Forumsbattle 37
Thema: Tierische Märchengeschichten
Vorgabewörter:
Hexerei
Verstand
Intrige
Vorsatz
Schal
Pudel
Hufe
Leine
Tolerieren
Katzenjammer
Fraß
animalisch
zürnende Göttin
Im großen russischen Ofen knisterten Lärchenholzscheite, eine wohlige Wärme breitete sich im geräumigen sibirischen Blockhaus aus und ließ die Frostblumen an den Fensterscheiben schmelzen. Der Schamane Awdeijitsch hatte seine Pelzjacke und den wollenen Schal abgelegt, lief rastlos auf und ab und raufte sich seinen Bart.
Sein Laptop streikte wieder mal. Oder besser gesagt, er kam nicht ins Internet. Und dabei brauchte er doch so dringend Hilfe, weil er sich – gänzlich entgegen seinem Vorsatz - mit der Herrin der Tiere diesmal wirklich ganz böse angelegt hatte. Er hatte echten Katzenjammer.
Der einzige, der ihm vielleicht helfen könnte, wäre Grischa, sein deutscher Schwiegersohn mit der animalischen Doppelnatur eines Bären. Doch sein Smartphone hatte er im Wodkarausch an die Ranger des Nationalparks südlich des Baikalsees verspielt, nun konnte er Grischa und seine geliebte Tochter also nicht mehr erreichen. Wie es ihr, seiner burjatischen Taigasonne, in der westlichen Zivilisation wohl ergehen mochte? Schon längere Zeit hatte er nichts mehr von ihnen gehört. Bei der letzten Nachricht wollten sie nach Transsilvanien in das größte europäische Reservat für Bären und Wölfe - Bear LiBearty Sanctuary - aufbrechen. Ja, wussten sie denn nicht, dass
dort alle männlichen Tiere bei ihrer Aufnahme kastriert wurden?
In seiner Verzweiflung hatte Awdeijitsch all seine Kenntnisse der schamanischen Hexerei aufgeboten, Kontakt zur Herrin der Tiere in der Zwischenwelt der Geister herzustellen und sie um Hilfe zu bitten. Doch sie hatte ihn eiskalt abblitzen lassen.
„Was willst du von mir, hast du denn all deinen Verstand versoffen, du Abtrünniger?“, hatte sie ihm entgegengeschleudert, „ich bin die Gottheit der Tiere, aber nicht die der Menschen! Sollen diese Teufel sich doch selbst vernichten! Streiten sich um ihre eigenen Götter, schmieden Intrigen und
bringen sich gegenseitig um – sogar in
Zeitungsredaktionen und Supermärkten - , statt sich einfach in ihrer Vielfalt zu tolerieren!“
„Aber haben denn nicht auch alle Tiere ihre eigenen Götter?“, fragte Awdeijitsch, „ich habe meine Katze einmal bei einem starken Gewitter zu ihrer Katzengöttin beten gehört.“
„Mag sein“, erwiderte die Herrin der Tiere geringschätzig, "diese domestizierten Kreaturen haben sich doch selbst an die Menschen versklavt. Noch viel schlimmer sind allerdings die Hunde. Nimm mal so einen affig geschorenen Pudel, der sich an einer rosa Leine herumführen lässt, genau in der Farbe, die sein Frauchen als Gürtel trägt, oder ein Pferd, dem man die Hufe mit Eisen beschlägt, ein Schwein, dem menschliche
Abfälle zum Fraß vorgeworfen werden, und das sich dann auch noch willig schlachten lässt … das Kamel, das mit einer Weihnachtsmannmütze herumlaufen muss - wo bleibt ihr Recht auf Selbstbestimmung, ihr Stolz?“
„Wie“, hatte Awdeijitsch empört gerufen, „heißt das, du schließt die Haustiere aus deiner göttlichen Obhut aus?“
“Ich schließe niemanden aus, vermisse lediglich den gegenseitigen Respekt, der ALLEN KREATUREN ein würdiges und artgerechtes Leben auf der Erde ermöglichen würde.“
Und damit hatte sie sich grollend in ihr Zwischenweltrefugium zurückgezogen und ihn
mit seinem Kummer allein zurückgelassen.
~ ~ ~