Kapitel 94 Wiedervereinigung
Als die Sonne sich an diesem Abend über Erindal senkte, brachen sich die Lichtstrahlen auf den Mauern des Palastes und brachte sie zum Leuchten. Rauchsäulen stiegen aus dem Häusermeer auf, das die Anlage umschloss. Besonders am Hafen, wo sich tausende von Menschen zusammen gedrängt hatten, war das Chaos nach wie vor vollkommen, auch wenn nur noch vereinzelt Schüsse und das Klirren von Schwertern zu hören waren. Die Bewohner Erindals, die keine Schiffspassage gefunden hatten, haarten zusammengedrängt in den Straßen und
Docks auf ihr Schicksal.
Kellvian Belfare hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Durch einen der großen Fensterbögen im Thronsaal des Palastes, sah er zu, wie der rote Feuerball langsam am Horizont verschwand.
Die Stadt war so gut wie in ihrer Hand, das wusste er. Ansonsten jedoch, schien für den Augenblick nichts sicher. Nachdem Zyle das Bewusstsein verloren hatte, hatte er es nicht mehr verantworten können, einfach weiterzugehen und sich zu den Toren durchzuschlagen. Und nach allem, was Relina ihnen erzählen konnte, war die gesamte Armee Cantons mittlerweile
ohnehin innerhalb der Stadt. SO hatten sie sich, den ohnmächtigen Schwertmeister auf einer Bahre tragend, zum Palast zurückgezogen. Die meisten Wachen hatten das Gebäude mittlerweile verlassen und somit war der Bau genau so leer, wie weite Teile der restlichen Stadt.
Und nun saß Kellvian alleine mit Fenisin und Mhari in dem weitläufigen Saal, er auf einem verzierten Holzstuhl, der wohl vorher Lady Garin gehört hatte, die beiden Ältesten links und rechts von ihm an einem kleinen Tisch. Stoffbahnen, bedruckt mit dem Banner der Stadt, dem roten Widder auf schwarzem Grund, wehten in dem Luftzug, der durch den
Saal wehte.
Kellvian hatte Lucien mit einer Nachricht ausgeschickt, damit er Jiy und die anderen Fand und hierher brachte. Jetzt, wo die Kämpfe in den Straßen endlich zum erliegen kamen, würde der Agent seinen Auftrag wohl einfach erfüllen können.
Relina unterdessen, hatte er nicht überzeugen können, von Zyles Seite zu weichen. Kellvian hatte es auch gar nicht weiter Versucht und nur Syle und Quinn gebeten, ein Auge auf alles zu haben. Sie hatten den Schwertmeister in ein Zimmer einige Flure weiter gebracht. Er hatte das Bewusstsein immer noch nicht wiedererlangt, auch wenn sie die
Verletzung in seiner Brust so gut es eben ging versorgt hatten. Kellvian konnte nur raten, was ihm fehlen mochte. Eigentlich sollte ihn überhaupt nichts fehlen können, dachte er bei sich. Wenn Erik mit den anderen eintraf, würde der Arzt vielleicht etwas tun können. So lange aber, blieb Kellvian nur die Unsicherheit.
Es war zum Greifen nah gewesen, dachte er bei sich und musterte dabei die Ringmuster im Holz des Tisches. Es erschien einfach nicht fair. Jetzt, wo sie endlich wieder alle zusammen finden konnten, könnte gleich einer wieder aus ihrer Mitte gerissen werden. Und dann grade der, den sie schon einmal verloren
glaubten…
Kellvian stand mit einem Ruck auf, als er das Warten schlicht nicht mehr ertrug. Er hatte frische Kleidung angezogen und wieder den alten Degen mit den Silberbeschlägen angelegt, trotzdem hatte er das Gefühl, jeder müsste ihm nach wie vor das Blut ansehen.
,, Könntet ihr ihm nicht helfen ?“ , fragte er an Mhari gerichtet.
Die Älteste zögerte zum ersten Mal, seit er sie kannte. ,, Ich wüsste nicht wie. Ich weiß ja nicht mal, womit ich es zu tun habe. Obwohl ihr mir davon erzählt habt, die Vorstellung ist… ziemlich fantastisch. Ein lebendes Konstrukt ? Ich kann eine Wunde mit Kräutern behandeln
und den Geist so beeinflussen, dass er den Körper zu heilen vermag. Aber das ist nichts, was man bei einer… Maschine anwenden würde.“
Kellvian nickte nur. ,, In diesem Fall, bleibt uns nichts anderes übrig, als auf Erik zu warten.“ Auch wenn er sich nicht sicher war, ob der Schiffsarzt mehr tun konnte. Relina hatte natürlich bereits Versucht, die Wunde zu heilen, aber entweder hinderte sie etwas daran oder ihre Fähigkeiten reichten schlicht nicht aus.
,, Das wird auch kein schönes Wiedersehen.“ , murmelte die Älteste leise.
