Rollator
So etwas hat es früher nicht gegeben.
Alte Menschen hatten eine Stock, mehr nicht. Man ging gebückt oder eben langsam.
Wenn ich heute einen Rollator sehen, werde ich wütend.
Ich muss an meine Mutter denken und ihren Rollator. Damals hatte sich ein Wandel vollzogen. Das war nicht mehr meine Mutti! Mit ihr konnte man über alles reden und debattieren. Mutti war interessiert und aktuell. Mutti hatte Fantasie und leider haben wir Kinder ihr
jede Menge Zeit genommen und sie mit Arbeit verschüttet. Dafür hatte sie unsere Akzeptanz als jene Form der stillen Dankbarkeit.
Mit dem Rollator begann eine neue Zeitrechnung, die Zeit der Einbahnsätze. Wechselseitige Kommunikation versandete im Nichts. Ich fragte sie, wie das Essen war, sie antwortete „Gut“. Ende. Es mag ihr an Kraft und an Lust gemangelt haben, aber woher sollte und wollte ich das wissen? Ihre „Hülle“ war noch meine Mutti, wenn auch gealtert, aber das Innere war ausgetauscht, ohne mein Wissen.
Andere Mütter achteten auf ihr Äußeres, meine Mutti nicht mehr. Mit ihrem
Freund Helmut war ihre letzte Aufgabe verstorben. Andere Mütter hatten Wünsche, sie wollte 100 Gramm Leberwurst und ein halbes Weißbrot. Und zwei Becher Schokopudding.
Bücher hatte sie noch gelesen und Fotoalben hatte sie noch angesehen, manchmal eine Veranstaltung im Haus besucht. Sie kam auch nicht mehr mit bei den Gesprächen, weil ein Ohr schon früh den Dienst versagt hat. Das Hörgerät verstärkte sowohl die Sprache als auch den Lärmpegel und das machte das Erleben nicht leicht. Sie hätte es sagen können, aber Klagen war nicht das Ding dieser Generation.
Kurz bevor sie auf immer eingeschlafen
ist habe ich sie gefragt, was denn wäre. „KL“ - keine Lust waren ihre letzten Worte, die ich auf ewig behalten werde. Irgendwann haben wir alle keine Lust mehr.
05122014 jfw