Ein spannendes Jugendbuch, das auch ein bisschen gruselig ist.
(vom Autor für Kinder ab 12 Jahren empfohlen)
Nach dem Tod ihrer Eltern kommt Bianca auf den abgelegenen Hof von Tante Ruth.
Die Tante hat sich bereit erklärt die Waise erst einmal aufzunehmen, doch irgendetwas stimmt nicht.
Halloween geeignet. (deshalb neu eingestellt 25.10.2016)
Copyright: G.v.Tetzeli
Cover: Monika Heisig
Kapitel
1 Bianca
2 Der dritte Tag
3 Der vierte Tag
4 Eine denkwürdige Nacht
5 Atemlos
(17 DIN A Seiten 7600 Worte)
Bianca war am Bahnhof Hinterleuten angekommen. Es war natürlich ein kleiner Bahnhof, der zu dem kleinen Dorf Hinterleuten gehörte. Da stand sie nun am einzigen, kargen Bahnsteig, der vorhanden war. Nach dem tragischen Autounfall ihrer Eltern, war sie zur Waise geworden. Einen recht großen Trolly hatte sie an der einen Hand, eine größere Handtasche und einen Rucksack an der andereren. Es war so ziemlich ihre einzige Habe. Der Pfarrer, der sich als Hochwürden Gruber zu erkennen gab, geleitete sie zu einem Karren, dem zwei Esel vorgespannt waren. Auf dem Kutschbock saß Florian, wie Bianca
erfuhr. Er würde sie mit dem Gefährt zu dem Hof ihrer Tante Ruth bringen. Die liebe Tante hatte sich bereit erklärt die 12 jährige Nichte aufzunehmen. Florian schnalzte und nach über einer Stunde bergauf, bergab, vor allem aber bergauf, waren sie am Ziel. Der Hof machte einen heimeligen, ja geradezu vorbildlichen Eindruck. Die Holzbalkone zierten rote Geranien, der seitlich rechts liegende Stall war Eins A in Schuss. Auf der linken Hand, etwas abseits, befand sich ein Misthaufen. Ein gar merkwürdiger Misthaufen, der weder stank, noch auswässerte, sondern wie eine Kartoffelhorte mit Holzlatten eingezäunt, unnatürlich aufgeräumt wirkte. Vor der
Haustüre stand Tante Ruth in einem grauen Dirndl. Sie mochte etwas gouvernantenhaft wirken, aber sie lächelte leutselig.
Kaum war Bianca vom Karren gesprungen und hatte ihre sieben Sachen zusammen gerafft, verabschiedete sich Florian hastig. Ruth führte Bianca in die gemütliche, gute Stube. Am blanken, aber robusten Holztisch saß Michael, der sie mit großen Augen betrachtete. Er mochte vielleicht ein Jahr jünger sein, wie Bianca selbst. „Ihr macht euch erst einmal bekannt“, meinte Tante Ruth freundlich. „Deine Sachen, Bianca, bringe ich schon mal nach oben in deine Kammer. Vielleicht kann dir Michael inzwischen schon mal den Hof zeigen, damit du dich zurecht
findest.“ „Danke, liebe Tante.“ Tante Ruth lächelte in sich hinein und verließ den Raum.
Bianca stand verlegen da. „Du heißt also Michael.“ „Und du Bianca.“ Sie nickte. „Na, dann zeig ich dir mal alles. Komm!“ Michael öffnete die Stalltür. 6 Kühe standen in Reih und Glied. Sie standen in zwei Boxen, die jeweils für 4 Kühe gedacht waren. "Früher mal, da hatten wir sieben Kühe, aber im Frühjahr musste eine zum Schlachter. War wohl nix mehr mit Milch geben, oder so.“ „Aha, deshalb ist der eine Platz leer“, verstand Bianca. „Und der andere Platz?“ „Hab keine Ahnung, ich kann mich nur an 7
Kühe erinnern.“ „Ich habe mir jedenfalls einen Stall immer ganz anders vorgestellt.
Nicht so sauber, wie hier.“ „Ja“, schnalzte Michael, „es ist hier schon recht ok so.“ Er war sichtlich stolz drauf. „Und wer arbeitet hier so fleißig? Habt ihr einen Knecht?“ "Nee", grinste Michael, "das hat alles Tante Ruth im Griff." Sie gingen wieder hinaus und Bianca freute sich, dass in der Umgebung die Hühner frei herum liefen. "Wir haben ca. 15 Stück“, erklärte Michael. „Wenn wir mehr haben, du weißt schon, Nachwuchs und so, dann kommt der
Schlachter. Der kommt sowieso jeden Monat einmal vorbei. Der nimmt dann alles mit.“ „Aha, also auch die 7. Kuh, damals im Frühjahr.“ „Genau.“ Es gab hinter dem Haupthaus noch einen Heuschober. Michael ließ sie nur einen Blick hinein werfen. „Der ist eigentlich uninteressant. Da ist nur Heu drin für die Kühe.“ Dann kehrten sie Zurück. Es war Abend geworden und zu dritt saßen sie am Tisch. Es gab ein üppiges Abendbrot, damit ihr Kinder auch schön kräftig bleibt, wie Tante Ruth meinte. Dazu gab es einen „Gesundheitstee“. „Du musst ihn ganz austrinken“, mahnte Michael und Tante Ruth bestätigte.
„Ja, bis zur letzten Neige. Das ist wichtig!“ Danach ging Bianca ins Bett. Im ersten Stock hatte sie ihr eigenes Zimmer und Tante Ruth war so lieb gewesen alles schon ausgepackt zu haben. Sogar ihr Teddy saß auf der Bettdecke, wie es sich gehörte. Nach diesem aufregenden Tag schlief Bianca wie eine Tote. Am nächsten Morgen stieg die Sonne erst etwas später über die östlich gelegenen Bergkämme auf. Bianca begnügte sich mit einer Katzenwäsche. Nur eine Schüssel mit kaltem Wasser hatte sie in ihrer Kammer zur Verfügung. Sie musste mal die Tante fragen, ob es eine Dusche gab. Zum Frühstück gab es Marmeladenbrot, ein
Frühstücksei und ein großes Glas Milch! „Ganz frisch“, versicherte Ruth freundlich. „Wo ist denn Michael?“
„Der ist schon im Dorf. In der Schule. Das ist über eine Stunde Weg von hier aus.“ „Hast du vielleicht so was wie eine Dusche hier?“ „Nein, Kindchen. Aber im nahe gelegenen See kann man baden. Aber sei so gut und warte auf Michael. Der zeigt Dir alles. Er müsste am Nachmittag zurück sein. Und du, dich habe ich auch in der Schule angemeldet. Es dauert aber noch, bis alle Formalitäten erledigt sind. Ich meine, nach dem Tod deiner Eltern.“ Sie verstummte rücksichtsvoll. Biancas Augen wurden feucht. Ruth räusperte sich
verlegen. „Geh doch einfach raus und geh’ spielen, bis Michael zurück ist.“ Bianca schlenderte über den Hof und schlug den Weg zum Stall ein.
Hinter dem Vorhang beobachtete sie Ruth wie ein Raubtier. Bianca fühlte sich im Stall irgendwie wohl. Sie konnte auch nicht genau sagen, warum. Sie wagte es jedenfalls in eine Box zu steigen, denn die Tiere schienen sehr freundlich. Sie ließen sich über den Nasenrücken streicheln und waren sehr zutraulich. Große Augen blickten sie an. So waren eben Kuhaugen. Als sie in die Box geklettert war, da wollte sie die Gescheckte liebevoll auf die Flanke klopfen, als sie Striemen entdeckte. Sie waren
erst frisch verschorft. Plötzlich muhten alle Kühe gleichzeitig. Das war ihr unheimlich. So stieg sie wieder heraus und stolperte. Sie fiel der Länge nach hin und schlug sich ein Knie blutig. Unter dem frischen Heubelag war eine starke Öse, an der sie sich gerammelt hatte. Gerade, als sie die Stelle frei legen wollte, da rief Tante Ruth. „Jaha, ich komme Tante“, rief Bianca. Schnell verdeckte sie wieder die Stelle. Vor dem Haus stand Michael und Tante Ruth, die ihm den Arm um die Schultern gelegt hatte. „Sieh mal, Michael ist schon zurück. Irgendetwas Furchtbares ist in der Schule passiert., aber das kann dir Michael ja dann erzählen. Geht doch derweil schwimmen.“ Sie ging ins Haus zurück und Bianca
wunderte sich, dass Ruth offenbar vor sich hin sang. Und das, obwohl in Schule etwas Schreckliches vorgefallen war? Michael wollte auf dem Weg zum See nichts verraten. Aber nachdem sie schwimmen waren, lagen sie im Gras und Bianca bohrte weiter. „Was war denn los?“ Unser Lehrer, Herr Lang ist tot.“ „Was“, fuhr Bianca auf. „Tot? Unfall?“ Sie dachte an ihre Eltern. „Keiner weiß es so richtig. Die Polizei ermittelt. Sie wollen wohl jemanden von der Stadt hierher schicken. Weißt du, da sind schon mehrere, merkwürdige Sachen im Dorf passiert.“ Bianca hing an seinen Lippen. „Mehrere Dorfburschen sind verschwunden.
