Wei(n)hnachten
Ein befreundete Ehepaar trifft sich am zweiten Weihnachtstag, wie verabredet, um 20 Uhr im Speiserestaurant zum Hirsch. Ein sehr beliebtes Restaurant, weil es etwas abseits der Stadt gelegen ist und man sich in aller Ruhe unterhalten kann - ganz abgesehen von dem vorzüglichen Essen.
Vom Erscheinungsbild her hätten die beiden Paare nicht unterschiedlicher
sein können. Das eine Paar wirkte fröhlich und gelöst, während das andere Paar eher mürrisch und mies gelaunt erschien.
Nachdem sie Platz genommen hatten, eröffnete Peter das Gespräch mit dem Seufzer: "Was bin ich froh, das die Tage endlich vorbei sind!"
Sein Gegenüber schaute ihn etwas verständnislos an und antwortete: "Aber wieso das denn, von mir aus könnten es noch ein paar Tage mehr sein", dabei lächelte er seine Frau fröhlich an.
"Jetzt hör aber auf! Das ganze Theater fing am 1. Advent an, wir waren auf einem Weihnachtsmarkt, ich sage euch, nie wieder! Wenn nur die Kinder nicht wären."
"Waren wir auch", fiel Britta ein, "und hatten zu unseren zweien noch die drei meiner Schwester mit. Ihre Schwiegermutter hat sich das Bein gebrochen und trägt einen Liegegips. Wir haben ihr gleich gesagt, dass sie sich in Ruhe um sich kümmern kann, wir sorgen schon für die Kinder." Hans, ihr Mann ergänzend: "Es war so
stimmungsgeladen, dass wir noch eine Bastelrunde an hängten und Weihnachtslieder sangen.
Unsere Größeren waren total begeistert mit den Kleinen."
Dazu fiel Nina auch etwas ein. "Nu hör aber auf, Britta! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das eine Freude war. Wir haben mit den Bälgern versucht, uns die Stände auf dem Weihnachtsmarkt anzusehen, doch jedes rannte in eine andere Richtung. Keines hat gemacht, was wir sagten. Es war stressig und vom
eigentlichen Weihnachtsmarkt haben wir so gut wie nix gesehen. Fest der Liebe! Dass ich nicht lache!"
Sie machte dazu ein mürrisches Gesicht und fuhr dann fort:
"Und diese Gerüche...! Man wird von ihnen förmlich erschlagen. Diese Mischung aus Bratenfettgeruch, Pommes Frittes, gebrannten Mandeln, kandierten Äpfeln und tausend anderen kulinarischen Weihnachtsgerüchen inklusive Glühweinduft mit und ohne Schuss macht einen ganz kirre. Und wenn
dann noch aus jedem zweiten Stand das gleiche Weihnachtslied dudelt..." "Nun mach mal halblang", meinte Britta. "So schlimm ist das doch gar nicht. Man wird doch wunderbar entschädigt durch die herrlich geschmückten Stände. Die Augen der Kinder haben mit den funkelnden Lichter um die Wette geleuchtet und sie waren hin und weg von dem Glasbläser, der seine Kunst vorstellte. Wir hätten sie dort gar nicht mehr wegbekommen, wenn wir ihnen nicht eine große Portion Pommes Frittes
vesprochen hätten und", fügte sie augenzwinkernd hinzu, "für uns war, während die Kinder aßen, die Gelegenheit günstig, in Ruhe einen Glühwein zu trinken."
"Glasbläser?", wiederholte Peter ungläubig.
"Da wo wir waren, gab es weit und breit keine Glasbläser. Bei uns auf dem Marktplatz gab es nur jede Menge Hütten und alle sahen gleich aus. Von weitem hatte man den Eindruck, als ob alle den gleichen Ramsch anbieten.
Gegen Pommes und Backfisch gibt es ja nichts zu sagen, aber deshalb muss ich mich doch nicht in das Gedränge und Gewühle stürzen und mich von den Plagen traktieren lassen, am besten eine ganze Bude zu kaufen."
"Und Taschendiebe gab es auch. Einen haben sie sogar erwischt, weil der in der Menge nicht abhauen konnte", warf seine Frau ein.
"Meine Güte! Auf deine Handtasche musst du doch immer acht geben, egal, ob Weihnachtsmarkt oder
Straßenbahn", meinte Britta.
