Kapitel 79 Der Abend
Man hatte ihnen eine Unterkunft fast ganz am anderen Ende des Lagers gegeben. Cyrus jedoch störte es nicht. Für ihn hatte die Atmosphäre im Heerlager der Garde durchaus etwas vertrautes. Wie viele Jahre seines Lebens hatte er schon in ähnlichen Zelten oder unter dem Sternenhimmel verbracht? Die schwarze Garde war immer unter den letzten gewesen, die ihre Planen aufschlugen und wenn der jeweilige Befehlshaber das mitten in der Nacht nicht mehr gestattete, waren ihnen eben
nur eine Decke und die Hoffnung geblieben, dass es nicht regnete. In diesem Sinne hatte er es diesmal wohl noch gut getroffen.
Feuer flackerten in der Dunkelheit und beleuchteten ihren Weg, an den Zeltreihen vorbei. Es war ein seltsames Wiedersehen gewesen, vor allem, nachdem sie endlich erfahren hatten, was während ihrer Abwesenheit alles geschehen war.
,, Armer Zyle. Oder doch Arme Relina ?“ , fragte er halb ernst an Eden gewandt. Erik und Zachary waren schon vor einer Weile zurück zu ihrer jeweiligen Unterkunft. Irgendetwas hatte vor allem dem Jungen zu schaffen
gemacht, nachdem Jiy ihm vom Angriff Jormunds Berichtet hatte. Hoffentlich gab er sich nicht die Schuld. Er hätte es Unmöglich verhindern können. Wer von ihnen hätte vermutet, dass der Herr Lasantas bereits geplant hatte, gegen sie vorzugehen? Und dann noch auf so eine Heimtückische weise.
Sie kamen an ein paar weiteren Feuern vorbei, wo sich kleinere Gruppen zusammen gefunden hatten und sich leise Unterhielten. Irgendjemand ließ eine Flasche Mondschein kreisen und es wurde auf dutzende von Namen angestoßen. Die Namen der Toten, die ihre letzte Ruhe auf dem nach wie vor wachsenden Gräberfeld finden
würden.
Eden antwortete derweil : ,, Beide.“ Für die Kapitänin war die Frage damit beantwortet. Eine einfache Lösung, die es aber wohl ganz gut traf.
,, Hast du denn schon mal selber darüber nachgedacht ?“ , fragte der Wolf stattdessen.
,, Über was ?“ Eden war langsamer geworden und drehte den Kopf halb in seine Richtung. Vor der Dunkelheit und den Feuern sah sie vermutlich kaum mehr als einen Schatten, dessen Augen schwach glühten. Das war wohl der Eindruck, den er auf die meisten Fremden machte. Und er war ganz froh, dass die Gejarn seine Mine im
Augenblick nicht sehen konnte. Es war auch kein Thema, das er Bewusst anschnitt, mehr ein Gedanke…
,, Kinder.“
Eden schwieg einen Moment, während sie ihren Weg fortsetzten. Allerdings konnte Cyrus sehen, das sie lächelte. Er wusste nicht, wie lange genau sie durch das Lager liefen, für den Moment einfach nur die Gegenwart des anderen genießend. Er hätte sie verlieren können. Der Gedanke war immer noch schwindelerregend. Sie waren beide Kämpfer, nach wie vor. Ihnen war beiden klar, dass jederzeit einer von ihnen hinweggerissen werden konnte. Und doch war das etwas anderes als die
Vorstellung, er hätte mit ansehen müssen, wie Eden langsam einfach verfiel, während ihm nur blieb, dabei zuzusehen… Welches Wunder auch immer dieses Schicksal abgewendet hatte, er war nur dankbar dafür.
,,Nicht wirklich.“ , meinte Eden schließlich. ,, Ich meine… einen Teil meine Lebens habe ich nie gedacht, auch nur je alt genug dafür zu werden. Den anderen habe ich mit Überleben verbracht. Und den Restlichen kennst du. Ich hatte immer Zachary. Und du ?“
,, Du wirst vermutlich lachen.“ , erwiderte Cyrus.
,, Wenn du mir keine Antwort gibst lach ich in jedem
Fall.“
,, Also, eigentlich habe ich immer von so etwas geträumt, weißt du. Eine kleine Familie, irgendwo ein Farmhaus in der Nähe von Vara oder vielleicht auch in den Weinbergen von Risara…“
Sie versetzte ihm einen sanften Stoß in die Seite. ,, Also… der große böse Wolf will den Rest seines Lebens als Farmer verbringen, wenn man ihm die Wahl lassen würde ?“
,, Du nicht ?“ , fragte Cyrus und wusste sofort, das er ins Schwarze getroffen hatte.
,, Nur mit dir.“ , erklärte sie grinsend. ,, Und wenn du schon das Haus planst, Risara, und zwar mit Seeblick. Und ich
müsste die Windrufer irgendwo unterbringen können. Ewig halte ich es doch nicht an Land aus.“
Cyrus sagte gar nichts, sondern legte nur den Arm um sie, während sie weiter gemeinsam durch die Nacht gingen.
