Nach dem Ende der Archontenherrschaft und der Stilllegung der Lebensschmiede, steht Kellvian vor der Aufgabe, die vor Helike gestrandete Armee Cantons sicher zurück zu bringen. Bevor sie die Stadt jedoch auch nur verlassen können, erhalten sie Nachricht von einem Totgeglaubten. Und in der Heimat ziehen bereits dunkle Wolken auf. Andre de Immerson hat seine Pläne, sich das Kaiserreich mit Gewalt untertan zu machen, noch nicht aufgegeben. Und ohne eine Armee ist alles, was zwischen
ihm und der Krone steht eine kleine Gruppe heruntergekommener Abenteurer und eine Handvoll Zauberer.
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Nach zwei Wochen ohne eine Antwort, wurde Kellvian langsam unruhig. Mochte sein, das sie hier Gäste waren, aber er würde diese Gastfreundschaft nicht länger strapazieren als nötig. Und wenn Fenisin nicht bald eine Entscheidung der Ältesten erzwang, könnte er nicht mehr warten. In der Zeit, die sie nun schon hier waren, hätten sie bereits einen Hafen erreichen können… Und doch hielt ihn irgendetwas noch vom Aufbruch ab. Die Zeit des Wartens vertrieb er sich hauptsächlich damit, sich in der Siedlung umzusehen. Seine
Ankunft hier hatte sich wohl schon herumgesprochen, denn die meisten Gejarn, denen er begegnete, erkannten ihn recht schnell. Anfangs machten die meisten einen großen Bogen um ihn. Erst, nachdem die Bewohner der Siedlung merkten, dass sie sich offenbar mit ihm unterhalten konnten, ohne dabei ihren Kopf zu verlieren, wurden sie etwas aufgeschlossener. Die meisten nahmen ihn Freundlich auf , duldeten ihn schweigend und fragten auch bald gar nicht mehr, wenn er ihnen zur Hand ging, um sich etwas die Zeit zu vertreiben. Die Felder, die sich, als Schutz vor Wildtieren, vor allem im Zentrum der Siedlung befanden, waren
bereits Erntereif. Viele Gejarn verwendeten zur Ernte jedoch keine Sicheln oder Sensen. Stattdessen trennten sie die Halme sauber, Reihe für Reihe, mit einer scharf zu geschliffenen Kralle ab. Kellvian konnte nur staunend zusehen, wie sie dabei sogar die Arbeiter überholten, die auf Werkzeuge zurückgriffen und er konnte nicht einmal hoffen, halb so viel Arbeit in der doppelten Zeit zu schaffen. Am Nachmittag erklärte man ihm schließlich, dass sie ohne ihn tatsächlich schneller wären. Kellvian nahm es mit einem Grinsen zur Kenntnis. Dass sie sich trauten, ihm das ins Gesicht zu sagen, war schon ein gutes Zeichen.
