Kapitel 66 Ein unerwarteter Verbündeter
Cyrus sah den näherkommenden Schiffen mit der altbekannten Mischung aus Erwartung und Furcht entgegen. Furcht, für die später kein Platz mehr sein würde. Dieses mal jedoch stammte sie nicht nur von der bevorstehenden Schlacht. Das es sich bei der Flotte, die ihnen entgegenkam um Kriegsschiffe handelte, war mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Der Wolf konnte die Geschützluken auch auf die Entfernung erkennen und an Deck drängten sich bereits bewaffnete Menschen. Es würde keine Verzögerung geben. Die beiden
Schiffsverbände waren in etwa gleich groß, so weit Cyrus das beurteilen konnte. Damit kam es auf das jeweilige Geschick der Kommandanten an und nicht auf pure Truppenstärke. Jormund musste vorausgesehen habe, das man ihm niemals erlauben würde, sich einfach vom restliche Canton-Imperium loszusagen. Nicht wenn bereits ein abtrünniger Lord für Unruhe sorgte. Und da man Lasanta nur von Süden kommend erreichen konnte, oder gezwungen war, einen großen Bogen zu fahren, hatte er sich einfach auf die Lauer gelegt...
Irgendwo schrie eine Möwe. Sie waren nach wie vor in der Nähe der Küste und
an den in der ferne sichtbaren Klippe tummelten sich zehntausend weiße Schemen.
Wenigstens wussten sie jetzt, was aus den Schiffe geworden war, die in Lasanta vor Anker gelegen hatten, als die Stadt sich lossagte. Vermutlich hatte Jormund Einnarson, der Fürst der Stadt, die ursprüngliche Besatzung festsetzen lassen. Ein Teil seiner Sorge trieb dort also übers Wasser auf sie zu. Die andere hatte ihm vor wenigen Minuten endlich die Wahrheit eröffnet. Irgendetwas in seinem Innern hatte bereits damit gerechnet, seid sie Angefangen hatte, verschwiegener zu werden, jedes mal, wenn sie sich hastig wegdrehte oder
vorgab keine Schmerzen zu haben, wo diese doch so offensichtlich waren. Trotz aller Mühe, Cyrus konnte beim beste Willen nichts positives daran finden. Er würde Eden zu bald verlieren, selbst wenn sie diesen Krieg, das ganze Chaos der folgenden Stunden überlebten. Sein Verstand raste und doch gab es keinen sichtbaren Ausweg daraus.
Wenigstens konnte er ihre Bitte verstehen... Sie waren beide Kämpfer. Er würde auch nicht so enden wollen.
,, Und es gibt wirklich keinen Ausweg, Erik ? Seit ehrlich zu mir, wenn es irgendetwas gibt, selbst wenn es etwas ist, das wir schlicht nicht Bewerkstelligen können, aber helfen
würde...“
Er hoffte so sehr darauf. Und wenn das hieß, das er die Wüste noch mal zu Fuß durchqueren müsste, notfalls zehnmal...
Erik seufzte. ,,Nein , alter Freund.. Ich wünschte, es gäbe etwas, ein Gerücht von mir aus, aber das wäre eine Lüge. Wenn ihr meinen Rat wollt, sage ich euch auch, was ich Ede sagen werde.... Ihr habt noch Zeit. Nutzt sie wenigstens und werft sie nicht weg auf der Suche nach etwas das es... schlicht nicht gibt. Götter, wie sehr ich wünschte, es gäbe für alles eine Heilung, ob durch Magie oder Medizin, aber das ist schlicht nicht der Fall. Versteht ihr das ? So wie niemand euer Auge heilen kann, weil
schlicht nichts übrig ist, das man heilen könnte, gibt es Dinge, wo jede Kunst versagt. Vielleicht wird sie das eines Tages nicht mehr tun, aber eines Tages ist nicht rechtzeitig genug für euch.“
Cyrus nickte nur. Für Worte fehlte ihm im Augenblick die Kraft. Er wüsste auch nicht, was er sagen sollte. Erik klopfte ihm nur aufmunternd auf die Schulter. ,, Ich werde euch aber Versprechen, zu tun was ich kann. Euch beide. Dreien, mit Zachary. Nur, redet mit ihm. Wenn er versucht zu heilen, was nicht geheilt werden kann...“ Der Schiffsarzt beendete den Satz nicht.
,,Danke. Und keine Sorge, das mache ich. Sobald wir uns um unsere neuen...
Freunde da draußen gekümmert haben“
Die Schiffe waren nun bereits bedrohlich nahe. Die Männer an Bord sahen ihnen ruhig und gefasst entgegen. Und auch auf den Schiffe der kaiserlichen Garde hatte die Besatzung bereits Aufstellung genommen. Cyrus wusste nur zu gut, was in jedem der Soldaten jetzt vorging. Die gleich Furcht und Angespanntheit. Hinter den gegnerischen Schiffen waren mittlerweile graue Sturmwolke aufgezogen und der Wind trieb sie nun schneller Vorwärts. Als könnten selbst die Götter das Zusammentreffen der beide Flotten nicht mehr erwarten.