Jiy zögerte einen Moment vor dem dunklen Zelteingang, eine Kerze in der Hand. Die schwache Flamme schimmerte auf dem blauen Stoff der Leinwand. Für den Herbst, war es eine warme Nacht, in der das Gemurmel von tausenden Stimmen zu hören war. Niemand schlief nach den Ereignissen des letzten Tages besonders gut und in der Ferne konnte die Gejarn auch das Geklapper von
Waffen und Ausrüstung hören. Die eingeteilten Wachen machten sich offenbar bereit, ihren Dienst anzutreten und würden regelmäßig ihre Runden um und durch das Lager drehen.
Jiy schlug die Plane im Eingang des Zelts zurück und trat, die Kerze vor sich haltend ein. Fast genau in der Mitte der kleinen Zeltstadt gelegen, waren die Unterkünfte des Hochgenerals nicht zu verfehlen. Etwas größer gehalten, als die Zelte der regulären Truppe, reichte das Licht der Kerze nicht aus, um alles auszuleuchten.
Vorsichtig stieg die Gejarn über ein paar Sitzkissen am Boden und an einem niedrigen Kartentisch vorbei. Sie wollte
Relina nicht wecken, aber sie musste auch mit ihr reden und wollte damit ungern bis Morgen warten. Wenn es nach ihr ging, würden sie vor dem nächsten Mittag bereits wieder unterwegs sein. Erindal wartete und jetzt wo sie wusste, das Eden Erfolg gehabt hatte… Ihre Aufgabe kam ihr nicht mehr ganz so drückend vor, wie noch am Vortag.
,,Relina ?“ Jiy hielt es für das Beste, die Zauberin vorzuwarnen.
Vor ihr stieg ein einzelner Lichtfunke auf und blieb unter der Decke des Zelts hängen. Das magische Licht tauchte alles in einen silbrigen Schein.
,, Was macht ihr den hier ?“ Relina saß aufrecht auf der Liege, als hätte sie
überhaupt nicht geschlafen. Vielleicht war sie auch schon aufgewacht, als sie das Zelt betreten hatte, überlegte Jiy. Relinas Mine jedenfalls verriet nicht, was sie von diesem nächtlichen Besuch hielt.
Jiy stellte die Kerze auf dem Kartentisch ab, bevor sie antwortete: ,, Wir wollen Morgen weiterziehen und ich wollte nur nach dem Rechten sehen… Und um zu wissen, ob ihr mitkommen werdet, vor allem.“
Die Gejarn-Magiern schüttelte den Kopf. ,, Ihr habt mit Zyle gesprochen, oder ?“ , sagte sie ruhig.
,, Vielleicht habe ich das. Darf ich mich setzen
?“
Relina zuckte nur mit den Schultern und rückte ein Stück beiseite, so das Jiy neben ihr Platz fand.
,, Wenn ihr hier seid, um ein gutes Wort für ihn einzulegen, habt ihr den Weg umsonst gemacht. Und ja, ich werde euch morgen begleiten. Falls Zyle euch gebeten hat, mir das auszureden… Vergesst es.“
Das würde wirklich nicht einfach, dachte Jiy. ,,Hat er nicht. Ich wollte euch noch danken, wegen heute. Das hätte anders ausgehen können, wenn ihr nicht aufgetaucht wärt. Aber ja, ich bin auch wegen Zyle hier. Ich werde euch auch sicher nicht bitten ihm zu
verzeihen.“
Relina gab ein bitteres Lachen von sich. ,, Ihr wisst nicht einmal wovon ihr sprecht.“
,, Dann sagt es mir.“ , meinte die Gejarn, die Arme vor der Brust verschränkt. ,, Wenn ihr nicht mit mir reden wollt gehe ich wieder. “
,,Nein.“ Ihr gegenüber schüttelte den Kopf, wobei ihr einige lockige, braune Haare ins Gesicht fielen.
Jiy sah sie nur fragend an. Nein was ? Das sie gehen sollte oder grade, das Relina doch mit ihr reden würde? Schließlich jedoch meinte sie : ,, Würdet ihr mir vielleicht zuerst t eine Frage beantworten ? Was wurde aus dem Mann,
der euch an Andre ausliefern wollte. Ja, ich habe davon gehört.“
Jiy fluchte innerlich. Ihr war durchaus klar, worauf die Magierin hinaus wollte, aber das war doch überhaupt nicht vergleichbar. Oder ?
,, Ich habe ihn im Wald aufhängen lassen. Die Tiere werden ihn fressen.“ Eine Entscheidung, die sie im Zorn getroffen hatte und bereits jetzt bereute. Er war tot. Damit sollte die Sache eigentlich erledigt sein. ,, Aber ihr könnt unmöglich glauben, das sei das selbe… Falvius war auf seinen eigenen Vorteil aus, nichts sonst. Er hat es mir ins Gesicht gesagt, als er drauf und dran war, mich umzubringen. Für Zlye ist es
ist schrecklich schief gelaufen, aber zählen gute Absichten denn gar nichts? Ich weiß auch, dass das nichts wieder gut macht, aber er wollte nur das Beste für alle Relina.“
,, Und ihr glaubt, das wüsste ich nicht längst…“ Die Schakalin schien plötzlich ein Stück in sich zusammenzufallen. Ihre Augen glänzten feucht. ,, Ich verstehe es schon sehr lange, Jiy. Ich hatte Wochen und Monate darüber nachzudenken, nachdem er einmal Weg war. Er hat mich verletzt. Aber ja, Absichten zählen auch etwas. Er war immer auf unserer Seite. Obwohl er wusste, was ich davon halten würde… selbst wenn er Erfolg gehabt hätte.