Zumindest sah er es so. Er wollte ganz sicher nicht, dass die Leute Angst vor ihm hatten, nur weil er nun mal war, wer er war. Und so beteiligte er sich weiterhin am alltäglichen Leben in der Siedlung, durfte ab und an auch einmal Handreichungen erledigen oder Mhari zur Hand gehen. Offenbar hatte die Älteste auch den Rang der Dorfheilerin inne, zumindest, solange sie hier war, und bewohnte eine Hütte, die sich bereits unter den Lichtundurchlässigen Zweigen des Waldes befand. Als er das Haus das erste Mal betrat, hatte er sich noch über das Durcheinander aus Kräutern, Pilzen und sogar Mineralien gewundert, die zum Trocknen von der
Decke oder aufgereiht auf Arbeitsplatten und Regalen lagen. Kellvian hatte jedoch sehr schnell festgestellt, das Mhari offenbar ganz genau wusste, wo was war. Die Gejarn war flink wie ein Wiesel, wenn es darum ging, die richtigen Zutaten für eine bestimmte Medizin zusammen zu suchen. Irgendwie war er davon überzeugt, dass grade Erik hellauf begeistert gewesen wäre, wenn er das hier gesehen hätte. Und für ihn selber war es nicht weniger faszinierend, ihr zuzusehen. Die Gejarn hatte ihr Handwerk definitiv gemeistert. Seine Gabe erlaubte es ihm, nach wie vor, auch die Verletzungen und Krankheiten zu kurieren, mit denen die
Gejarn sonst überfordert wären. Wodurch er langsam aber sicher zu einem bekannten und gern gesehenen Gesicht im Dorf wurde. Trotzdem drängte die Zeit schlicht, dachte er, während er an diesem Tag erneut das Haus der Ältesten betrat. Mhari war wie immer dabei, irgendetwas zuzubereiten. Dieses Mal jedoch, gebot sie ihm, mit einer Handbewegung, zu bleiben wo er war, noch bevor er die Türschwelle ganz hinter sich hatte. Sie musste ihn wohl schlicht kommen gehört haben, dachte er. Die Überzeugung, dass sie mehr war, als sie zuzugeben bereit war, war in den letzten Tagen beständig geschrumpft. Vielleicht war Mhari etwas seltsam, aber
definitiv nicht gefährlich. ,, Einen Moment.“ , meinte sie , während er wieder durch die Tür nach draußen trat. Das Handzeichen war unschwer zu deuten. ,, Was macht ihr ?“ , fragte er neugierig. ,, Etwas, das eigentlich nicht für Außenstehende gedacht ist…“ Von seinem Platz an der Tür konnte er nur erkennen, dass sie irgendein Pulver in einem Mörser zerrieb und dann in einer klaren Flüssigkeit auflöste. Halb hinter einem durchscheinenden Vorhang verborgen konnte er jedoch nur raten, um was es sich dabei genau handelte. Der scharfe Geruch von reinem Alkohol stieg ihm in die
Nase. ,,Gut, jetzt kommt rein.“ , erklärte die Gejarn und Kellvian tat, wie geheißen. ,, Also, könnt ihr mir verraten, was ihr hier tut, das so Geheim ist ?“ ,, Es ist nicht wirklich so geheim. Aber einige der Zutaten sind es.“ Mhari schmunzelte. Sie hielt einen kleinen Kristall-Flakon in der Hand, in dem sich grade noch die Überreste eines violetten Pulvers auflösten. ,, Das ist.. ich denke die beste Übersetzung in eure Sprache wäre Geisterwasser.“ ,, Und wozu genau ist das gut ?“ ,, Manche würden sagen, für gar nichts. Andere, für alles.“ ,, Das ist so was von überhaupt nicht
hilfreich.“ ,, Vielleicht stellt ihr einfach die falschen Fragen.“ ,, Also gut… Wozu wird es verwendet? “ Die alte Löwin lachte. ,, Die Gejarn folgen nicht den Göttern des Kaiserreichs oder denen der Nordvölker… oder der Kulte im Süden, was das angeht. Das wisst ihr ?“ Er nickte. ,, Ich weiß, das viele Gejarn ihre Ahnen verehren. Oder sogar als Wiedergebruten dieser… erkannt werden können. Auch wenn ich nicht ganz Verstehe, wie so etwas möglich sein soll. Die einzigen, die je dazu in der Lage waren, ihre Seelen über den Tot hinaus auf Erden zu halten, waren die Magier
des alten Volkes.“ ,, Und doch, kommt es vor. Die Ahnen selbst geben sich manchmal zu erkennen. Wisst ihr, was ein Seelenbaum ist?“ Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Ich habe davon gehört, aber nie selber einen gesehen.“ Mhari nahm es mit einem Brummen zur Kenntnis, während sie einige Mohnkapseln aufschnitt und Körner wie Milchsaft mit dem Wasser vermischte. ,, Man könnte sagen, es sind Ankerplätze für die Seelen.“ Sie drehte den Kopf in seine Richtung. ,, Das hier erlaubt es einem angeblich, damit in Verbindung zu treten.“ ,,Verzeiht. Ich will nicht unhöflich sein,
aber… für mich klingt das mehr, als würdet ihr im Rauch irgendwelche Halluzinationen sehen.“ ,, Und deshalb, Kell, sagte ich ja bereits, kann das hier entweder alles bewirken… oder gar nichts. Es kommt auf den Blickwinkel des Betrachters an. Ich habe gestandene Männer gesehen, die nach einem Schluck und ein paar Minuten Zeit, heulend und zitternd am Boden lagen. Und andere, die ihr Leben lang rastlos waren, waren danach plötzlich ein Pol der Ruhe. Und bei wieder anderen bewirkt es nichts, als das sie sich wie Tölpel verhalten. Und wenn es nicht richtig zubereitet ist… habe ich auch schon einige daran sterben sehen.
