Kapitel 84 Verhö
Lucien stolperte in die karge Steinzelle, während die Tür hinter ihm auch schon geräuschvoll zugezogen wurde. Der Klang, mit dem die schwere Gitterpforte ins Schloss viel, ging ihm durch Marck und Bein. Eine einzelne Kerze, die auf einem Tisch in der Raummitte stand, flackerte im Luftzug und drohte auszugehen, während sich die Flamme bläulich verfärbte. Die einzig andere Lichtquelle, stellte ein vergittertes Fenster dar, das sich etwa einen Kopf über Lucien in der Mauer befand. Nur einzelne Strahlen Mondlicht drangen
herein. Das meiste jedoch wurde vom Gras ausgeblendet, welches die Luke fast völlig überwuchert hatte. Die jetzt im Herbst gelblich verfärbten Halme wuchsen sogar durch die Gitter hinein und stellten den einzigen wirklichen Farbfleck da.
Lucien ging einmal um den Tisch herum, auf dem die Kerze nun wieder heller brannte. Er hatte nicht viel Zeit. Erland war niemand, der lange zögerte. Sobald man ihm Berichtete, das man einen Fremden bei dem Versuch Aufgegriffen hatte, die Waffenschmiede auszuspähen, würde er sofort hierher kommen. Der kaiserliche Agent schnappte sich die Kerze um Licht zu haben und ging
zurück zur Tür. Das Schloss war ein massiver Block aus grau-schwarzem Metall, in den ein Schlüsselloch eingestanzt war. Vermutlich kein zu komplizierter Mechanismus, aber stabil. Er brauchte irgendetwas, womit er die an die Federn in Inneren der Tür herankäme. Ein Stück stabiler Draht wäre mit etwas Glück schon genug. Wobei Glück wohl etwas war, auf das er sich nicht mehr verlassen konnte. Seine Waffen hatte man ihm alle genommen und hier drinnen gab es nichts, womit er arbeiten konnte, außer dem Tisch… Und der war aus massivem Holz.
Zum ersten Mal in seinem Leben fürchtete Lucien tatsächlich, fest zu
sitzen. Es gäbe Möglichkeiten, herauszukommen. Er könnte den Mörtel aus den Fugen um die Gitterstäbe des Fensters kratzen, aber das würde Tage dauern. Zeit, die er nicht hatte. Und nun hörte er bereits Schritte, die rasch näher kamen. Dem Klang nach, war Erland nicht alleine.
Wenige Augenblicke später wurde die Gittertür geöffnet und fünf Personen traten ein. Die ersten drei waren die Soldaten, die Lucien zuvor gefangen genommen hatten. Ohne ein Wort nahmen zwei Männer links und rechts von der Tür Aufstellung, während der dritte zum Tisch trat. Mit einer Geste bedeutete er dem Agenten, ebenfalls herzukommen.
Es nützte ja nichts, dachte Lucien. Spielte er das Spiel eben fürs erste mit. Ohne groß auf seine Bewacher zu achten, ließ er sich auf einen Holzschemel fallen und legte die Füße auf den Tisch.
Der erste, der beiden Neuankömmlinge war Erland… Und er sah wirklich nicht sonderlich gut gelaunt aus, dachte Lucien.
,,Ihr…“ Die eisblauen Augen des Mannes verengten sich zu Schlitzen. ,, Ich habe euch schon einmal gesehen.“
,, Vielleicht als ein paar hundert eurer Männer verschüttet wurden ? Ihr solltet wirklich mal darüber nachdenken, wie ihr eure Gäste behandelt. Ich dachte ja auch, Andre hätte sich mittlerweile
einen vernünftigen Heerführer…“
Lucien kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Eine Faust traf ihn mitten im Gesicht. Er verlor auf dem Hocker das Gleichgewicht und schlug auf dem Boden der Zelle auf. Erland trug nietenbesetzte Handschuhe die tiefe Schrammen auf seiner Wange hinterlassen hatten.
,,Warum schlägt mich in letzter Zeit jeder ?“ , murmelte er vor sich hin, als er sich wieder aufrichtete.
Erland hatte derweil ein Stück Stoff vor ihm auf den Tisch gelegt und schlug es Beiseite. Es war Luciens alter Umahng. Und vor ihm lagen sauber Aufgereiht die Waffen, die man bei ihm gefunden hatte. Messer, Bolzen, die
Armbrust…
,, Das wurde bei euch gefunden. Also, was genau hattet ihr bitte vor? Warum seid ihr hierhergekommen?“
,,Oh ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen, ehrlich. Versteht ihr, ich mache um diese Uhrzeit immer meinen Abendspaziergang. Nur habe ich mich wohl etwas Verlaufen. Ihr wisst nicht zufällig wie ich von hier zurück nach Erindal komme?“ Lucien zwang sich zu einem spöttischen Grinsen, das ihm mit der verletzten Lippe jedoch nicht ganz gelingen wollte.
Im nächsten Moment traf ihn bereits wieder die Faust. Der Schlag fiel weniger heftig aus, als der zuvor.
Vermutlich wollte Erland nicht riskieren, ihm den Kiefer zu brechen. Er musste noch reden können.
