Die letzte Träne
Sie steht auf und verlässt, ohne sich noch einmal umzudrehen, das Lokal. Nicht mal ihren Kaffee hat sie bezahlt. Ich bin alleine. Oder so fühlt es sich jedenfalls an. Ein neues aber schreckliches Gefühl. Nach einer Weile erhebe ich mich edenfalls. Ich bin vielleicht ein Egoist, ein neunmalkluger, arbeitsloser Buchhalter, doch kein Unmensch. Das lasse ich mir nicht gefallen, nicht von ihr. Ich lasse ein paar Münzen auf dem Unter Tellerrand liegen. Der Kaffee hat ja nicht schlecht geschmeckt.
Als ich mich durch das Gedränge im
Lokal der Tür nähere, höre ich, dass mir die Serviererin etwas nachruft. Erst draussen im kalten Regen merke ich, dass mein Schirm, welcher unter dem Stuhl gelegen hatte, immer noch dort ist. Auch egal. Ich achte weder auf den Verkehr, noch auf andere Hinderisse, wie Privatgärten oder andere Menschen. Den Weg von unserem Lieblingskaffee bis zu ihr, kenne finde ich blind. Tropfnass stehe ich vor ihrer Wohnungstür, der Schlüssel in meiner stärkeren linken Hand. Das Schloss klemmte wie immer und erst als ich Gewalt anwende, geht die Türe auf. Ich stürme in die sonst ordentlich Einzimmerwohnung. Zu erst stolppere ich über Kartons,
Männerschuhe und einen neuen Laptop. Alles Sachen die ich noch nie zuvor in dieser Wohnung gesehen habe. Als ich das kapute Bild sehe, welches über ihrem Bett hängt, verwandelt sich meine Wut in Angst. So schnell ich kann versuche ich die Wohnung zu verlassen. Als ich mich umdrehe, fällt mir die offene Badezimmertür auf. Langsam betrete ich den aufgeräumten Raum. Sie liegt auf dem Boden, den Kopf von mir weggedreht. Ich sinke in die Knie, greife nach der Glasscherbe des zerschlagenen Spiegels. Blut netzt meine Hände, im Hintergrund nehme ich Schritte wahr. In meinem Kopf beginnt sich etwas zu drehen. Zu erst langsam und dann immer
schneller, setzen sich die einzelnen Puzzleteile zur Wahrheit zusammen, zur ganzen Wahrheit. Eine Träne kommt in mir hoch, erfolglos versuche ich sie zu unterdrücken. Ein grosser, mir nur allzu bekannter Schatten zeigt sich vor mir auf dem Boden. Die Träne fliesst über meine Wange und tropft auf ihre rechte, stärkere Hand. Ich schenke ihr diesen Momentin dem meine tarke Maske fällt, diesen Augenblick der Schwäche zum Vorschein bringt. Ich schenke meiner einzigen Tochter diese Träne, denn ich weiss, es wird meine letzte sein.