Du liebe Zeit – ist mir schlecht!
Bin in Aufruhr.
In meinem Magen herrscht Krieg!
Auf der einen Seite – natürlich links, auf der Seite des Herzens – flattern die Schmetterlinge.
Ungeordnet und aufgeregt fliegen sie durcheinander und kitzeln heftig meine Mageninnenwände.
Auf der anderen Seite – rechts unten - braut sich gehörig was zusammen.
Es krallt sich in den Darm und macht mir das Leben zur Hölle.
Unterdessen tanzen die Penne im Salzwasser. Mit einem flachen Holzlöffel bewege ich die feinen Putenstreifen im Brokkoligemüse.
Noch ein Löffelchen von der Soße probiert. Prima!
Die Abendsonne streichelt die Hochglanzfronten unserer Einbauküche. Es ist wieder einmal Zeit für den schnellen Lappen. Ganz weich und unbedingt aus Baumwolle, damit sich auch kein Kratzer auf den glatten Oberflächen verirrt.
Fingerabdrücke hier, Olivenölspuren dort. Husch husch! Schnell weg damit.
Schon höre ich, wie sich der Schlüssel seinen Weg durch das Schloss sucht. Nun ist er da.
Das Essen fast bereit.
Der Tisch gedeckt.
Noch schnell einen letzten Wisch.
Alles perfekt.
Ein harter Schmatzer auf die Lippen – buff.
Tasche an ihren Platz.
Stöhnend die Schuhe von den Füßen gestreift.
Ach, war das wieder ein Tag!
Sein inniges Lächeln.
Nun ist er ja Zuhause und erfreut sich bereits an dem Duft nach Brokkoli, Parmesan und frischen Kräutern,
der durch die Wohnung zieht.
Rappelig gieße ich die Nudeln ab.
Mein Magen hat inzwischen die Konsistenz einer Glasmurmel.
Kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich etwas essen soll.
Eilig sage ich dem Sohn im anderen Zimmer, dass das Essen soweit ist.
Tue ich das nicht, und mein lieber Gatte übernimmt diesen Dienst, ist die schlechte Laune am Tisch bereits vorprogrammiert.
Also husche ich hin und eile ich her, verteile die Penne auf die Teller und dekoriere sie mit dem leckeren Brokkoli.
Kurz darauf schlurft der Sohnemann heran und wir können friedlich essen. Wäre da nicht diese Glasmurmel in meinem Bauch.
Ich bekomme keinen Bissen herunter.
In Ordnung, dann muss es eben sein. Aus organisatorischen Gründen geht es ohnehin kaum anders.
„Kann sein, dass ich morgen etwas später zuhause bin. Deshalb habe ich heute auch schon für morgen mitgekocht.“
Verborgene Botschaft: Iss nicht alles auf, das Essen reicht für zwei Tage.
„Was hast du denn vor? Musst du arbeiten?“
Gute und verführerische Vorlage, aber so kann ich das nicht.
„Nein, ich habe morgen frei. Doch ich treffe mich mit einem Bekannten und kann noch nicht sagen, wie spät es wird.“
„Ein Bekannter?“
„Von dieser Plattform, auf der ich meine Texte veröffentliche. Wir möchten uns mal austauschen und ich dachte, wenn ich frei habe passt, es doch ausgezeichnet.“
„Was ist das denn für einer?“
„Ich habe dir bereits Texte von ihm vorgelesen. Du meintest, er sei ein Schwerenöter. Ich finde, er hat ganz
passable Ansichten und Denkweisen. Und seine Gedichte mag ich. Andy zeichnet viel und ich möchte ihn einfach mal näher kennenlernen.“
Das Blut rauscht mir in den Ohren.
Ich habe das Gefühl, mir wackelt der Kopf, so sehr zittere ich in diesem Augenblick.
Waren meine Worte so unverfänglich, wie sie sein sollten?
Stille.
Ich schiebe meine Nudeln auf dem Teller hin und her.