So nach und nach“, erzählte Michael. „Man weiß eben nix genaues. Jedenfalls sind sie verschwunden. Viele sagen, dass sie einfach raus aus diesem Nest wollten. Abgehauen halt. In die Ferne, irgendwohin. Australien, was weiß ich?“ „Mehrere?“
„So sagt man. Wie viel genau, weiß ich auch nicht. Soll schon längere Zeit so gehen. Immer in Abständen. Einzelne Bauern sind schon besorgt, wenn die Söhne in das Alter kommen, um den Hof zu übernehmen. Könnten ja auch die Düse machen. Ist natürlich alles Blödsinn.“ Michael ließ seine Blicke über ihren Körper schweifen. "Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein", keifte sie, bloß weil ich einen Bikini an habe.
„Ein Gutes hat es ja“, fasste Michael zusammen. „Bis in die nächste Woche hinein ist schulfrei.“ Kurze Zeit später machten sie sich wieder auf den Heimweg. „Sag mal, und das mit Lehrer Lang, das war auch merkwürdig?"
"Sie sagen, er hätte irgendwie einen Stromschlag bekommen, oder so was. Jedenfalls waren Teile von ihm angesengt.“ „Ihh!“
Darauf schwiegen sie. Schließlich fing Bianca an. „Sag mal, gibt es unter der Scheune noch einen Keller, oder so was?“ „Nee, wirklich nicht, wieso?“
„Ich bin heute über einen Eisenring am Boden gestolpert. Mitten im Stall. Scheint so, als ob das zu einer Falltür gehört.“ „Du spinnst ja. Das ist wahrscheinlich nur ein Befestigungsring für den Stier.“ „Aber ihr habt doch gar keinen.“ „Aber vielleicht früher“, meinte Michael. „Hast du je einen gesehen?“ „Nee, aber was heißt das schon.
An diesem Abend gab es wieder reichlich zu essen und den unumgänglichen Kräutertee.
In dieser Einöde konnte sich Bianca vielleicht über vieles beklagen, schlafen konnte sie jedenfalls wie ein Murmeltier.
Am nächsten Morgen saßen Michael und Bianca am Frühstückstisch nebeneinander.
„Na, habt ihr euch denn schon ein wenig angefreundet?“
„Geht so“, schnappte Michael und unterbrach damit das Nicken von Bianca.
„Trinkt die Milch! Sie ist ganz frisch“, lächelte Ruth.
„Ich hab schon mit dem Vormundschaftsgericht gesprochen", erklärte Ruth.
"Es sieht so aus, als ob alles ins Lot käme. Wenn du willst, kannst du dann für immer bleiben. Was meinst du?“
Bianca sah Tante Ruth mit großen Augen an.
An ihre Zukunft hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie hatte gedacht erst mal vorübergehend bei der Tante unter zu kommen. „Aber was ist denn dann mit unserem Haus“, fragte sie. „Das wird natürlich verkauft. Schließlich brauchen wir das Geld doch dann für deine Ausbildung. Wenn du hier an der Dorfschule fertig bist, dann musst du doch auf eine höhere Schule gehen.“ Die Tante stand auf. „Und so viel Geld habe ich nicht. Wie gesagt, wenn du für immer hier bleiben willst, dann sag' es nur.“ „Ich weiß noch nicht so recht. Es ist alles so neu und...“
Bianca verstummte. Wieder wurden ihre Augen feucht. Sie dachte an ihre Eltern.
Das wird schon, tätschelte Ruth ihr auf den Kopf. Michael drängte nach draußen. „Wir gehen spazieren“, sagte er. „Ist recht.“ Sie schlenderten über die Bergwiese, als Michael anfing. „Weiß du, ich glaube hier am Hof stimmt irgendetwas nicht.“ „Was denn?“ „Ich habe Dir doch von dem Schlachter erzählt. Weißt du, gesehen habe ich ihn noch nie. Aber er muss vorbei gekommen sein. Das hat zumindest die Tante erzählt, als die Kuh weggebracht worden ist.“ „Und woher weißt du dann, dass er einmal im
Monat kommt.“ „Muss so sein“, erklärte Michael.
„Ruth geht einmal im Monat selbst ins Dorf. Einkaufen, sagt sie und am Abend kommt Florian dann mit seinem Eselsgespann und bringt Waren. Die hat er aber immer in Kisten verpackt.“ „Ich habe mich schon gewundert, warum Florian ausgerechnet Esel vor seinen Karren gespannt hat. Ich kenne Karren nur mit Pferden.“ „Für Pferde ist der Weg sehr schmal und vor allem zu holprig und uneben. Zu steil“ „Das kann man wohl sagen“, lachte Bianca. „Mir hat vom Rütteln nämlich der Hintern weh getan.“ Sie gingen weiter. Nach einer Weile wandte
sich Bianca wieder an Michael. „Ist schon toll, wie die Tante alles hinkriegt. Alles so geordnet, so perfekt. Mein Vater hat gesagt, dass die Bauern es schwer haben. Schwere, körperliche Arbeit. Aber ich habe die Tante eigentlich noch kaum draußen gesehen.“ „Ich weiß auch nicht, wie sie das macht.“ Michael überlegte. „Ich bin auch erst seit drei Monaten hier.“ „Was?!“ „Ja, wenn ich dir’s doch sage. Ich bin erst drei Monate hier.“ „Und ich dachte du bist ihr Sohn und schon immer da.“ „Ach, iwo. Meine Eltern sind plötzlich verstorben und da hat mich die gute Ruth
aufgenommen.“ Bianca schaute ungläubig. „Deine auch? Trauerst du denn gar nicht mehr um sie.“ „Ich kann mich fast nicht mehr an sie erinnern. Irgendwie vergessen, oder so.“
Es lag ein Schatten über Biancas Gemüt. Es war hier Einiges merkwürdig. Stumm gingen sie etwas gedrückt zurück. Bianca wollte die Stimmung heben. „Wollen wir mal nachsehen, was es mit dieser Öse auf sich hat?“ „Michael wurde schroff. „Nein!“ „Aber wieso denn?“ „Die Tante mag es nicht."
"Was mag Tante Ruth nicht?"
"Ich habe mal in den Werkzeugschuppen gekuckt, da wurde sie fuchsteufelswild, wie ich sie noch nie erlebt habe.
Das hat mir gereicht. Ich habe richtig Angst gekriegt. Neugier ist nicht gut!“
Michael wandte sich ab. „Ich hab keine Lust mehr. Ich geh auf mein Zimmer. Mach was du willst, aber ohne mich. Basta!“ Er ließ sie verstört zurück. Vor dem Haus war eine Bank. Sie war an die große Eiche angebaut, die Schatten spendete. Gelangweilt saß sie da. Dann beschloss sie doch noch einmal in den Stall zu gehen.
Die Kühe reckten ihr die Schnauzen entgegen und sie streichelte die Tiere. Sie
überlegte. Sie musste wissen, was das für eine Öse war. Gerade als sie sich bückte, da stand wie aus dem Nichts Tante Ruth vor ihr. „Was machst du da“, herrschte sie Bianca an. „Ich, ich wollte mir nur die Schuhe zu binden.“ „Komm jetzt gefälligst. Es gibt Abendbrot.“
Michael sa0 scon da und war wortkarg. „Schön den Tee trinken!“
Es wurde ein sehr schweigsames Mahl.
