Langsam lasse ich meine Finger über das ordentlich aufgeschüttelte und gemachte Bett streifen. Die zwei Kissen an Kopfende liegen dicht beieinander, wie wir in der letzten Nacht und Bilder kommen mir in den Sinn. Erinnerungen. Ich senke den Blick auf die blumigen, verblichenen Muster des Bettüberzugs, welcher unsere Körper in der letzten Nacht bedeckt hatte, als wir unruhig beieinander gelegen hatten und einander in den Armen gehalten hatten. Ich hab deinen kühlen Atem auf meiner Haut gefühlt, als du dich leicht aufgerichtet
hattest um mir in die Augen zu schauen. Deine wunderschönen braunen Augen blickten so voller Liebe auf mich herab, dass mir selbst jetzt die Erinnerung schmerzt. Übelkeit schleicht sich in mir hoch, eine Gänsehaut fährt mir über die Haut. Schützend fahre ich mit meinen Handflächen über meine Arme und reibe sie bedächtig, den Blick auf die Badezimmer-Tür gerichtet. Das Geräusch von fließendem Wasser reißt mich aus meiner Trance. Mein Blick wandert weiter durch das kleine, ländlich eingerichtete Zimmer, herüber zur Kommode, auf der meine Handtasche
noch vom Abend steht, wo ich sie abgelegt hatte. Ein kleiner Fernseher steht in der rechten Ecke beim Fenster und ein Platzdeckchen liegt oben drauf und hängt über den Rand des Bildschirms. Unsere Kleidung liegt überall verstreut, denn wir haben gestern im Ansturm unserer Gefühle selbst die Standlampe umgerissen. Als du deine kräftigen Arme um meine Taille geschlungen hast und sich meine Lippen voller Sehnsucht auf deine gelegt hatten. Der Atem beginnt mir zu stocken bei der Erinnerung. Das Geräusch einer aufgeschobenen
Duschtür lässt mich aufschrecken und mein Blick wandert zur Badezimmertür. Hektisch werfe ich einen Blick in den gegenüberhängenden Spiegel und ordne meine wirren Haare. Ich sehe fürchterlich aus. Die Schminke ist verlaufen und ich wirke, als hätte ich zu wenig geschlafen. Mein Blick heftet sich wieder auf die Tür. Angespannt warte ich darauf, dass du einen Schritt in den Raum machst, damit ich dich ansehen kann. Aber gleichzeitig weiß ich, dass mir dein Anblick sehr weh tun wird. Mein Flieger geht in weniger als zwei Stunden und dann wird diese Nacht eine blasse Erinnerung werden und
ich weiß, dass mich die Sehnsucht nach dir übermannen wird. Ich will nicht zurück. Ich will bei dir bleiben, in deinen Armen einschlafen. Deinem Atem beim Schlafen lauschen, deine Stimme hören, dich spüren. Das Klicken der Tür lässt mich unsicher zusammen fahren. Ich weiß nicht, was ich tun sollte, würde, wenn du wieder so zauberhaft sein würdest, wie heute Nacht. Du trittst langsam einen Schritt vor dem anderen, bekleidet nur mit einem Handtuch locker über die Hüfte gehängt. Deine nassen Locken umschmeicheln dein Gesicht und deine Augen wirken
wie zwei goldbraune Schmucksteine. Dein Lächeln ist wie gewohnt hinreißend, als du mich ansiehst und ich kann die Freude nicht verbergen, ein kurzes Zucken meiner Lippen und mein Puls beschleunigt sich. Ganz obligatorisch, wie in einer Hollywood Romanze, dabei sind du und ich mehr als real. "Das Bad ist frei", murmelst du und trittst zur Seite. Aber meine Beine wollen mich nicht tragen, ich bleibe stehen und starre dich einfach an. Ich fühle mich wirklich hilflos in deiner Gegenwart und ich hasse das. Du weißt natürlich, dass ich es hasse, abhängig zu
sein. Aber du genießt es auch. Langsam machst du ein paar Schritte auf mich zu, bis du schließlich dicht vor mir stehst und ich zu dir hoch schauen muss, weil wir größentechnisch weit auseinander liegen. Deine Hände wandern zu meinem Gesicht, heben es an. Du zwingst mich förmlich deinem Blick nicht auszuweichen. Nicht, dass ich es vor hätte, aber du gehst vermutlich auf Nummer sicher, weil du natürlich auch weißt, dass ich stur bin. Und du weißt, dass es mir jetzt schon weh tut, dich bald hinter mir zu lassen. "Maus", sagst du und klingst dabei so
zuckersüß, dass es mir einen Stich in die linke Brust versetzt, "Ich kann es nicht ertragen wenn du so traurig aussiehst." Ich zwinge mir ein gequältes Lächeln ab, doch du drückst mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Es ist als würde meine Haut unter jeder deiner Berührungen prickeln, was ich nicht für möglich gehalten habe. Vor all diesen Monaten, in denen ich dich kennen und lieben gelernt hatte, wo du mir mehr als einmal Kummer und Sorgen bereitet hattest, in denen ich an niemanden als an dich denken konnte, niemals, niemals hätte ich geglaubt dass wir hier und heute stehen würden und einander lieben