Lucien spuckte etwas Blut, während der Heerführer ihm am Kragen packte.
,, Ihr werdet meine Fragen beantworten. Nicht mehr Wenn ich von euch sonst irgendetwas hören will, erfahrt ihrs. Wir wussten schon eine Weile, das ihr hierherkommt, also…“
,, Woher…“ Woher wusstet ihr, das ich herkomme, hatte er Fragen wollen, aber bevor er den Satz beendet hatte, bekam er einen Schlag in die Magengrube. Sein Blickfeld verschwamm, trotzdem richtete er sein Augenmerk zum ersten Mal wirklich auf den zweiten
Neuankömmling.
Es war ein Gejarn. An sich wäre das schon seltsam genug gewesen, das ein Gejarn einem erklärten Sklavenhalter so offen diente, aber schlimmer, sobald er wieder klar sehen konnte, erkannte er den Mann sogar. Es war ein Löwe…
Götter, er hatte den Mann vor ein paar Wochen zusammen mit einigen anderen Ausgebildet. Und Kellvian ihn keinen Tag zuvor verbannt.
,,Oh Großartig.“ , stöhnte Lucien auf. Der Kerl war doch tatsächlich direkt zu Andre gerannt… Jetzt hatte er allerdings ein Problem…
,, Wo sind eure Verbündeten ?“ , wollte Erland nun
wissen.
,, Sie können nicht weit sein.“ , antwortete der Löwe. ,, Wenn ihr die Gegend absucht werdet ihr sie schnell finden.“
,, Euch habe ich nicht gefragt.“ , antwortete der Heerführer kühl, während er Lucien wieder gefährlich nahe kam.
,, Ehrlich ich habe keine Ahnung.“ , antwortete dieser. ,, Aber hey, vielleicht erwischt ihr wenigstens noch Melchior, der kann euch dann vielleicht die ungefähre Richtung sagen… Wenn ihm grade danach ist…“
Der erwartete dritte Schlag blieb aus. Lucien hatte die Augen bereits wieder halb geschlossen. Als er sie öffnete,
starrte er direkt in Erland wutverzerrtes Gesicht. Der Mann hatte eine Hand gehoben, an dem ein einzelner Ring, mit einem darin eingelassenen Amethysten glitzerte. Den Handschuh hingegen hatte er ausgezogen und ließ ihn achtlos zu Boden fallen.
,, Ich habe wirklich versucht, zivilisiert zu bleiben. Aber ihr wolltet ja nicht… Vielleicht bringt euch das zum Sprechen. Ein kleines Geschenk von Ismaiel, nachdem ich das letzte…verloren habe.“
Lucien konnte die Magie, die davon ausging spüren. Er schluckte heftig. Der Tag wurde einfach nicht besser.
,, Also, wie sieht es aus, antwortete ihr mir jetzt
?“
Im nächsten Moment leuchtete das Juwel grell auf. Er wollte die Augen schließen, doch eher er dazu kam, brannte sich das Licht bereits bis in sein innerstes. Es war, als hätte man ihm glühende Nadeln in den Körper gerammt. Blind vor Schmerz sackte er in sich zusammen und spürte nicht einmal, wie er erneut auf dem Boden aufschlug. Zum Schreien fehlte ihm der Atem…
Lucien wusste nicht, wie lange es dauerte. Vielleicht nur Sekunden, vielleicht auch Stunden. Nur, das ihm Blut in den Mund stieg, merkte er… Langsam aber sicher kam der Agent zu der Überzeugung, das Erland ihn einfach
töten würde. Wenn er sich dabei wenigstens beeilen würde, wäre das grade sogar willkommen…
Dann, so plötzlich wie er gekommen war, riss der Schmerz ab. Erland ließ die Hand mit dem Ring sinken, während Lucien einfach im Staub liegen blieb und wieder Atem schöpfte. Mit dem Atem kehrte auch die Vernunft zurück. Erland wollte Antworten. Er würde weit gehen, aber er würde Lucien nicht töten.
Und er brauchte nur eine einzige, kleine Gelegenheit um zu fliehen. Schon alleine um Kellvian davor zu warnen, die Waffenschmiede einfach anzugreifen. Dafür hatte er zu wenige Männer mit
sich…
,, Also gut… ich glaube ich überlege es mir nochmal.“
,, Wo sind die anderen ? Wir wissen, das Kellvian noch lebt, also wo steckt er?“
,, Was habt ihr ihm noch alles verraten ?“ , Lucien ignorierte Erland und richtete den Blick auf den Löwen, der an der Rückwand des Raumes stand. Offenbar war er dorthin zurück gewichen, als Erland den Ring eingesetzt hatte…
Der Heerführer seufzte entnervt. ,, Wie es aussieht, komme ich hier nicht weiter…. Ihr werdet sehr bald feststellen, das ihr mit mir noch die einfachere Alternative hattet. Es gibt ein
paar Leute hier, die mir garantieren können, das ihr morgen früh redet.“ Mit diesen Worten drehte sich der Mann um und winkte seine drei Wächter mit sich aus dem Raum. Als der Löwe ihm folgen wollte, bedeutete Erland ihm jedoch, zu warten.