,, Ich gehe jetzt besser“ , erklärte Erik. ,, Es gibt noch einige Dinge, die ich
vorbereiten muss. Es wird Verwundete geben...“
Und Schreie. Und Blut. Und Tote. Als hätte Cyrus davon nicht schon lange genug gesehen. Es entsetzte ihn nicht mehr wirklich. Es erschien nur Sinnlos. Mit einer Hand überprüfte er, ob Schwert und Axt griffbereit an seinem Gürtel hingen, dann ging er nach einander die Steinschlosspistolen durch, die er trug. Auf dem Deck eines Schiffs konnte man mit einer Muskete nur bedingt etwas anfangen. Die Waffen verfingen sich in der Takelage oder wurde im Handgemenge eher zu einem Hindernis als einer effektiven
Verteidigungsmöglichkeit.
Seine Handlung war reine Routine. Etwas, das ihm mit den unfreiwillige Jahren bei der Garde so sehr in Fleisch und Blut übergegangen war, das er es kaum merkte.
Eden trat fast geräuschlos zu ihm. Er bemerkte sie trotzdem. Der leichtere Gang der Gejarn unterschied sie deutlich von der übrigen Crew und selbst von Zachary, der schlicht nicht darauf achtete, wohin er seine Füße setzte. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern und in der Luft lag der Geschmack von Regen.
,, Erinnerst du dich noch an Aurelius ?“ , fragte er.
,, Wie könnte ich das vergessen ?“ , antwortete sie mit einer Gegenfrage. ,, Das war kurz nachdem wir dich aus dem Wasser gefischt haben. Ich habe dich... damals schon gemocht. Das wollte ich nur loswerden. Könnte durchaus die letzte Gelegenheit dazu sein. Und...“
,, Ich liebe dich auch.“ , meinte Cyrus nur und rang sich ein echtes Grinsen ab.
,,Ich weiß...“
Ihre Lippen fanden sich einen flüchtigen Moment, bevor sie wieder den näher kommenden Schiffen entgegensahen. Eden hastete über das Deck zurück, letzte Befehle rufend.
,, Bring die Windrufer so nah wie
möglich ran. Ich will nicht herausfinden, welche Seite mehr Munition hat. Wir geben ein paar Schüsse ab, zielt auf die Masten, und versuchen dann, das uns nächste Schiff zu entern.“
Die wartende Mannschaft verteilte sich. Taue wurde herangezogen, die Befehle an die Kanoniere an und unter Deck weitergegeben...
Bis auf das Rauschen der Wellen und das Knarren von Holz , Tauen und Segeln wurde es Still. Jeder ging entweder angespannt seiner Aufgabe nach oder fieberte den letzten Momenten der Ruhe entgegen. Stille, die jeden Moment vom Donner der Kanonen zerrisse werden
würde.
Cyrus sah den ersten Schiffsrumpf auf Höhe der Windrufer kommen. Sie hatten die Führung der kleinen Flotte übernommen und würde so auch als erste im Gefecht enden. Er zog die Axt, wog die altvertraute Waffe in der Hand. Das hier würde darüber entscheide, ob sie Lasanta zurück gewannen oder womöglich für immer verloren.
Dann jedoch geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Das Schiff trieb an ihrer Längsseite vorbei, ohne das sich etwas tat. Kein Schuss fiel. Keine Rufe wurden laut und die Kanonen schwiegen.
Cyrus sah zu Eden, die , scheinbar genau so verwirrt wie er, mit den Schulter
zuckten.
,, Nicht feuern.“ , rief sie. ,, Gebt das auch an die übrige Flotte weiter. Sie solle auf Abstand bleiben, das könnte eine Falle sein.“
Ein junger Mann mit schwarzen Haare sprang von seinem Platz auf und lief, zwei Signalflaggen unter den Arm geklemmt, zum Heck der Windrufer um die übrigen Schiffe zu warnen.
Ein Feuerschiff war es zumindest schon mal nicht, dachte Cyrus. Dann wäre keine Besatzung an Bord und vermutlich wären sie schon tot, wenn man es bis unter den Rand mit Pulverfässern vollgestopft hätte. Aber an Deck standen Männer in bunt zusammengewürfelter
Kleidung beisammen. Manche trugen die rostroten Uniformen der Söldner , andere schlichte Alltagskleidung oder Sachen, die ihn an die Crew der Windrufer erinnerten. Mietschwerter und Freiwillige, schätzte der Gejarn.
Irgendetwas brachte Bewegung in die stumm wartenden Gestalten. Männer wichen zurück und schufen eine Gasse für eine einzelne Gestalt. Wohl der Kommandant. Was hatten die vor ?
Der Wolf traute jedoch seinen Auge nicht, als der Mann schließlich an die Rehling trat, auf einer Höhe mit dem Deck der Windrufer und den Blick aus seinem einen, blauen Auge über das Schiff schweifen
ließ.
