Kapitel 52 Überzeugung
Fenisin hatte sie zu einer leer stehenden Hütte am Rand der Lichtung gebracht. Offenbar hatte man vorsorglich mehr Gebäude errichtet, als eigentlich nötig waren. Als sie den ausgetretenen Pfaden durch die Siedlung folgten, war es bereits Stockdunkel und nur das Licht einiger Laternen zeigte ihnen den Weg. Der gesamte Ort war ohne ein festes Konzept entstanden und so führte der alte Wolf sie über verschlungenen Wege, an kleineren Hütten und größeren Bauten, die schon mehr richtigen Häusern entsprachen, und Gehegen für
Nutztieren vorbei und sogar ein Stück durch die Felder hindurch, die auf den Freiflächen im Dorf angelegt worden waren. Kellvian musste seine Schätzung korrigieren, als sie den Waldrand erreichten. Er war davon ausgegangen, dass wohl rund eintausend Gejarn hier sein mussten, aber unter den Bäumen erstreckte sich das Dorf noch sehr viel weiter, als er anfangs gedacht hatte. Die Lichter, die im Schatten unter den Zweigen glühten, zogen sich bis in die Ferne und wirkten dort beinahe wie Glühwürmchen. Es waren wohl eher zwei, wenn nicht dreitausend Leute hier…
Das Innere des Hauses, zu dem Fenisin
sie brachte, war zweckmäßig eingerichtet. Schlafstellen aus Stroh, die sich im einzigen , abgetrennten Raum befanden und einige grobe Holzmöbel, wie ein einfacher Schrank und ein Tisch, welcher der Gruppe grade noch genug Platz bot. Syle entzündete eine von der Decke hängende Öllampe, bevor sie alle Platz nahmen. Fenisin hatte offenbar veranlasst, das man ihnen etwas zu essen brachten, denn kaum hatte Kellvian sich gesetzt, als es auch schon an der Tür klopfte.
,,Kommt rein.“ , reif Fenisin nach draußen. Der Gejarn der eintrat, trug eine Zinntopf mit sich, in dem irgendeine Suppe noch vor sich hin
kochte und einige Krüge, die er alle auf dem Tisch abstellte.
Der Älteste bedanke sich kurz und entließ den Mann dann, der so schnell wieder verschwand, wie er gekommen war und die Tür hinter sich zuzog.
,,Sagt einmal, sind eigentlich alle eure Ältesten als Opportunisten geboren oder erzieht man euch so ?“ , platzte Lucien heraus, sobald sie alleine waren. Der Agent schien die Frage durchaus ernst zu meinen, auch wenn man sich bei ihm wohl nie ganz sicher sein konnte. Während er auf eine Antwort wartete, zog er einen der Krüge an sich und sah kurz hinein. Kellvian tat es ihm gleich. Es handelte sich um Bier. Vermutlich
aus den letzten Tauschgeschäften eines der anwesenden Clans.
,, Das ist bedauerlicherweise wohl der Eindruck, den ihr von uns gewinnen müsst. Versteht… die meisten haben auf genau diese Art seit Jahrhunderten überlebt. Sie haben bloß Angst, sich in etwas zu stürzen, das uns leicht alle um Kopf und Kragen bringen kann. Und die, die sich letztes Jahr offen gegen das Kaiserreich gestellt haben…“ Die gelblichen Augen des Wolfs richteten sich auf Kellvian. ,,Ihr habt manche von ihnen dadurch gedemütigt, das ihr sie zum Aufgeben gezwungen habt. Sie werden kämpfen und ihre persönliche Abneigung zurückstehen lassen. Aber
nur, wenn sie sehen, das sie ansonsten selber in größere Gefahr geraten.“
,,Narren.“ , murmelte Melchior. Der Seher hatte die Augen niedergeschlagen und Kell war schon halb überzeugt gewesen, er sei auf seinem Platz eingeschlafen. ,, Kellvian hat ihnen das Leben gerettet, ob sie das Wahr haben wollen oder nicht. Und jetzt versuchen wir es wieder. Die Blindheit, die mit Arroganz daher kommt, überrascht mich immer wieder.“
Fenisin hatte sich derweil zurück gelehnt und Mhari stellte ihm eine Frage. Zumindest hörte es sich für Kellvian wie eine an. Die wenigen Fetzen, die er von der Clansprache verstand reichten nicht
aus, den Sinn der Worte zu enträtseln. Syle jedoch saß mit plötzlich düsterer werdender Mine da.