„ Es waren ja auch nicht nur die Glasbläser, die dargestellten Märchen mit wunderschönen Figuren haben die Kids genauso fasziniert. Es gibt immer und überall etwas Besonderes, man muss es nur sehen wollen." "Sehen wollen ist gut, können muss man erst einmal", sagte Nina.
"Als wir endlich die Kinder einigermaßen im Griff hatten und ich mir die Stände in Ruhe ansehen wollte, war das fast gar nicht möglich.
Wir waren mittendrin in einer schiebenden und schubsenden Menschenmasse, die sich nur in eine Richtung fortbewegte.
Ein Ausbruch nach links und rechts ging gar nicht und auf die Idee, mal wieder einen Stand zurückzugehen, brauchte man überhaupt nicht zu kommen. Wir hatten auf jeden Fall ganz schnell die Nase voll von diesem rücksichtslosen Volk und haben zugesehen, dass wir ganz schnell wieder da raus kommen."
"Also Peter, weißt du, es ist doch jedes
Jahr dasselbe, wie du ja schon selber sagtest. Warum geht ihr denn immer auf den Marktplatz, wo sie doch von rundherum alle hin rennen...?
Ja, ihr wärt besser mit uns gekommen", wurde Hans von seiner Frau unterbrochen.
"Wir waren nämlich auf dem Weihnachts-Handwerkermarkt..."
"So, wo war der denn?", fragte Nina. "In der Burgruine, die kennt ihr doch, oder? Stand doch groß im Lokalanzeiger, dass das dieses Jahr zum ersten Mal stattfinden sollte",
antwortete Hans.
"Aber scheinbar haben das viele nicht gelesen... Wir waren zwar nicht alleine, aber zumindest trat man sich nicht auf die Füße."
Sie wurden unterbrochen, weil der Kellner mit der Speisekarte kam. Das war für Peter ein willkommener Anlass zum Themenwechsel.
"Ich habe vielleicht einen Bärenhunger. Hoffentlich haben sie richtig großes Eisbein auf der Karte", äußerte er sich.
Seine Frau blickte erschrocken auf und raunte ihm vorwurfsvoll zu: "Das hört sich ja an, als wenn du die ganze Vorweihnachtszeit bei mir nicht satt geworden wärst."
Prompt meldete sich Britta zu Wort: "Bei euch gab es wohl nichts Richtiges die vergangenen Tage?" "Nee, weißt du, Britta, der ganze Stress vor Weihnachten frisst mich innerlich auf. Da kommt dann selbst das Kochen zu kurz."
"Wieso Stress?", hakte Britta nach. Und auch Hans schaute bei dem
Thema interessiert auf Nina.
Peter dagegen studierte weiterhin seine Speisekarte, immer noch auf der Suche nach dem Eisbein.
Beim Lesen der Speiseangebote beschwerte er sich über die Kinder. Mehr für sich als für die anderen: "Immer, wenn die Kinder aus der Schule kamen, hatten sie andere Wünsche, was sie gerne zu Weihnachten hätten..."
"Hack doch nicht immer auf den Kindern rum", sagte seine Frau, die Kinder in Schutz nehmend. "Warum
lässt du ihnen denn nicht die Vorfreude? Du scheinst zu vergessen, dass du auch mal ein Kind warst."
"Also da gab es bei uns keine Probleme", mischte sich Hans ein. "Natürlich hatten unsere Kinder auch die tollsten Wünsche, aber wir sind nicht darauf eingegangen. Und dann haben sie sich selbst darüber unterhalten, als sie merkten, dass wir nicht darauf eingingen."
"War wirklich wundervoll, wie sie der
Schwester Kinder miteinbezogen, so erfuhren wir zum ersten Mal direkt, wovon diese träumten", setzte er noch hinzu.
"Ja!", fiel Britta ein, "es war so herrlich, dass wir beschlossen, täglich etwas miteinander zu basteln. Obwohl wir so nahe aneinander wohnen, haben wir festgestellt, dass wir sie neu kennenlernten. Dieses Weihnachten ist unsere Familie wieder ein Stück zusammengewachsen!", strahlte sie.