„Ihr macht euch morgen etwas nützlich, denke ich. Nehmt Spaten Hacke und Pflöcke mit. Auf der Nordweide muss der Zaun gerichtet werden. Den Draht gebe ich euch auch dazu. Michael weiß schon Bescheid. Ich lege euch alles vor die Haustür, so dass ihr
Morgen früh gleich losziehen könnt.“ Die beiden Kinder nickten. „Schön austrinken und dann geht schlafen.“
Bianca schlief diese Nacht erst etwas später ein. Sie war irgendwie aufgewühlt.
Zum Frühstück gab es wieder den großen Becher Milch.
Dann machten sie sich zur Nordweide auf. Sie hatten ganz schön zu kämpfen, denn der Leiterwagen war recht beladen. Ohne den Leiterwagen hätten sie sowieso nicht Alles schleppen können. „Wie weit ist es denn bis zur Nordweide?“ „Drei Stunden mindestens.“ „Und woher kennst du die?“ Die Tante hat mir einmal den Weg zur Nordweide gezeigt.“ „Es ist das erste Mal, dass wir was arbeiten sollen. Ist dir das aufgefallen?“ „Ja, jeden Monat ein mal.“
„Ich wette mit dir, dass die Tante jetzt nicht da ist.“
Bianca kam in Fahrt.
„Die ist ins Dorf gegangen. Und uns wollte sie los werden, damit wir nicht unbeobachtet herum schnüffeln können. Und ich wette, dann kommt auch Florian wieder am Abend. Und ich wette, dass dann auch der Schlachter kommt. So!“ „Kann schon sein.“
„Bist du denn nicht neugierig?“ „Es geht.“ „Ich glaube, die gute Tante hat was Gewaltiges zu verbergen. Da stimmt doch hinten und vorn etwas nicht. Sie mag es nicht, wenn wir herum schnüffeln. Sie tut nicht viel und trotzdem ist der Hof vorbildlich.
Du bist erst drei Monate da, kannst dich aber kaum noch an deine Eltern erinnern und ich dachte, du wärst schon immer bei der Tante gewesen. Ich dachte, du wärst ihr Sohn.“
„Das bestimmt nicht!“ „Überleg’ doch mal. Zur Weide sind es 3 Stunden hin, 3 Stunden zurück. Dann flicken wir am Zaun herum. Wir sind also mindestens 7 bis 8 Stunden unterwegs. Weiß du was? Der Sache gehe ich auf den Grund. Wir lassen den Karren hier und gehen zurück. Mal sehen, was Tantchen so treibt.“ „Bist du verrückt?“ „Gar nicht, du kannst ja hier bleiben. Ich gehe die viertel Stunde zurück. Ich muss wissen was los ist.“ Bianca war fest entschlossen. Sie machte
kehrt und Michael stand belämmert da.
Sie ging weiter. „Komm zurück!“ „Nein! Du kannst hier bleiben, ich schau mich um!“ Sie machte keine Anstalten stehen zu bleiben. Schließlich fasste sich auch Michael ein Herz. „Also gut, du hast gewonnen, ich komme mit.“
Bianca war heilfroh, dass sie nicht allein war. Schließlich pirschten sie sich an den Hof heran. Er lag friedlich und einsam da. „Was ist, wenn wir der Tante begegnen“, fragte Michael. „Dann hatten wir Achsenbruch mit der Karre. Großer Stein, furchtbar, irgend so was. Da fällt uns schon etwas ein“, zischelte Bianca verschwörerisch.
Sie gingen ins Haus und schauten in allen Zimmern nach. „Ich wusste es“, triumphierte Bianca. „Sie ist fort. Sie ist ins Dorf gegangen. Und jetzt sehe ich als erstes nach, was mit dieser Öse ist.“ Sie gingen in den Stall. Als sie den Belag zur Seite geräumt hatten, da war es tatsächlich eine Falltür. Ein Seil, das sie an der Stallwand gefunden hatten, schlugen sie um die Öse und zerrten kräftig. Die verborgene Bodenluke gab nach und klappte auf. Darunter war nur ein runder, tiefer Schacht. Michael holte eine Stall-Laterne und riss den Docht mit einem Streichholz an. Am selben Seil ließen sie die Laterne herunter. Sieh mal! Was ist denn das“, fragte Bianca,
als sie nach unten spähten. „Sieht aus, wie ein großer Sack. Da drüben ist eine Stange mit Widerhaken. Mal sehen, ob wir ihn hochziehen können.“ „Sie waren in heller Aufregung. „Halt die Laterne mal tiefer.“ Bianca stocherte. Schließlich verfing sich der Sack und mit vereinten Kräften zogen sie ihn nach oben. Rasch war er aufgeknüpft. „Scheiße“, entfuhr es Michael.
„Kein Schatz, nur Plunder. Muffige Kleidung.“ „Und Schuhe“, ergänzte Bianca.
Sie pulten in der Wäsche herum. 7 Hosen, sieben Hemden. 7 Mal Unterwäsche, 7 paar Socken und 7 Paar Schuhe. Bianca wurde blass. "Wie viele Burschen sind denn im Dorf
verschwunden?"
„Ich weiß es nicht genau, aber insgesamt 7 kann hinkommen. Es können sogar noch mehr gewesen sein. Was sollen wir jetzt machen? Mit dem Zeugs ist doch nichts anzufangen.“ „Wir legen erst mal alles so zurück, wie es war“, beschloss Bianca. Den Sack knöpften sie zu und ließen ihn wieder herab. Dann wurde die Falltür wieder zugeklappt und gründlich getarnt. Die 6 Kühe hatten völlig still zugeschaut. Nicht eine gab es, die derweil vom Heu genascht hätte.
Michael und Bianca liefen außer Atem nach draußen. Dann setzten sie sich auf die Bank unter der Eiche.
„Sie hat sie umgebracht“, japste Bianca.
„Alle sieben!“ Michael war stumm. Er war in sich versunken. „Wir müssen unbedingt Hilfe holen“, sagte Bianka fest. „Warte mal!“ Michael griff nach ihrem Arm. „Seit ich hier bin und natürlich auch seit du hier bist, was war da Besonderes?“ „Na ja, der Lehrer ist verunglückt.“ „Das meine ich nicht. Es geht um folgendes. Wenn Tante Ruth eine Verbrecherin ist, dann kann sie doch uns Kinder gar nicht brauchen. Aber Tante Ruth hat mich adoptiert, hat sich förmlich darum gerissen. Und bei dir war es nicht anders. Warum?“ „Also, was machen wir
jetzt?“ „Wenn wir jetzt ins Dorf gehen und Remmidemmi veranstalten mit Mord und so, dann ist sie gewarnt. Und was wird passieren? Ich sag’s dir. Gar nichts! Ein paar alte Kleidungsstücke? Kein Bulle wird was unternehmen. Was heißt das schon, ein paar alte Klamotten.“ „Aber genau sieben?" „Na und, Zufall! Die werden gar nichts unternehmen. Die einzige Möglichkeit ist Tante Ruth weiter zu beobachten, sie auszuspionieren. Hinter ihr Geheimnis kommen.“ „Ich staune, Michi, erst Hasenfuß und jetzt?“ Er zuckte verlegen mit den Achseln.
Sie saßen da und dachten
nach. „Weißt du was mich brennend interessieren würde, Michi? Das wäre, was sie Nachts so treibt.“
„Hab’ ich mir auch schon vorgenommen. Schon vor einem Monat, aber ich bin immer viel zu müde.“ „Mir geht es auch so, steinmüde“, bestätigte Bianca. „Wenn du recht hast, dann müsste sie bald vom Dorf zurück kommen. Dann wird Florian mit seiner Lieferung erscheinen und dann der Schlachter. Aber wann? In der Nacht? Selbst ein Schlachter ist kaum in der Nacht unterwegs. Das müssen wir heraus bekommen!“ „Und wieso kommt dann der Schlachter
überhaupt“, spann Bianca den Faden weiter.
„Nur wegen damals, wegen der einen Kuh? „Mein Gott, war ja nur eine Vermutung. Sie war im Dorf, Florian lud abends ab und am nächsten Tag war die Kuh fort. Und sie hat gesagt der Schlachter hätte sie abgeholt. Das ist alles, was ich weiß.“ „Und in den drei Monaten? Es blieb doch bei den 6 Kühen.“ „Na, wahrscheinlich werden Kühe nicht alle Nase lang geschlachtet. Da hättest du schnell gar keine mehr.“ „Auch richtig.“ Wieder trat eine Pause ein. „Ich frage mich, warum ich abends immer so müde bin“, warf Bianca ein. „Bei uns zu Hause hatte ich immer einen
leichten Schlaf. Bei jedem Geräusch bin ich aufgewacht, aber hier? Umfallen und Schluss bis zum nächsten Morgen?“ „Die Landluft, du Stadtpflanze“, kicherte Michael. „Ich habe eine Vermutung.