Wiedersehen ? Kellvian war sich nicht
sicher, ob er sie richtig verstanden hatte, so oder so, es spielte keine Rolle. Erik war leicht dreimal so alt wie er, vielleicht war er Mhari einmal begegnet. Und Kell wusste durchaus, welchen Eindruck der Mann bei manchem Hinterlassen konnte. Wüsste er es nicht besser, er würde selber sagen, Erik sei komplett Wahnsinnig. Manchmal war Kellvian was das anging selber nicht sicher.
,,Und diese… Relina ?“ , wollte nun Fenisin wissen. ,, Ich.. kann nicht ganz glauben, was ihr uns über sie erzählt. Es gibt keine Magier unter den Gejarn.“
Kellvian zuckte mit den Schultern. ,, Es sieht so aus, als müsstet ihr das zu fast
keine Umändern. Aber ich weiß nur, was sie mir darüber erzählt hat. Manche Dinge… sind einfach. Ein alter Lehrer von mir würde vielleicht sagen, das Magie einen unberechenbaren Willen hat.“
In diesem Moment ging die Tür des Raums auf und Lucien trat ein. Scheinbar war er den ganzen Weg gerannt, den er Atmete schwer und seine Haare glänzten schweißnass.
,, Herr, ich habe sie gefunden. Jiy, Roland, die anderen…“ , erklärte er atemlos. ,, Und wie. Götter, rennen sollte in der Hitze verboten werden.“
,, Wo sind sie ?“ Kellvians Herz machte einen kleinen
Satz.
,, Keine Minute hinter mir. Ich habe mich beeilt und…“ Lucien kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, als Kellvian auch schon an ihm vorbei lief, in Richtung der Zugangstore des Palastes.
Einen Moment sah der Agent ihm nur verwirrt nach, dann zuckte er mit den Schultern und folgte ihm. Auch Fenisin und Mhari erhoben sich schließlich, allerdings machte sich keiner der drei die Mühe, Kellvian einholen zu wollen.
Es war ein bittersüßes Wiedersehen, aber für diesen einen kurzen Moment überwog für Kellvian nur unendliche Freude und
Erleichterung. Als er die Eingangshalle erreichte, wartete sie dort bereits.
Roland, in einem zerkratzen und mit Dellen übersäten Kürass, Melchior, der wohl schon die ganze Zeit hier gewartet haben musste , Eden, die ausnehmend gute Laune zu haben schien, Cyrus, der ihr wie ein Schatten folgte, der weißhaarige Erik , Zachary und… Jiy.
Er konnte sehen, wie sich ihre Augen einen Moment weiteten, als sie ihn erkannte. Sie sah genau so aus, wie er sich fühlte. Abgekämpft, erschöpft, aber unendlich erleichtert.
,, Kell ?“
Kellvian brachte nur ein schwaches Lächeln zustande und die Gejarn wartete
erst gar nicht ab, ob er irgendetwas erwidern würde. Mit wenigen Schritten hatte sie die Entfernung zwischen ihnen überbrückt und sie fielen sich in die Arme. Einen Moment war er versucht, das Ganze als einen bösen Trick abzutun. Sie nach all der Zeit wieder zu halten, zu riechen, zu küssen… Ihre Lippen fanden sich. Für wie lange sie einfach nur umschlungen, inmitten der gewaltigen Halle, dastanden, wusste er später nicht mehr. Es konnte nicht so lange sein, wie es sich später anfühlte. Eine glückselige Ewigkeit, die jedoch, wie der Kuss zu früh endete. Ihm war zum Weinen und lachen gleichzeitig
zumute.
,, Hast du eine Ahnung, wie lange wir schon nach dir suchen ?“ Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern nur unendlich erleichtert.
Statt darauf zu antworten, meinte er nur : ,, Ich habe schon gehört, ich kann dich jetzt Kaiserin nennen, ja ? Daran muss ich mich erst gewöhnen, glaube ich.“
,, Geister, du kannst den Titel sofort wiederhaben.“ Sie küsste ihn erneut. ,, Und alles andere auch.“ Den letzten Teil flüsterte Jiy nur. Götter, er hatte sie vermisst wie sonst nichts. Alleine das sanfte Kitzeln ihres Atems wieder auf seinem Gesicht zu fühlen, war alles Wert gewesen. Und doch, so schwer es ihm
fiel, er löste sich wieder von ihr, ließ ihr Gesicht dabei jedoch keinen Moment aus den Augen. Erst dann wendete er sich an die anderen.
,, Erik. Zyle ist verletzt. Wir könnten eure Hilfe gebrauchen.“ , erklärte er. ,, Relina ist bei ihm.“
,, Das bekommt auch nur dieser Dickschädel hin. Unverwundbar werden und es dann doch schaffen… Ich sehe einmal was ich tun kann und…“ Der Arzt stockte. Sein Blick war durch den Raum gewandert und an der grauen Gestalt einer Löwin hängen geblieben. Mhari blickte unerschrocken zurück.
Kellvian war sich nicht sicher, was hier eigentlich vor sich ging, aber er konnte
die Spannung in der Luft spüren. Jiy mit sich ziehend, trat er sicherheitshalber aus dem Weg.
,, Es ist lange her.“ , meinte sie ruhig.
