Kapitel 87 Die Gefallenen
,, Quinn ?“
Quinn blinzelte ins Licht der Mittagssonne, die direkt über ihm stand. Dann jedoch wurde die blendende Helligkeit von einem irgendwie… vertraut wirkenden Schatten ausgeblendet. Die Gestalt grinste, als sie bemerkte, dass der Zauberer die Augen wieder öffnete.` Götter, was war passiert ? Seine Glieder fühlten sich an, als hätte jemand Bleigewichte daran gebunden und seine Kehle war so trocken, das er einfach kein Wort herausbringen wollte.
,, Wasser, bitte…“ , brachte er endlich
hervor.
,, Geister, ihr habt auch schon einmal besser Ausgesehen.“ Der Schatten verschwand kurz und kehrte wenige Augenblicke später mit einem Wasserschlauch und einem Zinnbecher zurück. Vorsichtig goss er einen Schluck klarer Flüssigkeit in den Becher und hielt ihn Quinn an die Lippen. Dieser trank gierig, fühlte er sich doch, als wäre er grade von den Toten zurückgekehrt. Was der Wahrheit vermutlich näher kam, als ihm lieb war. Seine Erinnerung war genauso verschwommen wie seine Wahrnehmung, aber langsam kehrten die einzelnen Puzzleteile an ihren Platz zurück.
,,Syle…“
Endlich viel ihm auch wieder der Name des Gejarn ein, der neben ihm hockte und den Becher nachfüllte. ,, Hätte nicht gedacht, das wir uns nochmal wiedersehen… Bin ich tot?“
,,Nah dran, aber nein. Und ich hätte nie gedacht, dass ich mal froh wäre euch zu sehen. Meint ihr, ihr könnt aufstehen?“
Quinn nickte, war sich jedoch alles andere als sicher. Der Bär streckte ihm eine gewaltige Pranke hin und der Zauberer packte zu. Langsam und unter Protest seiner schmerzenden Gelenke, ließ er sich auf die Beine ziehen. Syle bereitete es kaum Mühe. Vermutlich, dachte der Zauberer bei sich, könnte der Gejarn ihn sogar tragen ohne es zu
merken.
Der Gestank von verbranntem Fleisch lag in der Luft, zusammen mit dem salzigen Geschmack des Meers… und der allgegenwärtigen Asche.
Quinn entdeckte Kellvian, der sich zusammen mit einer Gruppe Gejarn, darunter einen, den er als den Ältesten Fenisin erkannte, in den ausgebrannten Ruinen des Fischerdorfs umsah . Er lebte also wirklich noch. Und am Felspfad konnte er zwei weitere vertraute Gestalten ausmachen. Lucien und Melchior.
Wie es aussah, hatten die Feuer kaum etwas von der Siedlung übrig gelassen, außer geschwärzte Balken und Glut.
Flammen hingegen gab es keine mehr. Götter, wie lange war er Bewusstlos gewesen? Offensichtlich lange genug, das sämtliche überlebenden Bewohner geflohen waren. Stunden…
,, Was ist hier nur passiert ?“ , fragte eine grauhaarige Gejarn, die sich genau wie die anderen nur Fassungslos umsah. Quinn könnte es ihr sagen, aber ihm schwirrten selber so viele Fragen im Kopf herum und seine Erinnerungen nach wie vor getrübt…
,, Nichts gutes, Mhari.“ , meinte Syle an seiner Stelle und trat ein Glutnest aus, das vor seine Füße geweht wurde.
Die Löwin nickte nur resigniert. ,, Ihr wolltet doch, das ich nach der Zauberin
sehe. Es geht ihr… nicht gut. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, das sie die nächsten Stunden Überlebt.“
Zauberin… Etwas in Quinns angeschlagenem Gedächtnis schlug Alarm. Kiara…
,, Sie lebt ?“ , fragte er aufgeregt. ,, Sture alte Hexe.“
,,Noch.“ , antwortete Mhari. ,, Folgt mir. Vielleicht könnt ihr ihr ja helfen. Auch wenn ich keine Ahnung, wieso sie überhaupt noch lebt.“
Die Gejarn führte ihn etwas Weg von den ausgebrannten Gebäuden und zu einer Stelle, die im Windschutz einiger Felsen lag. Man hatte eine Zeltplane über den Felsen gespannt, so das ein
provisorisches Zelt entstand, in dem jedoch nur eine einzige Person auf einer strohgepolsterten Bahre lag.