Warum jeden Abend dieser Kräutertee? Und immer das Mahnen. Trinkt alles aus! Ich sage es dir, Schlafmittel, das ist es.“ Michael runzelte die Stirn. „Und was ist mit der Milch? Auch jeden Morgen, aber müde werde ich nicht.“ „Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls trinke ich heute Abend den Tee nicht!“ „Das wird nicht klappen. Tante Ruth hat ihn mir schon einmal fast mit aller Gewalt eingeflößt, als ich nicht
wollte.“ "Dann schaffen wir es mit einer List. Ich hab da eine Idee."
Schließlich kehrten sie zu ihrem Karren zurück und hackten an der Achse herum.
"Sicher ist sicher", meinte Bianca.
"Vielleicht merkt sie durch Zufall, dass wir am Zaun der Nordweide gar nichts gemacht haben. Außerdem verkauft sich dann das Schummeln besser.
Sie taten recht erschöpft, als sie wieder zum Hofplatz einschwenkten. Tatsächlich war Tante Ruth schon auf dem Posten. „Da seid ihr ja. So früh? Ist was passiert?“ „Die blöde Karre!“
„Achse ist hin“, ergänzte Bianca. „Und dann mit dem kaputten Ding den ganzen Weg zurück“, schnaufte Michael. Tante Ruth besah sich den Leiterwagen. „Das kann ich schon irgendwie wieder reparieren“, sagte sie nur einfach.
„Jetzt gibt es erst einmal Abendbrot.“ Sie saßen am Tisch, als Tante Ruth den Tee herein brachte.
"Schön trinken", munterte sie auf. Michael wollte gerade ansetzen, als ihm das Glas entglitt. „Au, verdammt!“ Das Glas kullerte am Boden und war erstaunlicher Weise nicht zersprungen. „Tut mir leid, Tante Ruth“, flüsterte Michael mit
schlechtem Gewissen. Ruth bückte sich unwirsch und presste durch die Zähne. „Ich hol dir einen neuen.“ Kurz drauf kam sie aus der Küche zurück. „Jetzt hast du einen Neuen, aber gib acht!“ „Bestimmt, Tante Ruth.“ „Nanu, du hast schon ausgetrunken, Bianca?“ Ja, ich finde man gewöhnt sich dran.
Außerdem schmeckt er mir“, krähte Bianca. Michael schlürfte. „Noch n bisschen heiß.“ „Sag mal, Tante Ruth, ich wollte dir was zeigen. Was ist denn das da?“ Sie zeigte zum Fenster hinaus. Ruth lugte. „Ich sehe nichts.“
„Da draußen, da, neben der Eiche! Sieh doch genau!“ Ruth strengte sich an. Dann lehnte sie sich zurück und schüttelte den Kopf. „Da ist nichts Kind.“ Michael machte einen verzweifelten Eindruck. Sein Glas war immer noch halb voll. In diesem Augenblick fuhr ein Eselskarren in den Hofplatz ein.
Das ist Florian“, rief Bianka und stürzte nach draußen. Tante Ruth lief hinterher. „Ich mach das schon, Kind, bleib Du beim Abendbrot. Ruth und Florian hantierten draußen herum und trugen mehrere Kisten in den
Stall. Endlich konnte Michael den Rest des Tees in der Zimmerpflanze unterbringen. „Hat geklappt“, grinste er. „Bei mir auch“, nickte Bianca zufrieden. Florian fuhr wieder ab und die Tante erschien in der Tür. „Ich glaube, ich gehe ins Bett“, gähnte Bianca. Dann winkte sie der Tante zu und ging nach oben. „Für mich wird es auch Zeit“, meinte Michael müde.
„Schlaft schön ihr beiden. Schön tief und fest. Und ohne Alpträume“, rief sie ihnen noch lachend nach.
Für diese Nacht aber, hatten sich die Beiden
in Biancas Zimmer verabredet.
Zwei Stunden später, er dachte er hätte genug gewartet, schlich Michael zu Bianca ins Zimmer. Die presste ihre Nase ans Fenster. „Noch nichts zu sehen“, zischelte sie, als er zu ihr aufs Bett kroch. „Was macht Ruth? Hast du was mitgekriegt?“ „Weiß nicht. Aus ihrem Zimmer gibt’s keinen Laut. Ich glaube, sie ist noch unten.“ "Wie spät mag es sein?" „Ich denke, so um halb elf.“ „Wir warten.“ Es schlug genau Mitternacht. Sie konnten es von dem fernen Glockenschlag der Dorfkirche hören, als eine schwarze Kutsche den Weg
zum Hof herauf schoss. Ein Kapuzenmann peitschte auf die schwarzen Rösser ein. Das Gefährt schien fast über dem Grund zu schweben. Außerdem hatte man den Eindruck, als ob blau leuchten würde. Es konnte aber auch von dem hellen Vollmond herrühren, der die Landschaft in ein schummriges Licht tauchte. Mit blähenden Nüstern bremste das Gefährt vor der Türe. „Komm“, sagte Michael.
„Wir können zuschauen, wenn sie in der Stube sind“, flüsterte Michael.
„Rechts im Gang ist ein Astloch. Und hören kann man auch alles.“ In der Stube stand Tante Ruth wie eine Salzsäule, als sich die Haustüre knirschend von selbst öffnete.
„Die knirscht doch sonst nie“, wisperte Bianca. „Still!“ Von oben sah man nur die schwarze Kapuze des Fremden. „Nun“, schnarrte der.
„Du bist also immer noch im Rückstand.“ „Ich weiß es, eure Hoheit. Ich tue doch mein Bestes!“ Die Gestalt setzte sich. „Du bist dir doch im Klaren darüber, dass du spätestens bis Sylvester wieder acht im Stall haben musst. Und einen hole ich dann wieder im Frühjahr ab. So war es doch vereinbart, oder nicht?“ „Gewiss“, beeilte sich Ruth. „Ich habe auch schon zwei Neue in Arbeit. Es ist nicht so einfach.“
„Nicht einfach“, spuckte die Kapuze. „Sie müssen nur bei dir bleiben wollen, freiwillig! Wenn sie darin eingewilligt haben, dann kannst du sie verwandeln. Einfacher geht es doch nicht!"
Er starrte sie an.
"Mir ist außerdem dein missglückter Versuch nicht entgangen, liebe Ruth“, geiferte er. "Ausgerechnet ein Lehrer! Wie kann man nur so verblödet sein?“ "Ich habe nur ein bisschen bei der Unterschrift nachhelfen wollen. Da war dann der Schlag zu stark und...“ „Nachhelfen?“ Der schwarze Mann äffte sie nach.
„Tote nützen mir nichts.“ „Es war ein Unfall, etwas zuviel...“
„Schweig! Zwei Neue? Kinder sagst du?“ „Ja, ja“, beeilte sich Ruth. „Das klingt schon wesentlich besser. Und vergiss nicht, sie müssen dir ihre Seele überlassen.“ „Das wird schwierig.“
„Zur Hölle, stell dich nicht so an“, donnerte er. „Ihr Menschen habt doch Mittel und Wege. Irgendwo, kleingedruckt. Das ist doch auch nur das Übliche.“ Der Fremde schlug auf den Tisch und wurde dann ganz leise. „Wenn du versagst, dann hole ich dich!"
Ein knochiger Zeigefinger schoss vor.
"Ohne Erbarmen!“ Der Fremde schmiss seinen schwarzen
Umhang herum und glitt rasch aus dem Raum. Kurz darauf hörte man die Peitsche knallen. Die Pferde wieherten. Es war unheimlich still geworden und Ruth sank am Tisch zusammen.
Ihr Kopf mit den grauen Dutt fiel nach vorne.
Es dauerte nicht lange und sie straffte sich wieder. Dann erhob sie sich stolz und ging zur Wandvertäfelung der Stube. Dann klatschte sie in einem bestimmten Rhythmus 7 mal in die Hände und in der Wand wurde eine Schranktür sichtbar. Aus dem Fach entnahm sie eine schwarze Peitsche mit 7 Enden. Damit klopfte sie in ihre Hand. „Nun, denn!“ Sie schritt nach draußen.
