Grundrenovierung
Schon erstaunlich, wie charmant er sein kann. Schmiegt seinen runden Bauch an die Theke und säuselt die Frau mit den Spülhänden an.
Auch meine Ohren freuen sich über liebe Worte. Das hat er in den vergangenen Jahren völlig vergessen.
Er sieht mich nicht einmal an!
Extra für heute, unsern Hochzeitstag(!), saß ich geschlagene dreieinhalb Stunden beim Friseur. Die Haare frisch gefärbt und knackig, na ja – sehr knackig – geschnitten. Als ob mir das Spaß machen
würde!
Als ob ich diese blöden Frauenzeitschriften lesen wollte!
Doch was tut Frau nicht alles für ein klein wenig Aufmerksamkeit. Doch er hat es nicht bemerkt. Er fragte mich nur, warum 102,73€ von unserem gemeinsamen Konto abgebucht wurden. Ich zuckte mit den Schultern und sagte ein einziges Wort: „Grundrenovierung.“ Renovierungskosten gehen vom gemeinsamen Konto ab. Das haben wir schon vor Jahren beschlossen. Kann ja nicht sein, dass nur einer von uns – also sicher ich! – die gesamten Tapeten und den Kram allein tragen muss.
Und so eine Typveränderung ist ja auch
nichts anderes!
Ist schließlich nicht mein Privatvergnügen, ewig in dem Fön und Haarsprayduft geschwängerten Mief herumzusitzen. Zum Glück will heutzutage niemand mehr eine Dauerwelle haben … !
Da kann er ruhig mitberappen.
O.k. – die kosmetische Behandlung war da schon angenehmer. Einfach herrlich, wenn man in warme Tücher gewickelt träumen kann, während die Gesichtsmaske einwirkt. Sogar eine kleine Kissenrolle schob mir die Frau mit den weichen Händen, unter die Füße, damit meine Fersen keinen Druck verspüren und ich richtig entspannen
kann. Dann eine herrliche Gesichts und Dekolletee Massage und noch ein bisschen was gegen die listigen Fältchen. Ein paar Härchen dauerhaft entfernt und natürlich auch die Hände aufgefrischt. Bei der Aktion habe ich mir direkt die Nägel machen lassen. Ein völlig neuartiges Verfahren – ganz natürlich!
Ach, das könnte mir alle vier Wochen so gehen …
Die 260,- € waren es wert.
Werner suchte die ganze Wohnung nach den Farbeimern ab, als ich ihm auch hier sagte, es seinen Renovierungskosten.
Dieser Mann versteht einfach nichts!
Und nun sitze ich hier in meinem neuen
und sündhaft gut geschnittenen Prada-Kostüm – allein! – an meinem Hochzeitstag! – und der steht an der Theke und schmachtet dieses junge Ding an!
Hübsches Fräulein
„Geben Sie mir einen Klaren. Ich brauche sofort einen Klaren.“
„Sofort, sofort. So schnell schießen die Preußen hier nicht!“
„Ist ja gut. Aber bitte möglichst bald.“
„Darf ich mir noch die Finger abtrocknen?“
„Aber natürlich, hübsches Fräulein.“
„Nenn mich gefälligst nicht hübsches Fräulein! Kommst hier reingestapft und willst dass sich sofort alles um dich dreht. Mit mir nicht, mein Lieber. Hier hast du deinen Klaren.“
Mit elegantem Schwung schenkt sie mir meinen Beruhigungstrunk in das kristallene Pinnchen ein. Ich sehe sie mir genauer an. Ein hübsches Ding. Warum darf ich nicht hübsches Fräulein sagen?
„Deine Frau hat bereits platzgenommen. Was bist du denn für einer? Lässt sie allein da sitzen und stehst hier an der Bar?“
„Am besten noch einen“, ich halte dem hübschen Fräulein das leere Glas hin.