Bei Brittas Worten blickte Peter endlich von der Speisekarte auf. "Ach, hör mir bloß auf mit Familie. Meine Schwester lässt das ganze Jahr über nichts von sich hören. Es reicht noch nicht einmal für einen einfachen Anruf. Aber jetzt zu Weihnachten, da tauchte sie plötzlich auf. Gleich am 2. Advent rauschte sie zwar ohne ihren dämlichen Mann, dafür aber mit ihren beiden missratenen Kindern an, und ratet mal, bei wem sie sich mit ihrer Brut eingenistet hat?"
"Na, ich schätze mal, bei euch",
erwiderte Britta, die diese ganze Meckerei über missratene Sprösslinge eher belustigend aufnahm.
Doch Peter maulte schon wieder, weil er sein komisches Eisbein nicht fand. "Man so ein teurer Laden und nicht mal Eisbein. Nur so komische Namen, die keiner aussprechen kann. Das ätzt total."
"Du tust ja gerade so, als ob wir zum ersten Mal hier wären", schmunzelte Hans. "Mittlerweile solltest du mitbekommen haben, dass es hier
überwiegend Wildspezialitäten gibt." "Hab ich auch schon mitbekommen, aber kein Grund, nicht auch Eisbein zu haben", maulte Peter weiter und winkte den Ober zu sich heran. "Hören Sie mal, soll das heißen, dass Sie kein Eisbein haben, nur weil es nicht in der Karte steht?"
"Ja, mein Herr..."
"Wenn du unbedingt Eisbein haben willst, dann setze dich doch eine halbe Stunde vor die Tür", unterbrach Nina schnippisch.
Britta und Hans warfen sich wissende
Blicke zu und Hans meinte: "Schatz, was hältst du davon, Spezial für Zwei zu nehmen?" und teilte nach ihrem zustimmendem Nicken, seine Bestellung dem Kellner mit.
Dieser zu Peter und Nina: "Wofür habe Sie sich entschieden? Das Spezial für Zwei, ist wirklich sehr zu empfehlen!"
Der fast explodierende Peter wandte sich von seiner Frau zum Kellner: Spezial für Zwei?, klingt gut. Nehmen wir!", bestimmte er.
Britta versuchte, die Stimmung
aufzuheitern und berichtete von dem Krippenspiel, welches die Kinder in der Schule aufführten.
"Und ihr glaubt es nicht, was es mir für einen Spaß gemacht hat, die Kostüme zu nähen. Ich habe jetzt noch ganz zerstochene Finger von dem groben Sackleinen", dabei betrachtete sie ihre Finger, um zu sehen, ob sie davon noch etwas zeigen konnte.
Das war natürlich wieder etwas für Peter. "Wenn du mir jetzt noch die Stelle sagst, die so spaßig war...
Zerstochene Finger können das doch nicht sein, oder?"
Die spinnt doch völlig, dachte sich Peter. Wie kann man auch noch froh sein, für die kleinen Biester Kostüme zu nähen. Das dauert doch ne Ewigkeit und nach einer halben Stunde ist dieses alberne Krippenspiel vorbei. Sowieso alles Mumpitz, dieser Weihnachtskram. Alles für die Katz! Nur blöder Kommerz. Und mit dem Blödsinn ziehen sie den Leuten das Geld aus der Tasche!
Wie gut, dass Britta nicht Peters Gedanken lesen konnte, denn sie lachte nur über seinen Einwurf. "Nein, das ist natürlich nicht so spaßig", lachte sie, "es war einfach nur schön, wie die Kinder so voller Elan für die Aufführung übten und mit wie viel Freude sie dabei waren. Und die Schäfchen, die waren so was von niedlich.
Das waren die Kleinsten unter den Kindern, und ihr hättet mal sehen sollen, mit wie viel Inbrunst sie gemääht haben."
"Mein Ding wäre das nicht", meinte Nina. "Aber nun gut, jedem das Seine."
Hans nickte dazu, aber Peter gab gar keine Regung von sich. Er dachte sich immer noch im Stillen seinen Teil dazu.
Nur gut, dass das Essen endlich serviert wurde. Der Kellner hatte wirklich nicht zu viel versprochen, es schmeckte ausgezeichnet.
