Romane & Erzählungen
A prima vista - Lügen haben lange Flügel

0
"Wenn die eigene Liebe zu leugnen beginnt..."
Veröffentlicht am 25. Dezember 2014, 38 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

...glücklich geboren
Wenn die eigene Liebe zu leugnen beginnt...

A prima vista - Lügen haben lange Flügel

Eins

Es war ein kalter Samstagabend, an dem sie sich das erste Mal trafen. Spontan und unvorbereitet. Ein eisigkalter Samstagabend. Aber das war Celene egal. Sie war neugierig auf die Frau, die sie treffen würde, wenngleich sie keine Hintergrundgedanken dabei hatte. Ihr war vor ein paar Wochen einfach nur ungeheuer langweilig gewesen, und da alle ihre Freunde kurzfristig abgesprungen waren, fragte sie einfach in einer lesbischen Gruppe im Internet in ihrer Umgebund, ob jemand Lust aufbringen würde, um mit ihr noch feiern - oder wenn nicht gleich so wild - in eine Bar zu gehen. Es hatten sich zwar eine handvoll Frauen

gemeldet, allerdings 24 Stunden zu spät, so dass Celene an jenem Abend doch alleine losgezogen war. Unter all den Userinnen war eine dabei, die sich noch am selben Abend meldete und darauf einging, 'das ein anderes mal nachzuholen, da ihre Couch sie für den Abend schon gefangen hatte'. Und dieses andere Mal war eben jener kalter Samstagabend. Obwohl Celene wirklich ohne Vorbehalte zu dem Treffen ging, war sie aufgeregt. Alles, was sie von Carmen wusste, war nicht viel. Aber immerhin die Wahrheit - so glaubte sie zumindest. Denn im Gegensatz zu Carmen war Celene nicht ehrlich gewesen. Nun gut, es war nicht direkt eine Lüge. Sie hatte gemeint, es wird nur ein Treffen zum 'Langeweile-vertreiben'. Als

Carmen nach Celenes Alter fragte, stutzte Celene schon. Sie wurde (mit einigen Ausnahmen) immer auf ihr Alter reduziert. Deshalb hatte sie auf die Frage nach ihrem Alter ein wenig gemogelt. Achtzehn. Die korrekte Antwort wäre gewesen: "Ich werde achtzehn. In zwei Monaten." Aber in dem Moment dachte sie, dass es völlig irrelevant war, denn sie würden sich sowieso nur zum Feiern treffen - oder eben zum Vorglühen, in dem Fall -, und da spielt das Alter ja keine Rolle. Als Carmen und Celene sich das erste Mal an jenem Abend trafen, waren sie bei Mädels, mit denen Carmen wohl hin und wieder feiern ging. Celene hatte kein schlechtes Gewissen, und auch nicht die

Befürchtung, dass ihr 'Tarnalter' (wenngleich es sich hierbei nur um zwei Monate handelte) aufflog, denn sie wurde häufiger für älter geschätzt als wie sie war. Auch eine von Carmens Party-Mädels war davon ausgegangen, Celene sei mindestens 22. Als Celene dann mit achtzehn antwortete, waren dem Mädchen jegliche Gesichtszüge entglitten. Wie hätte sie erst reagiert, wenn sie wüsste, dass Celene in Wirklichkeit erst siebzehn war? Jedenfalls war das die Frage, die sie sich heute stellte, denn unerwartet hatte sie bemerkt, dass Carmen sie mehr faszinierte, als ihr lieb war. Im ersten Moment, als Carmen Celene von der Tram abgeholt hatte, dachte sich Celene schon, dass sie eine sehr attraktive Frau war. SEHR

attraktiv. Aber das wars erst mal auch. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie dann zu siebt am Tisch saßen. Mit Musik, Alkohol und schon gut angetrunkenen Gastgeber, und sie nach dem ersten Wodka-Bull nicht mehr aufhören konnte, Carmen anzustarren. Es waren diese feinen Bewegungen, diese intensiven Blicke, in denen Celene erkannte, wie Carmen nicht nur 'anfasste', sondern berührte, genauso wie sie beobachtete und nicht nur 'schaute'. Und nach ihrem zweiten Wodka-Bull fingen an ihre Hormone verrückt zu spielen. Vor allem, als Carmen ihren Pullover auszog, den sie über der Bluse trug, und damit ihren schlanken Hals frei machte. Gab es eine Minute, in der sie nicht wünschte, ihren Hals zu liebkosen, dann sogen ihre sinnlichen