„Schnell“, zischte Bianca und lief in ihre Schlafkammer. Sie sah aus dem Fenster. „Sie geht zum Stall!“
Michael lag noch immer am Gang neben dem Astloch. „Das darf doch alles nicht wahr sein“, murmelte er. „Wurst jetzt, komm!
Wir müssen wissen, was passiert!“
Michael rappelte sich hoch und sie hasteten zur Scheune. Natürlich war die Türe zu. „Wie kommen wir rein, ohne dass sie etwas merkt?“ "Ich weiß eine Stelle, wo die Bretter lose sind", flüsterte Michael.
"Es ist eng, aber da können wir durchschlüpfen.“
Als sie sich durchgezwängt hatten, konnten sie hinter einer schräg gestellten Palette hindurch linsen. Ruth stand im hell erleuchteten Stall. Sie hatte bestimmt ein Dutzend Laternen entzündet. Sie sah sich gründlich um. Dann schob sie das Heu und die Bedeckung der Falltür zur Seite. Mit nur einem Finger an der Öse zog sie die Türe auf und Bianka erinnerte sich noch daran, wie sie sich zu zweit mit dem Seil abgemüht hatten. Tante Ruth schnippte mit den Fingern und der Sack tauchte aus dem Schacht auf, schwebte vor ihr in der Luft. Sie nahm ihn in die Hand setzte ihn am Boden ab und knüpfte ihn auf. Sie starrte die 6 Kühe an, die merklich zitterten. „Es ist soweit“, rief sie. Sie wirbelte mit der Peitsche Figuren in die Luft,
dann ließ sie die Peitsche 7 mal knallen. Ein blendend weißes Licht, wie ein Blitz durchzog den Raum. Als man wieder sehen konnte, das standen 6 nackte Burschen mit breiten Schultern vor ihr. Einer hatte am Rücken Striemen.
„Zieht euch an“, befahl sie.
„Und dann stellt euch auf.“
Kurz drauf nahmen die jungen Männer Aufstellung. „Und nun ab zur täglichen Arbeit! Stall reinigen, den Mist in Ordnung bringen, das Gemüse ernten, die Felder bestellen, ab und los und wehe ihr legt euch nicht ins Zeug!
Und du Karel“, sprach sie zu dem Burschen der die Striemen gehabt hatte, „wirst das Haus auf Vordermann bringen. Und lass bloß die Kinder
schlafen, sonst setzt es etwas! Denk an Franz! Er kam zum Schlachter. Und so geht es jedem von euch, der zu fliehen versucht!“ Sie knallte mit der Peitsche. Die Burschen stürzten los. „Darum also“, flüsterte Bianka. „Darum ist alles so aufgeräumt.“ „Psst.“
Es blieb ihnen nichts übrig als ruhig in Deckung zu bleiben, denn der eine Bauernsohn arbeitete verbissen, aber still vor sich hin. Und wie er schuftete, als ob er übermäßige Kräfte hätte.
Auf den gestapelten Kisten in der Ecke saß die Tante mit blitzenden Augen. „Ich glaub, ich muss mal“, flüsterte Michael Bianca ins Ohr. „Ruhig“, presste sie zurück.
Da bewegte sich Michael und eine Heugabel fiel um. Blitzschnell schreckte Tante Ruth hoch. „Raus“, zischte Bianca. So schnell sie konnten, zwängten sie sich gerade noch rechtzeitig durch das Nadelöhr. Dann rannten sie, was sie nur konnten in das Haus zurück. Ruth hatte nachgesehen, aber nichts entdeckt. „Da sind noch Bretter lose. Repariere es gefälligst, Ludwig. Und dann reparierst du auch noch die Achse von dem kleinen Leiterwagen. Die ist nämlich beschädigt. Und dass du dich gefälligst beeilst, beim Belzebub.“ „Ja, Meisterin, gewiss, Meisterin.“ Ruth saß wieder auf den Kisten, aber dann kam ihr doch ein schrecklicher Verdacht auf. Hatten die Kinder den Schlaftee wirklich getrunken? Sie
hatten sich so merkwürdig benommen. Und dann wollten sie so schnell zu Bett. Der Trank wirkte doch erst ein wenig später. „Du machst hier ordentlich weiter“, kläffte sie und stand auf. Es half nichts, sie musste selbst nachsehen. Im ersten Stock raste Bianka in ihre offene Schlafkammer und warf sich von innen an die Tür. Geschafft! Sie drehte sich um. Karel stand vor ihr.
Sie erstarrte. Er sah aufs leere Bett, Bianka auch. „Der andere ist auch weg“, sagte er.
In diesem Augenblick hörten sie Ruth die Treppe
herauf kommen. Bianca sprang ins Bett und zog die Bettdecke über die Ohren. Die Tante öffnete die Tür und sah aufs Bett. „Was machst du hier, Karel“, zischte sie, „und warum ist die Tür zu?“ „Ich, ich wollte nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Sie schläft“, meldete er. „Komm jetzt, du Faulenzer“, schnarrte sie.
Sie sah sich noch einmal um. Dann schloss sie die Türe von außen. Sie ging dann noch zu Michaels Zimmer, aber auch der schlief ruhig und tief. „Du machst hier noch alles gründlich rein und dann ab in den Stall!“ Um drei Uhr früh sammelten sich die Bauernburschen wieder in der Scheune. Sie waren abgekämpft.
Tante Ruth stieg von den Kisten. Die ganz rechts bleibt zu, befahl sie. Die starken Burschen ließen es sich nicht zweimal sagen und fielen über die Kisten her. Darinnen waren die blutigen Fleischstücke aus der Metzgerei des Dorfes. Dort bestellte Tante Ruth nämlich immer zwei ganze Rinderhälften und zwei Schweinehälften samt Kopf und Innereien. Die Burschen fraßen. Die Knochen knackten, das Blut triefte. Nichts blieb übrig. Sie rülpsten und tranken gierig aus dem Wassertrog, der für die Kühe gedacht war. „Karel komm her“, befahl sie.
„Meinst du, du kannst mich für dumm verkaufen“, schrie Ruth hasserfüllt.
Sie schwang die Peitsche zwei mal und sie riss das Hemd auf und man sah Blut hervorsickern.
„Warum war die Türe zu bei dem Mädchen, warum?“ Karel wimmerte mit blutverschmiertem Mund. "Ich wollte nicht, dass der Mond von gegenüber durch das Fenster herein scheint. Das hätte sie doch aufwecken können.“ Sie zog die Stirn in Falten und überlegte. Ja, der Gang im Haus war diese Nacht durch den Mond beleuchtet. Es könnte so gewesen sein. Sie wandte sich ab. „Und nun räumt die Sauerei weg! Legt frisches Heu auf. Den Abfall verbergt ihr unter dem Mist. Macht schon!“
Bald war alles wieder reinlich hergerichtet. "Zieht euch aus!" Die Kleidungsstücke wanderten wieder in den Sack, der Sack wieder in den Schacht, die
Falltüre wurde verschlossen und abgedeckt. "In die Boxen!" Wieder schwang die Peitsche durch die Luft und knallte. Ein Blitz raste durch den Raum und nun standen wieder 6 Kühe in den Boxen. Nun molk sie jede Kuh ein wenig, bis ihr Krug fast voll war. Sie machte die Lichter aus und verließ mit der frischen Milch den Stall. Sie rieb an der Kanne und kicherte. Jeden Tag ein Becher von dieser Milch und die Kinder konnten sich an die Vergangenheit nicht mehr erinnern. Es war der Trank des allmählichen Vergessens. Bei Michael konnte sie schon Erfolge verzeichnen. Er konnte sich kaum noch an seine Eltern erinnern. Bianca würde es mit der Zeit genauso ergehen. Und schließlich noch die Seele abschwatzen,
dann hatte sie es geschafft. Dann hatte sie wieder 8 Kühe, wovon eine Kuh für den Schlachter war. Sie wusste schon jetzt, dass sie Karel dafür aussuchen würde.
Um halb fünf lag Ruth im Bett. Nicht nervös werden, sagte sie sich. Bis Sylvester ist noch reichlich Zeit.