Nina lehnte sich kurz zurück. "Puh, ich brauche eine kleine Pause. Das war wirklich zu lecker. Wenn ich
dagegen an die Ente denke, die meine Schwiegermutter Weihnachten aufgetischt hat... das war wirklich widerlich. Und dann steht die noch zehn Stunden dafür in der Küche herum, also die Zeit hätte sie sich echt sparen können.
Auch immer diese blöden Kommentare beim Kochen: 'Kind, das musst du so machen', dann wieder 'Kind, nicht zu lange drin lassen' und so weiter."
Nina schnaufte. "Nee also mit der Familie hat man echt sein Kreuz zu
tragen."
Das mit dem Kreuz veranlasste aber nur Britta, mit der Jesusnummer loszulegen. Aber sie überlegte es sich doch anders, vielleicht passte das doch nicht ganz zu der etwas misslichen Laune ihrer Freunde.
Sie sah die beiden an und meinte: "Ihr wisst ja, dass wir keine großen Kirchgänger sind, aber das Weihnachtsoratorium von Bach, das lassen wir uns nie entgehen, nicht wahr, Hans?"
Dieser nickte zustimmend.
"Und was ist das Besondere daran?", fragte Peter etwas gelangweilt.
"Das kann man nicht erklären. Diese Atmosphäre, die Akustik in der Kirche, es ist einfach wundervoll! Am besten, ihr kommt nächstes Jahr mal mit." "Lieber nicht", winkte Peter ab. "Die Kirchen sind doch nie geheizt. Da ist mir dann aber Eisbein auf dem Teller wesentlich lieber."
Doch Britta ließ nicht locker. "Hast du denn keine dicken Socken, die du anziehen könntest?"
"Nee-nee, lass mal! Wenn ihr keinen besseren Vorschlag für uns habt..." Das wäre ja noch schöner, den Bach höre ich sowieso nicht gerne, dachte sich Peter. "Und dicke Socken hab ich genug. Die krieg ich jedes Jahr zu Weihnachten in Massen. Immer diese Verlegenheitsgeschenke", grummelte Peter weiter. "Socken, Gürtel, Krawatten, Unterhosen... ich weiß gar nicht, warum wir uns den Schwachsinn mit der Schenkerei überhaupt noch antun. Fantasieloser und liebloser geht es schon gar nicht
mehr."
"Und ihr glaubt ja gar nicht, was es dieses Jahr für einen Zirkus mit dem Weihnachtsbaum gab", sagte Peter noch nachträglich verständnislos mit dem Kopf schüttelnd.
"Ja, stellt euch vor, da kommt der doch mit einem Baum an, der mit Weihnachtsbaum aber überhaupt nichts zu tun hatte. Zwei Spitzen hatte er, krumm und schief war er und so lange Nadeln", dabei spreizte Nina Daumen und Zeigefinger so weit sie konnte.
"Ja, DU hast doch gesagt, ich soll einen Baum besorgen. ICH wollte gar keinen. Ein paar Tannenzweige in der Vase hätten allemal gereicht. Weißt du was, Nina, nächstes Jahr kannst du den Baum kaufen, ich will damit nichts mehr zu tun haben.
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was die für ein Theater gemacht hat, als ich mit dem Tännchen nach Hause kam", wandte sich Peter an Hans und Britta.
Britta schaute Hans an und dann sprachen sie beide wie aus einem
Munde. "Dann kauft doch den Baum zusammen. Dann kann so was nicht passieren."
Doch Nina zickte weiter an ihm rum. "Na hört mal, das wäre doch blöd. Immerhin muss der Mann den Baum besorgen, das ist nun mal so. Wenn der noch nicht mal weiß, wie ein Weihnachtsbaum aussieht, dann weiß ich auch nicht."
Peter zog einen beleidigten Flunsch und brabbelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin.
"Was dich am meisten geärgert hat,
war doch, als ihr singen wolltet: Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum ... und ich euch sagte: Das ist aber kein Tannenbaum, ihr müsst jetzt singen 'Oh Kiefernbaum'..." warf Peter schadenfroh ein.
"Ja, und die Kinder haben sich nur lustig gemacht über dich und den Baum, genau so wie unsere Eltern heute morgen."
"Hättest du nicht als erstes darauf hingewiesen.. 'seht euch doch nur mal den Baum an, ist der nicht scheußlich?' Niemand hätte davon
Notiz genommen, ganz im Gegenteil! Mein Vater fand ihn sehr ausgefallen und schön dekoriert."
