Umsiedler
Eigentlich meint man nicht dass hier, in dem kleinen Städtchen im Thüringer Wald, viele Umsiedler durchkamen. Und doch gab es sie.
Bei Oma Else war es so, dass oben im Haus die Familie Armbrust wohnte. Wir hatten so gut wie keinen Kontakt zu ihnen. Ich weiß nicht einmal, ob sie auf dem Feld mit halfen. Sie waren genau so da, wie sie später wieder weg waren – wahrscheinlich haben sie eine eigene Wohnung bekommen.
Ein paar Häuser weiter wohnte Frau
König. Oma Else ging ab und an zu Besuch oder auf einen Schwatz zu ihr. Frau König musste einst etwas „Besseres“ gewesen sein, denn sie hatte einen Stock mit einem silbernen Hundekopf. Später erfuhr ich, dass sie aus Sankt Petersburg gekommen war. Sie schenkte mir ein Hundeehrendiplom aus den 1920-iger Jahren. Weil ich damals schon ein wenig russisch lesen konnte, deutete ich einen Teil der Urkunde. Leider hat sie mir ihre Geschichte nicht erzählt. Und erst viel später erfuhr ich per Zufall, dass es sogar Kaufleute mit dem Namen Weissleder in Sankt Petersburg gegeben hat.
Am anderen Ende des Städtchens wohnte
unsere zweite Oma, nur Omi genannt. Sie hatte manchmal „Tante Tibo“ zu Besuch. Die hatte immer sehr einfache Kleidung an und rote Wangen. Ihre Haare waren stets zu einem festen Knoten gesteckt. Mit verschränkten Händen saß sie mehr auf der Stuhlkante als auf dem Sitz und rollte das „R“ wie alle Ostpreußen. Sie tat fast untertänig und wir Jungen staunten innerlich, wenn sie sprach: „Frrrau Siechmund, wie jet es ihnen denn so bei das kalte Wetterrr?“ Irgendwann war Tante Tibo weg , keiner fragte nach ihr. Ob sie eine Familie hattte? Wer wird ihr Grab pflegen?
Ich habe versucht, ein wenig an die Vergessenen zu erinnern, die der Wind
der Geschichte durch unser Städtchen geweht hat.
2009-01-26 jfw