würden. Und es schmerzte. Nicht diese Liebe, aber die Umstände. Wir wohnen so weit voneinander entfernt, dass es mir jedes Mal mehr schmerzt dich hinter mir zu lassen. Jedes Mal, wenn ich das Hotel verlasse, jedes Mal wenn ich am Flughafen stehe, deine Hand halte, zum Terminal schaue und weiß "Es wird Zeit". Und auch dein aufmunterndes Lächeln treibt mir nicht die Tränen aus den Augen. Nichts davon heilt meinen Kummer, nichts davon lässt mich durchatmen. Erst wenn ich im Flugzeug sitze, merke ich, wie ich aus der Starre erlöst werde und dann überkommt es mich. All die Traurigkeit,
die ich mir aufgespart habe für diesen einen Moment. Tausend Kilometer in die Ferne. "Ich liebe Dich." Dann spüre ich deine Lippen auf meinen. Ein schmerzlicher Kuss, du beißt mir zärtlich in die Unterlippe und vergräbst deine Hände in meinen Haaren. "Verdammt, Ich liebe Dich so", keuchst du zwischen den Küssen. Du drückst mich gegen die Wand, gewaltsam, und dennoch tut es nicht weh. Ich bin wie paralysiert von deiner Leidenschaft und eine einzelne Träne löst sich aus meinen
Augen. Ich will nicht gehen. Du lässt langsam von mir ab und trittst einen Schritt zurück. Dann bist du wieder der Gentleman und hältst meine Hand fest in deinen. Mir drohen jeden Moment meine Füße unter mir weg zu brechen und einzig die stabile Wand hinter mir sorgt dafür, dass ich nicht längst zu Boden gesunken bin. Ich weiß, du hasst es, wenn ich so viel nachdenke, aber all das, was ich denke, ist vielleicht zu viel, um es zu erzählen.
Ich könnte Stunden damit verbringen dir zu sagen, dass ich dich vermissen werde. Dass ich fix und fertig sein werde. Dass ich auf dem Rückweg bereue nicht geblieben zu sein. Aber ich will nicht aufdringlich sein. Ich weiß, für dich ist das auch alles gar nicht mal so leicht. Du würdest auch am liebsten aus deinem Leben ausbrechen, um bei mir zu sein. Aber es geht nicht. Wir beide haben Pflichten. Und die entfernen uns voneinander. „Zieh dich an, lass uns spazieren gehen“, sagst du plötzlich und ich sehe dich erstaunt an. „Aber mein Flug geht in zwei-“,
versuche ich zu protestieren. „Vertrau mir“, sagst du nur, „ du wirst ihn nicht verpassen.“ Fast schon ein wenig enttäuscht schiebe ich mich an dir vorbei ins Bad und ordne meine Haare. Ich weiß nicht, was du vor hast, aber vermutlich willst du mich einfach auf andere Gedanken bringen. Also putze ich meine Zähne, wische mir die Schminke aus dem Gesicht und trage Neue auf. Als ich raus komme, ist genug Zeit vergangen, dass du dich in ein lässiges kariertes blaues Hemd und eine schwarze Cordhose geworfen hast. Ich sehe dagegen in BH und Slip aus, als würde ich gleich zurück ins Bett fallen. Also
sammel ich Top, Strumpfhose und Rock von Boden auf und richte meinen Blazer vorm Spiegel, während du mich genauestens dabei betrachtest. Mir ist noch nicht ganz klar, weshalb du plötzlich so still wirst. Du bist normalerweise der redselige Part von uns zweien, aber seit dem Kuss bist du ruhig. Ich frage mich, wie ein Spaziergang mein Leiden lindern soll. Ich werfe einen kurzen Blick aus dem Fenster. Für einen Tag im Februar ist es recht kühl, aber ich denke das liegt an der Umgebung. Es schneit und mit meinem Rock werde ich wahrscheinlich entsetzlich frieren,
aber du bist da und das entschädigt meinen Körper. Auch wenn er entsetzlich vor Angst zittert, dich nachher zu verlassen. Ich ziehe mir schlussendlich meine Stiefel zurecht und nehme meine Handtasche auf. Du stehst schon bereit und hältst mir den Mantel hin, damit ich hineinschlüpfen kann. Das Schweigen drückt die Stimmung und gleichzeitig meine Aufregung, lässt mich aber für einen Moment vergessen, dass ich entsetzlich traurig bin. Du hakst dich bei mir unter, während wir das Hotel verlassen und im Aufzug nach unten fahren. Ich blicke unsicher
zu dir hinauf, während ich mich an dich lehne. Obwohl mein Herz flattert und sich gleichzeitig etwas Bedrückendes auf meinen Brustkorb legt, genieße ich deine Gegenwart. Ich kann nicht anders. Du erwiderst meinen Blick und hauchst mir einen Kuss auf die Haare. Deine Hand fährt zärtlich meinen Arm entlang und dann öffnet sich plötzlich die Tür. Wir treten hinaus in die Lobby und machen uns auf in Richtung Rezeption. Es ist menschenleer in diesem kleinen schnuckligen Hotel, in dem wir uns schon häufiger getroffen haben. Der Wirt nickt anerkennend, als Martin ihm den Schlüssel auf den Tresen legt.
„Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt noch in Stuttgart“, verabschiedet uns der Wirt. „Danke“, murmle ich und lächle knapp. Dann drehen wir uns um und marschieren aus dem Hotel. Es ist wirklich kalt, aber in seinen Armen ist es erträglich, wie er sie um meine Taille und ich meine Arme um seine geschlungen hab. Ich habe kein Gepäckstück dabei, weil wir uns heute nur über Nacht spontan gesehen haben, also ist es weniger hektisch als sonst, aber es schmerz auch, schließlich zeigt mir diese kurze Zeit wieder, wie sehr ich
ihn liebe und vermisse. Und wie sehr ich mir sehne, für immer mit ihm zusammen zu bleiben. Ich bin töricht, wenn ich glaube, dass wir das jemals auf die Reihe bekommen. Wir sind zwei unterschiedliche Menschen. Er ist sozial engagiert, ich bin eine Einzelgängerin. Er ist locker, ich bin vergraben in meine Arbeit. Er ist gesprächig, ich bin schweigsam. Wir haben nur die einzige Gemeinsamkeit: unsere Liebe füreinander. Und als wenn das nicht schon kitschig genug wäre, ist er der perfekte Mann an
meiner Seite. Wir ergänzen uns irgendwie und genau das macht es für mich immer so schwer. Wir telefonieren häufig, wir streiten wenig, wir sehen uns selten. Zu selten. Und es zerreißt mir immer wieder das Herz. Er drückt mich plötzlich fester an sich und lenkt mich in eine Seitengasse, die mir gänzlich unbekannt ist. Aber sein Griff ist fest und er wirkt angespannt, aber er scheint im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten zu sein. Er zieht eine Grimasse, weil ihm der Schnee ins Gesicht fällt. „Martin, wohin gehen wir?“, frage ich
beiläufig, um das Schweigen zu brechen, aber er sagt nur: „Vertrau mir.“ Ich schließe die Augen und lasse mich führen, durch Gegenden, die ich bisher kaum bemerkt habe. Ich kenne mich nicht aus in Stuttgart, aber in diesem Teil der Stadt war ich noch nie. Die Hausfassaden wirken alt und klobig, sind schön verziert und hübsche schwarze, auffällige Laternen beleuchten die Straßen, weil es bereits dunkel wird. In zwei Stunden geht mein Flug und wir haben die ganze Nacht und den Morgen im Bett verbracht und anschließend geschlafen. Jetzt könnte ich mich schelten dafür dass
wir überhaupt ans Schlafen gedacht haben. Ich wollte ihm so viel erzählen, wollte wach sein, ihm zuschauen beim Schlafen. Wollte ihn küssen und mich bei ihm einkuscheln. So viele Dinge waren noch ungesagt und bald würde ich wieder heim fliegen, ohne es ihm persönlich gesagt zu haben. Nun lenkt er mich in eine weitere Seitengasse, die einen Zugang in einen kleinen Park hat. Ein dünner, schwarzer Metallzaun grenzt das Grundstück ab. Der Schnee auf der Wiese ist weiß und unberührt und den Eingang markiert ein Rundbogen, der verschnörkelt und verziert ist. Es vermittelt den Anblick
eines altstädtischen Traumgartens. Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Wir waren schon einmal hier. Zu Beginn, zu unserem ersten Treffen hatten wir einen belebten Ort im Sommer gewählt. Wir hatten uns unter einer Birke getroffen, er hatte auf der Parkbank gesessen und ein Buch gelesen. Als ich mich an ihn anschlich, war er erschrocken aufgestanden und hatte das Buch beiseite gelegt. Ich konnte den Einband gut erkennen. Es war das Buch, das ich ihm zum Einjährigen bestehen unserer Beziehung geschenkt hatte. Ich werde nie diese leuchtenden Augen vergessen, die mich anstierten und seine