Lippen sie in den Bann. Und schluss. Sie wollte nach Hause.Celene wusste, wenn sie mit Carmen alleine gewesen wäre, hätte sie für nichts garantieren können. Möge es komisch aussehen, wenn eine Achtzehnjährige eine Einunddreißigjährige verführte, aber Celene war dazu in der Lage. Sie war sich ihrer 'Resourcen' bewusst und konnte sie gut einsetzen. Zumal sie ja auch nicht ganz unerfahren war, nachdem sie mit sechzehn ihr erstes Mal mit einer Dreißigjährigen Frau hatte. Und fast ein Jahr später eine Romanze mit schmerzhaften Folgen mit einer Achtunddreißigjährigen.Sie kontne sich selbst nicht erklären, warum es immer so viel ältere Frauen waren, die sie anzogen, aber sie hatte auch schon lange

aufgehört nach dem Grund zu suchen. Als sie zehn war, erwischte es Neunzenjährige. Mit fünfzehn Fünfundzwanzigjährige ... nun ... und heute ... Sie hoffte insgeheim, dass es nicht so weitergehen, und sie mit dreißig auf einmal Sechzigjährigen nachgeierte. Bei der Vorstellung bekam sie Gänsehaut und ein heftiges Seufzen entwich ihren Lippen. Nicht nur des Alters wegen, sondern weil ihr noch so viel mehr Lügen einfielen, die sie bereits in die Welt gerufen hatte. Und nicht mehr so einfach auslöschen konnte.

Zwei

"Noch eine Haltestelle", informierte Alex, Celenes bester Freund. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, dass sie auf dem Weg in die Stadt in der S-Bahn saßen. Sie lächelte ihn an "Ich bin aufgeregt."

"Wieso?" Er wirkte sichtlich überrascht. Kein Wunder, wer ihren Gedanken die letzten zehn Minuten nicht folgen konnte, hätte es auch nur schwer erraten können. "Wegen nächster Woche", klärte sie ihn auf. "Ach, das Treffen mit dieser Carmen?" Celene nickte und stand auf, als sie die Durchsage zum nächsten Halt hörte. Alex tat es ihr gleich. Die S-Bahn hielt mit einer

angenehmen Leichtigkeit und sie stiegen aus. "Aber wieso aufgeregt?", fragte er, während sie zur Rolltreppe schlenderten, um den Weg für Gemütliche (oder Faule) zu bevorzugen und an die Oberfläche zu gelangen. "Ich meine, ich dachte da wäre nichts."

"Stimmt", gab Celene ihm Recht. Er grinste: "Ich höre da ein 'Eigentlich' in der Luft hängen."

Celene lächelte. Alex war nicht blöd. Er wusste im Übrigen, dass sie lesbisch war. Er war vermutlich auch einer der Ersten, der davon wusste. Alex selbst war auch schwul. Was er allerdings, im Gegensatz zu Celene, erst vor ca. einem Jahr ganz sicher sagen konnte. Sie hingegen hatte schon in der vierten Klasse immer nur Frauen imponieren

wollen. Romantisches Interesse an Männern? Nein. Hatte sie nie. Würde sie vermutlich auch nie und niemals haben. Sie gingen gerade über die Straße am Isartor, um Celenes Lieblingsbar zu besuchen. Eine Bar für Homosexuelle. Natürlich. "Und?"

"Naja", Celene lauschte dem dumpfen Geräusch ihrer Absätze und vergrub die Hände in der tiefen Jackentasche, "Jein."

"Was heißt 'Jein'? Bist du verliebt oder nicht?"

"Nein. Das nicht." "Aber?" Jetzt wurde er ungeduldig und Celene seufzte ergeben "Sie macht mich nachdenklich. Und ich finde sie einfach unglaublich anziehen.

"Sie überquerten die Straße, die in die Bar führte. "Aber du bist nicht eine von diesen One-Night-Stand-Weibern, oder?" Celene sah ihn an, musste wissen, ob dieser abwertende Unterton auch in seinem Gesicht zu sehen war. Er schaute sie fragend an. "Ich verurteile ONS nicht", stellte sie als Antwort auf seinen Unterton klar, "Aber mein Stil ist das auch nicht."

Sie betraten die Bar und eine heimelige Atmosphäre umfing Celene. Das erste Mal, dass sie in dieser Bar war, war vor gut einem Jahr. Eine Zeit, in der sie noch eine völlig Andere war. Keine Party, kein Alkohol. Still, unscheinbar, die, die jeder mochte. Ein Engel. Alleine in ruhigen Bars, um Menschen zu beobachten und ihren Gedanken

nachzugehen. Wie können sich Menschen so schnell verändern?