"Dein Vater", spottete Nina, "hat sowieso keinen Geschmack. Wer trägt denn schon eine Krawatte mit kleinen Weihnachtsmännern darauf? Das müsst ihr euch mal vorstellen", wandte sie sich an Hans und Britta, "viele kleine kitschige Weihnachtsmänner und Peters Mutter ist noch schlimmer. Als die das Elchgeweih aus Plüsch aus ihrer Tasche holte, sich aufsetzte und dabei
"Rudolph, the red nosed Rendeer" sang, dachte ich mich laust der Affe.
Meine Mutter hätte auch fast der Schlag getroffen."
Britta räusperte sich. Bevor es zum Streit zwischen den beiden käme, versuchte sie, die Situation zu entschärfen und sagte deshalb: "Das sind sicher nicht die einzigen, die sich von dem Kitsch anstecken lassen. Sie denken sich nichts dabei, wenn sie bei uns auf den Weihnachtsmärkten nicht genug davon bekommen, dann bekommen sie den Rest übers
Fernsehen von den Amis."
Auch Hans mischte sich ein und meinte: "Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer mit dem Kitsch, ganze Straßenzüge und Häuser sind dermaßen überbeleuchtet, dass es schon in den Augen weh tut... auch von den Amis abgeschaut."
Aber Nina wollte sich nicht beruhigen und zog nun noch über die Geschenke her, die Peters Eltern für die Kinder gekauft hatten.
"Oh ja, jedes Jahr derselbe Mist", meldete sich Peter und auch seine
Frau zickte wieder.
"Hier mein Sohn, dein Weihnachtsgeschenk. Und was war es? Keine Kamera oder was anderes Nützliches, nee ein Buch! Peter bekam von seinem Vater ein Buch geschenkt. OPTIMISMUS IM LEBEN! urrrrrrrrrrrr...."
"Die Krönung war aber in diesem Jahr das Geschenk für unsere Lisa: Du bist ja jetzt schon eine junge Dame und da wird es langsam Zeit, dass du dich auch hübsch machen kannst" und genau mit den Worten drückte meine
Schwiegermutter ihr ein Schminkköfferchen in die Hand mit allem Schnick und Schnack. Spinnt die denn total? Was soll denn eine Fünfjährige damit? Es fühlt sich so an", meinte Peter weiter, "als würde für uns ein Fluch auf dem Weihnachtsfest liegen.
Falsch gemeinte Geschenke, Missverständnisse, überall wird Zusammenhalt und Vertrautheit geheuchelt. Ich hasse dieses Fest!"
Doch jetzt meldete sich Hans. "Hört
mal, lasst uns doch beim nächsten Mal wegfahren. Das wäre doch ne Idee. Wer sagt denn, dass man Weihnachten zu Hause feiern muss? Hmmm, was denkt ihr. Wir hauen nächstes Jahr alle vier ab, und lassen es uns gut gehen. Dann brechen wir den Weihnachtsfluch!"
Alle sahen sich jetzt überrascht an. Doch dann schüttelte Britta den Kopf. "Das halte ich für keine gute Idee", meinte sie, "wir haben vollkommen unterschiedliche Ansichten über das Weihnachtsfest, ich denke, dass es
nicht gut gehen würde. Außerdem haben unsere Kinder gewisse Erwartungen und hängen an den liebgewordenen Traditionen."
Sie sah Peter und Nina ernst an. "Es wäre besser, ihr klärt im Vorfeld erst einmal untereinander, welche Erwartungen ihr habt. Da scheint ihr euch ja zum Teil recht uneinig zu sein."
Nina sah Peter etwas schräg von der Seite an und meinte: "Ich habe eigentlich nichts gegen Weihnachten, aber Peter ist es, der keine Stimmung
aufkommen lässt, ich glaube, das hat sich schon auf die Kinder übertragen.
Der Kellner kam um den Tisch abzuräumen. "Hat's Ihnen geschmeckt?", fragte er erwartungsvoll.
Verhalten rülpste Peter in die Faust: "Das beste, was mir zu Weihnachten passieren konnte", quetschte er dazwischen, während sich die anderen artig bedankten.
