Titel
Als ob mich interessieren würde, was andere über mich denken. Seit Jahren geht mir das am Arsch vorbei. Ich war oft der Boxsack für andere. Das Ventil. Warum ausgerechnet ich? Wahrscheinlich, war ich klein und schmächtig war. Wehrlos. Von mir kam keine Gefahr aus. Schließlich schlug ich nicht zurück. Und wenn, dann tat es bestimmt nicht weh. In meinen dünnen Ärmchen befand sich kaum Muskelmasse.
Sie waren hinter mir her. Ein riesiger Mob. Nur weil ich keine Lust mehr hatte, mich herzuhalten. Zuerst war es nur einer. Doch plötzlich waren es ganz
viele. Aus jedem Winkel der Stadt schienen sie zu kommen. Seitenstechen. Meine Lungen brannten. Doch dann erschien er, wie aus dem Nichts. Stand einfach nur da. Groß, schwarz und wütend. Was nun, fragte ich mich? Der Mob oder er. Wem stelle ich mich? Wer bringt mich am schnellsten um?
Ich drehte mich um und sah, wie die anderen plötzlich innehielten. Keiner bewegte sich. Dann fiel ich um. Dunkelheit umgab mich. Ich dachte, das ist mein Ende. So ist es also, wenn man stirbt. Angst hatte ich keine. Ganz im Gegenteil. Endlich hatte es ein Ende. Nie wieder würde irgendwer seine Wut an mir ablassen. Das waren meine letzten
Gedanken, bevor ich völlig wegtrat.
Tot bin ich nicht. Ich wachte wieder auf, in einem ziemlich großen Bett. Sauber war es nicht gerade gewesen. Aber das war mir in dem Moment völlig egal. Ich wollte nur wissen, wo ich war und wie ich da hin kam. In dem Halbdüster konnte ich nicht viel erkennen. Ein relativ kleiner Raum und...der schwarze Riese. Er stand direkt über mir. Für einen Moment stand mein Herz still.
„Trink.“
Seine Stimme klang weich und angenehm. Passte irgendwie nicht zu seiner gewaltigen Statur. Sein Blick war freundlich und besorgt zugleich. Der schwarze Riese hatte mir das Leben
gerettet. Aber warum?
Ich brauchte noch ein paar Tage, bis ich wieder richtig zu Kräften kam. Der schwarze Riese tat alles, damit ich schnell wieder auf die Beine kam. Er war richtig nett. Ich fragte mich, wie ich mich dafür revanchieren könnte. So nett, wie er, war vorher noch niemand zu mir gewesen. Nicht mal meine eigene Mutter.
Ich hatte ihn einmal nackt gesehen. Sein ganzer Körper war übersät mit Narben. Es war ein schrecklicher Anblick gewesen. Woher all die Narben kamen, habe ich nie erfahren. Um keine Wunden neu zu öffnen, hatte ich ihn nie danach gefragt. Ich war einfach nur froh, einen Freund gefunden zu
haben.
Der schwarze Riese und ich blieben zusammen. Wurden beste Freunde. Es war eine schöne Zeit gewesen. Wer uns sah, machte einen großen Bogen um uns. Sie hatten alle angst. Dabei tat er keiner Fliege etwas zu leide. Hatte Respekt vor jedem Lebewesen. Er war mein Vorbild.
Ich lernte viel von ihm. Denn er hatte nicht nur Muskeln, sondern auch Hirn. Er war ein wunderbarer Mensch. Es war für mich ein gewaltiger Schock, als ich eines morgens aufwachte und feststellte, das er nicht mehr am Leben war. Er, der mir das Leben gerettet hatte. Dem ich so viel zu verdanken hatte. Gerade erst hatte er die Mitte des Lebens erreicht.
Hatte er einen freund gefunden. War nicht mehr allein. Ich war nicht mehr allein. Ausgerechnet da, musste er gehen. Das verstand ich nicht. Selbst heute, nach so vielen Jahren, verstehe ich es immer noch nicht.
In meiner Erinnerung lebt er weiter. Wird er ewig leben. Der schwarze Riese war und bleibt mein bester Freund. So lange ich lebe.