Senioren sehen Rot - Das Vorspiel
Diese Geschichte ist ein Beitrag zum Forumbattle 36.
Das Thema ist folgendes Bild: http://www.mystorys.de/b121395-Sonstiges-BildForumsbattle-36.htm
Vorgegeben sind diese 12 Wörter:
Eichhörnchen
Baumwurzel
Schatulle
Eulenschwinge
musizieren
Inklusion
grünstichig
smaragden
Sterne
Zeit
Entwurzelt
rauschen
An meine Zivildienstzeit kann ich mich nur noch vage erinnern. Meine Tage, getränkt in würzigen Uringeruch und endlosen Geschichten nie müder werdender Seniore, die so viel erlebt hatten, dass sie jede günstige wie ungünstige Gelegenheit dazu nutzten, ihr Memoiren uns Zivis um die Ohren zu pfeffern. Ich hatte alle Weltkriege aus mehreren Perspektiven miterlebt, dazu die politische und wirtschaftliche Geschichte des 20. Jahrhunderts, aber auch private Triumphen kamen zu Wort, wie eine Unterschrift von Romy Schneider, die Heidrun, eine äußerst vitale und erzählfreudige Heimbewohnerin, 1964 ergattern konnte.
Wie ein übereifriges Eichhörnchen saß sie
da und berichtete: „Die Romy war so schön, so schön war sie, meine Güte, ich hab noch nie so eine schöne Frau gesehen. Und ihr Lächeln, meine Güte, diese weißen Zähne, so weiß, so weiß. Nicht so wie die von den meisten zu dieser Zeit, die waren ja eher grünstichig, aber ihre waren weiß wie Engelsflügel, wie Engelsflügel, ja.“
Um die Weihnachtszeit machten wir immer Bastelstunden und die mehr oder weniger gelungenen Erzeugnisse wurden dann untereinander verschenkt. Im Gemeinschaftsraum versammelten sich allen und bastelten unter dem Rauschen des alten Grammophons. Manchmal kam es zu kleinen Missverständnissen und Streitereien, z. B. als Alfred seiner heimlichen Geliebten,
der bereits erwähnten Heidrun, eine Schatulle schenken wollte, die er vorher in mühevoller Detailarbeit mit selbst ausgeschnittenen Sternen bestückt hatte. Da er sich aber nicht traute, sein Geschenk selbst zu überbringen, bat er seinen Kumpel Willi um Hilfe. Willi, sonst ein sehr zuverlässiger und stiller Genosse, der sein Leben lang bei der Deutschen Post als Briefzusteller zugebracht hatte, verwechselte aber die Empfängerin und die Schatulle landete bei Uschi, die sich sehr über das Geschenk freute. Insbesondere auch, weil Alfred zu den Sternen ein Gedicht beigefügt hatte, in dem er seine unbändige Liebe folgendermaßen ausdrückte:
Du machst mich des Glückes trunken
und ich hätt dir längst gewunken,
wär ich nicht nur bisschen schüchtern,
leicht verkopft und oft zu nüchtern.
Aber jetzt muss ich gestehen,
mein Gefühl wird nie vergehen.
Du hast meine Angst entwurzelt,
so dass Liebe aus mir purzelt.
Baumwurzeln halten Bäume,
und die Liebe hält die Träume.
Und mein Traum, das bist nur du,
schenkst du mir ein Rendezvous?
In Liebe Dein Alfred
Uschi war hin und weg. Sie wusste gar nicht, was sie machen sollte. Noch nie hatte jemand so etwas Romantisches für sie gemacht. Ihr Mann hatte damals, oh Gott, sie traute sich gar nicht daran zu denken, wie viele Jahre es schon her gewesen war, für sie als Liebesbeweis auf seiner smaragdenen Blockflöte musiziert. Da er aber sehr aufgeregt war und seit seiner Schulzeit das Instrument nicht mehr gespielt hatte, konnte Uschi nur die Mühe und die Geste dieser Darbietung lobend erwähnen.
Alfred gefiel Uschi eigentlich nicht. Sie mochte Willi viel mehr, da dieser immer noch gut in Schuss war und täglich, der alten Gewohnheit nach, mehrere Stunden spazieren ging. Aber in ihrem Alter, so
realistisch war sie schon, durfte sie einem geschenkten … immerhin hatten Alfreds Zähne keinen Grünstich.
Nun galt es das Geschenk entsprechend zu erwidern und Uschi machte sich auf, etwas für ihre neue, noch nicht entfachte, aber schon deutlich brennende, Flamme, zu basteln. Leider war sie handwerklich weniger begabt und das Erzeugte konnte nur für ihre besten Freundinnen im Altenheim genügen. Also rief sie verzweifelt ihren Enkel an und bat um Hilfe, da er sich mit Internet und all dem google-Zeug auskannte. Sie sagte, dass es etwas Besonderes werden musste, etwas, das man nicht so schnell vergessen würde.
Währenddessen wunderte sich Alfred wieso Heidrun auf sein Geschenk nicht reagierte.
Willi hatte ihm versichert, das Geschenk abgeliefert zu haben und ein äußerst zufriedenes Lächeln bei der Empfängerin vernommen zu haben. Alfred wurde nervös; vielleicht hatte ihr seine Schatulle nicht gefallen? Vielleicht hatte sie schon so eine? Vielleicht hätte er sie ihr persönlich schenken sollen? Hielt sie ihn nun für einen Feigling? Vielleicht war er wirklich einer? Nein, er war keiner! Deswegen fasste er allen Mut zusammen und ging zu Heidrun hin. Das passierte am selben Abend, als Uschi ihr Geschenk überreichen wollte, das ihr lieber Enkel für sie besorgt hatte. Dieser hatte nicht viel Zeit für die Suche gehabt und stieß im Internet zufällig auf eine Seite, auf der von Menschen mit geistiger oder körperlicher
Behinderung gebastelte Figuren verkauft wurden. Die gute Sache der Inklusion war es auch wert, etwas mehr Geld auszugeben, dachte er, besonders, weil seine Oma für alles bezahlte. Er entschied sich für eine gewagte Kreation in Gold, die einen Baum mit einer großen Blume darstellte. Auf dem Baum saß eine grüne Eule, die ihrer Eulenschwingen beraubt, einem gerupften Hühnchen ähnelte. Daneben thronte eine weiße Uhr (mit der Aufschrift „Made in China“ auf dem Ziffernblatt) in Glitzersteinen eingerahmt. Dieses Werk fiel auf und war besonders – also alles, was Uschi gewollt hatte. Ganz unverhüllt traute sich Uschis Enkel aber doch nicht, das Geschenk mit sich zu führen, also verpackte er es in
Geschenkpapier.
Und an diesem besagten Abend trafen die drei aufeinander. Es war eine unglaubliche Begegnung und es wurden nicht nur Worte durch den Raum geschmissen. Aber davon kann ich Ihnen leider nicht berichten, da mein Zivildienst Tätigkeitsbericht für diesen Monat vollendet ist.
Wie es weitergeht, erfahren Sie in meinem bald erscheinenden Buch "Senioren sehen rot -- Alter schützt vor Liebe nicht".