Kiara sah schrecklich aus. Der Feuerzauber hatte sie getroffen, ohne dass sie sich irgendwie davor geschützt hatte. Ihre linke Gesichtshälfte hatte am meisten abbekommen. Selbst unter Binden und Umschlägen konnte Quinn den Schaden sehen, den der Zauber angerichtet hatte.
Obwohl die Schmerzen unvorstellbar sein mussten, war sie wach. Ihre Augen folgten ihm, als er sich ratlos neben die Liege setzte. Mhari wartete in Sichtweite draußen.
Er konnte sie nicht heilen. Da war keine
Magie mehr übrig, auf die er zurückgreifen könnte. Zumindest nicht für den Augenblick. Quinn wollte etwas sagen, fand aber keine Worte. Kiara war selber viel zu realistisch, als das sie die Wahrheit nicht selber wüsste… Sie würde sterben
Und das durfte nicht sein.
,,Melchior hat mich gewarnt, das so etwas passieren könnte…“ Das Sprechen bereitete ihr offenbar Mühe, aber die Worte waren klar und deutlich. ,,Sieht aus, als würde er recht behalten.“
Also hatte der Seher hierbei seine Finger im Spiel ?
,, Ihr kommt wieder auf die Beine.“ , antwortete
Quinn.
Kiara lachte, ein kurzer Laut, der in ein schmerzerfülltes Stöhnen überging. ,, Selbst vor dem Ende bringt ihr mich noch zum Lachen. Ihr seid nicht dumm Quinn. Ich will, das ihr mir etwas versprecht.“
Sie packte sein Handgelenk, erstaunlich kräftig und hielt ihn fest. Für Quinn war klar, Kiara würde es fertig bringen, ihm ein letztes Mal zu befehlen…
,, Was ?“ , fragte er daher nur.
,,Bringt es für mich zu Ende.“ Mit diesen Worten fielen ihre Augen zu, ihre Hand nach wie vor in Quinns. Der Zauberer saß einen Augenblick nur da und lauschte dem schwächer werdenden
Atem der Ordensoberen. Er wusste nicht, wie lange genau, nur das die blendende Helligkeit draußen vor dem Zelt bereits in den rötlichen Schimmer des Nachmittags übergegangen war. Mhari war ebenfalls verschwunden, vermutlich zurück zu den anderen in der Siedlung.
,,Kiara ?“
Sie antwortete nicht mehr und nur langsam wurde ihm klar, dass sie längst nicht mehr atmete. Die Magierin musste sich wirklich nur noch mit reiner Willenskraft ans Leben geklammert haben. Für ein letztes Wort…
Dieses Mal gab es nicht die Hoffnung, dass sie doch irgendwie davon gekommen war. Kiara war fort.
Endgültig.
Irgendwie fühlte er sich plötzlich leer. Ein Gefühl, das ihm mittlerweile bekannt vorkam. Verlust… Früher wäre der Gedanke für ihn schon unvorstellbar gewesen. Trotzdem bereute er es nicht, zugelassen zu haben, das andere für ihn eine Bedeutung bekamen. Der Schmerz war da, aber auch das war in Ordnung. Vorsichtig ließ er die Hand der toten Zauberin los.
,,Verrückte, närrische, alte Frau…“ , murmelte er , auch wenn er wusste, dass es niemand mehr hören konnte. Eigentlich wusste er so gut wie nichts über Kiara, wie ihm klar wurde. Und nun nahm sie so viele Antworten wohl
für immer mit sich…
Und dennoch, einen letzten Dienst konnte er ihr noch erweisen. Quinn stand entschlossen auf. Er hatte ein Versprechen gegeben und das würde er halten. Jetzt, wo er Kellvian wieder gefunden hatte konnte sich einiges ändern.
Als er ins Dorf zurückkehrte, warteten die anderen dort bereits. Mittlerweile hatten sich offenbar auch einige Dorfbewohner wieder zurück gewagt, denn Kellvian unterhielt sich mit einigen aufgeregt wirkenden Menschen. Andere suchten bereits in den Trümmern nach ihren verbliebenen Habseligkeiten oder Angehörigen. Diese Leute hatten
tatsächlich alles verloren außer das, was sie am Körper trugen, dachte Quinn. Vielleicht konnten sie etwas für sie tun, wenn dieser Krieg sein Ende fand. Irgendwann… Das Land war vielerorts auf den Kopf gestellt worden und wie viele Ortschaften noch völlig zerstört waren, würde sich erst zeigen müssen.
