„Francis, hast du dir die Zähne geputzt?“, will Manja von ihrem sechsjährigen Sprössling wissen.
Der kommt flugs aus dem Bad gerannt und zeigt seiner Mama ganz stolz einen Zahn, den er in den Händen hält.
„Schau mal Mama. Da ist schon wieder ein Wackelzahn raus gefallen. Meinst du, die Zahnfee kommt dann heute Nacht noch ein Mal zu mir?“
Manja streichelt dem Kleinen über das blonde Igelhaar, nickt ihm lächelnd zu und gibt ihm einen kleinen zärtlichen Klaps auf den Po.
„Nun aber ins Bett mit dir. … und vergiss nicht, den Zahn unter dein Kopfkissen zu legen. Ich komme dann gleich zu dir ins
Zimmer, um das Licht zu löschen.“
Francis gibt seiner Mama einen Kuss und verschwindet in sein Zimmer. Manja folgt ihm nach einigen Minuten. Sie kuschelt ihn in die Kissen, gibt ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn und löscht das Licht. Francis liegt in seinem Bettchen und versucht angestrengt die Augen offen zu halten, um nicht einzuschlafen. Die Zahnfee. Er will unbedingt die Zahnfee sehen. Sein Freund Paul hatte ihm erzählt, die Zahnfee erfülle jeden Wunsch, wenn man auf den Euro für den Zahn verzichte. So ganz glauben, kann Francis das nicht, aber einen Versuch ist es wert. Er weiß sehr genau, was er sich wünschen würde. Ach … wenn doch nur die Zahnfee bald kommen würde.
Ein gleißendes Licht erhellt plötzlich das kleine Zimmer. Francis kneift die Augen zusammen. So hell ist das Licht. Aber wie staunt er, als eine hübsche Dame aus dem Licht heraustritt. Sie hat lange schwarze Haare, die zu einem Zopf geflochten sind und kleine silberne Sterne glitzern darin. In ihrem weißen Kleidchen, welches ihre nackten Füße umspielt und ihren durchsichtigen silbernen Flügeln auf dem Rücken sieht sie aus, wie ein Engel oder eine Fee. Francis Augen werden größer und größer. Die Zahnfee. Die Zahnfee ist gekommen.
„Du bist die Zahnfee und willst jetzt meinen Wackelzahn abholen?“, flüstert Francis.
Die Fee lacht. Es war ein glockenhelles Lachen.
„Du hast einen Wackelzahn für mich und ich habe einen Euro für dich.“
Dabei zaubert sie einfach so einen Euro aus der Luft. Aber Francis schüttelt nur den Kopf.
„Nein. Ich möchte keinen Euro haben. Mein Freund hat gesagt, ich könne mir alles von dir wünschen, wenn ich auf das Geldstück verzichte. Stimmt das?“, will Francis von der Zahnfee wissen.
Die Fee sieht mit einem Lächeln den kleinen Jungen an und setzt sich zu ihm auf das Bett.
„Nun, Francis. Es stimmt. Ich kann dir jeden Wunsch erfüllen, wenn du das von ganzem Herzen möchtest. Was wünschst du dir denn?“
Ganz aufgeregt hopst Francis im Bett auf und ab.
„Wow. Das glaub ich nicht. Ich wünsche mir, dass jeder meiner Wünsche in Erfüllung geht. Geht das auch?“
Francis ist ein cleveres kleines Kerlchen. Wenn er schon einen Wunsch frei hat, warum soll er sich dann nicht wünschen, dass jeder seiner Wünsche in Zukunft in Erfüllung geht.
„Also, du möchtest eine Gabe besitzen, damit du dir jeden Wunsch erfüllen kannst?“, fragt die Fee, nur um sich zu vergewissern.
Francis nickt ganz energisch.
„Wenn das so ist … Ich kann dir helfen. Aber du musst deine Wünsche mit Bedacht auswählen. Gehe nicht leichtfertig mit dieser Gabe um, denn für dumme und unnütze Dinge, die du dir wünschst, verlierst du etwas,
das du liebst. Verstehst du das, Francis?“
Und wieder nickt der Junge ganz entschieden. Er will unbedingt diese Gabe haben.
„Gut. Kann es losgehen?“, will die Zahnfee wissen.
