Herr Plümecke in New York
Als Oskar Plümecke an diesem Morgen seine Post durchsah, war er freudig überrascht. Neben den Rechnungen und dem Werbekram fand er doch tatsächlich einen Brief des Wurstfabrikanten. Oskar erinnerte sich an das Preisausschreiben, an dem er vor zwei Monaten teilgenommen hatte. Es gab dabei tolle Gewinne zu ergattern, unter anderem einen riesigen Fernseher. Darauf war Oskar schon lange scharf, seitdem sein Nachbar Fridolin Fröhlich so einen hatte.
Man musste raten, wie New York auch
noch genannt wurde. „Big Apple“, „Great Melon“ und „Bitter Orange“ waren die Antwortmöglichkeiten. Oskar hatte keine Ahnung, ging auf Nummer sicher und hatte gleich drei Postkarten abgeschickt mit drei verschiedenen Lösungen.
Gespannt öffnete er den Brief. „Sie haben gewonnen“ stand dort. Doch nicht der Fernseher war sein Preis, sondern eine einwöchige Reise nach New York mit Übernachtung in einem Luxushotel in Manhattan inklusive Flug. Trotzdem freute sich Oskar, er war nie noch im Ausland und schon gar nicht in Amerika. Eine Reise zur Beerdigung
seiner Tante nach Buxtehude war bislang das Äußerste der Gefühle.
„Du sprichst doch gar kein Englisch, Oskar!“, gab Fridolin zu bedenken, als sein Nachbar ihm von dem Gewinn berichtete. „Ach, Fridolin, das ist alles überhaupt gar kein Problem. Schau, ich habe mir ein Wörterbuch gekauft. Das wird mir helfen!“, antwortete Oskar. „Du weißt aber schon, dass das alles ganz anders ausgesprochen wird?“
„Mag sein, aber das wird schon klappen.“
Trotz Fridolins Bedenken machte sich Oskar auf dem Weg, nachdem die
Formalitäten erledigt waren. Was diese Amis alles wissen wollten für das Visum, einfach unglaublich. Jedenfalls betrat der glückliche Gewinner zwei Monate später zum allerersten Mal in seinem Leben ein Flugzeug und flog von Frankfurt nach New York. Das war alles sehr aufregend für Oskar. Er bewältigte sogar das Öffnen des Bord-Menüs und verspeiste die Nudeln in Tomatensoße ohne große Unfälle.
Der Flieger landete pünktlich auf dem John F. Kennedy-Flughafen. Oskar war überwältigt, als er die Metropole von oben betrachtete. So riesig hatte er sich das nicht vorgestellt. Das war bestimmt
dreimal so groß wie Buxtehude, schätzte Oskar.
Mit Hilfe eines freundlichen Mitreisenden absolvierte er sogar die Gepäckausgabe, doch als er zur Passkontrolle musste und seine Fingerabdrücke abliefern sollte, traten die erste Probleme auf. Als der Mann am Schalter ihn fragte: „Finnisch?“ antworte Oskar mit: „Nicht Finnisch, Deutsch!“, was der Zollbeamte mit Kopfschütteln bewertete.
Doch schließlich war auch das geschafft und Oskar ging zum Taxi-Stand, um zu seinem Hotel in der
Gold Street in Manhattan zu fahren. Tapfer las er es dem Fahrer vor: „Gold Streeeeet“, natürlich mit deutscher Aussprache. Ein Achselzucken des dunkelhäutigen Mannes war die Folge. Warum verstanden die Leute hier ihre eigene Sprache nicht? Erst ein Ausdruck der Reservierungsbestätigung klärte das Ganze dann doch auf.
„Först Teim in Nju Jork, Zör?“, fragte der Fahrer, als sie im Stau im Holland-Tunnel standen. Oskar nickte nur, ihm war das jetzt doch recht unangenehm. Sollte Fridolin doch Recht behalten? Sein Wörterbuch half jedenfalls hier nicht weiter.
Beeindruckt von den riesigen Wolkenkratzern war Oskar schon, im Fernsehen sahen die doch so mickrig aus. Ach, nun musste er wieder an das Riesenexemplar denken, das ihm entgegen entgangen war. Wer jetzt wohl der Glückliche war, der davor saß?
In diesem Moment machte der Wagen vorne eine Vollbremsung, der Taxifahrer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr auf. Es krachte fürchterlich, der Chauffeur rief: „Fack, Fack“ und stieg aus, Oskar folgte. „Ahh Ju Kräsi?“ wollte der Vordermann wissen. Oskar antwortete: „Nein, Plümecke, Oskar Plümecke“ und erntete einen
verständnislosen Blick von den beiden Kontrahenten. Während sich die Herren heftig stritten, sah sich Oskar um. Da erblickte er einen eigenartiger Laden, der offensichtlich Drogen verkaufte, und das ohne Scheu oder Skrupel. Jedenfalls stand „Gifts“ an der Fensterscheibe. Was war das nur für ein Land!