Die zwei Barbesitzerinnen begrüßten Celene mit einem offenen, willkommenen Lächeln und sie erwiderte dieses herzlich. Immerhin war sie als jüngste - plus der Tatsache, dass sie die meiste Zeit alleine hier aufkreuzte - Besucherin bekannt bei den beiden Damen. Celene hatte Anna und Marlen von Anfang an gerne gemocht. Sie strahlten etwas aus, was nicht viele Menschen besaßen. Diese Sympathie, die so umschlingend war, als würde man sie schon ein Leben lang kennen. Zwei Frauen, Mitte Vierzig, deren Attraktivität gerade diese Sympathie sehr viel beizutragen hatte.Celene und Alex setzten sich in eine Eck-Couch. Während sie sich noch aus ihrer

Jacke schälte, bekamen sie eine Karte zugeschoben. Alex und Celene hatten eigentlich abgemacht etwas gemeinsam zu essen. Alex war hin und weg von dem hausgemachten Kaiserschmarn, so dass er solange nicht locker gelassen hatte, bis Celene zustimmte, sich eine Portion mit ihm zu teilen. Und sie mussten etwas essen, denn nach der Bar ging es zum Pink-Christmas (einem schwulen/lesbischen Weihnachtsmarkt) und um 22:00 Uhr trafen sie sich mit Celenes bester Freundin Jessi und ihrem Freund Lukas, um weiter feiern zu gehen. Nüchtern würde Celene den Abend sowieso nicht überstehen, aber immerhin wollte sie nicht hackedicht zu Hause ankommen. Das Problem war ihr Gewissen.

Beziehungsweise das Wissen, dass Alkohol ein absoluter Diät-Killer war. Und Celene war eine Dauer-Diätlerin, wie Jessi sie schon gerne bezeichnete. Sie dachte an den Kaiserschmarrn und hätte am liebsten jetzt schon im Kanon gekotzt. Aber sie versuchte sich mit dem Gewissen zu beruhigen, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Dann konnte sie sich die rund 400 Kalorien schon leisten ... oder?Alex bestellte Kaiserschmarrn.

"Und was zu trinken?" Fragte Anna.

"Cola", sagte Alex. Anna notierte.

"Für mich ein Wasser, bitte."

"Groß oder klein?"

"Klein." "Mit oder ohne Sprudel?"

"Ohne", fügte sie noch hinzu und stimmte leise in Annas Lachen mit ein.

"Dein Wortschatz ist beeindruckend, Cece", grinste Alex, als Anna gegangen war und kassierte dafür einen kleinen Schlag auf den Arm. "Lass mich. Ich könnte mich auch wortlos prima verständigen." "Jaja. Was du nicht alles kannst", er lachte.

Celene schüttelte den Kopf. "Also, weiter im Text, Ms. Verständigungs-Expertin." Celene seufzte und wandte sich ihm theatralisch zu "Dann frag mich, was du wissen willst."

"Okay. Du hast es gesagt. Willst du was von Carmen? Ich meine Beziehungstechnisch?"

Cece sah ihn an, als sei er von allen guten Geistern verlassen. Er lachte "Okay, okay." "Seh ich aus wie jemand, der eine Beziehung führen könnte?" Er zuckte mit den Schultern "Für mich sieht jeder so aus. Aber du wirkst nicht so."

Sie sah ihn empört an "Willst du mir damit sagen, ich sei eine untreue Seele?"

Wieder lachte er über ihren dramatischen Unterton. "Ihr Frauen seid schlimmer als das Gericht." "Nö", sie grinste selbstzufrieden, "Nur komplexer." "Oder das." Anna kam mit den Getränken und die beiden bedankten sich. Celene nahm einen kräftigen

Schluck und hoffte ihren knurrenden, schmerzenden Magen damit zu besänftigen. "Aber weißt du, was du von ihr willst?" Celene zuckte hoffnungslos die Schultern und ließ sich in die gepolsterte Couch zurück lehnen. "Eigentlich habe ich wirklich keinerlei Erwartungen an sie ... ich ... möchte sie kennen lernen. Das ist alles." "Obwohl du keine Beziehung willst?"

Wieder zuckte sie die Schultern "Ich finde sie sehr interessant." Alex hob seine Finger, um aufzuzählen "Okay, du findest sie interessant, sie macht dich nachdenklich und du bist aufgeregt, wenn ihr euch trefft", er grinste schelmisch, "Und du findest sie heiß!"