Der Zauberer ging mit gesenktem Kopf über den Strand, bis er zu der Stelle kam, wo er sich sein Duell mit dem besessenen Magier geliefert hatte. Der Boden war schwarz verfärbt durch die Hitze des magisch erzeugten Feuers und stellenweise zu einer glasartigen Substanz geschmolzen. Aber wo war die Leiche des
Mannes?
Quinn konnte sie nirgendwo entdecken. Nur eine dunkle Fläche. Hatte vielleicht einer von Kellvians Männern den Körper bei Seite gebracht? Aber da schien unwahrscheinlich. Der Kaiser hatte wohl im Augenblick genug mit den Lebenden zu tun, die langsam in die Siedlung zurückkehrten. Und dann entdeckte er die Schleifspuren. Dort, wo der Sand nicht mehr geschmolzen war, zog sich eine breite Furche durch den Grund, als hätte sich jemand kriechend dort entlanggeschleppt.
Darauf gefasst, sich jeden Moment wieder verteidigen zu müssen, folgte Quinn der Spur weg vom Dorf. Es war
dumm, die anderen nicht zu rufen, aber der Mann hätte tot sein müssen…
Auch ein Seelenträger starb, wie alles andere auch, wenn man ihn nur schwer genug traf. Und Quinn hatte ihm einen Blitz durch den Brustkorb gejagt. Selbst wenn die Energie seine Organe nicht direkt verbrannt hatte, dass er sich noch Bewegen konnte war ein Wunder.
Die Spur führte den Strand hinab, bis zu einer Stelle, wo eine verbrannte Gebäudewand direkt an die See Grenzte. Quinn konnte sehen, wie sich etwas hinter den lückenhaften Balken bewegte. Ihm fehlte nach wie vor die Kraft, für einen wirklich gefährlichen Zauber. Aber nun war es zu spät, umzudrehen.
Der Zauberer machte einen Satz um die Wand herum und spürte, wie seine Knochen bei der Bewegung leise protestierten, immer noch angeschlagen von seinem vorherigen Duell. Sobald er seinen Gegner jedoch sah, wurde Quinn klar, dass er sich darum keine Sorgen zu machen brauchte. Der Seelenträger war in noch schlechterer Verfassung als er selbst.
Schwer atmend lehnte der Mann an der Wand und sah mit trübem Blick zu dem Ordensoberen auf. Das grüne Feuer in seinen Augen war erloschen, ersetzt durch etwas, das nur Furcht sein konnte. Quinn wollte dem Ganzen ein Ende
machen. Ein Zauber, der den ohnehin schon ersterbenden Lebensfunken des Besessenen auslöschte. Aber irgendwie brachte er es nicht über sich, das schwer verletzte Wesen zu erlösen.
Stattdessen trat er näher und kniete sich vor die Gestalt. Es schien unmöglich, dass der Mann immer noch atmete, aber so war es. Quinn konnte die Stelle sehen, wo der Lichtbolzen die Brust des Besessenen durchdrungen hatte. Der Pfad der Energie hatte ein kreisrundes Loch erschaffen, durch das er die Holzwand hinter dem Mann erkennen konnte. Ihm wurde bei dem Anblick leicht übel.
,,Ihr…“ Die Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, weshalb Quinn sie beinahe
für einen weiteren, rasselnden Atemzug gehalten hätte. Aber es war auch nicht mehr die verzerrte Stimme eines Wahnsinnigen, die da sprach. In seinen letzten Momenten so schien es, lichtete sich der Schleier, der sich über den Geist der beiden Seelen gelegt hatte, die sich diesen Körper teilten.
,,Ihr seid schon tot.“ , erwiderte Quinn . So wie eure ganze Art, fügte er in Gedanken hinzu.. ,, Ich kann euch nur anbieten, euer Leben sofort zu beenden.“
,,Ich fürchte mich…“ Der Blick des Mannes brach, während sich grüne Funken und die normale, bräunliche Augenfarbe miteinander abwechselten. Ein seltsames Schauspiel, das Quinn auf
eine Art abstieß und faszinierte. ,, So lange in der Dunkelheit und dann nur die Rückkehr in einen Alptraum…“
,, Der Traum ist vorbei.“ , antwortete Quinn. Zwei Personen an einem Tag langsam sterben zu sehen war selbst für ihn nicht grade angenehm. Dass eine von ihm ihm etwas bedeutet hatte, machte es nicht besser. Und dieses Ding mit dem er sich nun unterhielt klang so verzweifelt und verängstigt…
,,Ja. Aber vielleicht bin ich letztlich… frei. Am Ende hat er uns damit einen Dienst erwiesen…“
,, Wer ?“ Die Worte des Seelenträgers ergaben für Quinn kaum einen Sinn.