,, Und ob.“
,, Ihr kennt euch ?“ , fragte Lucien.
Erik musterte die Gejarn einen Moment. ,, Sie hat mich bei einer Gelegenheit mal Verprügelt. Unter anderem.“
,, Das kenne ich.“ , meinte der Agent.
,,Glaubt mir, das ist noch gar nichts. Wenn ihr Melchior für einen manipulativen Besserwisser haltet, wartet einmal, bis ihr sie richtig kennen lernt. Ich würde mich wirklich von ihr fernhalten.“
,, Sagt der Mann, der mein Dorf einmal
in Brand gesteckt hat.“
,, Das war ein Unfall. Und wenn ihr einen Behälter mit Drachenfeuer nicht auch als solchen Beschriften könnt… woher hätte ich das den ahnen sollen?“
Mhari verschränkte nur die arme vor der Brust, obwohl ein leichtes Lächeln ihre Lippen kräuselte.
,, Schön zu sehen, das du dich kein Stück verändert hast, auch nach all diesen Jahren.“
,, Auch schön dich einmal wiederzusehen.“ , gab der Arzt seinen grimmigen Ton schließlich auf nur um hinzuzufügen : ,, Auch wenn ich mir gar nicht vorstellen will, was deine Anwesenheit hier
bedeutet.“
,, Wie wäre es mit : Ich helfe wo ich kann.“
,, Apropos Hilfe.“ , mischte sich da Melchior ein, der die Beiden jedoch nun unsicher musterte. ,, Ich glaube Zyle braucht immer noch eure Hilfe, Erik.“
,,Gut.“ Der Arzt wendete sich von der Ältesten ab. ,, Wo ist er ?“
,, Den Gang hinab.“ Kellvian wies auf eine der Türen, die aus der von Säulen getragenen Eingangshalle führten. ,,Syle und Quinn halten an der Tür wache, ihr könnt sie eigentlich nicht verfehlen.“
,, Es gibt vielleicht noch etwas anderes, das unsere Aufmerksamkeit erfordert.“ , meinte Fenisin, als der Arzt aus der
Halle verschwand. Seine Schritte hallten von den Steinfliesen wieder und verloren sich langsam.
Kellvian wusste, was der Älteste meinte. Die Waffenschmiede wartete nach wie vor auf sie. Und wie lange es dauern mochte, bis Andres neue Waffen einsatzbereit waren, wusste keiner von ihnen zu sagen. Nach dem was Lucien ihnen Berichtet hatte, wurde dort Tag und Nacht gearbeitet.
,, Fenisin, wenn ihr Roland einen Bericht geben könntet. Wir werden das morgen besprechen.“ , entschied er mit einem Blick auf die letzten Sonnenstrahlen, die durch das offene Palasttor hereinschienen. ,, Für heute,
haben wir haben uns alle eine Pause verdient.“
,, Die Stadt ist gesichert.“ , erklärte Roland. ,, Es gibt noch einige Unruhen am Hafen, aber wir sollten diese bis Sonnenuntergang unter Kontrolle haben.“
,, Wir müssen den Leuten wohl erst klar machen, das wir nicht ihre Feinde sind.“ , meinte Jiy besorgt. Kellvian seinerseits hatte schon zuvor in den verlassenen Straßen befürchtet, dass Erindals Bewohner ihnen zu sehr misstrauten. Warum jedoch, das wusste er nicht. Bisher hatten sie ihnen keinen Anlass dafür gegeben, sie weiter als Feinde zu
sehen.
,, Ich werde den Männern befehlen, sanft vorzugehen.“ Roland salutierte kurz. ,, Und Herr, es ist gut euch zurück zu haben.“ Mit diesen Worten machte sich der Mann bereits auf in die Straßen der Stadt, wo sich immer noch der Großteil der kaiserlichen Garde aufhalten musste.
,, Das würde ich auch sagen.“ Jiy lehnte ihren Kopf einen Moment an seine Schulter. Für den Augenblick sah es gar nicht mehr so finster aus, dachte er. Wenn nur Zyle wieder aufwachte. Und er den Schatten los wurde, der nach wie vor an seinem Geist zu haften schien. Allein, das er Jiy wieder hatte schien jedoch alles weniger schwer zu machen. Es
würde schon einen Gott brauchen, damit er sich nochmal so von ihr Trennen ließ.
,, Gehen wir ?“ , fragte sie, ein seltsames Funkeln in den Augen.
,, Gerne, aber wohin ?“
Die Gejarn sah einen Moment zu den anderen. ,, Irgendwohin."
Kellvian nickte kaum merklich. Es war nicht wichtig, solange sie zusammen blieben. Und er wollte ohnehin ungestört mit ihr reden. Und nicht nur reden. Sie festhalten, einfach nur spüren, Lieben. Es war egal solange sie da war und das alles hatte Zeit. Zum ersten Mal seit Langem hatte er nicht mehr das Gefühl, das alles gegen ihn arbeitete.
,, Suchen wir erst einmal was zu
Essen.“ , meinte er daher, bevor sie sich auf den Weg aus der Halle machten.