,, Na wenigstens habt ihr mein Schiff wieder auf Vordermann gebracht, Eden.“ , meinte Vance Livsey.
,,Vance ?!“ Eden starrte den grauhaarigen Kapitän genau so verwirrt an, wie Cyrus sich fühlte.
Der Mann trug eine dunkelblaue Uniform und mehrere Gurte darüber, an denen ein buntes Sammelsurium aus Waffen klimperte. Mit einem Arm hatte er sich jedoch auf eine Krückegestützt, die ihm das Gehen überhaupt erst ermöglichte endete eines seiner Beine doch knapp unterhalb des Knies. Auf dem Kopf hingegen trug er einen breitkrempigen Hut mit Federbesatz, unter dem sein
fehlendes Auge im Schatten verschwand.
,,Admiral Livsey jetzt, um genau zu sein, Eden. “ Trotz seiner alten Verletzungen schwang sich der Mann überraschend behände über die Reling und setzte wieder auf dem Deck der Windrufer auf. ,, Klingt nett was ? Außerdem mag ich den Hut.“ Er zog die Kopfbedeckung ab und klopfte ein paar unsichtbare Staubkörner davon herunter.
,, Wie kommt ihr den dazu ?“ , wollte Eden wissen. ,, Und die Schiffe hier...“
Vance lachte. ,, Nun es gibt da eine gewissen Adeligen in Lasanta, mit dem ihr sicher schon bestens vertraut seit. Der Kerl hat in den letzten Wochen damit begonnen, sich Crews für seine
Schiffe zusammenzuziehen. Natürlich, nachdem er sie der Garde abgeluchst hatte. Nichts für ungut. Ein paar der Gardisten haben ihre Kähne lieber versenkt, als sie sich abnehmen zu lassen. Nun und nach einer Weile kam Lord Jormund dann auch zu mir. Es hatte sich wohl herumgesprochen, was ich früher war. Und bevor ich richtig wusste, wie mir geschah, ernennte er mich schon zum Befehlshaber über seine neue Flotte. Dazu habe ich dann noch eine Teil meiner alten Crew wieder aufgetrieben. Man muss man sagen, der Herr Lasantas zahlt recht gut.“ Der alte Pirat lächelte ein lückenhaftes Grinsen. ,
, Aber nicht gut genug um mich dazu zu
bringen, gegen alte Freunde ins Feld zu ziehen, Eden. Als ich die Windrufer vorhin gesehen habe, konnte ich es erst nicht glauben. Ihr seid doch nicht noch immer mit diesem unsäglichen Kaiser unterwegs ? Eure Seite zahlt doch aber sicher auch gut ?“
,, Na ja.“ , begann Eden. Tatsächlich bezahlte Kellvian ihnen gar nichts. Etwas, das die Gejarn jetzt oft genug bemängelt hatte. ,, Sicher, ja.“
,,Ha.“ Vance drehte sich i Richtung seines Schiffes, die Hände zu einem Trichter geformt. ,, Leute, Planänderung, heute gibt es doch kein Blutvergießen. Ich weiß ihr seid deshalb alle enttäuscht, aber ab jetzt haben wir
auch eine neuen Chef. Sie zahlt das Doppelte !“
,,Moment, das habe ich nie...“ , setzte Eden zu einem Protest an, wurde aber von den Jubelrufen der fremden Schiffsbesatzung übertönt.
Vance lachte hämisch, während er an ihr vorbei auf Cyrus zutrat und den Wolf einen Moment kritisch beäugte. Cyrus fühlte sich unter dem Blick des alten Kapitäns alles andere als Wohl. Schon bei ihrem ersten Treffe in Lasanta war ihm der Mann nicht unbedingt geheuer gewesen.
,, Der wird mir ja immer ähnlicher.“ , erklärte Vance schließlich. ,, Passt nur auf Eden, das ihm als nächstes nicht
noch ein Bein abhanden kommt. Wer mit euch Unterwegs ist sollte auf ein paar Gliedmaßen verzichten können.“
Mittlerweile tauchten auch Erik und Zachary wieder auf der Treppe zum Unterdeck auf. Es hatte sich wohl schnell herumgesprochen, das es keine Schlacht gebe würde.
,, Ihr werdet euch nie ändern, oder ?“
,, Nicht in diesem Leben.“ , erwiderte Vance. ,, Und bevor wir hier alle in Tränen ausbreche weil das Wiedersehen so schön ist, Jormund ist geizig mit dem Rum, was haltet ihr davon, wenn ihr uns ein Fass bringen lasst... und wir uns überlegen, wie es ab hier weitergeht“
,, Wir müssen nach wie vor nach
Lasanta und die Stadt wieder unter die Kotrolle des Kaiserreichs stellen.“ , erklärte Eden. ,, Die Stadt muss sich ergeben oder wir irgendwie hinein gelangen.“
,, Und genau dabei könnte ich euch helfen...“ Vance eines Auge blitzte. ,, Ich glaube, ich weiß auch schon wie. Aber zuerst... Zachary und der Wirrkopf da, sucht ein Fass !“