Sie musste sich ein Lachen verkneifen "Das

habe ich nie gesagt."

"Aber gedacht!"

Celene schürzte die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. "Gibs zu!", stichelte Alex. Sie grinste: "Vielleicht?" "Also ja." "Ich sage dazu jetzt nichts mehr." "Gut, dann ich dafür umso mehr", er nahm einen großen Schluck von seiner Cola, "Die Aspekte sind doch perfekt: sie ist heiß, intelligent, du bist ja regelrecht hin und weg von ihr." Celene zog die Brauen in die Höhe und versuchte ernst zu bleiben, obwohl sie das Thema inzwischen fast schon amüsierte. "Willst du Sex mit ihr?" Die Frage stellte er so

plötzlich und so laut, dass er prompt die Aufmerksamkeit einer handvoll Frauen hatte, und Celene sich an ihrem Wasser verschluckte. "Ich meine, es ist doch offensichtlich, oder? Du sagtest mir, dass sie dir schrieb, sie sei nicht offen für eine Beziehung, was deinerseits ja eigentlich gerade Recht kommen müsste. Aber ihr wollt euch beide wieder sehen. Und du hast nicht vor mit ihr zu schlafen? Was-" Cece unterbrach seinen Redeschwall: "Seid ihr Schwulen alle so kompliziert? Ich meine: ist doch völlig egal, oder?" Alex dachte nach. "Ich will es einfach auf mich zukommen lassen", seufzte Cece, "Ich will mir keine

Gedanken darum machen, was ist oder was sein könnte." Alex kaute auf seiner Unterlippe herum, während Cece förmlich die Rädchen in seinem Kopf arbeiten sehen konnte. Sie verstand seine Fragestellungen wirklich nicht. Gab es bei den Schwulen tatsächlich nur Sex oder/und Liebe? Gab es kein Zwischending? "Und wieso wirkst du dann so bedrückt, Cece?" Die Frage kam ehrlich. So ehrlich, dass Celene im ersten Moment nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Obwohl die Antwort ganz offensichtlich vor ihr lag: Weil ich gelogen habe. Und weil ich glaube, dass Carmen mehr in meinem Leben spielen wird, als nur ein zwei Treffen für eine Party. Und weil diese Lügen nicht einfach nur ein

Pfifferling sind. Es waren jene Lügen, die sich immer weiter entfalten würden... immer größer werden würden. Und immer komplexer. "Ich...", Celene suchte nach einer Antwort. Sie konnte ehrlich zu ihm sein. Aber wie sollte sie erklären, dass sie Angst davor hatte, Carmen ihr wahres Leben zu offenbaren? Warum schämte sie sich so für ihr Leben? Dafür, dass sie essgestört war, dass sie in einer therapeutischen Wohngruppe lebte und sogar eine unterstützte Ausbildung machen musste? Warum hatte sie das Carmen nicht einfach genauso sagen können? Auf einmal war sie erleichtert, als Anna mit dem Tablett mit Kaiserschmarrn kam, und ihr somit die Möglichkeit gab,

nachzudenken. "Ich glaube, wir sollten jetzt erstmal essen", sagte Celene, zwang sich ein Lächeln auf und nahm die Gabel in die Hand, die vermutlich sowieso nicht in ihrem Mund landen würde. Der Appetit war ihr vergangen

Drei

Celene hatte den Kaiserschmarrn nicht angerührt. Sie hatte zwar darin herumgestochert, aber was in ihrem Magen landete, waren vielleicht vier Gäbelchen Apfelmus. Sie hatte sich bemüht langsam zu essen und viel zu reden. Alex war dadurch gar nicht aufgefallen, dass er den ganzen Kaiserschmarrn quasi alleine gegessen hatte. Vermutlich hatte er noch mehr Hunger als sie selbst. Jedenfalls versuchte sie sich das einzureden. Während er sich über das Essen hergemacht hatte, hatte sie ihm alles erzählt. Sie hatte zwar anfänglich gehofft, dass der leckere Kaiserschmarrn ihn erst einmal still legt, aber kaum hatte er zwei Bissen

geschluckt, fragte er: "Und? Magst du mir von deiner Pseudo-Sentimentalität berichten?" Cece zog eine Grimasse "Meine Sentimentalität ist nicht Pseudo. Durch und durch echt und erschreckend tiefgründig!" Alex lachte "Okay, okay. Dann mal ernst. Was ist los?" "Ich habe gelogen." "Okay." Das war nicht die Reaktion, mit der Cece gerechnet hatte. Im Gegenteil. Er wirkte fast gleichgültig. "Sie denkt, ich bin achtzehn." Er hielt im Kauen inne und sah sie an "Und wegen den zwei Monaten zerbrichst du dir den Kopf?" Er kaute weiter. Celene zögerte "Du weißt nicht, welch ein

