Tierische Märchengeschichten
vorgegebene Wörter:
animalisch
Verstand
tolerieren
Hufe
Katzenjammer
Vorsatz
Intrigen
Hexerei
Pudel
Schal
Leine
Fraß
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Bilder vom Kilimandscharo: www.naturfotografenforum.de
Giraffe: www.100urlaubsziele.de
Löwe, Spinne: www.images.fotocommunity.de
Tembokos Traum
„Tröööö!“
Ohrenbetäubend hallte Tembokos Ruf durch die Weiten der Serengeti.Die Sonne, die sich am Horizont anschickte, mit ihren ersten Strahlen die Savannenbewohner wach zu kitzeln, schüttelte erschrocken ihr goldenes Strahlenhaarbüschel. Hatte man solch einen animalischen Schrei schon gehört?
Nujuma, der gelehrte alte Marabu, wiegte verwundert den Kopf, plusterte das Gefieder auf und stolzierte seinem Freund entgegen.
Ja, hatte dieser denn den Verstand verloren, seine Freunde so zu erschrecken?
Temboko schwang seinen Rüssel liebevoll um den alten Marabu. „Ich habe geträumt, stell dir vor! Mein schönster Traum ging in Erfüllung. Ich stand dort oben im Schnee, sah mein wundervolles Land unter mir liegen mit all seinen Schätzen, und ich konnte den Himmel berühren.“
Temboko deutete mit seiner langen Nase auf
den hohen Berg mit der weißen Mütze, den die Einwohner seit Urzeiten Kibo nennen und der zum Kilimandscharomassiv gehört.
„Ach, was gäbe ich darum, einmal dort zu stehen, mit dem Wolkenschiff zu fahren und euch zuzuwinken. Das wäre mein schönstes Geburtstagsgeschenk. Du weißt, ich habe
bald Geburtstag.“
Ehrfurchtsvoll blickte Temboko auf den weißen Gipfel, und aus seinem einen kleinen Elefantenauge kullerte eine Sehnsuchtsträne.
Wieder wiegte der weise Marabu sein Haupt. „Nein, Temboko, deinen Geburtstagswunsch kann ich nicht tolerieren“, sprach er gelehrt. „Du müsstest einen langen, gefährlichen Weg da hinauf wandern, durch dichte Bergwälder hindurch, in denen große Herden von Büffeln leben, die ihre spitzen Hörner und starken Hufe als Waffen einsetzen.
Sicher, den Bergleoparden brauchtest du nicht fürchten. Ein Schrei von dir triebe ihn in die höchsten Baumwipfel. Manchmal gönne ich dem Hinterlistigen etwas Katzenjammer, das gestehe ich. Aber bedenke auch, du
müsstest viele, viele Tage laufen bis zum Gipfel, kein Riesenschirmbaum böte dir Schutz, kein Steppengras Nahrung.“
Doch der kleine Elefant hatte während des Gesprächs mit Nujuma den festen Vorsatz gefasst, seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Nichts und niemand würde ihn davon abbringen, auch kein bester Freund! Tembokos Augen blitzten jetzt vor Abenteuerlust.
Der alte weise Vogel unternahm einen letzten Versuch, seinen Freund zu bekehren.
„Und …“, begann er vorsichtig, „da gibt es noch so ein Gerücht. Am Fuße des Berges soll es nicht mit rechten Dingen zu gehen. Tagtäglich scheinen Tiere zu verschwinden,
selbst die Schimpansen vermissen Familienmitglieder, und die sind wirklich keine Lügner oder Betrüger. Sie schmieden auch keine Intrigen, da bin ich mir sicher. Nein, das mysteriöse Verschwinden ihrer Artgenossen und vieler anderer muss Hexerei sein. Temboko, ich warne dich, da oben wohnen Geister!“
Lachend schüttelte Temboko seinen großen Kopf, dass die Schlappohren nur so im Winde flatterten. Hexerei - pfff! Nujuma schien wirklich alt zu werden.
Mit einem zärtlichen Rüsselstupser verabschiedete er sich von seinem Freund und trottete schaukelnd zu seinem Lieblingsplatz unter dem großen Regenschirmbaum.
Der Abend ging soeben in eine sternenberauschte Nacht über, als Nujuma die Tiere der Serengeti unter dem riesigen Affenbrotbaum versammelte.
Juna, die Giraffe, zupfte ein paar zarte Blüten zur Krönung ihres Abendmahls von den höchsten Zweigen des Baumes.
Chico, der Schimpanse, turnte an ihrem Hals und unterhielt die Anwesenden mit seinen neuerlernten Mehrfachsaltis.
Zebras, Gnus und Antilopen waren der Einladung des weisen Marabu gefolgt, und auch Makodi, der Anführer des größten Löwenrudels der Serengeti und König der Tiere Afrikas, erschien.
Stolz erhobenen Hauptes schritt der mächtige Herrscher auf samtenen Tatzen dem Sammelplatz der Tiere entgegen.
Mit einem einzigen Blick aus seinen bersteinfarbenen Augen die Aufmerksamkeit der Anwesenden gebietend hob er zu reden an: „Nun, weiser Ratgeber, warum beriefest du die Versammlung aller Tiere ein? Welch gewichtiger Grund bestimmte dein Handeln?“
Der Marabu berichtete den staunend Lauschenden von Tembokos Traum, von seinem Geburtstagswunsch und seinem unumstößlichen Plan. Er sparte aber auch nicht seine eigenen Bedenken aus.