Blickwechsel mit meinem Sohn.
Der sagt mir mit seinen Augen, dass es voll in die Hose gegangen ist.
Und er sollte Recht behalten …
„Du weißt doch gar nicht, was das für einer ist. Triffst dich mit irgendjemandem und sagst mir das ganz beiläufig – ohne auch nur mit der Wimper zu zucken! Wo trefft ihr euch denn?“
„Auf halber Strecke. Um die 300 km von hier.“
Auf dem Platz mir gegenüber braut sich was zusammen.
Er atmet tief ein und mit zusammengekniffenen Lippen wieder aus.
Das Muskelspiel von Wangen und Unterkiefer. Zähneknirschen. Nasenflügel beben.
Ich kenne dieses Bild.
Es ist das theatralische „sich ruhighalten, aber bitte so, dass es niemandem entgeht“.
„Du fährst 300 km, um …“
Mein Handy läutet.
Niemals ruft mich jemand auf dem Handy an!
Jeder weiß, dass ich ein absoluter Handymuffel bin!
Eilig und auch ein bisschen dankbar flitze ich durch die halbe Wohnung, um das kleine Ding schnell ruhigzustellen. Doch bis ich es erreicht habe, ist die Verbindung abgebrochen.
Entgangener Anruf „Andy“ steht auf dem Display.
Na toll!
Ich werde später zurückrufen.
Ich kehre in die Küche zurück.
Weiterführung der Krisensitzung vor einem Teller kalter Nudeln.
Inzwischen eine Spur lauter:
„Du fährst also 300 km, um dich mit dem zu treffen? Der muss dir ja sehr wichtig sein!“
Ein flehender Blick meines Sohnes.
„Geh ruhig wieder in dein Zimmer. Ist schon gut. Ich komme gleich zu dir rein.“
Dankbar steht er auf und lässt uns allein.
„Was sagst du denn dazu? Erkläre es mir!“
Das Telefon klingelt.
Schnell nehme ich den Hörer ab.
„Ja?“
„Dea? Bist du dran?“
„Ja.“
„Klappt das mit morgen?“
„Ja. Auf jeden Fall. Ich kann nur gerade nicht gut reden. Wir haben augenblicklich ein etwas stressiges Gespräch.“
„Wegen morgen?“
„Ja. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich losfahre. Okay?“
„Jo. Bis morgen dann.“
„Ja. Bis morgen.“
Grinsend schüttle ich meinen Kopf und gehe zurück zur Küche.
„War der das schon wieder?“
Ich nicke.
„Wie unverschämt kann man denn sein, eine verheiratete Frau auf dem Festnetz anzurufen!“
Ich stütze beide Hände auf den Küchentisch.
„Ich werde mich morgen mit ihm treffen. Wir werden uns unterhalten. Über Kunst, übers Schreiben. Es ist ein Freund. Nichts weiter.“
Stille.
„Wenn du morgen dahin fährst, brauchst du nicht zurück zu kommen.“
„Gut, dann stecke ich mir was zum Wechseln ein.“
Geräuschvoll steht er auf und trampelt aus dem Raum.
„Ich gehe Joggen!“
„Mach das“, entgegne ich und schiebe die Reste von den Tellern.
An diesem Abend waren die Würfel endgültig gefallen.
Schon lange Zeit spielte ich mit Gedanken, doch nie nahmen sie solch scharfe Konturen an.
Mein guter Gatte überlegte es sich während des Joggens gründlich.
Er gestattete mir, wieder nach Hause zu kommen, selbst wenn ich mich mit diesem Schwerenöter treffen würde.
Nach einer Nacht vereister Seelen folgte ein Tag voll Sonnenschein.
Zumindest wenn ich diese Geschichte verfasse.
Nachdem die schlechte Stimmung mitsamt meines Mannes aus dem Hause gewichen ist, husche ich ins Bad und durchpflüge anschließend den Kleiderschrank nach dem passenden Outfit.