Unterschied es für eine Dreißigjährige ist, ob du noch zwei Monate siebzehn bist, oder schon zwei Monate achtzehn. Für die sind das Welten. Außerdem ist das nicht alles." Sie kaute auf einem Apfelstück aus dem Apfelmus herum. "Lass mich raten. Du hast ihr verzählt, dass man dich mit S und nicht mit C schreibt?" Sie boxte ihn und grinste böse "Sei mal ernst!" "Okay. Aber dann lass dir nicht alles aus der Nase ziehen." Er aß weiter. Sie konnte quasi spüren, wie er sie erwartungsvoll anstarrte, obwohl sein Blick auf das Essen gerichtet war. Cece beobachtete ihn eine Weile beim Essen, dann seufzte sie. "Also. In ihren Augen bin ich die

achtzehnjährige Celene, die in einer Wohngemeinschaft lebt, weil ihre Arbeitsstelle in der Herzogsägmühle zu weit weg ist, um jeden Tag von München nach Peiting zu pendeln." Er legte die Gabel aus der Hand, runzelte die Stirn und nahm einen kräftigen Schluck. "Aber wo ist jetzt genau dein Problem?" Jetzt war sie an der Reihe, ihre Stirn in Falten zu legen "Hast du mir überhaupt zugehört?" "Klar, aber ich frage dich noch einmal: Wo ist jetzt dein Problem?" "Und ich frage dich nochmal: Hast. Du. Mir. Überhaupt. Zu-ge-hört?" Er steckte sich die letzte Gabel Kaiserschmarrn in den Mund, lehnte sich hinter, legte die Hände auf den Bauch und

sah sie an. "Das könnte zu einem endlos Dialog mit einem Plattenhänger werden." "Ach was du nicht sagst." Auch sie lehnte sich hinter und wandte sich ihm zu. "Was ich nicht verstehe", sagte er mit einem unterdrückten Seufzen, weil er so vollgegessen war, "Du sagst, du hast sie angelogen. Aber ich finde die Lüge nicht. Gut, dass du noch nicht achtzehn bist ist eine Sache. Aber der Rest stimmt doch. Du wohnst in einer WG, du arbeitest in der Herzogsägmühle. Also: Hä?" "Ich glaube, dir sind die minimalen Unterschiede nicht aufgefallen. Kann das sein?" Gerade als er antworten wollte, kam Marlen

und nahm das Tablett "Hat's euch geschmeckt?" Sie lächelte. Cece und Alex erwiderten. "Ja, sehr lecker. Danke", antwortete Alex. Celene nickte zustimmend, obwohl sie keine Ahnung hatte. "Wollt ihr noch etwas zu trinken?" Marlen warf einen Blick auf die leeren Gläser auf ihrem Tisch. "Nein, danke", antwortete Cece freundlich, "Aber wir würden gerne schon zahlen." Marlen lächelte und nickte "Ich schicke euch gleich die Anna." Cece bedankte sich und widmete Alex wieder ihre Aufmerksamkeit. "Also, ich sagte, dass ich in einer Wohngemeinschaft lebe. Das ist ein großer Unterschied zu einer

therapeutisch betreuten Wohngruppe." Alex verdrehte die Augen: "WG ist WG! Und ob du nun in der Klinik warst und deshalb in so ner WG bist oder nicht, interessiert keine Sau. Wenn man es genau nimmt, gehört eigentlich die halbe Menschheit in die Psychiatrie. Außerdem: Sagtest du nicht, Carmen sei Psychologin? Dann wird sie das doch wohl verstehen." Anna kam mit dem Kassenbon und die zwei zogen ihre Geldbeutel, um zu zahlen - mit einem großzügigen Trinkgeld. "Danke. Habt noch einen schönen Abend"; lächelte Anna, streichelte Cece über den Arm und ging wieder an die Arbeit. Sofort verschwand Ceces Lächeln und sah betrübt drein: "Versuch nicht alles schön zu reden,

Alex. Ich habe sie angelogen. Und das ist Fakt. Kein Mensch kann es leiden angelogen zu werden. Das sind Vertrauensbrüche! Wenn sie das erfährt - und sie wird es erfahren, denn früher oder später werde ich reinen Tisch machen - kann ich gleich alles vergessen."

