Kapitel 86 Der Besessene
Der Rauch brachte seinen Augen zum Tränen, trotzdem kam er keinen Augenblick auf die Idee, den Blick von seinem Gegner zu nehmen. Dieser interessierte sich offenbar nach wie vor nicht für die zwei Magier, die inmitten der brennenden Siedlung standen und nur zusehen konnten.
Der Wind trieb Sand und Glutpartikel heran, die sich in Quinns Kleidung und seinen Haaren verfingen.
Kiara rührte sich nach wie vor nicht, sondern musterte weiterhin ihren Gegner. Die Zauberin nahm das Inferno
scheinbar genau so wenig wahr, wie der Fremde.
,, Wir haben ein Problem.“ , erklärte sie schließlich.
,, Das ist mir auch schon aufgefallen.“ , antwortete Quinn angespannt. ,, Das Dorf brennt.“
,, Das meine ich nicht. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.“
Sie nickte in Richtung des Zauberers, der erneut einen Feuerball heraufbeschwor. Dieses Mal jagte die Flammenlanze dicht an ihnen vorbei und durchbrach die Wand des Gasthauses, in dem sie zuvor noch gesessen hatten. Und ob mit diesem Mann etwas nicht stimmte, dachte Quinn. Aber auch das
meinte die Zauberin nicht. Es war, als hätte sich ein ständiger Schleier aus Magie um die einsame Gestalt gelegt. Magie, die um ihn herum tobte und sich ab und an in Gestalt einzelner Lichtbögen entlud, die Staub aufwirbelten. Und dann wurde ihm klar, dass er so etwas schon einmal erlebt hatte. Vor fast zwei Jahren. In der Universitätshalle von Vara.
Seelenträger, schoss es ihm durch den Kopf. Aber das war unmöglich. Kellvian sollte der einzige sein, der ihnen durch die besonderen Umstände seines Lebens einfach entgangen war. Zum ersten Mal spürte Quinn einen Hauch der Angst bei der Gegenwart dieses Wesens vor ihm.
Wenn stimmte, was er befürchtete, war der Zauberer dort mächtiger, als selbst er und Kiara zusammen. Vielleicht sogar dann, wenn er bereit wäre, die Träne Falamirs erneut einzusetzen.
,, Ich fürchte das ist ein Seelenträger.“ , warnte er Kiara.
Die Zauberin nahm die Botschaft überraschend Gelassen auf. ,,Ich habe es schon befürchtet. Wir können dieser Kreatur nicht erlauben weiter zu existieren, Quinn. Er mag einmal etwas anderes gewesen sein, jetzt ist er nur noch eine Hülle für einen tobenden Geist.“
Quinn nickte. Auch das war Aufgabe des Ordens. Der Schutz der Magie und
Gegebenenfalls der Schutz der Menschen vor der Magie. Seelenträger waren Magier, in denen eine Seele des alten Volkes halt gefunden hatte. Normalerweise waren sie sehr selten. Nur ein Kind, dessen Eltern beide das Blut des alten Volkes trugen konnte überhaupt in Frage kommen und dann war selbst unter diesen längst nicht jeder betroffen.
,,Keine Sorge. Ich kenne meine Aufgabe.“ Nur würden sie beide alleine dafür auch ausreichen?
Er rief einen Blitz herbei, der zwischen seinen Händen Gestalt annahm. Funken und Lichtbögen sprangen zwischen seinen Fingerspitzen hin und her, bis die
unter Kontrolle gehaltene Elektrizität langsam die Form einer Sphäre annahm.
Jetzt endlich schien ihn der fremde Magier endlich zu bemerken. Der Blick in den Augen des Mannes klärte sich plötzlich, während das grüne Feuer darin noch einmal an Intensität annahm. War sein Gesichtsausdruck eben noch ratlos gewesen, wurde er jetzt düster.
Kiara ihrerseits ließ die Luftfeuchtigkeit vor ihr zu dünnen, messerscharfen Eisnadeln gefrieren, die eine schwebende Mauer vor ihr bildeten. Zusammen hätten sie beide wohl mehr Macht als weite Teile des Ordens zusammen genommen, aber dem Wesen vor sich waren sie so vielleicht grade einmal
ebenbürtig. Wenn überhaupt.
Der besessene Magier jedenfalls reagierte auf die Bedrohung nur mit einem schwachen Lächeln. Ob es die verstörte Seele in seinem Inneren war oder nur eine Erinnerung an ein früheres Leben, die wieder zu Tage trat, es jagte Quinn einen Schauer über den Rücken. Je eher er dieses Ding vernichtete, desto besser.
Mit einem Gedanken entfesselte er den Blitz, der als grell leuchtende Linie durch die Luft schnitt. Gleichzeitig jagten die Eisschneiden vor Kiara auf ihren Gegner zu. Dieser rief mit einer Handbewegung einen dritten Feuerball herbei, der, heulend losflog, einen
Schweif aus grün-gelben Flammen hinter sich herziehend. Die drei Projektile trafen gleichzeitig aufeinander. In einem plötzlichen Mahlstrom aus Energie wirbelten die Zauber durcheinander, überschlugen sich, Eis schmolz nur um sofort wieder zu gefrieren, Flammen verloschen zischend, entflammten aber sofort wieder. Elektrizität band alles zusammen und zuckte zwischen Feuer und Eis hin und her. Dann, mit einem gewaltigen, hallenden Donnerschlag war alles vorbei. Die Druckwelle deckte die noch intakten Hausdächer ab, brachte morsches Holz zum Bersten und trieb die Feuer, die um sie herum wüteten zu neuer
Höhe.