,, Und ob ihr euch vor uns rechtfertigen müsst.“ , brummte er. ,, Vielleicht nicht vor Lucien, er weiß meist ohnehin nicht, was er sagt…“
,, Hey.“ Der kaiserliche Agent ließ den Bierkrug zurück auf den Tisch fallen. ,, Das ist nicht nett…“
Syle fuhr einfach fort, als hätte er ihn nicht gehört. ,, Aber wenn ihr einfach darauf wartet, das wir diese Schlacht ohne euch und für euch schlagen, könntet ihr uns zumindest erklären, wieso.“
,,Mich würde schon einmal interessieren,
wieso ihr das Treffen heute abgebrochen habt.“ , fügte Kellvian hinzu. ,, Ich bin ehrlich. Ich stehe unter Zeitdruck, Fenisin. Wenn ich die Hilfe der Clans nicht bekomme, muss ich weiter nach Laos ziehen und dort nach Verbündeten suchen.“
,,Ich glaube ihr versteht wenig, wie unsere Politik funktioniert.“ Der Gejarn ließ den Krug sinken. ,, Im Moment versuchen alle noch auszuloten, wo sie stehen. Was Lucien als Opportunismus bezeichnen mag… ist für uns logische Konsequenz. Die meisten Clans sind klein. Wenn wir uns nicht alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, könnten sich einige davon miteinander
verwerfen. Es gibt schon genug Blutfehden unter uns. Teilweise ziehen die sich sogar über Generationen hin, bis die Urenkel vergessen, worüber sie eigentlich streiten. Das wollen die Ältesten vermeiden. Was ich damit sagen will ist folgendes : Sind die meisten jetzt noch dafür, erst einmal neutral zu bleiben, könnten sie Morgen schon zu dem Schluss kommen, ihnen sei besser gedient, wenn wir uns doch einmischen. Euer Auftauchen hier ist eine völlig neue Variable. Vielen wird eure Anwesenheit vielleicht schon Entscheidungshilfe genug sein.“
,, Würdet ihr so eine Entscheidung den überhaupt akzeptieren ?“ , wollte Mhari
da von Kell wissen. Die Löwin hatte eines der zahlreichen Amulette von der Kette an ihrem Hals gelöst und drehte den Talisman zwischen den Fingern. Es war eine blaue Glasscheibe. Zumindest wirkte es auf Kellvian wie Glas. Sie wirkte entspannt, aber irgendetwas in ihrem Blick verriet, das sie seine Antwort genau prüfen würde. ,, Und bitte. Versucht erst gar nicht mich anzulügen. Ich merke so etwas. Und ich mag es nicht besonders, wenn man unehrlich zu mir ist.“
Die Drohung war deutlich. Und Kellvian hatte das ungute Gefühl, das sie diese auch wahrmachen würde. Syle rückte auf seinem Platz etwas vom Tisch ab und
tastete nach dem Gewehr, das er an der Hauswand abgestellt hatte. Sie war nur eine einzelne Gejarn und sie zu viert. Zu fünft, den Fenisin würde so etwas wohl nicht zulassen. Trotzdem, dachte Kellvian, warnte ihn irgendetwas in seinem Inneren vor dieser Frau. Der ruhige Punkt in seinem Verstand, der den Sitz seiner Magie darstellte. Beinahe als hätte ihm jemand einen Eiszapfen zwischen die Augen getrieben. Mhari war mehr, als sie nach außen durchscheinen ließ.