,, Es dauert nur einen Moment. Wir werden bald zurück sein. Ihr… habt ein Auge auf den da.“
Im nächsten Moment verschwanden die vier Gestalten auch schon durch die Tür und die Treppe dahinter hinauf. Erlands Schritte verhallten rasch.
Lucien blinzelte nur verwirrt, während er sich langsam neben dem Tisch hochstemmte. Die Tür blieb offen… Er
konnte sein Glück kaum fassen. Konnte Erland wirklich so ein Fehler passiert sein? Oder verließ er sich darauf, dass eine einzige Wache ausreichen würde? Lucien wurde misstrauisch, es war beinahe, als wollten sie dass er entkam, aber die Gelegenheit war auch zu gut.
Vor ihm landete eine Pranke auf dem Mantel mit den Waffen darauf.
,,Denkt nicht einmal daran.“ , warnte ihn der Gejarn.
,, Ich kann im Augenblick grade mal stehen, denkt ihr wirklich ich will versuchen mit euch zu kämpfen ?“ Es war nicht einmal eine glatte Lüge. Seine Muskeln zitterten, als er endlich mühsam auf die Beine kam. Ein Kampf war
ausgeschlossen, wenn er nachher noch laufen wollte. Allerdings hatte er auch nicht vor, sich auf einen fairen Kampf einzulassen. ,, Vielleicht solltet ihr euch mehr Sorgen darüber machen, das Erland die Tür offen gelassen hat.“
Der Kopf des Gejarn zuckte nur für einen einzigen Herzschlag herum, aber das war mehr Zeit, als der Agent brauchte. Sofort schlug er mit den Händen auf die Ohren des Löwen. Dieser stolperte darauf heulend zurück. Der Hieb hatte ihn vermutlich halb Taub gemacht. Zumindest, für die nächsten paar Minuten. Lucien jedoch, wartete erst gar nicht ab, wie schnell sich der Mann erholen würde, sondern versetzte
ihm mit aller noch verbliebenen Kraft einen Schlag vor die Brust, der ihn zurückstolpern ließ. Die Hand des Gejarn riss den Mantel mit den Waffen mit sich. Klirrend verstreuten diese sich über den Boden. Sofort fing Lucien eines der Messer auf und stieß Blind damit zu. Er hatte nur diese eine Chance. Oben hatte man den Lärm, den sie hier veranstalteten sicher schon gehört.
Die Klinge bohrte sich ohne großen Wiederstand in die Brust seines Gegenübers, das wieder bis zu seinem angestammten Platz an der Wand zurück getaumelt war und nun daran zu Boden rutschte…
Der Agent nahm ein anderes Messer an
sich, warf sich den Mantel wieder um und hob seine Armbrust auf, dann hechtete er bereits nach oben. Er würde hier heraus kommen oder bei dem Versuch sterben… Noch einmal Erlands Gastfreundschaft genießen, darauf konnte er gut und gerne verzichten. Am oberen Ende der Treppe tauchte eine Gestalt in grauer Uniform auf. Lucien legte mit der Armbrust an und schoss. Der Bolzen bohrte sich mit einem dumpfen Schlag in den Körper des Soldaten, der vorwärts die Treppe hinab stürzte. Lucien wich rasch zur Seite aus und erreichte endlich den oberen Flur. Ohne den Räumen links und rechts mehr Aufmerksamkeit als beim letzten Mal,
rannte er weiter und stieß endlich die Tür nach draußen auf.
Mittlerweile drangen hinter ihm bereits Aufgeregte oder Wütende Rufe aus dem Gebäude. Der kaiserliche Agent wollte sich nicht vorstellen, welcher arme Tropf Erland später seine Flucht erklären musste. Das heißt, wenn er es hier weg schaffte. Das Gras dämpfte zwar erneut seine Schritte, aber dieses Mal stand der Mond hoch am Himmel und erleuchtete die komplette Wiese, die er überqueren musste. Jeden Moment rechnete er damit, das letzte Geräusch seines Lebens zu hören. Den lauten Knall einer Muskete, die abgefeuert wurde… Schließlich jedoch erreichte er die
Schatten unter den Bäumen am Waldrand und verschwand zwischen den dunklen Stämmen.
Als er eine gute Stunde später endlich die Stelle erreichte, an der er Kellvian und die anderen zurück gelassen hatte, trat Syle ihm bereits, ein Gewehr in der Hand, in den Weg. Sobald er Lucien erkannte, ließ der Bär die Waffe jedoch sinken.
,, Geister, was ist denn mit euch passiert ?“ , fragte er und winkte die anderen heran. Kellvian, Melchior, Fenisin und Mhari. Selbst bei Dunkelheit musste Luciens Gesicht wohl einen abschreckenden Eindruck machen, das konnte er ihnen
ansehen.
,, Ich hatte einen netten Plausch mit Erland. Das war Spaßig.“ , erklärte der Agent grinsend.
Syle schüttelte nur den Kopf. ,, Ihr habt eine sehr seltsame Auffassung von Spaß, kann das sein, alter Freund ?“