“
,, Aber ihr könnt es nicht verzeihen.“ Jiy war sich nicht sicher, ob sie das nachvollziehen konnte. So oder so… es passte weder zu dem Bild, das sie in den letzten Stunden von Relina gewonnen hatte, noch zu der Frau, die sie einmal geglaubt hatte zu kennen. Helike hatte einiges für sie alle verändert.
,, Und ich weiß nicht wieso.“ , antwortete Relina. ,,Ich liebe ihn noch immer. Habt ihr eine Ahnung, wie schwer es ist, ihm das nicht einfach sagen zu können? Obwohl ich sehe, wie es ihm dabei geht? Ich kann Zyle nur nicht vergeben. Und das sollte nicht sein. Und solange ich das nicht kann…
ist es besser, er weiß nichts davon. Wir haben beide genug durchgemacht, als das ich ihm falsche Hoffnungen machen wollte. Er kommt nicht darüber hinweg, Jiy. Und jetzt nochmal alte Wunden aufreißen, wenn ich mir nicht sicher bin…“
Jiy legte ihr vorsichtig eine Hand auf die Schulter.
,, Also seid ihr gar nicht so kalt, wie wir alle glauben sollen.“ , stellte sie fest.
,, Ich wünschte es aber Jiy. Das würde es viel einfacher machen. So… bin ich gezwungen den Vater meines Kindes in dem Glauben zu lassen, ich würde nichts mehr für ihn empfinden.“
Aber die Wahrheit konnte kaum anders aussehen, dachte Jiy für sich.
,, Und das Kind ?“
,, Da fragt ihr wirklich noch ?“ Der ferne Anflug eines Lächelns huschte über das Gesicht der Magierin. ,, Ich habe nur einmal wirklich darüber nachgedacht es… loszuwerden, Jiy. Auf Maras, ihr wart keine Woche weg. Wie hätte ich dort und in meiner Position ein Kind aufziehen sollen? Mal davon abgesehen, dass sein Vater nie wiederkommen würde. Am Ende habe ich mich dagegen entschieden. Ob das das Beste war… ich glaube, das weiß ich im Frühjahr.“
Jiy stand von ihrem Platz auf.
,, Wenn ihr irgendwelche Unterstützung braucht… Erik ist wieder hier und es gibt wohl genügend Ärzte in der Armee. Oder wir können welche Benachrichtigen, damit sie sich uns anschließen.“
,, Danke. Ihr werdet Zyle aber nichts verraten, oder?“
Sie schüttelte den Kopf. ,, Nein. Das ist eure Sache, Relina. Aber wenn ich eines mittlerweile gelernt habe dann das: Die Wahrheit, egal wie schwer richtet weniger Schaden an, als eine Lüge.“
,, Ich… werde darüber nachdenken.“
Jiy schlug die Plane am Eingang wieder zurück und verließ das Zelt. Das war ein
seltsames Gespräch gewesen, dachte sie. Aber wenigstens wusste sie jetzt ein paar Dinge besser. Relina tat, was sie glaubte tun zu müssen. Und doch, die ständigen Lügen und Versteckspiele hatten langsam nur noch einen traurigen Beigeschmack. Die Wahrheit mochte am Ende weniger Schaden anrichten, als Gedacht. Aber sie versuchten immer, andere selbst noch davor zu schützen. Gute Absichten führten wirklich immer wieder zu den schlimmsten Folgen. Ein düsterer Gedanke, den hoffentlich die Morgensonne vertreiben würde. Sie wollte eigentlich zu ihrem eigenen Zelt, nun jedoch lenkte sie ihre Schritte weiter. In Rolands Unterstand brannte
noch Licht. Für Jiy zumindest stand weiterhin fest, wohin ihr weg sie führen würde. Sie würde Kellvian finden und dann Lord Andres restliche Truppen zurück über die Berge jagen. Wenn sie Erindal einnahmen, hatte der Herr Silberstedts seine letzte große Bastion diesseits des Gebirges verloren. Und vielleicht könnten auch Relina und Zyle ehrlich zueinander sein, wenn das alles vorbei war und sie wieder die Ruhe dafür fanden.
Und je früher es dazu kam, desto besser für alle. Sie trat ohne sich Anzukündigen in das Zelt, wo Roland von einigen Karten aufsah.
,, Wir verlegen unseren Aufbruch vor.“ ,
erklärte sie. ,, Morgen früh will ich, das die Zelte gepackt werden und wir uns wieder auf den Weg machen.“
Der General nickte nur.