Kurzgeschichte
Der Abgrund

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"Der Abgrund"
Veröffentlicht am 16. Dezember 2014, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: Elena Okhremenko - Fotolia.com
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ein angehender Schreiber, der seine ersten, zaghaften Versuche macht, selbst geschriebene Geschichten einem größeren Publikum zugänglich zu machen und auf Feedback zu hoffen, um sich stetig zu verbessern.
Der Abgrund

Der Abgrund


Der Abgrund

Es war nicht auszuhalten! Ständig meckerte man an ihm herum, er war nie gut genug, nie schlau genug, nie etwas Besonderes! Kam er mit einer Zwei in einem Test aus der Schule hieß es: Warum ist es keine Eins? Und wenn er dann eine Eins nach Hause brachte, kam wieder eine Frage, nur eine: Warum ist es keine Eins Plus? Er sollte der perfekte Mensch werden, perfekt in jeder Hinsicht, egal ob Schule oder Familie, nie fragte man ihn, ob er vielleicht Probleme hat, nie fragte man ihn, ob er schlecht geschlafen habe, wenn er

wieder mit dunklen Augenringen in der Früh im Badezimmer stand und in den Spiegel starrte. Er hatte immer nur zu funktionieren, wie eine verdammte Maschine! Er atmete tief ein und stieß die Luft mit einem Seufzer wieder aus. Tief unter ihm konnte er den dunklen Wald erkennen, die Tannen wurden vom Wind sanft hin und her gewiegt, als würden sie zu einer unhörbaren Melodie tanzen. Er wusste  nicht mehr ein, noch aus. Der Abgrund lockte ihn, lockte ihn mit seinem Versprechen, dass die Schmerzen nur kurz und das Vergessen ewig währen würde. Ein Schritt und er könnte dieser furchtbaren Welt entfliehen. Während er so dastand, unter

sich das langsam in Dunkelheit versinkenden Tal und die untergehende Sonne im Rücken, die ihre blutroten Strahlen über alles hinweg schickte, war es still, so still als hätte alles den Atem angehalten. Wie Blut floss das Licht zwischen seinen Beinen über das Geröll und das spärliche Gras, ließ die abendlichen Tautropfen schimmern wie frische Blutstropfen. Er wusste, nur ein Schritt, ein Fall von wenigen Sekunden, die sich zu Ewigkeiten dehnen würden, ein kurzer, hefiger Schmerz, und es wäre vorbei, er wäre erlöst und endlich frei! Nur eine kurze Anstrengung für ewigen Frieden und Stille. Er seufzte und ließ die Arme kraftlos hängen, während er

den linken Fuß hob, um beim nächsten Schritt ins Leere zu treten. Erneut fiel sein Blick auf den von Licht regelrecht überfluteten Boden und er hatte für einen Augenblick das Gefühl, gerade mal so lang wie ein Wimpern-schlag, einen gewaltigen Fehler zu begehen. Immer noch mit einem Fuß über dem Abgrund verharrend, fiel ihm seine große Liebe wieder ein, seine Freunde, die nicht wollen würden, dass er ging. Er rang mit sich selbst, ihn übefiel ein Zittern, während er zu einer Entscheidung zu kommen versuchte. Schließlich stellte er sich selbst das Ultimatum: Entweder du springst jetzt, oder du drehst dich um, gehst wieder nach Hause und versuchst

stark zu sein, dich auf deine Freunde zu verlassen und dich nicht mehr so sehr aus der Ruhe bringen zu lassen! Er überlegte noch einige Sekunden und stellte schließlich den Fuß zurück auf die Erde, stand auf diesem Vorsprung und ließ seinen Blick über die Szenerie unter ihm schweifen. Der Wald wirkte nicht mehr dunkel und düster, sondern einfach nur ruhig und wie im Schlaf, besonders jetzt, wo das Licht der letzten Sonnenstrahlen die Baumwipfel nur kurz zu berühren schien, bevor sich die bläuliche Schwärze der Nacht mit Gemach über das Tal legte und alles mit einem samtscharzen Flaum überzog und mit seinem Mondlicht versilberte. Er

atmete einmal tief durch, fühlte sich befreit und beschwingt und drehte schließlich dem Abgrund den Rücken zu und machte sich auf den Weg nach Hause, auf den Weg ins Leben. Der Abgrund hatte ihn gelockt und er hatte ihm widerstanden, also würde er auch allen Widrigeiten des Lebens widerstehen und sich nicht unterkriegen lassen, dass nahm er sich fest vor, während er einen kleinen Stein vor sich herkickte und schließlich frählich zu pfeifen begann. Sein Leben lag schließlich noch vor ihm...

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Reifblut
Ein angehender Schreiber, der seine ersten, zaghaften Versuche macht, selbst geschriebene Geschichten einem größeren Publikum zugänglich zu machen und auf Feedback zu hoffen, um sich stetig zu verbessern.

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mohan1948 Eine gute Beschreibung, die zu Herzen geht. Möchte nicht wissen, wie viele Menschen schon solche Gedanken hegten!
LG Hannelore
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