Gala´thien; im Inneren des Berges Estaroth; Reich der Fünften
Jahr 2751 des Ersten Zeitalters; Sommer
Als Taanuen durch die geöffnete Flügeltür ging kam er in einen riesigen Saal. Den Thronsaal! Von weitem, er schätzte es waren 100 Schritte, sah er den goldenen Thron des Herrschers. Der Schein der Sonne ließ ihn hell erleuchten. Eingelassene Edelsteine funkelten in den schönsten Farben. Plötzlich verschwand die Sonne für einen Atemzug. “Vermutlich flog nur ein Vogel über das Loch in der Decke des Berges. Ein großer Vogel!“, dachte er
sich. Ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen ging er mit ruhigem Schritt in Richtung des Königssessels. Dabei bewunderte er die zwergische Bauweise.
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Räumen waren hier die Säulen rechteckig, und Banner der verschiedenen Clans hingen von der Decke herab. Aus einigen der Pfeiler waren Ecken herausgebrochen und lagen verstreut auf dem Boden herum. Banner waren zerfetzt. Umgestoßene Kohlepfannen ließen ebenfalls einen Kampf vermuten. Etwas ist hier passiert, dass verhindert hat, die herum
liegenden Schätze mitzunehmen. Nur was? Es lagen keine Überreste von Zwergen oder anderen Kreaturen auf dem Boden. Mit äußerster Vorsicht ging er weiter und achtete auf jedes Geräusch. Aber da war nichts außer seinen leisen Schritten. Nach wenigen Minuten Stand er vor dem Podest auf dem der Thron des Königs stand. Fünf Stufen führten hinauf zu ihm. Eine Stufe für jeden Stamm. Links und rechts vor der Treppe standen zwei zehn Schritt hohe Obelisken. Die eingesetzten Runen wurden aus Edelsteinen gefertigt und stachen Taanuen sofort ins Auge. Welcher Reichtum ist hier zum greifen nahe. Und
doch konnte er diesen nicht mit sich nehmen. Er hämmerte mit der Spitze seines Stabes feste gegen einen großen Rubin, aber außer ein paar kleinen Splittern schaffte er es nicht diesen zu entfernen. Bei den Saphiren, Smaragden und Topasen konnte er auch nur kleine Teile heraus brechen. Die Diamanten dagegen waren zu hart. Er bückte sich, hob die wenigen glitzernden Kostbarkeiten auf und steckte diese in seinen Geldbeutel. Immerhin lag genug auf dem Boden um damit die halbe Börse zu füllen.
Nachdem er diese in seinem Umhang verstaut hatte ging Taanuen die Stufen
hinauf und setzte sich auf den Thron. Er stellte sich vor wie der gefüllte Saal auf die Knie ging und ihm huldigte. „Welch ein atemberaubendes Gefühl muß das sein.“, dachte er sich. Nach einigen Minuten der Träumerei stand er auf und sah sich um. Dabei entdeckte er hinter sich eine eisenbeschlagene Holztür und ein mit weiteren Runen verzierten Torbogen darüber. In Erwartung dahinter etwas Interessantes zu finden ging er darauf zu und öffnete sie. Die Scharniere waren, so wie die Anderen zuvor, ebenfalls verrostet. Die Tür war jedoch nicht allzu groß und ließ sich daher mit wenig Mühe öffnen.
Seine Augen blickten in einen langen, dunklen Gang. Gerade einmal breit genug damit zwei Zwerge nebeneinander gehen konnten. Die an der Wand hängenden Fackeln waren abgebrannt und nicht erneuert worden. Also nutzte er wieder seinen Zauberstab der ihm Licht spendete. Nach wenigen Schritten gelangte er zu zwei Türen die sich links und rechts von ihm befanden. Am Ende des Ganges vermutete er einen weiteren Raum. Die Dunkelheit jedoch verbarg den Eingang vor seinem Blick. Er wählte die Tür zu seiner Rechten, welche allerdings verschlossen war. Dies sollte
ihn aber nicht hindern das Schloss zu öffnen. Ein kleiner Zauber genügte und er konnte den Raum betreten.
„Eine Bibliothek!“, freute er sich mit Erstaunen. „Eine königliche Bibliothek! Hier muß das gesamte Wissen der Zwerge niedergeschrieben worden sein.“ Welches Buch sollte er als Erstes anschauen? Die Auswahl war einfach zu groß. Er ging durch die Reihen der Regale und strich mit seinem linken Zeigefinger über die Buchrücken. Ein angenehmer Schauer durchlief seinen Körper. Am Ende des Ganges gelangte er zu einer kleinen absteigenden Treppe, die wiederum zu einem mit einer
Gittertür verschlossenen Raum führte. Das Vorhängeschloss zu öffnen war eine Kleinigkeit für einen Zauberer wie ihn.
