ABSCHIED
Das Weinen der Schmetterlinge
Teil 2
In lieber Erinnerung
Viele Tage sind seit damals vergangen.
Die Rose verlor ihre Blütenblätter. Manchmal, in stillen Stunden waren es Tränen, die als Eiskristalle auf gefrorenen Boden fielen. Nie vergaß sie die Zeit, die sie erlebte. Die Erinnerung blieb stets ihr Begleiter. Erinnerung an den Wind, der sie sanft im warmen Licht der Abendsonne wiegte. Die Erinnerung an den Schmetterling, mit dem sie etwas Besonderes verband.
Der Schmerz, der sich in ihrem Herzen bemerkbar machte, als sie
verstand, dass sie dem Schmetterling wohl niemals folgen würde können, hielt die Erinnerung über viele Monate aufrecht.
Die Erinnerung und die Hoffnung. Die Hoffnung ihn einst wiederzusehen.
Doch wie würde es dann sein? Viele Fragen blieben seit damals offen. So, wie die eine Frage nach dem "und dann?"
Wie war es dem Schmetterling ergangen in all den Monaten?
Es zog der Frühling ins Land. Die Sonne wärmte den Boden und das Leben erwachte aus der Starre des Winters.
Die ersten zarten Blüten begrüßten den Frühling und bald schon folgte ihm der Sommer. Die Tage wurden wieder länger und wärmer. Das Korn wiegte sich wie Seide im Abendwind und golden lag das Feld im Sonnenlicht.
Mit dem Sommer kamen auch die Träume zurück. Die Rose hatte ihre Schönheit wieder zurückerlangt und doch fehlte etwas, ums Eins zu sein mit dem Leben.
Sie spürte tief in sich ein Flehen, das sie während der stillen Zeit der Wintermonate nie zur Ruhe kommen ließ.
Schon früh am Morgen, wenn silbern noch der Tau der Nacht in den Netzen der Spinnen glitzerte, hielt sie Ausschau.
Einmal nur, so wünschte sich die Rose, wollte sie den stolzen Schmetterling wiedersehen.
Verband sie mit ihm doch ein besonderes Band, auch wenn sie im letzten Herbst alleine zurückbleiben musste, weil sie ihm nicht mit in das Land der Träume folgen konnte.
Die Rose spürte die Wehmut in sich, wusste sie doch nicht, ob sie den Schmetterling jemals wiedersehen würde.
Ein leichter Regen ging über das Land nieder.Traurig wiegte sich die Rose im Sommerwind. Es schien, als wenn es nie eine Rückkehr geben würde.
Doch auf den Regen folgten bald wieder die ersten zaghaften Sonnenstrahlen.
Die Vögel begannen wieder mit ihrem Gesang und am Horizont erschien ein Regenbogen.
Ein Regenbogen, so klar, als wenn er sagen wollte, dass die Hoffnung nie vergeht.
Erst war es, als wenn nur ein zarter Windhauch durch die Blätter der
Rose zog.
Doch bald war sich die Rose sicher, dass es nicht nur der Wind war, der sie begrüßte.
Auf ihren Blättern ließ sich ein Gast nieder. Federleicht nur, um der Rose nicht wehzutun. Vorsichtig näherte sich ein Schmetterling. Die Rose spürte ihn mehr, als dass sie ihn sah und doch war sie sich sicher, dass ihr Flehen erhört war. Ganz still verharrte er und nur ab und zu vernahm die Rose den zaghaften Flügelschlag des Schmetterlings.
Doch bald schon fühlte die Rose die Schwermut, die den Schmetterling umfing.
Sie hatte nur den einen Wunsch, ihm etwas abzunehmen von seinen Sorgen, die den Schmetterling so sehr bedrücken mussten.
Der Schmetterling seinerseits jedoch wollte die Rose nicht beunruhigen und erzählte ihr nichts von seinen Ängsten, mit denen er sich schon so lange quälte. Wollte er doch selbst zur Ruhe kommen und in den langen Wintermonaten sein Leben ordnen, auch wenn er wusste, dass es nicht leicht sein wird, seinen Lebensweg weiterzugehen.
Doch einmal nur wollte er noch Abschied nehmen, wollte sich
vergewissern, dass es der Rose gutgehen würde. Nur einmal noch Lebewohl sagen und sich wiegen im warmen Sonnenlicht, bevor er sich dem stellen würde, was in den nächsten Tagen und Monaten auf ihn wartete.
Vereint ließen sie sich tragen von einer sanften Stille, die sie beide umfing.
Auch ohne Worte verstanden sie einander. Der Schmetterling verstand die Wehmut, die die Rose mit sich trug und versuchte ihr ein wenig Zuversicht zu schenken.
Und die Rose?
Auch sie spürte, dass dies ein ganz besonderer Tag war, an dem sie beide einander wiederfanden.
Auch wenn sie dem Schmetterling auch jetzt nicht folgen und ihn nicht begleiten konnte, so würde sie aber auf ihn warten, bis er sich wieder in ihrer Nähe niederließ.
Sie würde warten, denn es war das Einzige, das die Rose dem Schmetterling mit auf seinem Weg geben konnte. Sie war sich sicher, dass sie sich bald wiedersehen würden.
Zum Abschied bat die Rose den Schmetterling um ein Versprechen.
Das Versprechen, niemals die Melancholie über die Hoffnung siegen zu lassen.
Am Horizont war noch immer der Regenbogen als Zeichen der Hoffnung zu sehen.
Der Regenbogen wurde für sie beide, für die Rose und für den Schmetterling zum Zeichen der Hoffnung.
Ein Zeichen der Hoffnung auf ein Wiedersehen.