,,Ja.“ , antwortete er . ,, So schwer es mir auch fallen würde, ohne eure Hilfe abzuziehen, ich würde das Urteil der Ältesten annehmen. Sollte Andre besiegt
werden und ich den Sieg davon tragen… hättet ihr deshalb keine Nachteile zu erwarten.“
Mhari schien mit der Antwort nicht ganz zufrieden. ,,Gut.“ , erklärte sie. ,, Aber…“
,,Aber,“ , fügte er hinzu. ,, Sollte Andre siegen, habt ihr diese Garantie nicht. Im Gegenteil. Ich warne euch und werde diese Warnung auch noch einmal vor den anderen Ältesten wiederholen: Diesen Mann werden eure angestammten Rechte nicht kümmern. Noch weniger, wenn er zu dem Schluss kommt, ihr wärt eine Gefahr für seine Herrschaft. Ihr Bestraft euch im Zweifelsfall selbst bereits
genug.“
Während er sprach, hatte sich ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht der Gejarn ausgebreitet.
,,Sehr gut. Ich fürchte aber, das wird dabei weitem nicht alle Überzeugen. Ihr braucht… etwas, das sie nicht ignorieren können.“
,, Und was soll das sein ?“ , fragte Kellvian. Nicht noch mehr kryptische Andeutungen und Rätsel.
Statt einer Antwort jedoch bedeutet sie ihm nur, die Hand auszustrecken. Zuerst, wollte er fragen, wozu, dann jedoch besann er sich eines Besseren. Er tat es einfach. Mhari drückte ihm das blaue Amulett in die Hand, das sie schon die
ganze Zeit hielt.
,,Ihr werdet es wissen, wenn es so weit ist, glaube ich.“ , meinte sie nur, während er die Finger um den Talisman schloss. Das Glas war kälter, als er erwartet hatte.
,, Bei mir ist Melchior eigentlich für die unverständlichen Hinweise zuständig.“ , gab er leicht ungehalten zurück. ,, Trotzdem, danke.“ Er ließ die blaue Glasscheibe, an der ein einfaches Band aus geflochtenem gras befestigt war, in seiner Tasche verschwinden. Mittlerweile war Kellvian sich sogar sicher: Diese Frau war mehr, als sie vorgab zu sein. Nur was das war… Konnten Gejarn Seher sein? Melchior sagte immer, die Völker
des Eises verfügten über ihre eigene Form von Magie. Vielleicht eine Art , die auch ein Gejarn erlernen konnte ?
,, Würdet ihr mir verraten, woher ihr stammt ?“ , fragte Melchior da.
,, Eine seltsame Frage. Ich komme tief aus dem Süde. Aus der Nähe von Erindal um genau zu sein.“
,,Das ist weit..“ , bemerkte Syle.
,, Trotzdem bin ich hier. Vor einigen Wochen passierte die kaiserliche Garde unser Land. Die gesamte Armee, wie es aussah. Seitdem wissen wir, dass es Ärger gibt und ich habe mich bereits früh auf den Weg in die Herzlande gemacht. Immer der Spur der Armee nach. Bis ich dann erfahren habe, das
Fenisin bereits alle Ältesten zusammenruft.“
,, Also wart ihr einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ , stellte Lucien fest.
Mhari nickte.
,,So wie heute…“ , fügte der Agent hinzu. ,, Woher wusstet ihr, das wir kommen ?“
,,Glaubt ihr wirklich, wir hätten nur diesen einen Spähtrupp ?“ , antwortete sie selbstsicher. ,, Wenn jemand unser Land betritt, wissen wir das Tage bevor er uns sieht.“
,,Nein.“ , gab er zu. Trotzdem kaufte Lucien ihr das nicht ganz ab, das konnte Kellvian schon an seinem Gesicht sehen.
Er glaubte ihr ja selber nicht völlig.