Taanuen entfernte das Schloss und öffnete die Tür. Der Raum enthielt nur ein paar hundert Bücher. Die Titel dagegen versprachen interessanten Lesestoff. Auf einem hölzernen Ständer lag geschlossen ein Buch mit dem Titel, “Verborgene Welten – Die Reisen des Antaras“. Vorsichtig öffnete er das Buch und überflog die erste Seite. Dabei stachen ihm die Worte “Reise, Zauberer und Dimensionstore“ ins Auge. Sein Wissensdurst wurde entfacht. Doch nicht nur dieser. Auch sein Magen fing
an zu rebellieren. Er hatte schon seit Stunden nichts gegessen und getrunken. Das Buch unter den Arm geklemmt ging er zurück in die Bibliothek zu dem zuvor gesehenen Sessel. Seine Tasche und die Lektüre legte er auf den Tisch neben dem Ruheplatz. Den letzten Rest von seinen Vorräten breitete er auf dem kleinen Tisch aus und stellte ihn vor sich hin. Erschöpft ließ er sich nach hinten in den Sessel fallen. Für einen kurzen Moment schloss er zur Entspannung die Augen. Als er sie wieder öffnete nahm er seinen Wasserschlauch und trank einen kräftigen Schluck daraus. Das vertrocknete Brot hätte er unter
normalen Umständen den Schweinen vorgeworfen. Aber dies waren keine normalen Umstände. Also machte er das Beste aus seiner Lage und biss vorsichtig in den Laib.
Nach wenigen Happen packte er den kläglichen Rest zurück in seine Tasche. Wer weiß wann er wieder etwas Essbares finden würde. Genießbare Pflanzen oder Lebewesen hatte er bisher nicht entdecken können. Und in der Vorratskammer, wo auch immer sich diese verbarg, gab es mit Sicherheit nur noch zu Staub zerfallene Lebensmittel. Taanuen mußte demnach bald einen Weg aus dieser Stadt mit all ihrem Wissen und
seinen Schätzen finden. Aber er würde zurück kommen. Zuviel gab es noch zu entdecken.
Er schlug das rechte über das linke Bein, legte das Buch darauf und klappte vorsichtig den Buchdeckel um. Das Papier roch modrig und war einige Jahrhunderte alt, und er wollte es nicht durch eine Unachtsamkeit beschädigen. Jetzt, nachdem seine körperlichen Bedürfnisse gestillt waren, konnte er endlich das ausgewählte Werk genauer unter die Lupe nehmen.
“Verborgene Welten – Die Reisen des
Antaras“
“Nur wenige in Damorien kennen den aus Shakara stammenden Zauberer Antaras und seine große Entdeckung über die ich hier berichten möchte. Antaras war ein eher mittelmäßiger Zauberer der in der Mitte des ersten Jahrtausends lebte. Seine magischen Fähigkeiten verwehrten ihm den Zugang zu den höheren Ebenen der Magie, und doch gelang ihm etwas was selbst die Großmeister von Shakara nicht verwirklichten. Im Gegensatz zu seinen Ordensbrüdern verbrachte Antaras, nach seiner offiziellen Ernennung zum Meister, seine Zeit nicht mit weiteren
Studien der Magie. Im Gegenteil! Er verließ die Ordensburg und reiste durch das Land um es zu erkunden.“
„Zu der damaligen Zeit scherten sich die Zauberer von Shakara nicht um die Geschehnisse außerhalb ihres kleinen Reiches, und hatten auch sonst nur wenig Kontakt mit anderen Rassen. Antaras dagegen war in Ihren Augen ein Revolutionär. Er wollte den Zustand ändern und das Wissen des Ordens über die Kräfte des Universums und die verschiedenen Arten der Magie erweitern. Er glaubte nicht, dass sein Volk als einziges magische Fähigkeiten besaß. Für dieses frevlerische Denken
wurde er fast vom Orden ausgeschlossen. Doch er ließ es nicht soweit kommen und ging freiwillig in die bis dahin unbekannte Welt.“
„Auf seinen Reisen begegnete er vielen Völkern und Rassen von denen er lernen konnte. Und er sollte Recht behalten, es gab auch außerhalb Shakaras magiebegabte Wesen. Wenn auch nur auf dem Niveau eines Novizen. Seine verschiedenen Begegnungen werde ich so gut es geht später ausführlich in diesem Buch beschreiben. Denn vieles was Antaras selbst verfasste hat die Zeit nicht überdauert. Die wenigen leserlichen Dokumente wurden durch
Erzählungen von verstorbenen Ordensbrüdern ergänzt.“
„Antaras verbrachte seinen Lebensabend in Shakara, und berichtete dort von seinen Reisen. Anfangs wollte ihm niemand Glauben schenken, und er wurde als verrückter, alter Zauberer verspottet. Aber als er die Götter der Orcca beschwor mussten selbst seine größten Kritiker ihre Ansichten ändern.“
„Die Orcca, primitive, gnomartige Wesen die im Südosten von Damorien lebten, sollten sein Leben grundlegend verändern. Durch sie lernte er ihre Götter kennen. Und nach sechs Jahren
intensiver Studien entdeckte Antaras, dass es außerhalb ihrer Welt noch andere Welten gab und wie man dorthin gelangen konnte. In dieser Zeit durfte er bei den Orcca leben und ihre Form der Magie erlernen. Im Gegenzug brachte er ihnen den Fortschritt, wie zum Beispiel den Anbau von Getreide, oder den Bau von stabileren Gebäuden. Bis zu seinem Eintreffen waren Hungersnöte im Winter normal für sie und nur die Stärksten überlebten. Aus Dankbarkeit halfen die Orcca ihm bei seinen Forschungen und bauten das erste Dimensionstor Damoriens.“
Das war es was Taanuen wissen wollte
und er blätterte vor bis zu dem Kapital in dem Antaras Leben bei den Orcca beschrieben wurde. Dem Aussehen nach waren es Auszüge aus seinem Tagebuch und seinen Schriften.