Sie hören einfach auf zu Atmen. Von jetzt auf gleich.“ ,, Und ihr gebt es ihnen trotzdem einfach so ?“ Die Gejarn lachte. Ein seltsamer Klang, der ihn irgendwie an eine uralte Stimmgabel erinnerte, die jemand anschlug. ,, Kindchen. Ihr stellt Fragen…“ Sie musterte ihn einen Augenblick, als wüsste sie nicht, was sie von ihm halten sollte. ,, Es ist den Ältesten vorbehalten, das Geistwasser zu trinken… und sich dem zu stellen. Manchmal erlaubt es denen, die es annehmen, die Dinge etwas klarer zu sehen.“ ,, Das heißt, das hier ist für die Ältesten
vorgesehen ?“ Mhari nickte. ,, Fenisin hat mich darum gebeten.“ Sie nahm ein Stück getrocknete Rinde aus einem Regal und zerrieb diese mit einer Feile. ,, Und was ihr da grad habt…“ ,, Akazienrinde. Aus dem Süden. Ich habe sie selbst mitgebracht. Die Gejarn im Norden verwenden manchmal Fliegenpilze als Ersatz. Das hat aber meist mehr… unerfreuliche Wirkungen zur Folge. Wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich habe noch einiges vorzubereiten. Und ihr versteht sicher, wenn ich einen Teil der Zutaten geheim
halte…“ ,,Natürlich.“ Er wendete sich zum Gehen. ,, Nur eine Frage hätte ich noch. Gibt es hier irgendwo Geisterbäume?“ Mhari nickte. ,, Im Norden der Siedlung gibt es einen Hain. Ich wäre allerdings vorsichtig, wenn ich ihr wäre. Solltet ihr euch alleine dorthin wagen… Nicht alle unsere Ahnen sind freundlich. Haltet euch heute Abend also besser fern…“ ,, Sie setzten sich also wirklich unter Drogen ?“ , fragte Lucien, als sie sich am Abend wieder alle trafen. Das Haus, das Fenisin ihnen zur Verfügung gestellt hatte, diente ihnen meist nur als Schlafplatz. ,, Nun ich denke, jedem das
seine, wie ?“ ,, Ich würde nicht so leichtfertig über Dinge spotten, die wir noch nicht ganz verstehen.“ , ermahnte Melchior ihn. ,,Nun, wenn die Ältesten morgen alle mit einem Kater aufwachen, wissen wir es.“ , gab der Agent schnippisch zurück und schnappte sich einen halb vollen Bierkrug vom Tisch. Syle und Kellvian saßen derweil draußen. Unter einem Vordach war eine schlichte Bank aufgestellt und der Boden mit simplen Holzplanken ausgelegt worden. Mit dem Abendrot waren auch dunkle Wolken aufgezogen. Die ersten Regentropfen fielen auf die staubigen Pfade nieder, die das Dorf durchzogen.