Da der Streit der Fahrer wohl noch länger dauern würde, beschloss Oskar eine Kleinigkeit zu essen. Die Mahlzeit im Flieger war schon Stunden her und nicht sehr üppig. In einiger Entfernung war ein Mann mit einem Verkaufswagen. „Hot Dogs“ stand auf dem Schild. Oskar
holte sein Wörterbuch hervor und sah nach. Mit Entsetzen las er, dass da „heiße Hunde“ angeboten wurden. Das war doch einfach ekelhaft.
Zwanzig Minuten später ging es endlich weiter, das nur leicht lädierte Taxi konnte weiterfahren, der Fahrer fluchte immer noch. Am Ende der Fahrt verlangte der Mann: „Twennti Pfeif“ und hielt die Hand auf, war jedoch komischerweise mit der Trillerpfeife, die Oskar ihm geben wollte, nicht einverstanden. „Käsch, Käsch“, wollte er. Wie soll ich dann jetzt Käse herbekommen? dachte Oskar verzweifelt. Auch der vom Fahrer
verlangte Manni brachte keine Klarheit. Ein Polizist, der aber auch nicht der Manni war, wurde von ihm herbeigerufen. Glücklicherweise sprach dieser ein paar Brocken Deutsch und das Missverständnis klärte sich auf. Einfach nur Geld wollte der Herr. Warum hatte er das nicht gleich gesagt?
Im Hotel, das einen sauberen Eindruck machte, wurde Oskar von einer jungen Dame freundlich begrüßt und nachdem er seine Reservierung vorzeigte, gefragt: „Enni Krähdiet Karts, Zör?“ Warum verwechselt man mich immer mit diesem Zör? dachte Oskar und zuckte mit den Schultern.
Oskar erhielt seinen Zimmerschlüssel, der aber gar keiner war, sondern so ein Plastik-Ding, das man irgendwie an die Tür halten musste. Nach gut fünfzehn Minuten gelang es Oskar diese zu öffnen. Erschöpft legte er sich ins Bett und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen galt es, sich die Stadt anzusehen. Fridolin hatte ihm eine Liste mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten gemacht und die wollte Oskar nun abarbeiten. Das naturwissenschaftliche Museum am Central Park sollte das Erste sein, was er besichtigen wollte.
Die Fahrt mit der U-Bahn war äußerst kompliziert, aber schließlich gelangte Oskar doch an sein Ziel. Der Film „Nachts im Museum“ war hier gedreht worden, das wusste er. Zehn Minuten musste er an den Kasse warten, bis er an der Reihe war. Dort saß junger, adrett gekleideter Mann, der wissen wollte: „Ahh Ju Owa Zicksti?“. Allmählich wurde Oskar wütend: ständig wurde er mit anderen Leuten verwechselt: Zör, Kräsi und jetzt Owa Zicksti! Deswegen antwortete er sichtlich verärgert: „Nein, Plümecke, Oskar Plümecke“.
Auch wenn alle Erklärungen zu den
Ausstellungsstücken nur in Englisch waren, gefiel es Oskar sehr gut in dem Museum. Anschließend gönnte er sich eine Kutschfahrt durch den Park, der Mann an den Zügeln plauderte pausenlos, Oskar nickte nur und sagte ab und zu: „Yes, Yes“, eines der wenigen englischen Worte, die er gelernt hatte.
Zum Abschluss des Tages war Einkaufen angesagt, denn Fridolin hatte Oskar erklärt, dass man Kleidung in New York sehr preisgünstig erstehen konnte. Die bunten Läden lockten wirklich mit Super-Angeboten: eine Jeans für 5 Dollar, 3 T-Shirts für 7
Dollar, da konnte man nicht meckern. Doch als Oskar das erste Geschäft betrat, fragte ihn die junge hübsche Verkäuferin: „Witz Scheiß?“. Jetzt reichte es ihm, offenbar wurde er hier nur veralbert. Schimpfend verließ er den Laden, als ihn eine Frau, die knapp fünfzig sein mochte, auf die Schulter tippte. „Ich habe das eben mitbekommen, kann es sein, dass Sie Probleme haben, Englisch zu verstehen?“ fragte sie. Oskar nickte. Er lud die Dame, die übrigens Susanne hieß und aus Wuppertal kam, auf einen Kaffee ein und erzählte ihr von all den merkwürdigen Erlebnissen, die er bislang hatte. Susanne musste einige
Male lauthals lachen und erklärte all die Missverständnisse.
So verbrachte Oskar mit Susanne die restlichen sechs Tage zusammen in New York und hatte noch einen wunderschönen Urlaub im „Big Apple“.