“Mein Leben bei den Orcca.“
Siebter Tag, des sechsten Monats im Jahr 1613 des Ersten Zeitalters
„Nachdem ich seit Wochen durch die Wälder und weiten Grasebenen im Südosten von Damorien wandere bin ich heute auf ein primitives Volk von Gnome gestoßen. Sie sind nur halb so groß wie ich und haben einen überproportional
großen Kopf auf ihren Schultern sitzen. Ihre braune Haut erinnert mich an gegerbtes Leder. Ihre Kleidung setzt sich zusammen aus Fellen und Tierhäuten, und auch ihre Waffen bestehen lediglich aus Steinen zum werfen und Speeren mit einer Spitze aus Felsgestein. Soweit ich das sehe sind sie Jäger und Sammler, und leben in ihrem kleinen Dorf auf einer Waldlichtung in nicht gerade stabilen, runden Hütten aus Ästen und großen, grünen Blättern. Und doch, trotz ihrer Armut ist es ein freudiges Volk welches das wenig was es hat mit mir teilt. Ich denke, ich werde ein paar Tage bei ihnen bleiben und mehr über ihre Kultur
in Erfahrung bringen.“
Fünfzehnter Tag, des sechsten Monats im Jahr 1613 des Ersten Zeitalters
„Ich bin jetzt schon seit über einer Woche bei den Orcca, und habe in der kurzen Zeit wohl alles erfahren was es über dieses kleinwüchsige Volk zu wissen gibt. Wie bei unserer ersten Begegnung vermutet leben sie von Früchten und Beeren, und was sie bei ihrer Jagd zu erlegen vermögen. Der Häuptling unterscheidet sich nicht wesentlich von seinen Untertanen. Er geht wie alle Männer mit auf die Jagd und verrichtet körperliche Arbeiten. Was
ihn unterscheidet ist die Tatsache, dass er bestimmt wo gejagt wird, was gebaut wird und er verhängt im Notfall auch Strafen. Gesetze oder gesellschaftliche Strukturen scheint es keine zu geben. Bedauerlicherweise spreche ich ihre Sprache nicht, sonst könnte ich auf diesem Wege mehr Details über sie erfahren.“
„Morgen werde ich meine Weg fortsetzen und weiter nach Osten wandern. Hier gibt es nichts mehr zu lernen. Zum Abschied hat man mich heute Abend zu einem Fest eingeladen. Glaube ich
zumindest.“
Sechzehnter Tag, des sechsten Monats im Jahr 1613 des Ersten Zeitalters
„Es ist unglaublich was ich gestern Abend erleben durfte. Wie vermutet hatte man für mich ein Fest eingeladen. Ich saß mit geschätzt 80 Orcca um ein großes Lagerfeuer herum und man reichte mir Saft von gepressten Früchten, über dem Feuer gebratenes Fleisch und getrocknete Früchte. Das sollte reichen um meine heutige Reise gestärkt zu beginnen. Doch dann passierte etwas. Der Schamane des Dorfes vollzog ein Ritual. Anfangs
dachte ich an einen Abschiedstanz zur Belustigung. Doch als er wie in Trance da stand und etwas murmelte geschah es. Er warf ein Pulver in das Feuer welches die Flammen bläulich lodern ließen. Die Orcca starrten wie gebannt mit weit aufgerissenen Augen auf das Spektakel. Der Rauch sammelte sich über dem Feuer und bildete eine kleine, sich immer schneller drehende Wolke. Diese färbte sich von grau zu blau zu grün. Blitze durchzuckten sie. Und mit einem Mal kam etwas aus der Wolke heraus. Etwas Lebendiges!
Taanuen nahm seinen Wasserbeutel und trank einen kräftigen Zug daraus.