Dunst stieg auf, während das Wasser sich in kleinen Pfützen sammelte und begann, in Strömen vom Dach hinab zu rinnen. Kells Gedanken schweiften von dem Gespräch mit Mhari ab zu den Problemen, für die er nach wie vor keine Lösung sah. Und allem, was das mit sich brachte. Es war einer der Momente, in denen er bereit war, Melchiors Warnungen in den Wind zu schlagen und sich auf den schnellsten Weg nach Vara zu machen. Er wusste mittlerweile, dass die Stadt dem Angriff standgehalten hatte. Die Gejarn hatten im ganzen Land Späher. Das war zumindest eine gute Nachricht. ,,Ich mache mir trotzdem Sorgen um
sie, Syle.“, gestand er. ,, Man möchte meinen, ich hätte langsam gelernt, das es eigentlich sinnlos ist, sich groß Gedanken um Jiy zu machen.. und ich bin davon überzeugt, dass es ihr gut geht…“ Schon alleine um bei verstand zu bleiben. ,, Aber ich kann nicht aus meiner Haut. ,, Und trotzdem müssen wir die Clans für uns gewinnen, Herr. Oder ?“ Kellvian nickte, bevor er gedämpft hinzufügte: ,, Vielleicht ist das genau, was Melchior will. Je eher ich das also schaffe…“ Er zuckte mit den Schultern. ,, Erst rede ich den Gejarn einen Krieg aus… jetzt muss ich sie in einen führen.“ Syle legte ihm eine Hand auf die
Schulter. Für einen kurzen Moment schien er mehr Freund als Wachmann. Einer der wenigen Augenblicke, in denen er einmal nicht ganz der Militär zu sein schien. ,, Das Schicksal hat einen schrecklichen Sinn für Humor.“ ,, Wem sagt ihr das. Ich wünschte nur, ich könnte irgendetwas tun, das unsere Chancen erhöht. Anstatt hier nur zu warten.“ ,, Ihr könntet zum Treffen der Ältesten gehen.“ , meinte da eine Stimme hinter ihm. Melchior war aus der Tür der Hütte unter das Vordach getreten und stand, nur als Silhouette sichtbar, im Schein, der aus den Fenstern drang. ,, Wir müssen ihnen deutlich machen, das die
Entscheidung bald… und zu unseren Gunsten fallen muss. Wenn sie benebelt sind, lassen sie sich vielleicht zu etwas überreden, dem sie niemals bei klarem Verstand zustimmen würden. Kein Ältester jedoch, würde ein einmal gegebenes Wort so einfach zurückziehen.“ ,, Das wäre Betrug, Melchior.“ , antwortete Kellvian nur. ,, Und wenn ich sie mir durch einen Trick verpflichte umso schlimmer. Vielleicht ist es so, wie ihr sagt und sie würden Kämpfen. Aber sie würden mit Hass auf mich kämpfen. Ich könnte mich nie ganz auf sie verlassen.“ Si rational diese Argumente wahren, die
einfachste Antwort, warum er dagegen wäre war… das es schlicht nicht richtig erschien. So viel Zeit es ihm auch sparen würde, er wollte sich, falls sie das alles Überlebten, danach noch im Spiegel in die Augen sehen können. Diese Hürde würde er auch noch nehmen. Lucien würde wohl darüber lachen, aber Kellvian hatte am eigenen Leib erlebt, wie es war, mit einer Schuld zu leben, die durch nichts wieder gut zu machen schien. Trotzdem, konnte der Versuch, noch einmal mit den Ältesten zu reden, sicher nicht schaden. Oder ? ,, Würden sie das dulden ?“ , fragte er an Syle gerichtet. ,, Einen ungeladenen Menschen, bei ihrem treffen
?“
,, Ihr seid ein Bittsteller.“ , meinte der Bär nachdenklich. ,, Sie werden euch vielleicht wegschicken. Sofern ich weiß, ist das das Wahrscheinlichste. Aber zumindest dürfte es unsere Situation nicht verschlechtern. Als Gast, kann man nicht erwarten, das ihr alle Gepflogenheiten und Regeln der Clans kennt oder Befolgt.“
,, In diesem Fall, weiß ich, was ich tuen werde.“
EagleWriter Kleiner Spoiler : Mhari zumindest kommt vom Alter wohl an Baumbart heran ^^ lg E:W |