warmen Hände, als er seine nach meinen Ausstreckte und nie wieder werde ich vergessen, wie er mich liebevoll in den Arm nahm. Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Martin hat sich von mir gelöst und senkt den Blick Richtung seiner Füße. Dann kramt er etwas aus seiner Manteltasche und hält es anschließend fest in seiner Faust. „Angelina, ich muss mit dir reden“, beginnt er, seine Stimme scheint ihm wegzusterben. Er muss sich räuspern, bevor er mir ins Gesicht blicken kann und seine wunderschönen goldbraunen Augen die meinen fixieren. Dann
schleicht sich ein kurzes Lächeln über seine Lippen und langsam sinkt er auf sein Knie, mitten in den Schnee. Mein Herz setzt einen Sprung aus, als er seine Hand in meine Richtung ausstreckt und eine schwarze, kleine Schatulle zum Vorschein kommt. „Ich weiß, dass es dich schmerzt, dass wir immer so weit voneinander getrennt sind. Ich weiß, dass du etwas Besseres verdienst, als unsere gelegentlichen Treffen. Ich weiß aber auch, dass ich es Leid bin, morgens nicht neben dir aufzuwachen. Ich will zukünftig, dass sich das alles ändert. Darum...“ Er machte eine kurze Pause und lächelte
noch einmal verschämt. „Bitte, werde meine Frau. Lass uns jeden Morgen nebeneinander aufwachen, ich will dich küssen bevor du einschläfst und dir Frühstück ans Bett bringen. Ich verspreche dir, dich nie von deiner Arbeit abzulenken. Du wirst deine Feiertage nie wieder allein verbringen, weil ich fortan deine Familie sein will.“ Mir stockt der Atem. Unbändige Freude steigt in mir auf, gepaart mit einer Unsicherheit, die ich bisher nicht kannte. War das sein Ernst? Wollte er mich – wirklich mich – zu seiner Ehefrau machen? Dass wir unsere Beziehung vertiefen würden? Nach all
dem, was wir in den letzten Monaten voneinander hatten, klang eine Verlobung geradezu wie das Paradies. Würden wir zusammen ziehen und eine Familie gründen? Und war das, was er gesagt hatte wirklich die Wahrheit? Eine Familie zu haben, wäre neu für mich und ich liebe ihn wirklich unheimlich, daher bin ich plötzlich unheimlich verunsichert. Er schaut mich angespannt an, und wartet wohl auf meine Antwort. Mir steckt ein Kloß im Hals und meine Lippenwinkel ziehen sich wie von selbst nach oben. „Martin, du bist ein Spinner“, sagte ich vorsichtig und werde dann ganz ernst. „Ich hoffe du bist dir
im klaren, dass ich eine anstrengende Persönlichkeit bin. Aber Ja. Es gäbe nichts, was ich mir sehnlicher wünschte, als ein Leben lang an deiner Seite zu sein.“ Mit zitternden Händen öffnet er die Schatulle und ich spreize meine Finger, damit er mir den wunderschönen Ring anstecken kann. „Bitte sehr, zukünftige Frau Berger.“ Er verneigt sich kurz. Ungläubig starre ich auf meinen Ringfinger, der nun namensgetreu beringt ist. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich zittere. Ich blicke schüchtern auf in die Augen meines Verlobten, der mich plötzlich schnappt und an sich drückt.
Seine Hände fahren hinauf zu meinem Gesicht und seine Hände vergraben sich erneut in meine Haare. Dem folgt ein zärtlicher Kuss im Schatten der Birke, unter der wir uns einst kennen gelernt hatten. „Ich liebe dich“, flüstert er. „Und ich liebe dich“, antworte ich. Der Schmerz der letzten Stunden verebbt beim Gedanken daran, Frau Berger zu werden und mit ihm zusammen hier alt zu werden. Denn ich weiß, dass er mich jetzt nicht mehr so schnell los wird, denn eine Pflicht, die hält mich hier: die Pflicht, ihm eine gute Ehefrau zu sein.