Klinge
Mir war kalt. Ich legte mir meine Decke um und versuchte nicht an all die lachenden Kinder zu denken. Die Kinder, die gelacht hatten, weil ich der kleinste und schwächste im Sportunterricht war, die gelacht hatten, weil ich in Deutsch so gut und in Mathe so schlecht war. Die gelacht hatten, weil ich anders war! Ich kniff die Augen noch fester zusammen, doch ich konnte nicht verhindern, dass sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löste und über meine Wange herabrann, bevor sie von meinem Kinn tropfte. Sie fühlte sich kalt und angenehm an, wie sie über meine
heiße Haut floss. Ich öffnete meine Augen wieder und sah mit tränenverschleiertem Blick auf das aufgeklappte Taschenmesser. Die Klinge bestand aus rostfreiem Edelstahl und der Griff war aus Metall, mit eingelassenem, schwarz lackierten Holz für einen besseren Halt. Ich musterte den Widerschein der Deckenlampe in der scharfen Klinge und sah kurz auf den Boden vor mir. Ich hatte auf das dunkle Holz des Laminats ein umgekehrtes Pentagramm gezeichnet, mithilfe eines Stücks Kreide welches noch in meiner Schublade gelegen hatte. Ich fühlte nichts, als ich die Klinge an meiner Handinnen-fläche ansetzte und sanft
durchzog. Sofort klaffte ein kleiner Schnitt auf und leuchtete mir rot entgegen, mit seinem Blut aus den verletzten Adern. Ich schnitt noch ein wenig tiefer, damit mehr Blut floss und presste dann meine blutende Hand mitten in das aufgezeichnete Pentagramm. Ich murmelte dabei vor mich hin, während ich langsam das blut über dem Pentagramm verschmierte. Nach nicht mal zwei Minuten merkte ich, dass der Schnitt bereits wieder zu bluten aufgehört hatte und als ich das verschmierte Pentagramm ansah, wartete ich voll Spannung, das endlich etwas passieren würde. Ich wartete also und lauschte dem Ticken meiner
Armbanduhr, bis ich schließlich frustriert die Klinge von mir weg schleuderte und schluchzend auf dem Boden zusammenbrach. Ich weinte und weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte und nur noch zittern und keuchen konnte. Ich öffnete meine Augen und sah auf die mit Blut besudelte Klinge und stand schließlich auf, wischte mir die Tränen von den Wangen und packte das kalte Metall. Ich schloss meine Hand darum und ging hinüber zum Abfalleimer, bevor ich ein letztes Mal auf das Glitzern sah, das Glitzern welches mich regelrecht hypnotisiert hatte. Ich verzog den Mund zu einem abschätzigen Lächeln und ließ die Klinge in den Papierkorb
fallen. Dann machte ich den Boden sauber und legte mich schließlich aufs Bett, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. Sicher, ich war meien Probleme immer noch nicht los, aber ich würde mich nicht davon unterkriegen lassen. Ich drehte micha uf die Seite und dachte nur noch, bevor ich einschlief: Ich bin stärker als diese Schmerzen!