,, Endlich
schlafen…“
,, Oh nein, das könnt ihr gleich vergessen . Von wem sprecht ihr? Wer hat euch am Ende vielleicht einen Dienst erwiesen?“ Quinn hätte den Mann am liebsten geschüttelt, aber das würde wohl kaum Erfolg haben. Er war ohnehin so gut wie tot.
,,Ismaiel.“ Diesmal war es kein Flüstern, sondern ein letztes, klares Wort, bevor der Zauberer plötzlich in sich zusammensank und ruhig liegenblieb. Seine Augen wurden endgültig leer und das grüne Feuer verschwand mit einem letzten, kurzen Aufflackern.
Quinn stand schwankend auf, während er
sich auf den Weg zurück zu den anderen machte. Also steckte der Meister dahinter. Nach allem, was Kellvian ihm über den Mann erzählt hatte, hatte dieser seine Pläne, das alte Volk zurück zu bringen noch immer nicht aufgegeben. Mit fatalen Folgen wie es schien. Wer bei klarem Verstand käme auf die Idee, einen Seelenträger zu erschaffen? Es war völliger Irrsinn, sie ließen sich weder Kontrollieren noch konnte man sie Überzeugen. Er würde die anderen darüber informieren und dann… Ihm schwirrte der Kopf vor Erschöpfung, Trauer… und nun auch einem Hauch von
Angst.
Später am Abend, als die Sterne am Himmel standen, konnte man Flammen sehen, die am Ufer der östlichen Sonnensee aufstiegen. Quinn hatte den Holzstapel mit einem Zauber entzündet und nun fraßen sich die magisch verstärkten Flammen rasch nach oben und hüllten die beiden Gestalten, die man in ölgetränkte Leinentücher gewickelt hatte, ein. Das Öl fing sofort Feuer, das eine tiefrote Farbe annahm, als es Haut, Kleidung und Knochen verzehrte.
Und im Licht des Scheiterhaufens standen sieben Gestalten, die alle ihren
eigenen Gedanken nachhingen.
,, In meinem ganzen Leben bin ich nur einmal zuvor etwas so mächtigem begegnet.“ , meinte Quinn, als die ersten Äse zu Asche zerfielen und die Körper, die sie trugen in die Tiefe rutschten.
,, Es war auch nicht eure Schuld.“ , meinte Syle. ,, Niemand hätte das verhindern können. Und nach dem was ihr erzählt habt… vielleicht hat Ismaiel euch den Magier sogar hinterhergeschickt.“
,, Das macht es nicht wirklich besser.“ , antwortete Quinn betrübt. ,, Erland plant irgendetwas. Keine Ahnung was, aber ich weiß, dass es dabei um Jiy geht. Sie ist schon auf dem Weg nach
Erindal…“
,, Und genau da werden wir auch tun.“ , mischte Melchior sich ein. ,, Bevor wir euch gefunden haben , waren wir ohnehin auf dem Weg in die Stadt.“
,, Melchior, wenn ihr wirklich glaubt, nach allem, was wir jetzt wissen, mache ich weiter einen Bogen um Jiy, könnt ihr das vergessen.“ Kellvians Stimme hatte plötzlich einen drohenden Unterton angenommen, während er in die Flammen starrte. ,, Ich werde sie nicht in eine Falle laufen lassen.“
,, Eigentlich, wollte ich sogar das Gegenteil vorschlagen.“ Der Seher legte Kellvian eine Hand auf die Schulter. ,, Es gibt Dinge, die ich nicht verraten
darf, mein Freund, aber hört euch meinen Rat an. Wenn wir nach Erindal gehen, können wir uns dort auch umhören. Eine Armee, wie die, die Jiy begleitet fällt auf. Dann wissen wir, wo wir sie suchen müssen.“
,,Das sind ja ganz neue Töne von euch. Warum der Sinneswandel ?“ , fragte Lucien.
Doch der Seher antwortete nicht, sondern wendete sich nur wieder dem Scheiterhaufen zu, der mittlerweile schon halb heruntergebrannt war. Also war ihr nächstes Ziel klar, dachte Quinn. Erindal.
Die Stadt war vielleicht noch einen Tagesmarsch entfernt, wenn sie sich
beeilten und keine Pause einlegten.