Dann schnipst sie mit den Fingern, zeichnet einen Kreis mit dem Zeigefinger in die Luft und tippt Francis gegen die Stirn.
„So Francis. Das war's. Du kannst dir jetzt jeden deiner Wünsche allein erfüllen. Aber denke daran. Unüberlegte Wünsche und du verlierst etwas, das du liebst. Wenn du die Gabe nicht mehr benötigst, dann lege einen Wackelzahn unter dein Kopfkissen. Dann komme ich wieder.“
Kaum hat die Fee die letzten Worte gesagt,
löst sie sich in Luft auf und Francis ist wieder allein in seinem Zimmer. Er sitzt auf seinem Bett und starrt in die Finsternis.
'Hab ich das jetzt alles nur geträumt?', denkt er bei sich. Sofort wünscht er sich, das Licht solle allein angehen. Er zwinkert mit den Augen und das Licht war an.
'Oh! Es klappt. Ich kann es.'
Als nächstes wünscht sich Francis ein großes ferngesteuertes Auto, Star Wars von Lego, einen Fußball, viele Luftballons, einen großen Kuschelteddy, eine ….
Vor Müdigkeit schläft er dann schließlich zwischen all seinem neuen Spielzeug ein. Wünschen kostet Kraft und macht sehr sehr müde. Am nächsten Morgen erwacht Francis und und staunt nicht schlecht, was er sich in
der Nacht alles gewünscht hatte. Schnell läuft er auf Socken zu seiner Mama ins Zimmer. „Mama! Mama! Du wirst nicht glauben, wer letzte Nacht bei mir war. Die Zahnfee! Die Zahnfee! … und sie hat mir sogar einen Wunsch erfüllt. Ich kann mir jetzt wünschen, was ich will und es geht in Erfüllung. … Schau Mama ... was ich mir schon alles gewünscht habe.“
Damit zerrt Francis seine Mama in sein Kinderzimmer. Manja staunt nicht schlecht, als sie diese vielen Dinge sah. Sie lächelt ihren Sohn traurig an.
„Was hast du denn Mama? Freust du dich denn gar nicht, dass ich mir jeden Wunsch erfüllen kann?“
„Nun, Francis, natürlich freue ich mich. Es hat
nichts mit dir zu tun, dass ich traurig bin. Dein Papa ist heute Nacht mit seinem Hubschrauber spurlos verschwunden. Keiner weiß, wo er ist. Ob er vielleicht irgendwo notlanden musste.“
Dabei wischt sich Manja heimlich eine kleine Träne von der Wange.
„Nicht weinen Mama. Dann wünsche ich ihn eben wieder herbei.“
Francis zwinkert mit den Augen und hofft, dass sein Papa wieder auf der Arbeit ist. Dann rennt er schnell ins Bad, waschen, Zähne putzen und anziehen. Schnell möchte er in den Kindergarten, um all seinen Freunden von seiner neuen Gabe zu erzählen. Plötzlich fällt ihm auf, dass seine kleine Beaglehündin gar nicht da ist.
„Mama! Wo ist denn Stupsi?“
„Ach Schatz, ich glaube, sie hat sich auf ihre vier Pfoten gemacht und erkundet ein wenig die Gegend. Ich bringe dich jetzt in die Kita und dann suche ich sie. Vielleicht ist sie bis dahin auch wieder zu Hause.“
Francis wundert sich. Das ist aber ein komischer Tag.
'Zuerst verschwindet der Papa. Dann Stupsi. Was hat doch die Zahnfee gleich gesagt?'
Francis legt sein Köpfchen schräg, was er immer tut, wenn er überlegt. Egal. Hauptsache ein jeder seiner Wünsche geht in Erfüllung. Schon bald hat Francis alles vergessen. Im Kindergarten erzählt er stolz von seinem Wackelzahn, der Zahnfee und die Gabe, die er von der Zahnfee bekommen
hatte. Die Kinder staunen und schauen Francis mit großen erwartungsvollen Augen an. Ob er ihnen wohl auch Wünsche erfüllen kann? Und so bitten und betteln sie Francis an, er möge ihnen doch zeigen, wie das mit dem Wünschen geht. Also stellt sich Francis in die Mitte des Raumes und fängt an. Eine Puppe für Marie, einen Roller für Henry. Beate möchte eine Barbie im Prinzessinnenkleid und Paul hätte gern eine Playstation. So vergeht der Tag. Die Kinder wünschen und Francis zaubert.
