Ich fuhr mit einem unguten Gefühl in die 2nd Avenue. Ungut war noch untertrieben. Denn eigentlich war mir total schlecht. Allein der Gedanke, dass Emma mitten im Haus ihrer Eltern saß. Völlig verwirrt und umgeben von Menschen, die sie wohl möglich nicht einmal kannte. Das arme Mädchen.
Mit zitternden Händen zog ich den Schlüssel aus dem Schloss. Ich hatte es geschafft. Etwas unbeholfen stieg ich aus dem Auto und Officer Palmer begrüßte mich als Erster.
„Das ging schnell. Ich hoffe, Sie haben alle Ampeln und Verkehrsschilder
beachtet!“ sagte er und streckte mir die Hand entgegen.
„Natürlich!“ log ich und Palmer lächelte. Nie im Leben nahm er mir das ab, aber das war jetzt auch völlig egal, denn ich war hier. Und das war genau das, was er wollte.
„Wie geht es Emma?“ fragte ich.
„Den Umständen entsprechend würde ich sagen. Sie hockt am Küchentisch, wippt mit ihrem Oberkörper hin und her und beklagt sich ständig, warum Sie noch nicht da sind.
Glauben Sie mir, so etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. In unserer Stadt sind schon einige Morde passiert, aber das hier ist brutal und
abartig.“
„Sind Ihre Männer noch da drin?“ wollte ich wissen.
„Sie meinen in der Küche?“
„Ja!“
„Nur noch Jack Evans. Er kümmert sich um Emma; redet ihr gut zu.“
Ich sah einen kleinen Geistesblitz in Officer Palmers Augen aufleuchten. Scheinbar irritierte ihn, dass ich den selben Namen wie sein Kollege hatte. Ich vermutete, dass Palmer erst seit kurzem zu dieser Einheit gehörte. Er konnte also unmöglich wissen, dass ich ich einmal mit Jack verheiratet war. Schließlich war das schon zwei Jahre her.
Palmer ließ sich die kurze Unsicherheit
aber nicht anmerken und redete einfach weiter, so , als ob nichts gewesen wäre.
„Meine anderen Kollegen sind unten im Keller und sichern die Spuren. Wir haben auch den zweiten Bruder gefunden. Er ist schwer verletzt. Der Krankenwagen hat ihn vor ein paar Minuten abtransportiert. Hoffen wir das Beste.“
Bei dem Namen meines Exmannes machte mein Herz einen kleinen Satz. Ich wusste, dass man ihn damit beauftragen würde, sich mit diesem Vorfall zu beschäftigen, aber das ich gleich im Haus auf ihn treffen würde, missfiel mir ein kleines bisschen.
Wir hatten ein gutes Verhältnis
zueinander, was vermutlich unserer wunderbaren Tochter zu verdanken war.
„Das alles ist wirklich schlimm!“ sagte ich.
„Wem sagen Sie das...! Okay, ich schlage vor, Sie gehen einfach ins Haus. Wenn Sie Hilfe brauchen, dann sagen Sie einfach Bescheid.“
Ich nickte ihm zu und ging an ihm vorbei, Richtung Haus.
Obwohl ich das Haus kannte, kam ich mir fremd vor, als ich den Hausflur betrat. Der Geruch von Desinfektionsmitteln stieg mir in die Nase und ich verzog angewidert das Gesicht.
Die Küche befand sich unmittelbar auf
der rechten Seite. Man musste nur eine aus Holz verkleidete Tür beiseite schieben.
Jack saß Emma am Essenstisch gegenüber. Seine Ellenbogen waren auf den Tisch gestützt. Er musterte sie genau, aber Emma zeigte keinerlei Rührung. Erst als sie mich sah, schreckte sie plötzlich nach oben, verließ ihren Platz und stürmte auf mich zu. Das Messer landete mit einem lauten Knall auf dem Glastisch.
Emma drückte mich so sehr, dass mir fast die Luft weg blieb. Ich schlang meine Arme fest um sie und streichelte ihr blondes Haar, das sie heute zu einem Zopf gebunden hatte.
„Schon gut, Emma!“ sagte ich ruhig und dann fing sie an zu weinen. Langsam löste sie sich aus der Umarmung und sah mich an.
„Das ist alles meine Schuld!“ sagte sie und fing an zu schluchzen.
„Was ist deine Schuld Emma?“
Sie zitterte am ganzen Körper. Aus dem Augenwinkel konnte ich Jacks besorgte Miene erkennen.
„Sie werden zurück kommen. Bitte, Sie müssen mir helfen!“ flehte sie.
„Okay, jetzt mal langsam!“ mischte sich Jack ein, stand auf und wollte Emma eine Hand auf die Schulter legen, um sie zu besänftigen. Aber Emma schlug sofort
nach ihm.
„Lassen Sie mich in Ruhe, Sie Scheißkerl.“
Jack hob abwehrend die Hände. Die Reaktion war alles andere als normal.
„Lässt du mich bitte kurz mit ihr allein?“ bat ich Jack.
„Natürlich!“
Ich würde mich später mit ihm unterhalten, jetzt war erst einmal Emma wichtig. Und ich hatte das Gefühl, dass sie sich wohler fühlen würde, wenn Jack nicht da wäre.
„Wollen wir uns vielleicht setzen und du erzählst mir einfach, was passiert ist, hm?“
Emma nickte langsam, ganz sicher war
sie sich aber nicht.
Wir setzen uns also an den Tisch und sofort fiel mir das Messer auf. Warum zum Teufel hatte Jack es nicht einfach mitgenommen?
Ich lächelte Emma an, doch ehe ich sie in ein richtiges Gespräch verwickeln konnte, drehte sie komplett durch.
Sie lehnte sich ein Stück weit nach vorn und sah mich an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich habe Sie belogen!“ sagte sie leise.
Dann schnappte sie sich das Messer. Ich war nicht mehr im Stande, rechtzeitig zu reagieren.
Mit voller Wucht rammte sie sich die Spitze in den Hals, verdrehte ihre Augen
und rutschte vom Stuhl.
„Emma!“ schrie ich panisch und versuchte, sie zu retten.