergrößerungsglas wieder an sich nahm und sich über die Wunde beugte.
,, Bereit ?“ , fragte er.
Syle sah fasziniert zu, wie Quinn eine Hand ausstreckte, so dass sie knapp über der Brust des bewusstlosen Schwertmeisters verharrte. Relina tat es ihm nach kurzem Zögern gleich.
Blaues Licht sammelte sich in den Handflächen der beiden Magier, während der Arzt sich an die Arbeit machte. So behutsam, das Syle nicht wusste, ob er sich überhaupt Bewegte, packte er die Kugel, die zwischen den Scherben des
Kristalls ruhte und zog sie ohne jegliches Zittern heraus.
Der Bär konnte die Schweißperlen auf der Stirn des Mannes sehen, als er das Bleiprojektil schließlich ganz aus der Wunde entfernt hatte. Er ließ es achtlos in seine offene Handfläche fallen.
,, Wenigstens gibt’s ein Souvenir.“ , meinte er, klang jedoch nach wie vor nervös. Es war noch nicht Überstanden und das wusste auch Syle, als er Relina und Quinn musterte. Beide standen nach wie vor rechts und links der Liege, darum bemüht den Zauber aufrecht zu erhalten. Fasziniert sah Syle dabei zu, wie die Risse im Stein sich schlossen, wie Splitter und Fragmente von selbst an
ihren Platz zurück kehrten und mit dem blauen Kristall verschmolzen.
Quinn ließ die Hände zuerst sinken und stolperte zurück, offenbar am Ende seiner Kräfte. Schwer atmend stützte er sich an der Wand in seinem Rücken ab.
Relina hingegen erhielt den Zauber noch einen Moment länger aufrecht, während die letzten Fragmente an ihren Platz zurück fanden. Im gleichen Moment wurde aus dem zuvor schwachen Glühen des Kristalls ein blendendes Licht. Syle schirmte die Augen mit den Händen ab.
Im nächsten Moment war die Helligkeit auch schon verschwunden und ließ die zwei Gejarn, den Arzt und den erschöpften Zauberer im Halbdunkel
zurück. Nur langsam gewöhnten sich Syles Augen wieder an das schummrige Licht der Öllampen und Kerzen. Was er jedoch sah, war genug. Die Wunde in Zyles Brust war nicht mehr da.
Relina war auf ihren alten Platz zusammengesunken und hatte die Augen halb geschlossen, genau so müde, wie Quinn. Der Mann seinerseits hatte Mühe, sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten. Die Schakalin jedoch weigerte sich, einfach einzuschlafen, wo sie war.
,, Und jetzt ?“ fragte sie.
Erik zuckte mit den Schultern. ,, Mehr können wir nicht tuen. Es hat funktioniert, aber wie ich schon sagte… es ist keine Garantie. Wir können nur
abwarten, ob er aufwacht.“ Der Arzt packte seine Ausrüstung wieder zusammen und verstaute auch die Fläschchen und Tinkturen wieder, die er zuvor so achtlos beiseite geworfen hatte. ,, Wenn sich irgendetwas endet, sagt mir sofort Bescheid.“
Relina nickte nur, bevor sie sich an Syle und Quinn wandte. ,, Wenn es euch nichts ausmacht… würdet ihr mich alleine lassen ?“
Syle konnte sehen, das Quinn zu einer sarkastischen Erwiderung ansetzte. Bevor der Zauberer jedoch dazu kam, irgendetwas zu sagen, packte der Bär ihn nur an den Schultern und zog ihn mit sich in Richtung Tür, durch die grade
Erik verschwand.
,, Natürlich.“ , meinte er nur. ,, Ruft uns, wenn ihr irgendetwas braucht.“