Am nächsten Morgen waren Bianca und Michael hundemüde. Tante Ruth blickte sie zweifelnd an. „Was ist denn bloß mit euch los, Kinder, seid ihr krank?“ „Nein, nein“, versicherten sie. „Am besten, wir gehen schwimmen. Das macht richtig wach, liebe Tante“, sagte Michael. „Macht nur“, lächelte Ruth ihnen zu. Brav hatten die Kinder ihre Milch ausgetrunken. Am See schliefen die Beiden Kinder noch mal ein. Als sie wieder aufwachten war es bereits nach
Mittag. Bis jetzt hatten sie noch nicht über die vergangene Nacht gesprochen. „Ist sie eine Hexe“, fragte Bianca.
„Ich glaube, dass dieser schwarze Mann das Böse ist. Einfach das Böse, verstehst du?“ Bianca sinnierte vor sich hin. "Genau genommen sind wir keinen Schritt weiter. Oder glaubst du, dass wir mit einer Geschichte von 7 vermissten Bauernbuben die eigentlich 6 Kühe sind, weil eine geschlachtet wurde, groß raus kommen? Die werden uns für verrückt halten. Das werden sie.“ Nach einer Weile räusperte sich Michael. „Wenn wir aber verrückt sind, dann kommen wir in ein Heim. Ich finde das bedeutend
bequemer, als das restliche Leben in der Nacht zu schuften und tagsüber Heu zu fressen, oder nicht? Du hast doch nicht vergessen, was der schwarze Mann gesagt hat? Es fehlen 2 Kühe.
Dann kann er eine mitnehmen, so dass wieder genau 7 Kühe verbleiben.“ „Ich weiß, ich weiß. Aber wenn wir tatsächlich in der Klapse landen, was geschieht dann mit den armen Bauernburschen? Mit Karel zum Beispiel? Er hat uns gerettet! Er hat uns nicht verraten. Vergiss das nicht.“ „Na, wenn sie keine 8 Kühe zusammen kriegt, dann ist sie selber fällig. Und zwar endgültig. Dann passt es doch wieder.“ „Und die Burschen bleiben dann für immer Kühe. Offensichtlich geht das nur mit der
Peitsche, irgendwie. Und an die kommen wir nicht ran. Diese Schranktür in der Vertäfelung ist verzaubert, wie du gesehen hast.“ „Auch wieder richtig“, bestätigte Michael. „Es hilft nichts. Heute Abend tricksen wir wieder mit diesem Tee. Und in der Nacht soll uns Karel mal erzählen, was los ist. Was hier überhaupt gespielt wird. Dann können wir weiter sehen.“
Es gelang ihnen wieder unbemerkt den Tee abzugießen. Gegenseitig hatten sie die Tante abgelenkt. Sie warteten in der Nacht. Michael hatte sich wieder bei Bianca eingefunden. Als sie den Burschen hörten, der da aufräumen musste, da lugten sie hinter ihrer Kammertüre
vor. Zum Glück war es wieder Karel. „Psst, komm rein!“ Karel setzte sich zu ihnen aufs Bett. Bianca tätschelte ihm auf die Schulter. Er zuckte zusammen. „Es tut weh“, sagte er nur. „Sie hat ihn wieder geschlagen“, schloss
Michael messerscharf.
Bianca sprach mitfühlend. „Karel, erklär mir doch was ist los. Was hat die Hexe für eine dämonische Kraft?“ „Sie hat den Teufel hinter sich, glaubt mir!“ Sie schwiegen eine Weile. „Sie hat uns überredet ein Dokument zu unterschreiben. Wir alle wollten den Hof übernehmen. So stand es jedenfalls drin. Wir
müssten nur freiwillig für immer uns für den Hof einsetzen. Das war ja eh klar, dachten wir uns. Bis sie dann mit dieser Peitsche kam und uns verwandelte. Seit dem müssen wir schuften, so wie es der Vertrag vorschreibt. Zum Wohl des Hofes. Wer flieht wird im Frühjahr vom Schlachter geholt. Wer aufmüpfig ist, dem droht irgendwann das gleiche Schicksal. Es gibt kein Entkommen. Jeder, der es versucht hat, ist tot. Und jede Kuh weniger wird dann durch einen neuen Burschen ersetzt. Aber Kinder hatten wir glaube ich noch nie. Ich bin erst letztes Jahr dazu gekommen. Sozusagen als Ergänzung. Und seit der Schlachter wieder einen von uns mitgenommen hat, sucht sie einen Neuen, damit wir wieder 7
sind.“ „Warum hast du uns nicht verraten“, fragte Michael neugierig. „Weil ich nicht will, dass ihr auch noch verzaubert werdet.“ Er sprang hoch. „Ihr dürft niemals etwas unterschreiben, hört ihr! Und unsere Milch solltet ihr auch nicht trinken. Es führt dazu, dass ihr alles vergesst, euch an nichts mehr erinnert.“ Er setzte sich wieder.
"Wir können zwar in der Nacht gut sehen, wenn wir als Burschen verwandelt sind, aber wir sind auch ungeheuer auf rohes Fleisch aus, leider. Wie die Wölfe."
Michael kicherte.
"Erst kräftige Burschen, dann ausgerechnet
Kühe? Warum nicht Stiere?"
"Ich weiß es nicht so genau", gab Karel ehrlich zu, "aber das hat sicherlich mit der Verwandlung zu tun."
Er sah Bianca an.
"Verzaubert wärest du wahrscheinlich dann ein Stier. Einen Stier hatten wir noch nicht."
Bianca erschrak, dann legte sie die Stirn in Falten.
„Wie kann man den Zauber brechen?“ „Gar nicht, soviel ich weiß“, seufzte Karel. „Lasst uns doch mal nachdenken“, sinnierte Bianca.
„In der Nacht werdet ihr zu Menschen zurück verwandelt, richtig? Und vor Morgengrauen verwandelt sie euch wieder zu Kühen, richtig? Und immer mit der Peitsche?“
„Richtig“, bestätigte Karel. „Bei Tage funktioniert die Sache nicht?“ „Ich glaube nicht“, überlegte Karel. „Genau, rief Michael. „Was ist, wenn Tante Ruth gar nicht mehr dazu kommt euch zurück zu verwandeln?
Dann bleibt ihr einfach in Menschengestalt.“ „Das ist es“, schlug Bianca ihre Faust in die Hand.
"Wir müssen nur verhindern, dass Tante Ruth euch wieder zu Kühen verwandeln kann. Zumindest bis es Tag ist.“
Die Tür ging auf und Tante Ruth stand wie ein schwarzer Dämon in der Tür. Die schwarze Peitsche in der Hand.
„Daraus wird aber nichts“, zische sie. „Ich habe jedes Wort gehört. Ich dachte mir schon, dass Karel ein Verräter ist.“ Dann fuhr ihre Hand wie ein Dolch hervor.
"Und ihr glaubt wirklich, ich bin zu blöde?
Den Tee weggießen.
Glaubt ihr, ich habe das nicht bemerkt. Das Einzige, was ihr erreicht habt ist, dass nun die Pflanze eingeht.“
Sie packte Karel am Kragen und schleifte ihn wie einen nassen Sack in den Gang. Dann verschloss und verriegelte sie die Tür. Dabei spuckte sie noch hinein. „Um euch kümmere ich mich später.“ „Schöne Scheiße“, entfuhr es Michael.
„Uns bleibt nur das kleine Fenster“, murmelte Bianca.
Sie rissen das Fenster auf. „1.Stock, müsste doch zu machen sein“, schaute Michael Bianca an. „Wenn einer springt und sich unten den Fuß bricht, ist alles verloren.“ „Wie ist es denn mit dem uralten Trick, mit dem Bettlaken?“ „Mal überlegen. Wenn wir fliehen wollen, dann müssen wir beide abhauen, sonst nimmt Tante Ruth den Einen gefangen und erpresst den anderen.“ Michael fiel ein. „Was wird sie wohl Karel antun? Meinst du, sie bringt ihn um, so wie den Lehrer?“ „Nein, glaube ich nicht. Dann hätte sie nur noch fünf Kühe und sie hätte ein Problem mehr am Hals. Viel wichtiger ist: was ist, wenn
uns die Flucht gelingt? Was können wir tun, wenn wir draußen sind? Weglaufen wäre blöd. Die im Dorf glauben uns sowieso nicht. Die haben keine Ahnung. Weißt du, was ich glaube?“ „Nee.“ „Die braucht die Peitsche für die Verwandlung. Genau! Warum nimmt sie die sonst aus dem verhexten Schrankfach raus. Wenn sie so hexen könnte, müsste sie ja nur zur Scheune rüber laufen und Schnippen, oder so was ähnliches.“ „Du hast recht, die schwarze Zauberpeitsche ist es.“ „Pass auf, sie rechnet nicht mit uns. Wir schleichen uns zur Scheune und versuchen die Peitsche zu bekommen.“
„Ziemlich riskant, was?“
Bianca zuckte nur mit den Schultern. „Fällt dir was Besseres ein?“ Sie probierten das Bettuch, ließen es aus dem Fenster hängen. Fehlt noch mindestens ein Meter. Da heißt es halt den Rest springen. „Und du meinst das hält?“ „Wir sind noch nicht so schwer, wie Erwachsene“, meinte Bianca.