Quinn spürte die Bewegung in der Luft, als hätte ihn eine Faust getroffen und er stolperte zurück. Die Zauber hatten sich gegenseitig ausgelöscht.
Dabei hätte einer von ihnen es doch schaffen müssen, die Verteidigung ihres Gegners zu umgehen dachte er entsetzt. Kiara neben ihm war ein Stück in sich zusammengesunken. Götter, sie hatte vorher schon nicht gut ausgesehen. Nun jedoch schien sie sich grade noch auf den Beinen halten zu können.
,, Alles in Ordnung ?“ , fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte. Bevor Kiara etwas erwidern konnte, hatte ihr Gegner bereits einen weiteren
Zauber heraufbeschworen. Von einer Sekunde auf den anderen entflammte sich die Luft um Quinn herum. Er reagierte sofort. Bevor die Flammen ihn völlig einschlossen, griff er nach der Macht des Kristalls, den er mit sich trug. Und die Träne Falamirs beugte sich abermals seinem Willen. Die Wand aus Feuer, welche die beiden Zauberer sonst zu Asche verbrannt hätte, prallte an ein unüberwindbares Hindernis. Flammenzungen schlugen daran empor, suchten einen Weg an dem Schild vorbei… Quinn wich vor der Hitze, die immer noch durch die hastig errichtete Barriere drang zurück.
Jeder Magier, mit etwas Verstand hätte
seinen Angriff nach einigen Momentan abgebrochen, um Kraft zu sparen. Nicht so das verdrehte Wesen, das ihnen hier gegenüberstand. Quinns ausgestreckte Arme begannen nicht mehr nur vor mentaler sondern auch physischer Anstrengung zu zittern, als das Inferno Minute um Minute bestehen blieb und drohte, sie alle zu verschlingen.
Diesem Ding war es egal, wenn es auf einen Schlag Jahrzehnte seines Lebens aufgab. Und die Träne würde sie nicht ewig schützen. Schon jetzt konnte Quinn spüren, wie die Macht, die seine Zauber stützte langsam schwand.
Kellvian besah sich die Rauchwolke die am Horizont aufstieg mit einem mulmigen Gefühl. Das war kein einfaches Lagerfeuer, dafür waren die öligen Schleier zu massig. Nein, irgendwo in ihrer Nähe brannte etwas Großes. Vielleicht ein weiteres Dorf, dessen Güter man für Andres Feldzug beschlagnahmt hatte.
Nachdem Lucien ihnen Berichtete, was er an der Waffenschmiede gesehen hatte, war klar, dass sie nicht einfach angreifen konnten, wie bisher. Wenn sich dort eine ganze Garnison zum Schutz der
Hallen und Arbeiter befand, mussten sie zuerst ihre eigenen Leute sammeln. Fenisin hatte bereits Boten an die übrigen Clans geschickt, damit sie sich auf den Weg nach Erindal machten. Die Stadt mochte feindliches Territorium sein, aber sie war auch einfach genug für alle zu finden und wenn sie vorsichtig waren, hoffte Kellvian darauf, vielleicht auch ihre Vorräte dort etwas ergänzen zu können. Grade in diesen Zeiten musste es genug Händler geben, die bereit waren für etwas zusätzlichen Gewinn auch ein paar Waren außerhalb der Stadtmauern zu verstecken, so dass die Gejarn sie nur noch holen brauchten.
Zwar protestierte Syle dagegen, das Kellvian
sie in die Stadt begleitete, aber er hoffte, das wohl die wenigsten Wächter dort überhaupt wüssten, wie er aussähe. Davon abgesehen, das wohl niemand ihn ausgerechnet dort vermuten würde.
Aber die Rauchwolke machte ihn wütend. Sie waren nur knapp über hundert, aber wenn sie etwas tun konnten... Dann würden sie das auch.
,, Wir folgen dem Rauch.“ , erklärte er entschlossen und bedeutete den anderen, sich ihm anzuschließen, während er bereits loslief.
Quinn konnte den Schild nur noch mit Mühe aufrechterhalten. Die Energie der
Träne war fast verbraucht und er konnte nicht hoffen, ohne den Stein auch nur einen Herzschlag länger zu Überleben. Er konnte sich nicht mehr darauf verlassen, dass seinem Gegner vorher die Luft ausging. Was immer der Seelenträger einmal an Vernunft besessen haben mochte war fort, ersetzt durch Wahnsinn, der nur ein Ziel kannte… Sie zu vernichten.
Es reichte ihm… Er war der Ordensoberste und einer der mächtigsten Zauberer der letzten hundert Jahre. Er würde nicht einfach abwarten, bis er starb. Doch das hieß, dass er den Schild auflösen musste, der ihn und Kiara vor dem Inferno schützte. Es war gewagt.