,,Ihr habt bei der Versammlung gesagt, Vara wurde angegriffen.“ , wechselte Fenisin das Thema. ,, Ist das der Grund, aus dem nur ihr vier zu uns kommt ?“
,, Ich fürchte es. Wir wissen nicht, ob die Stadt wirklich gefallen ist oder nicht. Aber fürs erste, können wir ohnehin nicht dorthin zurück.“ Kellvian wollte nicht, das der Wolf vielleicht eine Nachricht dorthin schickte. Dann würde man versuchen, ihn zu finden und er könnte nicht zulassen, dass sich die gesamte Garde auf der Jagd nach ihm zerstreute. Es gab wichtigeres. ,, Ich hoffe mit Verstärkung zurück zu kehren. Im Augenblick hoffe ich eben auf die
Hilfe der Gejarn.“
,, Was wurde aus den anderen ? Jiy ?“
,,Ähm…“ Kellvian räusperte sich. ,, Ich bin mir sicher, dass sie lebt, falls ihr das meint. Und vielleicht sollte ich erwähnen, dass wir…mittlerweile verheiratet sind. Auch wenn die Zeremonie leider recht unsanft beendet wurde.“
Fenisin begann lediglich unkontrolliert zu Lachen. ,, Geister, ihr hättet euch grade hören sollen… Was habt ihr eigentlich erwartet, was ich tue?“ Kellvian befürchteter schon, der Alte würde sich im wahrsten Sinne des Wortes totlachen. Schließlich jedoch verstummte er, nach wie vor
grinsend.
Mhari ergriff das Wort, während Fenisin nach wie vor nach Luft schnappte. ,,Wir werden versuchen, so viele der anderen zu überzeugen und die Ältesten dann wieder zusammenrufen. Das wird jedoch ein paar Tage dauern. Wie Fenisin schon sagte… wir müssen sie auf dem richtigen Fuß erwischen.“
,, Verstehe. Und wie lange genau werden wir warten müssen? Wie gesagt ich kann es im Augenblick nicht riskieren, Zeit zu verschwenden. Das ist das einzige, was mir überhaupt bleibt.“
,,Genau kann ich das nicht sagen.“ , antwortete der Wolf. ,, Aber ihr seid solange unsere Gäste. Und solltet ihr
euch entscheiden uns vorher zu verlassen, werden wir auf eigene Faust nach Vara ziehen. Vorausgesetzt, die Versammelten Ältesten stimmen dafür.“
,, Das ist alles, worum ich euch bitten kann…“
Fenisin nickte und erhob sich schließlich. Mhari tat es ihm gleich, bevor sich die beiden Ältesten verabschiedeten und in der Nacht verschwanden. Kell und die anderen blieben am Tisch zurück, jeder den eigenen Gedanken nachhängend. Die Ironie der Situation entging Kellvian nicht. Er hatte einmal alles daran gesetzt, die Clans zu einem Frieden zu zwingen. Jetzt , so schien es, musste er
das genaue Gegenteil tuen. Und im Gegensatz zu damals stand ihm nur sein eigenes Wissen zur Verfügung, keine Magie… Sie einzuschüchtern wäre einfacher. Kellvian schüttelte den Gedanken ab, bevor er sich festsetzen konnte. Das würde er nicht einmal tuen, wenn er dazu in der Lage war. Er hatte Mhari die Wahrheit gesagt. Er würde die Clans frei entscheiden lassen.
,, War es das, was ihr geplant habt, Melchior ?“ , fragte er an den Seher gerichtet.
Der Alte blickte zu einem offenen Fenster, von dem aus man die Siedlung überblicken konnte. Eine Weile glaubte Kell, er würde einfach nicht antworten,
dann seufzte er schwer: ,, Wir tuen alle nur, was wir glauben tun zu müssen. Ihr werdet sie überzeugen müssen, Kellvian.“
Das war zwar keine wirkliche Antwort auf seine Frage, aber fürs erste, gab er sich damit zu Frieden. Blieb nur das wie?