„Mit dem einen Ende machen wir einen Knoten um den Bettfuß.“ Gesagt, getan. „Jetzt ist es aber wesentlich kürzer.“ „Wenn sich einer runter lässt, dann wird das Bett bis zum Fenster mitgezogen. Da gewinnen wir noch etwas Länge.“ Trotzdem,
es sind bestimmt noch 1,5 Meter, die fehlen.“
Sie schauten sich an, klatschten die Hände aneinander. „Wer zuerst?“ Bianca fackelte nicht lange. Sie zwängte sich durch den engen Fensterrahmen und hing an dem Bettlaken. Das Bett rutschte und Michael sprang gerade noch zur Seite. Bianca hatte sich mit übermenschlich Kräften festgekrallt, als es abwärts ging. Langsam ließ sie sich weiter hinunter gleiten. Das war anstrengend. Schließlich konnte sie sich nicht mehr halten und musste loslassen. Sie schlug auf und rollte sich geschickt ab. Ihr war nichts passiert.
Michael fragte mit dem OK Zeichen und sie
antwortete ebenso. Durch den Mond war genügend zu sehen. Nun ließ sich Michael hinab. Er konnte sich aber nicht lange halten und ließ viel zu früh los. Er fiel und krachte zu Boden. Er schrie kurz auf. Bianca eilte zu ihm. „Verdammter Mist“, wimmerte Michael. „Ich hab mir den Knöchel gebrochen.“ Sie schleifte ihn zur Hauswand, wobei Michael mithalf so gut es ging. „Du musst es allein hinkriegen, sonst ist alles aus“, presste er durch die Zähne. Bianca nickte nur. „Halt aus“, klopfte sie ihm auf die Schulter und Michael stöhnte noch: „Viel Glück!“
Bianca schlich zum Stall. Die Türe war
natürlich wieder zu. Sie ging um die Ecke und schaute nach dem losen Brett. Mist, es war repariert. Jemand musste ihr helfen. Die Burschen hatten doch alle verschiedene Arbeiten zu erledigen, überlegte sie. Einer müsste am Misthaufen arbeiten. Rasch war sie dort angekommen. Tatsächlich schaufelte ein Bursche fleißig. Sie trat vor ihn. Der Bursche erschreckte sich gewaltig. „Wer bist denn du?“ „Ich bin Bianca und möchte euch helfen.“
Der Bursche winkte ab. „Zwecklos!“ „Mann oh Mann“, schimpfte Bianca, „willst du denn nie wieder zu deiner Familie?“ „Welche Familie“, fragte der Bursche. „Wo
denn?“ Oh du mein Schreck, die Milch! Er hatte sie offensichtlich reichlich trinken müssen. „Wie heißt du denn?“
„Sie nennt mich immer Herbert.“ „Also Herbert, pass auf. Du gehst jetzt in die Scheune zurück und lässt gefälligst die Tür offen.“ „Wieso?“ Sie hatte es offensichtlich mit einem begriffsstutzigen Trottel zu tun. „Ich befehle dir, dass deine Arbeit jetzt fertig ist. Du gehst einfach in den Stall!“ „Jetzt?“ „Ja, Herbert, bitte!“ „Na gut.“ Herbert ließ die Schaufel fallen und trottete
zur Scheune. Bianca schlich hinterdrein. Herbert öffnete und ging zwei Schritte hinein. „Ich glaube, ich bin fertig.“ Ruth saß auf den Kisten und zu ihren Füßen lag Karel, der viele neue Striemen am Oberkörper hatte. „Jetzt schon?“
„Ja, ich denke“, flüsterte Herbert verlegen. „Dann hilf Hans hier im Stall. Dieser blöde Karel ist natürlich ein Ausfall", schimpfte sie und trat ihn mit den spitzen Stiefeln. Schnell wischte Bianca herein, als Tante Ruth mit Karel beschäftigt war. Sie fand hinter einem Strohballen Deckung. Herbert dackelte los. „Und mach gefälligst die Tür zu“, bellte Ruth ihn an. „Ja, Meisterin.“
Herbert ließ das Schloss einrasten. Allmählich kehrten auch die Anderen zurück, bis alle vor ihr standen. Sie stieß Karel zu seinen Gefährten. Dann ging sie vor den Burschen auf und ab. Die standen in einer Reihe, nur Karel war etwas gebeugt vor Schmerz. Aber dadurch konnte er Bianca sehen, die hinter dem Strohballen hervor lugte. „Ihr denkt wohl, ihr könnt mir auf der Nase herum tanzen“, brüllte Ruth. „Damit ist jetzt Schluss! Ich werde noch ganz andere Seiten aufziehen.“ Sie holte mit der Peitsche aus und ließ die Enden mit einem Knall über alle sechs Köpfe schlagen. Ein Blitz entstand und alle
krümmten sich vor Schmerz. Ihre Haare waren angesengt und sie hatten Brandwunden im Gesicht. „Lasst euch das eine Lehre sein“, rief sie und lachte. „Jetzt dürft ihr euch ausziehen. Dann wollen wir mal sehen, ob es nicht woanders noch mehr weh tut. Los schon!“ Erneut ließ sie die Peitsche knallen. Aber diesmal hatte sie die Enden nur auf den Boden gedroschen. Es entstand wieder ein Blitz und zwei Bohlenbretter waren angesengt.
Zögerlich zogen die Burschen die Hemden aus. Als Karel sich den einen Schuh ausziehen wollte, da verfing er sich irgendwie und hüpfte. Dann verlor er schließlich sein
Gleichgewicht und fiel um. Dabei traf er im Fallen die Beine von Ruth, so dass auch sie stürzte. Die Peitsche fiel ihr aus der Hand . Am Boden liegend riss sie sich von Karel los. Nur noch ein paar Zentimeter, dann hatte sie die Peitsche wieder. Sie wollte gerade zuschnappen, als Karel ihre Beine ergriffen hatte und sie fest hielt. Ihre Hand fuhr ins Leere. Bianca sprang hervor und schnappte sich blitzschnell die Peitsche. Dann raste sie zur Türe und rüttelte, bis sie sich endlich öffnete.
Ruth entwickelte übermenschliche Kräfte und hatte Karel einfach an die Wand geschleudert. Dann schrie sie.
„Dich mach ich fertig, du Drecksgöhre!“
Sie stürzte los. Bianca hatte endlich die Türe aufbekommen und lief um ihr Leben. Die Tante holte auf. Kaum zu glauben, dass sie in ihrem Alter noch so schnell war. Bianca wusste nicht wohin, so lief sie einfach ums Haus herum. Ruth brüllte und näherte sich immer mehr. Bianca kratze gerade die Kurve um die nächste Hausecke, als Ruth sie fast schon fassen konnte. Da fuhr von der Hauswand Michaels gesundes Bein heraus und Ruth schlug der Länge nach hin.
„Lauf, Bianca, lauf!”
Und Bianca lief. Bis sich die Tante wieder aufgerapptelt hatte, war ihr Vorsprung ordentlich angewachsen. Sich Michael vorzunehmen, dazu hatte Ruth jetzt keine
Zeit. Sie startete erneut los. Während sie Fahrt aufnahm, heulte sie. „Bleib stehen, Bianca, ich tu dir doch nichts! Bleib endlich stehen!“
Bianca strengte sich noch mehr an und kletterte den nächsten Hügel hinauf. Bergauf würde sich die Tante schwerer tun, dachte sie. Schließlich hatte sie den Gipfel erreicht und konnte nicht mehr weiter, denn auf der anderen Seite fiel eine senkrechte Wand ab, mindestens 100 Meter tief. Ruth hatte es nun nicht mehr so eilig. Die Beute war ihr gewiss.