Aber er hatte den Entschluss längst gefasst.
,, Ich werde gleich etwas furchtbar dummes tun.“ , erklärte er und machte sich bereit. Es würde alles brauchen, was er noch hatte und vielleicht wäre nicht einmal das genug.
,, Das wäre dann nichts neues, Quinn.“ Kiara wirkte nach wie vor ausgelaugt, lächelte aber kurz. In ihren Augen blitzte etwas auf, das Quinn nicht ganz zu deuten wusste. War es Verzweiflung, oder hatte sie selber eine Idee? So oder so, für den Moment musste er sich auf sich selbst verlassen.
Quinn ließ den Schild zusammen fallen, den er erschaffen hatte. Im selben
Augenblick stürzten die Flammen mit der Wucht einer Flutwelle auf sie ein. Kurz bevor das Feuer die beiden Magier erreichte, rief Quinn einen letzten Zauber herbei, dem er die letzte Energie opferte, die noch im Leerenstein verblieben war.
Erneut tauchte einen schimmernde Barriere zwischen ihnen und dem Inferno auf, doch dieses Mal lenkte Quinn den Zauber gezielt. Als die Flammen auf den Schild trafen, wurden diese nicht bloß aufgehalten. Die magische Barriere selbst setzte sich, Stück für Stück in Bewegung und drängte die Feuer zurück. Langsam aber sicher gewann er die Oberhand über den besessenen Magier.
Und dann, endlich, erloschen die Feuer, genauso schnell, wie sie entstanden waren. Von einem Moment auf den anderen war die Sengende Hitze fort, die sie eben noch bedroht hatte. Aber der komplette Landstrich zwischen Kiara und Quinn und dem Seelenträger war dunkel verbrannt. Wo zuvor die brennenden Häuser gewesen waren, lagen nun höchstens noch einige glühende Dachbalken. Einige wenige Bewohner der Siedlung, die mutig genug waren, sich nach draußen zu wagen, starrten fassungslos auf den zu Obsidian verschmolzenen Sand, der einmal den Strand bedeckt hatte.
Quinn gab seine Konzentration auf,
worauf auch der Schildzauber sich wieder auflöste. Erschöpfung und Kälte schlugen wie eine Woge über ihm zusammen. Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Er wusste später nicht, was ihn überhaupt noch auf den Beinen gehalten hatte.
Der Anblick seines Gegners sicher nicht. Der Mann hatte den Kopf auf die Seite gelegt, das Grün seiner Augen loderte unübersehbar und blieb unbeeindruckt auf Quinn fixiert. Offenbar hatte der gewaltige Feuerzauber dem Besessenen kaum Mühe bereitet. Wo Quinn sich grade noch auf den Beinen halten konnte, wirkte er nach wie vor frisch und ausgeruht… und ohne ein Zeichen,
das noch ein Funken Vernunft in der leeren Hülle zurück geblieben war, die sie bekämpften.
Und dann war es Kiara, die plötzlich vortrat. Die Magierin war trotz ihrer Erschöpfung zu schnell für Quinn. Bevor er ganz begriff, was vor sich ging, war sie auch schon an ihm vorbei und schleuderte einen Blitz in Richtung ihres Gegners. Dieser sah den Angriff jedoch kommen, und wehrte den Zauber mühelos ab. Dafür jedoch, hatte Kiara jetzt seine volle Aufmerksamkeit. Eine Feuerlanze brach aus der Hand des Mannes hervor und traf sie, ohne das Kiara noch den Versuch machte, sich zu Verteidigen.
,,Nein !“ Quinn konnte nur zusehen, nicht mehr fähig, einen Zauber zu wirken, der die Ordensoberste retten könnte.
Die Magierin wurde von den Füßen gerissen und landete sich überschlagend im Staub. Quinn wollte zu ihr laufen, aber dann wäre die Chance, die sie ihm grade gegeben hatte zu Nichte. Der besessene Zauberer stand jetzt mit dem Rücken zu ihm
. Quinn hatte keine Reserven mehr, aber für diesen einen Zauber musste seine eigene Lebenskraft noch ausreichen. Wenn nicht, wer wusste, wie viele dieses Wesen noch töten würde, bevor ihm
jemand Einhalt gebot. In den vom krieg zerrissenen Landen könnte es Monate dauern, bis jemand die Zeichen erkannte und Jagd auf den Seelenträger machte. Ein Bolzen aus Licht drang aus seinen Fingerspitzen hervor und durchbohrte die Brust des nun schutzlosen Mannes. Mit einem rauchenden Loch im Körper brach er zusammen… Das konnte er nicht überlebt haben. Zumindest hoffte Quinn das.
Im gleichen Moment gaben auch seine eigenen Beine unter ihm nach und die Welt begann, dunkel zu werden. Sah so aus, als hätte er sich dieses Mal endgültig überschätzt. Das Prasseln der Feuer und die Rufe der Dorfbewohner
verklangen zu einem fernen Flüstern, bis auch dieses schließlich verstummte.