Am Nachmittag wird ein Kind nach dem anderen von seiner Mama oder seinem Papa aus der Kita abgeholt. Nur Francis bleibt allein zurück.
„Das ist aber seltsam, Francis. Deine Mama
ist doch sonst so pünktlich. Wo bleibt sie denn heute?“, fragt die Erzieherin Frau Schöne.
Francis schaut sich um. Keiner mehr da. Dann fällt ihm wieder ein, wie komisch der Tag begonnen hatte.
„Sie ist bestimmt noch Stupsi suchen. Die ist nämlich heute weggelaufen. Aber sie wird gleich kommen.“
Doch Francis Mama kam nicht. Was soll er denn jetzt machen? Frau Schöne müsste ihn im Kinderheim abgeben, aber da will er auf gar keinen Fall hin. Er zwinkert mit den Augen und wünscht sich sofort seine Mama her. Aber das klappt nicht. Ob dann sein Wunsch, sein Papa möge wieder auf der Arbeit sein, auch nicht funktioniert hat?
Francis zwinkert nochmals und plötzlich befindet er sich zu Hause.
„Mama! Papa! Stupsi!“, ruft er in die Stille der Wohnung hinein.
Sie ist auf einmal so groß und unheimlich. Kein Laut. Nichts rührt sich. Alles ganz still. Francis schleicht traurig in sein Zimmer. Hm. So viele Spielsachen. Aber er hat keine Lust damit zu spielen. Lieber würde er seiner Mama jetzt erzählen, wie es im Kindergarten war. Dann würde sein Papa kommen und er dürfte auf dessen Schultern durch die Wohnung reiten. Stupsi würde seinem Papa zwischen den Beinen hin und her laufen, dass er stolpert und alle lachend auf den Boden fallen.
Francis setzt sich traurig auf sein Bett und
sucht nach seiner Kuscheldecke. Die hat er schon immer gehabt. Oftmals hat er sie geknuddelt und dann ging es ihm wieder besser. Irgendwie findet er sie jedoch nicht. Ist sie auch verschwunden?
'Dann werde ich jetzt die Zähne putzen und ins Bett gehen. Wenn Mama nach Hause kommt, wird sie sich sicherlich freuen, dass ich das schon alles ganz allein kann.'
Ganz geknickt legt sich Francis ins Bett und dann kommen auch schon die ersten Tränen. Er fühlt sich so allein. Keiner, der ihm einen Gute-Nacht-Kuss gibt, der das Licht löscht. Unter leisem Schluchzen schläft Francis ein.
„He du kleine Schlafmütze! Aufstehen!“ Francis reißt mit einem Ruck seine Augen
auf. War das die Stimme seiner Mama? Verdutzt schaut er sich in seinem Zimmer um. Alles wie immer. Wo sind die vielen Spielsachen hin? In seinem Arm hält er seine Lieblingskuscheldecke. Schon kommt Stupsi ins Zimmer geflitzt und zieht an der Bettdecke. Francis legt sein Köpfchen zur Seite. Hm. Schnell schaut er unter sein Kopfkissen. Der Wackelzahn ist weg. Dafür liegt jetzt eine Euromünze da.
„Kommst du Schatz? Du kleiner Langschläfer! War die Zahnfee da? … Ach …. und Papa hat angerufen. Er holt dich heute vom Kindergarten ab.“, rief Manja aus der Küche ihrem Sohn zu. Francis ist überglücklich. Mama, Papa, Stupsi, ja sogar seine Kuscheldecke … alle sind da.
Er hat alles nur geträumt.
Francis hopst aus dem Bett und rennt mit nackten Füßen durch die Wohnung und fällt seiner Mama um den Hals.
„Ich hab dich soooo lieb Mama. Viel lieber als all das Spielzeug, was ich mir wünschen könnte. Du und Papa und Stupsi … ihr seid mir das Allerliebste. Ich wünsche mir, dass das immer so bleibt.“
Manja sieht Francis fragend an, lacht dann und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn.
Was keiner sah, die Zahnfee blickte durchs Fenster, lächelte zufrieden und flog davon.