Dezent klang ein Kinderchor aus den Lautsprechern: "Ihr Kinderlein kommet
.." Abwehrend hob Peter beide Hände: "Nein danke, nur nicht! Mir reichen die zwei."
Der Kellner kam erneut und erkundigte sich, ob er noch etwas bringen dürfe. Sie bestellten alle noch einen Espresso. Während sie warteten, sah Britta Peter prüfend an. "Sag mal Peter, warum hast du so ein großes Problem mit Weihnachten? Jeder von uns erinnert sich doch gerade zu dieser Zeit an seine Kindheit, wie schön Weihnachten in der Familie war und versucht, gerade
dieses Schöne an die eigene Familie weiterzugeben. So ein paar Traditionen zu bewahren, ist noch nichts Schlechtes, oder?"
"Weißt du, mein Liebes", flötete Peter in einer sehr übertriebenen Art.
Er spitzte die Lippen und tat wie ein in Schicki-Micki-Kreisen verkehrender. "In meiner Kindheit mochte ich Weihnachten sehr gerne. Zumindest bis zu diesem verhängnisvollen 9ten Weihnachtsfest in meinem Leben. Dieses Fest werde ich nie vergessen. Es fing schon alles schlimm an, als ich
morgens aufstand, denn.... meine Mutter saß heulend am Küchentisch. Mein Vater hatte morgens seine Klamotten gepackt und ist einfach abgehauen. Aber nicht, ohne auch noch die bereits gekauften Geschenke mitzunehmen, die er im Pfandhaus versetzt hat. Da war natürlich nichts mehr mit Weihnachtsstimmung, aber es kam noch schlimmer.."
Hans unterbrach ihn: "Also Peter, nun mal ganz im Ernst; das hört sich ja nach einem Weihnachtstrauma an.
Willst du etwa sagen, dass es seit dem keine richtige Weihnachten mehr für dich gab?"
"Ja, aber dann lass mich doch mal zu Ende reden. Unsere Mutter hat das nicht verwunden und hat nur noch Alkohol getrunken und uns dermaßen vernachlässigt, dass meine Geschwister und ich zu Pflegeeltern kamen. So hatte es das Jugendamt entschieden und unsere Mutter hat sich kurz danach umgebracht."
Am Tisch herrschte betretenes
Schweigen bis Nina erschüttert fragte: "Aber warum hast du die ganze Zeit über nie mit mir darüber gesprochen?"
"Na warum wohl? Wer kann sich schon mit nem Versager als Vater, einer Selbstmörderin und Pflegeeltern brüsten. Da will doch keiner mehr was von einem wissen. Und außerdem hätte ich das selber gerne vergessen. Doch jedesmal, wenn Weihnachten näher rückt, erinnert mich ein ganz bestimmter Weihnachtssong an diesen Tag. Er wird den ganzen Winter
im Radio gespielt und heißt: "Rudolph, the red nosed Reindeer". Mein Vater hieß auch Rudolf. Sogar eine rote Nase hatte der... vom vielen Saufen."
Zuerst blieb es still, aber dann fing Britta plötzlich an zu lachen. Sie konnte einfach nicht anders. Ausgerechnet dieses nette Liedchen über dieses niedliche Rentier. Es schien wie eine Befreiung, denn plötzlich lachten alle.
"Vielleicht solltest du die Vergangenheit mal Vergangenheit sein
lassen", meinte Hans. "Wenn dir Weihnachten schon keinen Spaß macht, dann versuche dich doch einfach an den freien Tagen zu erfreuen.
Kümmere dich doch nicht darum, was andere tun, einschließlich deiner Familie."
Britta warf ein: "Vielleicht sollten wir mal versuchen, nächstes Jahr zusammen etwas mit den Kindern zu machen - also uns hat Weihnachten sehr gut gefallen."
"Vielleicht habt ihr recht", meinte Peter,
"wir können ja mit einem gemeinsamen Weihnachtsmarktbesuch beginnen. Aber den sucht ihr bitte aus", fügte er lachend hinzu.
"Prima Idee, das halten wir jetzt einfach mal so fest", sagte Hans.
"Wie sieht es denn eigentlich bei euch mit Silvester aus? Habt ihr schon was geplant?"
Auch darüber wurden sie sich einig und so bekam Weihnachten, zumindest für Peter und Nina, noch ein versöhnliches Ende.