„Und deine Frau?“
Ich beuge mich vertraulich zu dem hübschen Fräulein hinüber:
„Vielleicht ist sie nicht meine Frau.“
„Was?“
„Vielleicht ist sie nicht meine Frau sagte ich!“
Freiwillig gießt hübsches Fräulein mir nach.
„Ihr seid doch gemeinsam reingekommen. Sowas sehe ich doch! Natürlich gehört sie zu dir. Nun geh schon hin!“
„Passen Sie auf, hübsches Fräulein. Als ich eben nachhause kam, stand plötzlich diese Fremde vor mir. Ich wollte mit meiner lieben Lotte fein ausgehen.
Stimmt! Wir haben eigentlich heute unseren Hochzeitstag! Ja, wie gesagt. Ich komme heim und da steht diese Frau vor mir! Es kommt mir vor, als sei es
ihre Zwillingsschwester!“
„Sie hat eine Zwillingsschwester?“
„Bisher wusste ich nichts davon! Was soll ich denn tun? Vielleicht wurde meine Lotte sogar entführt!“
„Du glaubst doch wohl selbst nicht an dieses Ammenmärchen!“
Abschätzend mustert hübsches Fräulein mich. Ich halte ihr mein Glas hin. Sie füllt nach. Aber nicht, ohne die Augen zu verdrehen.
„Deine Frau sieht zu uns rüber. Und ehrlich gesagt, sie sieht dabei nicht sehr glücklich aus“, sagt hübsches Fräulein mit leicht drohendem Unterton.
Ich kippe den Korn und lasse das Glas auf die Theke knallen.
„Sollte sie meine Frau sein, erwartet sie bestimmt jemand anderen.“
„Wäre wohl das Beste, was sie tun könnte. Einen wie dich will ich nicht geschenkt.“
„Warum das?“
„Das fragst du? Lässt sie da allein sitzen und betrinkst dich ganz im Stillen. Meinst du, ich bekomme nicht mit, dass du dich genau so drehst, dass sie es nicht sehen kann? Aber glaub mir eins, mein Lieber, Frauen bekommen das trotzdem mit!“
Erschrocken sehe ich hübsches Fräulein an und trockne mir mit dem Handrücken den Mund.
„Sicher will sie fremdgehen. Gleich
kommt George Clooney herein und setzt sich zu ihr an den Tisch. Soll ich wie ein Depp daneben sitzen?“
„Du benimmst dich wie ein Voll-Depp! Geh zu ihr und sag ihr etwas Nettes! Frauen hören es gern, dass sie gut aussehen. Und mal im Ernst! Sie sieht ja wohl umwerfend aus!“
„Ja, das stimmt. Aber sie ist nicht die Lotte, die ich immer so lieb hatte.“
Hübsches Fräulein stöhnt ganz leise auf.
„Na gut!“, sage ich und stoße mich von der Theke ab. Merke, wie der Boden leicht unter meinen Füßen schwankt. Jetzt bloß nichts anmerken lassen! Sonst wird sie stocksauer!
Möglichst elegant ziehe ich den Stuhl
zurück und setze mich dieser Frau, die sich für meine Lotte ausgibt, direkt gegenüber.
Ich versuche ihr in die Augen zu sehen.
„Da bin ich, Lotte. Du siehst heute wirklich - - - nett aus.“
Im ersten Augenblick denke ich, ich hätte alles richtig gemacht.
Im zweiten Augenblick ahne ich …
Im dritten Augenblick sprühen ihre Augen Feuer. Aber nicht im Sinne eines festlichen Feuerwerks. Sie haben eher etwas bedrohliches, wie von einem Waldbrand!
Abrupt steht sie auf und verlässt wortlos das Lokal.
Ich weiß nicht, aber irgendwas habe ich
falsch gemacht.
Ich drehe mich zu der Barfrau: „Hübsches Fräulein! Haben Sie noch einen Klaren für mich?“