Meine Wahl trifft auf einen langen Rock in Wickeloptik, hochgeschlitzt und flatterig, mit Blumen und Leopardenmuster.
Es ist sonnig, aber noch frisch, also ziehe ich ein knappes Jäckchen über. Zur Sicherheit stecke ich noch mein Stricktop in die Tasche.
Wer weiß schon, wie warm es in ein paar Stunden sein wird.
Ein kurzer Anruf, wie versprochen, und schon düse ich in Richtung Osten.
Der Parkplatz, den Andy mir beschrieben hat, ist leicht gefunden. Meine Jacke lasse ich im Auto. Die brauche ich heute wirklich nicht. Stattdessen schlupfe ich in mein Stricktop.
Ich bin froh, es eingesteckt zu haben.
So werden meine alabasterfarbenen Arme ein wenig Sonne abbekommen.
Zuversichtlich stürze ich mich ins Unbekannte.
Wir treffen uns am Brunnen des Marktplatzes. Ich bin die erste dort und warte im Schein der Frühlingssonne.
Sofort erkenne ich ihn, obwohl ich ihm niemals zuvor begegnet bin. Unglaublich schmal und grinsend übers ganze Gesicht begrüßt er mich.
Einfach sympathisch! Seine offene Art.
Erstmal marschieren wir ein wenig durch die Stadt.
Er ist heilfroh, dass ich wenig Interesse am Shoppingcenter zeige und lieber draußen an der Luft bleiben möchte.
Die Cafés säumen den Marktplatz und bieten uns jede Menge Möglichkeiten, uns mit feinen Kaffeegetränken abzufüllen.
Wir reden und reden.
So vergeht der Tag nach anfänglichen Schüchternheiten wie im Fluge.
Als die Zeit für den Abschied naht, neigt sich auch meine Stimmung dem Tiefpunkt.
Das Wiedersehen in nicht zu weiter Ferne besiegeln wir beide mit einer freundschaftlichen Umarmung.
In mir drin und schön verborgen, bettele ich darum, dass es auch tatsächlich so kommen wird.
Es wurde eine schwere Heimfahrt und die Wochen danach waren wirklich nicht leichter.
Meine Lichtblicke beschränkten sich auf die Nachrichten in meinem Postfach.
Klärend, mutmachend und aufmunternd begleitete mich Andy aus der Ferne durch diese schwere Zeit.
Schnell wurde er zu meinem Glücksversender und ich entwickelte geradezu eine Sucht nach E-Mails von ihm.
Und wenn nichts für mich angekommen war, so verfasste ich seitenweise Botschaften für ihn.
Oder ich versorgte ihn per Post mit frisch gebackenen Nussecken oder auch anderen, eher unkonventionellen, Überraschungen.
Bis zu jenem Tag, als ich mich erneut in den Wagen setzte.
Dieses Mal war es ein Kleintransporter. Eigens dafür gemietet, mein weniges Hab und Gut zu meinem Glücksversender zu bringen.
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, was daraus wachsen würde.
Vielleicht eine gute WG unter Freunden, vielleicht auch mehr.
Vom ersten Augenblick nach meiner Ankunft im neuen Heim war uns beiden völlig klar, dass zwischen uns einiges mehr war, als nur eine WG unter Freunden.
Nun sind bereits ein paar Jährchen verstrichen und ich kam bislang nicht dazu, auch nur einen einzigen Tag in meiner neuen Heimat zu bereuen.
In meinem Herzen ist nun Ruhe eingekehrt.
Es sind nicht die großen Dinge, die meine Seele geheilt haben. Eher sind es die Unscheinbaren.
Unser tägliches „Winkefensterritual“, eine haltende Hand und auch leise Liebeserklärungen versorgen mich stets mit Wärme und Zuversicht.
Ich hatte einen Trümmerhaufen zurückgelassen. Keiner meiner Schritte war ein leichter, und dennoch war jeder einzelne davon unausweichlich.