Makodi zog tief die von tausenden Düften geschwängerte Abendluft der Serengeti ein, schüttelte seine gewaltige Mähne, dann
überlegte er ernsthaft. Alsbald kam er zu des Pudels Kern: „Er ist jung und verwegen. Wenn das sein sehnlichster Wunsch ist, so werden wir ihm behilflich sein. Wir werden ihn begleiten und beschützen, soweit es in unserer Macht steht. Das letzte Wegstück aber wird er allein zurücklegen müssen. Er ist groß und stark und klug. Ich vertraue ihm. Er wird es schaffen.“
Die Tiere nickten. „So lasst uns ihm helfen!“
„Doch da oben ist es kalt, ich weiß das vom weißen Storch, der jedes Jahr an unserem See überwintert.“, sagte das Flusspferd.
„Wir werden ihm einen Schal weben, damit er sich nicht erkältet.“, schlug das Erdmännchen vor.
„Ich pflücke Blätter vom höchsten Baobab.“,
stimmte Juna, die Giraffe zu.
„Wir weben das rote Steppengras mit ein.“, schlugen die Antilopen vor.
„Und ich, ich schicke ihm Fäden feinsten Silbers. Sie sollen Schmuck im Schal sein und bei Dunkelheit für ihn leuchten, damit er sich nicht verirrt.“, stimmte der Mond in den Reigen ein.
Die Tiere woben den Schal und legten ihn Temboko an seinem Geburtstag um den Hals. Voller Dankbarkeit ließ Temboko sein „Trööö“ erschallen, winkte zum Abschied mit dem Rüssel und wackelte mit den Ohren.
Sein erster Begleiter war das dicke Flusspferd. Es war als eines der stärksten Tiere der Savanne ausgewählt worden. Da es
nun mal nicht das schnellste war, hielt es den ungestümen Elefanten sicherheitshalber an einer langen Leine.
Am Waldrand angekommen wechselten die Begleiter. Chico und seine Familie schwangen durch das Astwerk der Bäume, während Temboko sich stampfend und krachend den Weg durch den Dschungel bahnte. Er kam ungeahnt schnell voran.
Plötzlich gewahrte er einen süßen Duft. Roch es hier nicht verführerisch nach Marulas, Tembokos Lieblingskompott? Gerade wollte er los stürmen, um die Früchte einzusammeln, als ihm Nujumas Bedenken einfielen. Die Geister - Vorsicht!
Temboko war auf der Hut, und so bemerkte er im letzten Augenblick die fast unsichtbare
Gefahr.
Die böse Spinne Sirini hatte zwischen die Bäume des Dschungels ihr gewaltiges Netz, größer als Temboko, gespannt. Mit Früchten und Leibspeisen lockte sie die ahnungslosen Dschungelbewohner. Aus den klebrigen Fäden des Spinnennetzes gab es für sie kein Entrinnen mehr. So warfen sie sich regelrecht
dem garstigen Getier zum Fraß vor. Das also war es, das Geheimnis der Hexerei!
Temboko musste die böse Spinne besiegen, bevor sie Chico und seine Familie fing!
Er nahm Witterung auf, vorsichtig und leise, so leise er konnte, fast ging er auf Zehenspitzen, schlich er sich an die Spinne heran. Die döste in der Mittagshitze vor sich hin.
Mit einem gewaltigen „Trööö“ stürzte sich Temboko auf Sirini und trat und trampelte so lange auf ihr herum, bis sie in kleinen Stücken unter ihm lag.
Der Lärm hatte nicht nur Chico, sondern auch die anderen Bewohner des Bergwaldes alarmiert, und schon bald verbreitete sich die
Kunde von dem klugen und mutigen Elefanten in der gesamten Serengeti. Befreit konnten die Tiere aufatmen.
Tembokos letzter Aufstieg erwies sich als unsagbar schwierig. Geröll und Eis versperrten ihm den Weg, seine Füße schmerzten, der Hunger quälte ihn. So manches Mal glaubte er, umkehren zu müssen, doch der Gedanke an seinen Traum verlieh ihm stets neue Kraft.
Und dann endlich, eines morgens bei Sonnenaufgang, hatte er es geschafft! Er stand auf dem schneebedeckten Gipfel.
Tief unter ihm erstreckte sich sein wundervolles Land in den Farben grün und gelb und rot und so alt wie sonst nur der
Mond und die Sonne es waren. Und wenn Temboko die Augen ein wenig zusammenkniff, konnte er dort unten ganz klein seine Freunde erkennen.
Glücklich reckte der kleine Elefant seinen Rüssel der Sonne entgegen
„Du darfst stolz auf dich sein, Temboko. Du bist stark und mutig, du bist ein besonderer Elefant.“, sagte die Sonne zu ihm. „Du warst für deine Freunde da so wie sie für dich.“
Und die Sonne streichelte mit ihrem hellsten Strahl über Temboko und färbte seine Haut so weiß wie die Mütze des Kibo.
Seit diesem Tage gibt es in Afrika auch weiße Elefanten.