Ruhig
Er spürte nichts. Nur diese Ruhe in sich, wie ein glatter See. Sein Freund hatte sein Gesicht an seine Schulter gepresst und weinte sich an ihr wegen seiner geplatzten Beziehung aus. Letzte Woche hatte seine Freundin sich bei ihm ausgeheult und davor war sein kleiner Bruder zu ihm gekommen, weil er Hilfe bei einem Streit mit seinem Freund gebraucht hatte. Immer war er völlig ruhig und teilnahmsvoll erschienen, völlig ohne sich auch nur die geringste Gefühlsneigung anmerken zu lassen, die eventuell dazu geführt hätte, dass er sie verschreckt und sie abgewiesen hätte.
Doch innerlich fühlte er sich völlig zerrissen, wund, ausgbrannt. Seine eigenen Probleme lagen unter einer dicken Schicht aus Gefühlslosigkeit und Verleumdung verborgen. Das war es was ihn auszeichnete. Und das war es auch, was ihn langsam aber sicher vernichtete. Denn obwohl er nach außen hin völlig ruhig und abgeklärt wirkte, tobte in Wahrheit ein gewaltiger Sturm unter der Oberfläche und verwüstete alles, was er erreichen konnte. Und mit jedem Mal, wenn er schlechte Nachrichten verarbeitete, jemanden tröstete oder beruhigte, wurde der Sturm stärker und breitete sich noch weiter aus. Doch nach außen wurde nur selten etwas sichtbar
und die Schäden konnte erst Recht niemand erkennen. Selbst er wusste nicht mehr, was noch ganz war in seinem Innern und was bereits zerbrochen. Ruhe war alles, was im Moment wichtig war. Ruhe für seinen Freund und für sich selbst. Verarbeiten konnte er alles später. Jetzt brauchte sein Freund nur diese Ruhe, egal wie viel Schaden bei ihm selbst entstand...