„Jetzt habe ich dich“, schnaufte sie.
Langsam näherte sie sich dem Gipfel.
„Gib mir die Peitsche“, fauchte sie, „oder ich schmeiße dich runter.“ Bianca zögerte. Was sollte sie nur tun? Tante Ruth stand nun vor ihr. „Gib her!“
Langsam übergab sie die Peitsche. Tante Ruth riss die Peitsche an sich und holte gehörig aus. „Jetzt soll es dein Ende sein“, schrie sie, „beim Belzebub!“ Aber gerade in diesem Augenblick fingerte sich der erste Sonnenstrahl über den gegenüberliegenden Bergkamm und traf die Peitsche. Der ganze Arm der Tante leuchtete bläulich und die Peitsche zerfiel in einen Stock mit sieben welken Blättern.
Irrsinnig schrie Ruth auf. Sie stolperte schmerzverzerrt.
Bianca sprang schnell zur Seite. Ruth ruderte noch mit den Armen, dann fiel sie über die Kuppe lautlos in die Tiefe. Langsam kehrte Bianca zum Haus zurück. Sie setzte sich völlig geschafft neben Michael an die Hauswand. Er blickte sie nur an. „Sie ist tot. Der Spuk hat ein Ende.“
Um die Ecke tauchten die 6 Bauernburschen auf. Sie mussten blinzeln, weil sie so lange keine Sonne mehr gesehen hatten. Sie scharten sich um die beiden Helden und lachten vor Freude.
Karel nahm Bianca an die Hand und gab ihr
einen wunderbaren Kuss.
Ende gut, alles gut.
welpenweste Ja, natürlich, genau im Dezember 2014. Günter Trotzdem gefällt mir diese Geschichte selber. |
CHM3663 Wunderbar spannend und fesselnd und endlich mal eine ganz neue Idee in diesem Genre. Ich finde, das Buch paßt haargenau für die angegebene Altersgruppe, denn Kinder bzw. junge Erwachsene in diesem Alter zum Lesen zu bewegen und zu erreichen, daß sie auch bis zum Schluß dabei bleiben, schafft man nur mit einer Geschichte wie Deiner, die die richtige Mischung aus Spannung und Grusel bietet und die Fantasie anregt. Und Lesen ist so unglaublich wichtig! Ich verstehe die Aufregung nicht, denn da ist so manches Märchen für Jüngere grausamer. Dieses Buch unterhält sogar Erwachsende ganz toll! Dankeschön und LG, Chrissie |
Scheherazade Ich gratuliere dir ganz herzlich zum zweiten Platz! Dein Buch war auch bei mir ganz oben...trotz meiner "Meinung" (ich sah es nicht als Kritik) zur Umschreibung als Kinderbuch. Bei den Büchern heute wird schon zwischen Kinder- und Jugendbuch unterschieden und ich finde das auch wichtig. Als Mutter einer gerade mal 8-jährigen möchte ich nicht, dass mein Kind in Büchern Scheiße, nackte Burschen und Gewalt liest....GERADE WEIL es heute in TV und Medien üblich ist. Letztens sah ich vor 18 Uhr sogar Werbung für Sextoys im Nachmittagsprogramm.... ich finde, die Grenzen verschwimmen immer mehr....leider! Aber das ist, wie gesagt, nur meine Meinung zum Thema...die muss ja erlaubt sein...ich empfand es auch nciht als "Aufregung". ;-) Kritik war es keine, denn die hab ich zu deiner guten Geschichten nicht. :-) Liebe Grüße Schehera |
pepe50 Du hast nicht zu viel versprochen, wenn Du eingangs darauf hingewiesen hast, dass es ein spannendes Jugendbuch ist und wie ich finde, hast Du genau den Ton der heutigen Jugend getroffen. Ich habe die Kommentare dazu gelesen und ich kann die Aufregung nicht verstehen. Scheiße ist aber noch mit das harmloseste, was die Kinder heute in ihrem Sprachgebrauch haben und zu hören bekommen. Zudem, wenn es so etwas schlimmes wäre, dann würde es nicht im Duden stehen. - LG Fred |
welpenweste In eigener Sache: Um nun endgültig dieser leidigen Diskussion über das Alter für ein Kinderbuch ein Ende zu bereiten: Ich denke, dass jeder verantwortungsvolle Elternteil selber wissen müsste, ab wann einem Kind welches Buch, welcher Film, welche Werbung, welches Vorabendprogramm (ich erwähne nur "Unter Uns (17:50 Uhr)" und deren Dialoge) zugänglich gemacht werden soll. Bei Lausbubengeschichten (Ludwig Thoma) wurde im Film (Tante Frieda: ab 6 Jahren) schon 1965!! (wortwörtlich: So eine Scheiße!) entsprechende Dialoge verwendet. Soviel ich weiß, ist bei "des Kaisers neu Kleider" ein gesamter Hofstaat nackt und auch Kinder am FKK Strand sind noch nicht ungebührlichen Befindlichkeiten ausgesetzt. (zumindest juristisch nicht) Wenn man nun Sämtpfötchen, Schnupper-Näschen für Kleinkinder erwartete, muss man enttäuscht sein. Aber es gibt eben auch Kinder zwischen 10 und 14 Jahren. Ein Buch abzuliefern, das nur für Kleinkindilein geeignet sein soll, war nicht gefordert. Ich weiß auch nicht, ob man als z.B. 9 jähriges Mädchen unbedingt "in" ist, wenn man sich für Pippi Langstrumpf begeistert. Resümee: Man sollte doch die Kirche im Dorf lassen. (Es ist übrigens schwierig geeignete Bücher für die angesprochene Altersgruppe zu finden) Günter |
Scheherazade Lieber Günter, deine Geschichte an sich kommentiere ich im Battle, aber hier möchte ich schon mal drauf hinweisen, dass dein Buch absolut KEIN Kinderbuch ist und die Kategorie ziemlich verfehlt ist....Worte wie Scheiße, nackte Burschen, triefendes Blut, fressen, Brandwunden im Gesicht, gebrochene Knochen usw...das alles finde ich in keinem einzigen der vielen, vielen Kinderbücher, die meine Tochter besitzt. ;-) Ich würde es unter Kurzgeschichte setzen. Liebe Grüße Schehera |
welpenweste Hallo liebe Scheherazade, natürlich ist dies Buch nichts für Kleinkinder, auch nicht unbedingt ab 6 Jahre geeignet! Natürlich ist es fraglich, ob es richtig ist, die ersten Harry Potter Filme ab 6 Jahren freizugeben. (-Basilisk! - Ein Film hinterlässt noch weit tieferen Eindruck!) Weniger fraglich ist es, die Hexe in den Ofen, ins lodernde Feuer zu stopfen (Hänsel und Gretel), den Wolf aufzuschneiden, ihn dann mit Wackersteinen voll zu stopfen, damit er dann ersäuft.(7 Geißlein) Bei Grimms Märchen geht es auch nicht harmlos zu. Da erschlägt der große Klaus das Pferd. Der etwas neuere Drakula-Film "van Helsing" ist ab 12 Jahren freigegeben. Da steht man zum Teil knietief im Blut. Und wenn man bedenkt, wieviel Brutalität den Kindern wohl oder übel auf der Mattschweibe zugänglich ist, wird eine Abgrenzung schwierig. Juristisch ist man Kind bis 14 Jahren. Ich hätte eine Altersfreigabe von 12 gewählt. (hier nur wählbar - ohne - , oder ab 18) Im Übrigen, in diesem Alter (12) sehen sich die Kinder heutzutage noch mit ganz anderen Ausdrücken konfrontiert. Trotzdem, danke fürs Lesen. Günter |
Scheherazade 12 wäre dann ein Jugendbuch und angemessen. :-) Das Kinder mit anderen Ausdrücken konfrontiert werden, weiß ich natürlich...aber das muss man ja nicht in einem Kinderbuch noch fördern. In Jugendbüchern ist das schon okay, aber du hast deine Geschichte ja selbst als spannendes Kinderbuch bezeichnet. Märchen sind grausam...der Wolf wird aufgeschnitten, aber da steht nichts von Blut und Innereien zum Beispiel. Kleinen Kindern fehlt es dazu noch an Vorstellungskraft. |