Alex schmunzelte, während er anfing seine Jacke anzuziehen. Celene schielte auf die Uhr und merkte, dass es an der Zeit war, sich auf den Weg zu machen, sonst würde sich der Pink-Christmas nicht mehr lohnen.

"Weißt du was, Cece?" Alex knöpfte seine Jacke zu und half Celene in ihre Jacke.

"Sehr charmant", lächelte sie und verbeugte sich spaßeshalber. Alex grinste.

"Also: Nein. Was sollte ich wissen?"

"Ich glaube, du bist total verschossen in sie", sagte Alex, als er ihr die Tür öffnete und sie sich bei Marlen und Anna verabschiedeten.

Als er das gesagt hatte blieb Celene abrupt stehen und sah ihn vielsagend an "Ach so. Und das weißt du natürlich besser als ich."

"Ja." Er zuckte die Schultern "Kennst du das nicht, wenn man selbst geblendet ist? Ich weiß zwar nicht, warum du das tust, aber ja: Du bist total verliebt."


Während dem zwanzig-minutenlangem Fußmarsch, hatte Alex die ganze Zeit geredet. Darüber dass er einem Afrikaner halb München gezeigt hatte, dass er immer noch stinksauer auf seinen Ex-Freund war und dass es für diese Jahreszeit doch relativ

angenehm warm war. Celene hatte allerdings nur nebenbei mitgehört, denn sein letzter Satz fing an sie zutiefst zu beschäftigen.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie verliebt war. Sie kannte Carmen ja kaum. Und an Verliebtheit auf den ersten Blick glaubte sie nicht. Sowas gab es einfach nicht. Ja, vielleicht existierte sowas wie eine Anziehungskraft auf den ersten Blick. Aber nicht mehr. Wirklich nicht. Trotzdem versuchte sie auf ihr Gefühl zu hören, was ihr erstaunlicherweise schwer fiel. Das war untypisch für sie, denn Celene war ein Herzmensch. Durch und durch. Es gab selten - so gut wie nie - eine Entscheidung, die sie mit dem Kopf bestimmte. Deshalb überraschte sie es, dass sie, seit sie Carmen

kannte, so viel nachdachte. Aber es war nun mal wirklich Hirnzerspaltend. Celene konnte es einfach nicht nachvollziehen. Und da hatte Alex Recht. Wenn Carmen keine Beziehung wollte, warum wollte sie Celene dann wieder sehen? Warum fand Carmen sie so anziehend, hatte sie aber nicht geküsst? War das Spielerei? Celene konnte es nicht einordnen. Dafür kannte sie Carmen einfach nicht gut genug. Allein das war ja wiederum schon ein Grund, dass es unmöglich war, dass Celene sich verliebt hatte, denn immerhin: Wie sollte man sich in jemanden verlieben, den man so gut wie gar nicht kennt? Das meiste konnten ja bloß Interpretationen sein. Wunsch-Vorstellungen. Sowieso; alles waren bisher

nur Fantasien. Nach einem einzigen Treffen war es unmöglich einen Menschen wirklich kennen zu lernen. Aber hatte Verliebtheit nicht auch etwas mit Kennenlernen zu tun? Oder reichte da auch einfach schon eine immense Anziehungskraft? Celene strengte die ganze Sache an. Sie hasste es regelrecht. Gerade wo sie den überfüllten Christkindlmarkt betraten, fragte sie sich, in was für eine dumme Situation sie sich da schon wieder reingebracht hatte. Und wie lange es dauern würde, bis sie tief auf die Schnauze fällt.

0

Hörbuch

Über den Autor

Adeeo
...glücklich geboren

Leser-Statistik
17

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
KaraList Interessante Sichtweise einer noch Siebzehnjährigen. Skrupel, die den Wunsch nach Wahrheit in sich bergen. Gut geschrieben!
LG
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Adeeo Dankeschhön :-)
Vor langer Zeit - Antworten
EllaWolke Der Text ist einladend!
Beim lesen "fordert" er mich auf ... ich versinke ins nachdenken, träumen .. rückblicken oder nach vorn schauen ..was könnte sein?
LG zu Dir
Vor langer Zeit - Antworten
peachsstorys Sehr gut geschrieben. Ich finde es gut, dass auch mal jemand über homosexuelle schreibt, obwohl das so ein heikles Thema bei manchen ist :)
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
4
0
Senden

123219
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung