Barbara hatte schon immer Gestrickt, Gehäkelt und Geklöppelt. Ja alles was mit Nadel und vor allem Faden zu tun hatte, hatte Barbara geliebt. Ob als Kind in der Schule, im Winter am warmen Ofen oder später als Gros- und Urgrosmutter hat sie sich immer Zeit genommen für ein Paar Socken, Handschuhe oder einen Pullover. Viel Zeit blieb neben der täglichen Arbeit nicht übrig, aber dieses eine Handwerk sponn sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Für Barbara gab es nichts schöneres, ja nichts erfüllenderes, als am Abend vor dem Kamin zu sitzen, das Stickzeug in der Hand, das klappern der Holznadeln im Ohr und dem Geruch der Pfeife ihres Ehegattens, der
neben ihr sass, in der Nase. Hätte sie sich für eine einsame Insel zwischen dem Nähkorb und ihrem Lebensgefährten entscheiden müssen, hätte die Ehe wohl den kürzeren gezogen. Doch Gott sei Dank war nie die Rede von einer einsamen Insel gewesen. Eines Tages, in den besten Jahren ihres Lebens, brach sich Barbara das Bein. Der Bruch war recht kompliziert und die Ärzte waren sich lange nicht sicher, ob und wie das Bein wieder genesen würde. Es waren lange und mühevolle Tage im Krankenhaus. Barbara durfte sich kaum Bewegen, bloss zum Essen leicht aufrichten, ansonsten war sie im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett
gefesselt. Nach wenigen Tagen fingen ihre Finger an zu zucken, ähnlich einer Enzugserscheinung. Ihre Gedanken fingen an zu kreisen, ja zeitweise wusste sie kaum noch, wo oben und unten war. Da sie weder Faden noch Strickzeug zur Hand hatte um sich zu beruhigen, stellte sie sich Strickmuster vor, die sie bereits gestrickt hatte. Vieles davon wurde mündlich meist von Müttern und Tanten weiter gegeben, nur wenig wurde auf Papier gedruckt. So liess Barbara weiter Mützen, Schals und Pulswärmer vor ihrem geistigen Auge entstehen. Bei einer der unzähligen Arztvisiten, jammerte der Chefarzt übers schlechte Wetter, den unzähmbaren Wind, der durch
Mark und Bein zu fegen schien, so das seine Ohren erfrieren könnten! In den Tagen darauf kreisten Barbara's Gedanken um das Stricken von Wollmützen. Unzählige davon hatte sie schon fertig gestellt: leichte, warme, Kindermützen und grosse, einfarbige und Regenbogenbunte, mit Muster, mit Zottel, bis zu solchen mit einem Loch, auch Stirnbänder genannt. Doch der Gedanke liess sie nicht mehr los. Wie mit einer Masche begonnen werden konnte, im Kreis, rings herum bis runter zum Rand oder gerade anders herum vom Ring zum Schlauch und immer enger bis zum krönenden Zottel. Plötzlich schienen sich ihre Gedanken zu überschlagen: eine Masche links, eine
Rechts, dann drei Stück gehäkelt und wieder fünf gestrickt, eine Farbe nach der anderen eingesetzt, rechtsum kehrt und nochmal eine Luftmasche angeschlagen. In dem ganzen Gewirr aus Nadeln, Faden und Farben erahnte sie langsam ein Bild, eine Vision einer einzigartigen Mütze, die so komplex gestrickt und so bunt mit Farben und mit solch gezielt vernähten Fadenenden, dass sie aus einem Stück zu bestehen schien. Der Tag kam näher, dass die Knochensplitter in Barbaras Bein sich soweit stabil an ihrem Platz befanden, dass sie sich wieder aufsetzen und ihre Arme und Hände gebrauchen konnte. Es war kaum möglich, die ganzen Garne und Wollen zu finden, die Barbara für ihre
exklusive Mütze brauchte. Alle waren froh, dass es ihr besser ging, ihr Gemütszustand hatte bereits den ersten Psychologen auf den Plan gerufen. Also bekam Barbara alles was sie wollte. Schon bald stapelten sich Wollknäuel, Strick- und Häckelnadeln in allen Formen und Farben auf dem Krankenbett, dem Nachttisch und auf der Fensterbank rings herum. Sieben Tage strickte Barbara unverdrossen an ihrer Mütze. Normalerweise war eine Mütze in dieser grösse in knapp zwei Stunden fertig, doch diese Mütze war eine ganz besondere. Als die letzte Masche durch gezogen und der letzte Faden vernäht war, war Barbara ganz
alleine in Ihrem Krankenzimmer. Gebannt und leicht erschöpft legte sie sich die Mütze auf den Schoss, strich sie mit beiden Händen glatt und lies den Anblick auf sich wirken. Genau so hatte sie es sich vorgestellt. Feine Linien mit kräftigen Farben überzogen die Mütze, von oben bis unten, gingen mit mehreren Farbwechseln ineinander über, bildeten hier die Umrisse einer Rose, da die Konturen eines Baumes, aber nicht so deutlich, dass sich daraus ein klares Bild ergeben könnte. Vielmehr liess die Fantasie ein Muster, eine Regelmässigkeit in den Fadenläufen erkennen, oder in diesen selber ein Bild entstehen. Mit zittrigen Händen faltete Barbar die Mütze neu, drehte und wendete sie und fand keinen einzigen Makel,
keine Laufmasche, nichts. So hatte sie es sich vorgestellt. Als erstes begutachtete ihr Mann das gute Stück. Er war kaum im Stande, was er sah mit Worten zu beschreiben, geschweige denn zu beurteilen. Andere Familienangehörige kamen dazu, waren gebannt von dem Anblick und gratulierten Barbara für die Leistung. Krankenschwestern und Ärzte kamen dazu und bald war der erste Käufer gefunden. Ein zweiter bot das doppelte, ein dritter das vierfache und ein fünfter gar das zehnfache, obwohl im die Mütze überhaupt nicht passte. Jeder durfte sie tragen, doch keiner durfte sie behalten. Schliesslich trafen die ersten Experten ein.
Strickexperten und -expertinnen, Designer berühmter Modemarken und Fertigungsleiter grosser Webereifirmen. Jeder nahm sich das gute Stück unter die Lupe, versuchen die Farbverläufe und Fadenläufe zu analysieren, doch selbst den besten Wissenschaftler namhafter Universitäten gelang es nicht, ein Strickmuster ähnlich Barbaras Mütze auf Papier zu bringen. Schliesslich nahm ein berühmter Politiker sich der Sache an, liess die Farben, Formen und Strickvorlagen patentieren und übergab die Mütze einem weltbekannten Modemuseum. Barbara war froh, dem Jubel und Trubel fern zu bleiben. Ihr Bein war längst wieder Gesund und sie konnte ihren normalen
Tätigkeiten nach gehen. Doch jedes Mal, wenn sie wieder ein Strickzeug in der Hand hielt und gedankenverloren Masche für Masche auf- und abfädelte, musste sie an ihre perfekte Mütze denken. Deren Strickmuster war ihr noch glasklar im Kopf, doch eine zweite zu stricken erschien ihr überflüssig. Nicht selten huschte ihr dabei ein Lächeln übers Gesicht und war mit sich zufrieden.